Dienstag, 30. September 2014

Gern gespielt im September 2014

Was landete am häufigsten auf meinem Spieletisch? Was machte besonders viel Spaß? Und welche alten Schätzchen wurden endlich mal wieder ausgepackt?

WITCHES: Von dem starken Kartenabrieb ist auch mein Exemplar betroffen. Ich frage mich allerdings, ob es nicht vielleicht einfach daran liegt, dass WITCHES schon so oft gespielt wurde.

MACHI KORO: Das ist ja wie SIEDLER.

BRÜGGE – DIE STADT AM ZWIN: Die Erweiterung transportiert mein persönliches Spielgefühl von BRÜGGE perfekt weiter: Es ist immer noch Hassliebe, jetzt allerdings mit mehr Elementen.

LA ISLA: Und wer dieselben Gefühle mit weniger Elementen durchleben will, spielt ein schnelles LA ISLA: Man hat immer die falschen Karten. Und wenn man die richtigen hat, kommen sie zu spät.

HOOK: Vielleicht wäre HOOK kein zweites Mal in dieser Liste aufgetaucht, hätte ich am Wochenende nicht erlebt, wie sich die offensichtliche Begeisterung einer Mitspielerin auf die gesamte Runde übertrug, wodurch sich HOOK zu neuen Höhen aufschwang.

RUSSIAN RAILROADS: Das Spiel räumt einen Preis nach dem anderen ab. Gerade vor diesem Hintergrund war Hans im Glück sicher sehr erleichtert zu erfahren, dass ihrem RRR die riesige Ehre widerfuhr, vom Jahrgang übrig zu bleiben.


Freitag, 26. September 2014

Was vom Jahrgang übrig bleibt (2): Kleine Spiele

Was zuvor geschah:
Udo Bartsch, Chefredakteur und geistiger Anführer von REZENSIONEN FÜR MILLIONEN, gab eine seiner typisch langatmigen Erklärungen ab. Er führte aus, dass die in den Vorjahren übliche Mitspielerbefragung zu den besten Spielen des Jahrganges diesmal leider entfalle. Die Mitspielermeinungen würden stattdessen durch Meinungen von Udo Bartsch ersetzt. Pluralismus, so Bartsch, werde auf REZENSIONEN FÜR MILLIONEN trotzdem weiterhin groß geschrieben, schließlich sei es ein Substantiv, haha, doch im Zuge einer neuen Informationsstrategie setze sein Blog vermehrt auf klare, leicht verständliche Botschaften.

Höret nun:
Meine neueste Verkündung handelt von kleinen Spielen, zu denen üblicherweise Würfel- und Kartenspiele zählen. Ein bemerkenswertes Würfelspiel habe ich allerdings diesmal nicht bemerkt, während ich immerhin vier Kartenspiele mit „reizvoll“ bewerte, eines sogar mit „außerordentlich“.
Bei LOVE LETTER und SOS TITANIC beruht mein positives Urteil zu einem starken Grad auf der Originalität von Spielidee und Umsetzung. Beide Spiele sehe ich als Bereicherung meiner Sammlung an; dass ich noch viele Gelegenheiten haben werde, sie zu spielen, glaube ich indes nicht. Somit bleibt wie schon bei den großen Spielen ein Trio übrig:

SKULL KING
Ja, ja, ja, zugegeben: Das ist wie WIZARD! Und wie schon geschrieben: Piraten dürfen das. Da ich Stichspiele und insbesondere Stichvorhersagespiele sehr mag, fällt SKULL KING bei mir auf äußerst fruchtbaren Boden. Von den Kartenspielen dieses Jahrgangs erlebe ich es als das emotionalste. Interessant, mit wie wenig Abweichung vom Bekannten sich so viel spielerischer Mehrwert herausholen lässt!(Rezension: spielbox 4/2014)

ABLUXXEN
Falls ich tatsächlich noch nicht wusste, dass ich einen Sammeltrieb habe, weiß ich es spätestens jetzt. ABLUXXEN kitzelt diesen Sammeltrieb. Hihihi, und mein Sammeltrieb ist wirklich sehr kitzelig. Natürlich geht es eigentlich darum, möglichst schnell seine Karten loszuwerden. Aber wenn man hier noch viele Vieren mitnehmen kann und da noch nebenbei die Zehnen und einen Joker – dann her damit! Wenn ich das alles noch auslege, zählt es viele Pluspunkte. Wenn nicht... äh, wird sofort gemischt und wir reden nicht mehr drüber.

POTATO MAN
Ein Kerl wie POTATO MAN, rechtschaffen und stark, gehört einfach aufs Siegespodest, auch wenn es nur für Bronze reicht. Vielleicht tröstet es ihn ein bisschen, dass ich Kartoffeln wirklich viel lieber mag als etwa Reis oder Nudeln. Und Kroketten gehen übrigens gar nicht. Pommes dagegen... ach, egal.
Obwohl mit SKULL KING bereits ein Stichspiel auf meiner Liste steht, hebt sich POTATO MAN genügend ab, um ebenfalls weiter im Fokus zu bleiben. Ich sehe es aufgrund der regeltechnisch leicht zu erfüllenden Bedienpflicht als Spiel für Stichspiel-Einsteiger, das aufgrund seiner taktischen Möglichkeiten aber auch Vielspieler gut unterhält.

Montag, 22. September 2014

Voll Schaf

Die Trends 2014: Gestapelte Tiere! Und: Kürzesteinleitungen!

Wie geht VOLL SCHAF? VOLL SCHAF ist ein einfaches Ausbreitungs-Spiel, das an beispielsweise PACKEIS AM POL oder JÄGER UND SAMMLER erinnert. Der Spielplan besteht aus (pro Spieler vier) Platten mit je vier Sechseck-Feldern und lässt sich immer wieder anders aufbauen. Jeder startet mit einem Stapel aus 16 Schafen, irgendwo am Spielplanrand. Ziel ist es, diese Schafe auf möglichst viele Felder zu verteilen. Wer die meisten Felder besetzt, gewinnt.
In jedem Spielzug hebt man eine beliebige Menge Schafe von einem seiner Stapel ab (mindestens ein Schaf muss stehen bleiben; im ersten Spielzug hat man natürlich nur einen Stapel) und zieht damit gradlinig, bis man gegen den Spielplanrand oder andere Schafe stößt. Das reihum und immer weiter, bis alle Spieler bewegungsunfähig sind.

Was passiert? Trotz einfacher Regeln tut sich einiges an Spieltiefe auf. Das beginnt schon bei der Wahl des Startplatzes: Der sollte optimalerweise so liegen, dass man in möglichst viele Richtungen vordringen und sich umgekehrt ein eigenes Eckchen abgrenzen kann. Der Spielplan muss gelesen werden, um bestimmte Brennpunkte vorab zu erkennen und vielleicht sogar für sich auszunutzen.
Timing-Fragen bestimmen das weitere Geschehen: Wo muss ich wegen einer Drohung sofort ziehen? Wo kann ich die Sache noch aussitzen, ohne gleich abgeschnitten zu werden? Ich muss Chancen und Risiken abwägen, um zu entscheiden, wie viele Schafe ich mitnehme und wie viele stehen bleiben.
Wenn sich die Gelegenheit bietet, einen hohen Turm eines Mitspielers einzukesseln, sollte man dies nutzen. Umgekehrt muss man dringend vermeiden, selber derart zum Opfer zu werden. In Dreier- oder Viererkonstellation kann man dies nicht immer. Wenn einer (und sei es unbeabsichtigt) dem anderen eine Vorlage gibt, kann der Dritte schnell k.o. sein.
Auch hat man bei manchen Aufbauten den Eindruck, es gäbe einen Startspielervorteil. Die Nachteile macht VOLL SCHAF durch seine Kürze allerdings wieder wett. Länger als 15 Minuten dauert eine Partie üblicherweise nicht.

Was taugt es? VOLL SCHAF ist ein flottes, knackiges, rundes Taktikspiel. Das Material – sehr massiv und mutmaßlich nicht gerade aus heimischer Produktion – wird von den Spielern meist sehr positiv aufgenommen. Die kindliche Optik jedoch schreckt viele ab, die ich durchaus als Zielgruppe von VOLL SCHAF ansehen würde. Originell ist VOLL SCHAF nicht, macht aber trotzdem Spaß, und ich würde es sofort wieder mitspielen – falls es der Zufall denn so wollen würde, dass 2014/15 partout keine neuen Spiele erscheinen.

VOLL SCHAF von Francesco Rotta für zwei bis vier Spieler, HUCH! & friends.

Mittwoch, 17. September 2014

Was vom Jahrgang übrig bleibt (1): Große Spiele

In den vergangenen Jahren präsentierte ich zu dieser Jahreszeit lange Listen der Lieblingsspiele meiner Mitspieler. Zeitmangel lässt das in diesem Jahr nicht zu.
Man muss wissen: Obwohl meine Mitspieler natürlich zu hundert Prozent total absolut gerne in diesem weltberühmten Blog auftreten, rücken sie ihre Listen und Fotos selten aus eigenem Antrieb heraus. Je nach Schwere des Falles bedarf es da des freundlichen Erinnerns oder penetranten Nachbohrens; ich muss Grundsatzdiskussionen führen oder gar zu offener Erpressung greifen.

Damit meine Leser listenmäßig nicht völlig auf dem Trockenen sitzen, schaffe ich Ausgleich, indem ich meinen traditionellen Rückblick nun gleich auf mehrere Teile auswalze. Die Lösung hat immerhin den Vorteil, dass in diesem Blog nur eine Meinung vertreten wird, nämlich meine. Ohnehin war ich stets ein bisschen in Sorge, das Nebeneinander mehrerer Meinungen könnte den einen oder anderen Leser verunsichern, ob Meinungen, die nicht meine Meinungen sind, nicht vielleicht trotzdem ein bisschen richtig sein könnten. – Hah! Überflüssige Grübeleien, die dieses Jahr gottlob entfallen.

Es geht los:
Am leichtesten fällt mir meine diesjährige Einschätzung bei den großen Freakspielen. Es gab in diesem Jahrgang drei, die ich mit „außerordentlich“ bewertet habe. Und von diesen dreien glaube ich, dass sie das Jahr überleben werden.

RUSSIAN RAILROADS
Natürlich gab es schon Arbeiter-Einsetz-Spiele und natürlich gab es schon Eisenbahnspiele. Trotzdem fühlt sich RUSSIAN RAILROADS in seiner Gesamtheit so frisch und unverbraucht an, dass es in diesem Jahrgang meine Nummer eins ist. Verglichen mit anderen Spielen derselben Gewichtsklasse fallen die besondere Klarheit und Dichte auf. RUSSIAN RAILROADS prescht vom Start weg los, hat keinen Leerlauf und packt viele Entscheidungen in eine angenehme Spielzeit. So fühlt es sich sehr, sehr rund an.


CAVERNA
Es gab Abende, an denen ich zwei Partien RUSSIAN RAILROADS in Folge gespielt habe, und ebensolche Abende gab es auch mit CAVERNA. Ein besseres Zeichen kann es für (relativ) komplexe Spiele gar nicht geben: Man ist angefixt, man will es besser machen, man will etwas anderes ausprobieren. Das Spiel fordert, aber laugt nicht aus.
CAVERNA ist zusätzlich noch überragend ausgestattet. Das einzige Mini-Manko: Ich kann mich nicht von dem Gedanken lösen, dass hier sehr vieles auf AGRICOLA beruht, also dass ich also eigentlich nur eine nahe Variante dessen spiele, was ich sowieso schon liebe. (Rezension: spielbox 3/2014)


NATIONS
Auch NATIONS kann man als Variante eines anderen großen Spiels ansehen, nämlich IM WANDEL DER ZEITEN. Die enge Verwandtschaft ist vor allem eine thematische. Im Spielgefühl zeigen sich die Unterschiede: IM WANDEL DER ZEITEN ist epischer, NATIONS abgeschliffener und mehr auf den Punkt. Vor allem ist es in NATIONS gelungen, die einzelnen Züge kurz und die Taktung hoch zu halten. Ob ich auf längere Sicht Mitspieler für NATIONS finden werde, weiß ich allerdings nicht. Die vielen Strafen und Verluste gepaart mit einem fehlenden Aufholmechanismus haben manche Spieler aussteigen lassen.

Sonntag, 14. September 2014

Burgenland

Kennt zufällig noch jemand außer mir die folgenden Liedzeilen?
I und die
Miss Burgenland
Hand in Hand
auf an Hochstand.

Nein? Na, dann nicht.

Wie geht BURGENLAND? Wir errichten Bauwerke (Häuser, Brunnen, Palasse, Mauern), und dies endlich mal nicht, um Punkte zu scheffeln. Gewinner ist vielmehr, wer seinen Gebäudevorrat als Erster aufgebraucht hat.
Der Spielplan zeigt elf Burgen mit je vier Bauplätzen. Jeder Burg sind durch Wappen (variabel) zwei Farben zugeordnet. Einen der Bauplätze zu belegen, kostet beliebige vier Karten in den Burgfarben. Das Symbol des belegten Bauplatzes gibt an, welche Belohnung man anschließend erhält, beispielsweise weitere Farbkarten vom Stapel, einen Joker oder ein Spezialplättchen.
Zusätzlich gilt für jede Gebäudesorte eine Spezialregel. Mauern sind am einfachsten zu bauen und bringen noch weitere Belohnungen. Brunnen, Häuser und Palasse müssen bestimmte Bedingungen erfüllen, Palasse kosten gar Extrakarten. Um zu verhindern, dass gar nichts mehr geht, gibt es eine zentrale Burg, in die hinein beliebig viele Gebäude gebaut werden dürfen, allerdings zu erhöhten Tarifen und ohne Belohnung.

Was passiert? Ein Spielzug ist kurz: Entweder man baut – oder man zieht zwei neue Karten. Wer bauen kann, wird dies im Regelfall tun. Denn früh zu bauen, bedeutet freie Platzwahl. Spät dran zu sein, kann bedeuten, nicht mehr bauen zu dürfen, weil entweder alles belegt ist oder die Voraussetzungen nicht mehr zu erfüllen sind. Beispielsweise darf es in jeder Burg nur einen Palas geben.
Kniffliger als das Ob ist meistens das Was. Es verlockt sehr, ständig Mauern zu errichten, weil man so viel dafür bekommt. Je länger man allerdings auf den anderen Gebäuden hockt, desto schwieriger sind sie unterzubringen, und man läuft Gefahr, schließlich die teure Zentralburg ansteuern zu müssen.
Für Spannung sorgen die Spezialplättchen: Welches ziehe ich? Ist es das, welches ich wollte? Wie setze ich es geschickt ein? Plättchen ändern die Farbzuordnungen der Burgen, bringen Kartengeschenke, ändern die Bauregeln oder die Bauvoraussetzungen. Wirklich organisch ist das ganze Regelwerk allerdings nicht. Insbesondere zum Einsatz der Plättchen gab es in meinen Runden viele Nachfragen.

Was taugt es? BURGENLAND spielt man ohne große Höhepunkte herunter. Anders als etwa bei ZUG UM ZUG, wo ich die Pläne der Mitspieler aufgrund der Spielplansituation erraten und auch ihren Baufortschritt ablesen kann, spielt in BURGENLAND eher jeder für sich, und plötzlich hat dann einer gewonnen. Mitspieler treten nur als Behinderung auf dem Spielplan in Erscheinung.
Wird zügig gespielt, baut der Wettlauf um die Bauplätze trotzdem Spannung auf. In optimaler Aufmachung wäre BURGENLAND für meine Begriffe durchaus ein solides Spiel – aber man ahnt es schon: Ich halte die Aufmachung für nicht optimal. Das betrifft sowohl die Illustrationen, die auf mich unattraktiv wirken und obendrein ein wesentlich lustigeres, kindlicheres Spiel erwarten lassen, als auch die Ausgestaltung, die ich als klein, gedrängt und unnötig unübersichtlich empfinde.

BURGENLAND von Inka und Markus Brand für zwei bis vier Spieler, Ravensburger.

Mittwoch, 10. September 2014

Vor 20 Jahren (21): Manhattan

Im Jahr 1994 war ich endlich Geek genug, um mir das Spiel des Jahres zu kaufen, bevor es Spiel des Jahres wurde. Schuld daran war wieder einmal die Fairplay, deren Comic Review Team MANHATTAN in einem Preview (Heft 27) frühzeitig umjubelt hatte.

Meine Spielrunden und ich empfanden das Spiel dann allerdings nur als ganz nett: sich nirgends zum Feind machen, nicht auffallen, passende Karten ziehen: Das ungefähr war es, und das war schon vor 20 Jahren nicht überragend. Immerhin brachte MANHATTAN dieses Prinzip sehr schlank auf den Punkt, verknüpfte gelungen Thema und Mechanismus und sah toll aus. Neben der Dreidimensionalität faszinierten mich vor allem die Spielkarten. Ich fand die Gestaltung erstaunlich modern, nicht nur im Vergleich mit anderen Kleinverlagen, sondern auch im Vergleich mit den Großen.

Verantwortlich für die Grafik war keiner der üblichen Verdächtigen (nebenbei bemerkt: damals waren die üblichen Verdächtigen noch gar nicht so verdächtig), sondern eine Firma namens Zeilbeck & Natzeck Design Company, die mir bereits bei MODERN ART überaus positiv aufgefallen war und die ich fortan als meine Helden betrachtete. Oder betrachtet hätte. Wenn denn weitere Heldentaten gefolgt wären. Die folgten aber nicht. MANHATTAN war das letzte von Zeilbeck & Natzeck gestaltete Spiel – warum auch immer.

Heutzutage könnte man einen Shitstorm lostreten, eine Online-Petition anstrengen oder zumindest empört ins spielbox-Forum bölken. Damals in den 90ern musste man Enttäuschungen aller Art einfach schlucken. Also schluckte ich. Und im Nachhinein betrachtet, mal ehrlich: Der Spielplan von MANHATTAN sieht eigentlich ziemlich schrill aus. 90er eben. Eine Online-Petition wäre mir nachträglich sehr peinlich.

Auch wenn ich MANHATTAN nur „ganz nett“ fand: Um die 20 Partien werde ich sicher gespielt haben. Damals gab man Spiele nicht so schnell auf. Jahre später erfuhr ich zudem von einer Godzilla-Version, in der die Hochhäuser durch ein wütendes Monster wieder abgetragen wurden. Als erklärter Liebhaber von Stadtzermalmungsspielen schuf diese Variante für mich einen neuen Reiz und war der Grund, MANHATTAN doch noch hin und wieder zu entstauben.

Und wer sich nun fragt, wo die lustige Anekdote bleibt, dem sei gesagt: Ich bin ein Spiele-Nerd! Mein Leben enthält nicht so viele lustige Anekdoten wie vielleicht die Leben anderer Menschen, die ein echtes Leben haben. Und es war auch niemals die Rede davon, dass in der Rubrik „Vor 20 Jahren“ ausschließlich lustige Anekdoten erzählt werden. Natürlich steht jedem Leser die Möglichkeit offen, einen Shitstorm loszutreten, eine Online-Petition anzustrengen oder empört ins spielbox-Forum zu bölken. Am Ende wird man aber feststellen, dass sich seit den 90ern gar nicht so viel getan hat: Bestimmte Dinge muss man einfach schlucken.

Lektüre-Tipp: Christof Tisch: Das Auge spielt mit (spielbox: Hans im Glück – Der Almanach)

Vor 20 Jahren (20): Indiscretion
Vor 20 Jahren (22): Auf Heller und Pfennig

Samstag, 6. September 2014

Tortuga

Wer hat die Dicksten? Oft ist es Queen Games. Die massiven Tableaus liegen wie Stahlplatten auf dem Tisch, mit den Papp-Chips könnte man Münzautomaten in Gang setzen, die Holzteile sehen lecker aus. Mjam! Material wie in TORTUGA macht Spaß. Ein gutes und gleichzeitig gut produziertes Spiel zu spielen, fühlt sich definitiv sinnlicher an als die Beschäftigung mit einem guten, aber schmucklosen Werk.
Spiele, die aufgrund von Ausstattung oder Grafik einen minderwertigen Eindruck machen, verschenken unnötig viel von ihrem Potenzial. Das Fundament, auf dem alles ruht, ist jedoch immer noch das gute Spiel... ähm, ja. Und an dieser Stelle mache ich einfach mal eine Kunstpause.

Wie geht TORTUGA? Wir sind Piraten, also wollen wir Schätze. Die Truhen müssen auf unserem Tableau vom Inselbereich (rechts) nach Tortuga (links) transportiert werden, was zwei Zwischenschritte erfordert. Erst in Tortuga ist die Beute sicher. Sobald jemand sechs Truhen hat, endet das Spiel. Eine Punktwertung, bei der die Farben der Schätze eine Rolle spielt, kürt den Gewinner.
Gesteuert wird TORTUGA von und mit Würfeln. Jeder Spieler besitzt denselben Satz. Die Würfel zeigen Symbole für bestimmte Spielaktionen und zugehörige Werte, beispielsweise „Entern 5“, „Flotte ausbauen 4“, „Schatzsuche 3“, „Überfallen 2“ und „Crew anheuern 1“. Die sechste Seite zeigt ein Jokersymbol. Joker erlauben, den Würfel auf eine beliebige Seite zu drehen.
Alle Spieler würfeln gleichzeitig hinter ihrem Sichtschirm und müssen mindestens einen Würfel liegen lassen. Den Rest nehmen sie wieder in die Hand. Sollen mehrere Würfel liegen bleiben, müssen sie dasselbe Symbol zeigen. Nun wird das Geheimnis gelüftet, und man platziert den oder die Würfel auf dem zugehörigen Symbolfeld des eigenen Tableaus. Mit dem Rest wird erneut gewürfelt. Die Prozedur wiederholt sich, bis alle Spieler sämtliche fünf Würfel platziert haben. Wer weniger Würfe benötigt als die anderen, kassiert eine Belohnung.
Die fünf Aktionen werden nun der Reihe nach ausgewertet. Der Punktbeste bei „Flotte ausbauen“ darf mit seinem Schiffsmarker zwei Schritte auf der „Flottenleiste“ voran, der Zweitplatzierte nur einen. Alle anderen Spieler keinen. Flotten- und Crewleiste bestimmen (unter anderem), wie viele Schatzkisten bei der ersten und der zweiten Zwischenstation abgestellt werden dürfen. Mit „Entern“ oder „Überfallen“ darf eine Truhe von der Zwischenstation eines Mitspielers gestohlen werden. Und mit „Schatzkiste“ bekommt man statt der üblichen einen gleich zwei neue Truhen auf seinen Inselbereich. Anschließend wandern alle Schätze um einen Ort nach links. Ist dort nicht genug Stauraum, geht die Kiste verloren.

Was passiert? TORTUGA ist ein kriegerisches Spiel. Wer auf Entern und Überfall verzichtet (oder die entsprechenden Symbole nicht würfelt), wird nicht gewinnen. Im Gegenteil: Die anderen machen ihn platt. Der Angegriffene muss nämlich zusätzlich zum Verlust seiner Truhe immer auch seinen Schiffs- oder Crewmarker um einen Schritt zurücksetzen. Den Aggressor trifft diese Strafe nur, falls das Opfer bewaffnet ist, also ebenfalls Würfel im Bereich „Entern“ bzw. „Überfall“ ausliegen hat. Das bietet einen hohen Anreiz, unabhängig vom Spielstand auf Schutzlose zu knüppeln. Wer zu Spielbeginn Prügelknabe war, erholt sich davon selten.
Das Spiel in seiner Gesamtheit hinterlässt auch keinen besseren Eindruck, da das Herauslegen der Würfel längst nicht so spannend ist, wie es sich anhört. Der erste Wurf mag noch mehrere Möglichkeiten bieten. Da allerdings in jedem Bereich immer nur der beste und der zweitbeste Spieler eine Aktion gewinnen, steht schnell fest, welche Symbole man auf seinen restlichen Würfeln gut gebrauchen kann und welche nicht. Jetzt kommt es nur noch aufs Würfelhändchen an.
Und schließlich sind sogar die Regeln hakelig. Wer bei wem klauen darf oder nicht klauen darf und ersatzhalber einen Schatz von der zentralen Insel bekommt, ist unintuitiv geregelt und führt immer wieder zu Nachfragen.

Was taugt es? TORTUGA hat echt dicke Pappe. Das Spiel schleppt sich allerdings ohne Höhepunkte dahin, weil man zu selten das Gefühl bekommt, echte Entscheidungen zu treffen. Die destruktiven Elemente wirken willkürlich und ziehen das Spiel in die Länge.

TORTUGA von Jay Cormier und Sen-Foong Lim für zwei bis vier Spieler, Queen Games.