Sonntag, 27. Oktober 2019

Amul

Turkmenistan-Aktionswoche auf REZENSIONEN FÜR MILLIONEN! In dieser Woche bespreche ich ausschließlich Spiele, die uns Einblicke in die wechselhafte turkmenische Geschichte erlauben. Heute: AMUL!

Wie geht AMUL? Wir sammeln Karten. Gewürze, Juwelen, Schwerter, Wachen. Alles zählt Punkte. Mal wenn man Serien besitzt. Mal wenn die Karte selten im Spiel ist. Mal bei bestimmten Symbolen. Mal in Abhängigkeit der Karten des Nachbarn. Mal bei Mehrheiten. Mal nur so.
Karten haben entweder ein Tisch- oder ein Handsymbol. Von denen mit Tisch spiele ich pro Runde eine in meine Auslage. Die mit Hand muss ich auf der Hand behalten. Aber: Bei Spielende darf ich alle Handsymbole runterspielen, die Tischkarten nicht mehr. Im Optimalfall besteht am Ende meine komplette Hand aus Handsymbol-Karten und ich lege alles aus. Doch je mehr Handsymbole ich während der neun Spielrunden mit mir herumschleppe, desto unflexibler bin ich zwischendurch beim Ausspielen.
Man startet mit fünf Karten, zieht pro Runde eine vom Stapel und spielt verdeckt eine in den Markt. Der Markt wird aufgedeckt, reihum nimmt jeder Spieler eine Karte von dort auf die Hand. Anschließend spielt jeder eine Karte mit Tischsymbol. Es muss nicht dieselbe sein, die man aus dem Markt genommen hat. Eine besondere Bedeutung haben Militärkarten: Nachdem jeder einmal Startspieler war, wird nicht mehr reihum gewählt, sondern in Reihenfolge der ausgespielten Militärstärke.


Was passiert? Trotz der leichten Abläufe lässt sich die erste Partie AMUL getrost als reine Lernpartie verbuchen. Angesichts der vielen verschiedenen Karten und Wertungsarten weiß man noch nicht wirklich, was man tut. Und was sich auch später nicht ändern wird: Die wachsenden Spielerauslagen machen AMUL unübersichtlich, und verglichen mit der Spieldauer zieht sich die Auswertungsprozedur arg in die Länge.
Man lernt aber, den Wert von Karten zu beurteilen und gezielter zu verfolgen, wer was aus dem Markt genommen hat. Beispiel Juwelen: Der Wert meiner Juwelen steigt, wenn auch meine Nachbarn Juwelen sammeln. Ziele ich also auf Juwelen ab, interessiert mich ihre Verteilung am Tisch durchaus.
Das Problem aber ist: Juwelen tragen ein Handsymbol. Und weil AMUL den Spielern nahelegt, Karten mit Handsymbol zu bunkern, kann es sein, dass kaum Juwelen in Umlauf gelangen. Ähnliches gilt für andere Kartensorten. Das Sammeln muss also nicht so trickreich und tiefgründig verlaufen, wie man es sich in der Theorie vielleicht ausmalt.


Was taugt es? Ein klarer Pluspunkt von AMUL ist die Spielbarkeit auch zu acht, ohne dass es beliebig wird oder zeitlich ausufert. Das Militär ist in dieser Konstellation weniger bedeutend, was zunächst irritiert, aber letztlich nicht groß stört, weil man sich darauf einstellen kann.
Ein zweiter Pluspunkt von AMUL ist die relative Leichtgängigkeit. Wenn alle das Spiel beherrschen, entsteht ein guter Flow. Man organisiert seine Hand, versucht sich Optionen offenzuhalten, muss aber manche Projekte aufgeben, um sich nicht zu verzetteln. Und man wirft auch mal bewusst einen Köder in den Markt, um zu schauen, wer zuschnappt, und um daraus Schlüsse zu ziehen.
Doch gerade, wenn man AMUL in unterschiedlichen Spielerzahlen erleben möchte, wird man auch immer wieder Anfänger am Tisch haben und neu erklären müssen. Und um diesen Aufwand wiederholt betreiben zu wollen, finde ich das Spielkonzept dann doch zu unspektakulär.
Weil vieles sich erst am Schluss offenbart und jeder überwiegend mit sich selbst beschäftigt ist, entsteht wenig Spannung oder Emotion. Man wählt eine Karte, spielt eine aus, wählt eine Karte, spielt eine aus. Neunmal. AMUL teilt das Schicksal vieler Spiele, die handwerklich gut gemacht sind: Die guten Eigenschaften sind nicht gut genug, um aus der Masse herauszuragen.


**** solide

AMUL von Remo Conzadori und Stefano Negro für drei bis acht Spieler, lautapelit.fi / Pegasus Spiele.

Mittwoch, 23. Oktober 2019

Vor 20 Jahren (82): Essen 1999

1999 war auf der Messe in Essen vieles neu: Es gab erstmals einen Comic-Bereich, die Fairplay führte erstmals ihre Scout-Aktion durch, und ich hatte mich erstmals als Presse akkreditiert. – Und wie viele Rezensionsexemplare sackte man so als ein als Presse? In meinem Fall waren es … neun: vier Kartenspiele, fünf große Spiele.

Niedlich, nicht wahr? Verglichen mit den Loot-Wolkenkratzern, die man heutzutage auf YouTube bestaunen kann, mutet das an wie voriges Jahrhundert. Und was soll ich sagen: Es war auch voriges Jahrhundert. Doch neun Spiele waren selbst im Jahr 1999 nicht viel, wenn man, wie ich, seit einem halben Jahr eine Spieleseite in einer Tageszeitung zu bestücken hatte. Aber die Sache lief nicht so. Die Seite, die monatlich erscheinen sollte, machte immer längere Pausen. Und weil ich stets fleißig weitergeschrieben hatte, war ein beträchtlicher Rückstau entstanden.

Ich lernte auf dieser Messe, dass ich anscheinend nicht sonderlich seriös rüberkomme. Ein Verlag, dessen Spiel ich in der Fairplay besprechen sollte, wollte es nicht rausrücken. Obwohl die Fairplayer angekündigt hatten: Achtung, da kommt ein Udo Bartsch und holt für uns das Spiel. – Nö. Man kannte mich nicht, man traute mir nicht, es gab so viele Abzocker. So musste sich dann einer aus der Fairplay-Redaktion aufmachen, um das vereinbarte Spiel abzuholen und mir schlussendlich in die Hand zu drücken.

Geradezu traumatisiert hat mich mein Erlebnis bei einem größeren Verlag. Ich hatte einige der Frühjahrs-Neuheiten bekommen und ungefähr die Hälfte in der Tageszeitung besprochen. Und auch die andere Hälfte hatte ich besprochen, nur waren die Seiten eben noch nicht gedruckt worden. In meiner Unerfahrenheit hatte ich gedacht, dass ich mich um nichts kümmern muss, weil eine Tageszeitung – selbstverständlich – Belege an die Verlage rausschickt. Jetzt lernte ich: Äh … nein.

Der Verlagsmensch teilte mir mit, er haben meinen Namen auf seiner langen Schwarzen Liste derer notiert, die Spiele erhalten, aber nichts veröffentlicht hatten. Essen sei voll von Schnorrern, da müsse man hart sortieren. Und zutiefst erschrocken dachte ich: „What?!“ (Oder was man im vorigen Jahrhundert so dachte, wenn man zutiefst erschrocken war.)

Seitdem verschickte ich meine Zeitungsbelege in Kopie grundsätzlich selbst. Und führte sorgsam Protokoll darüber, von welchem Verlag ich was bekommen und was wo besprochen hatte, damit ich bloß nichts übersah. Was aber nicht heißt, dass jede Pressestelle meine Werke auch zur Kenntnis nahm. Noch Jahre später und obwohl ich da längst regelmäßig für diverse und auch große Zeitungen schrieb und für mein Empfinden sehr, sehr produktiv war, geriet ich an Presse-Verantwortliche, die mich beim Termin irritiert fragten: „Wer sind Sie? Für wen schreiben Sie?“

Lag es an meinen langen Haaren, dass man mir meine journalistische Tätigkeit nicht abnahm? Trat ich zu schüchtern auf? Hätte ich mit Rollkoffer und Visitenkarte erscheinen sollen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Ab Ende 2007 wurde es schlagartig besser.

Samstag, 19. Oktober 2019

Harry Potter - Kampf um Hogwarts

Schüler, die bedingungslos für ihre Überzeugungen eintreten und (in Band 7) ein komplettes Schuljahr sausen lassen, weil sie die Welt und uns alle retten wollen: Das wünscht man sich! Aber natürlich nur in der Fantasy-Literatur. In der Realität ist man genervt und motzt rum: Was fällt der ein? Die soll mal gefälligst ordentlich zur Schule gehen!

Wie geht HARRY POTTER – KAMPF UM HOGWARTS? Wie DOMINION in einfach: Fünf Karten seines Decks hat man auf der Hand und darf alle ausspielen. Sie bringen im Regelfall Geld oder Angriffsmarker oder Lebenspunkte. Die Marker weist man ausliegenden Bösewichtern zu, mit Geld kauft man neue Karten. Und Lebenspunkte benötigt man, um nicht „betäubt“ zu werden.
Betäubt zu sein, ist nicht gut, jedoch weit entfernt von tot: Man muss die Hälfte seiner Handkarten abwerfen und tankt im Gegenzug die komplette Lebensenergie wieder auf. Vor allem aber bekommt der aktuell ausliegende Ort ein Dunkles Mal, und bei einer bestimmten Menge von Malen geht der Ort verloren. Sind alle Orte futsch, verlieren Harry, Hermine, Ron und Neville. Sind alle Bösewichter besiegt, wofür sie Angriffsmarker entsprechend ihrer Lebensenergie aufgehalst bekommen müssen, gewinnen die Helden.


Was passiert? Die Bösewichter sind der interessanteste Aspekt des Spiels. Im ersten Szenario liegt nur einer aus, in späteren Szenarien mehr. Jeder Bösewicht hat einen permanenten negativen Effekt. Obendrein muss bei jedem Zugbeginn mindestens eine Karte „Dunkle Künste“ aufgedeckt werden, die ebenfalls irgendetwas Nachteiliges bewirkt.
Durch die Kombination mehrerer Bösewichter und / oder Dunkler Künste können sich unheilvolle Ketteneffekte ergeben. Eine wesentliche Entscheidung der Spielergruppe besteht darin, in welcher Reihenfolge sie die üblen Schergen ausschalten will, um die gefährlichsten Verquickungsmöglichkeiten schnell zu unterbinden.
Zweifellos wird man auch phasenweise gespielt. Und oft ist es auch schlichtweg Glückssache, ob man durch irgendeinen Effekt noch ein Dunkles Mal vom aktuellen Ort entfernen darf, um diesen haarscharf zu retten, oder ob der Effekt leider um einen Zug zu spät kommt. Ebenso ist es Glückssache, ob interessante oder eher durchschnittliche Karten im zufällig bestückten Markt liegen, was vor allem in der Anfangsphase des Spiels einen Unterschied macht. Es kommt auch vor, dass der Markt stagniert, weil mehrere Züge lang niemand die Kosten der aktuell billigsten Karte aufbringen kann.


Was taugt es? HARRY POTTER – KAMPF UM HOGWARTS lebt vor allem von seiner Spannung – obwohl ich einräumen muss, dass manche Szenarien gar nicht so spannend waren, weil wir sie sehr locker gewinnen konnten. Die Spannung entsteht durch das schicksalhafte Auftreten des Bösen. Man weiß bei Zugbeginn ganz genau: Gleich geschieht irgendwas Blödes. Nur weiß man noch nicht, was genau und wie gut man es übersteht. Und man hofft, es werde nicht so schlimm. Wir befinden uns in einem Zustand permanenter Bedrohung, was als Umsetzung der Harry-Potter-Geschichte atmosphärisch gut passt.
Das Spielkonzept ist sehr einfach gehalten. Offenbar ging es vor allem darum, mit möglichst wenigen Regeln auszukommen. Trotzdem werden die Zusammenhänge in den späteren Szenarien reichlich unübersichtlich und die Spieler müssen viele Effekte gleichzeitig beachten. Selbst Geübte übersehen da schon mal so einiges. Auch tauchen in speziellen Situationen Timingfragen auf, die von der Anleitung nicht beantwortet werden.
An einigen Stellen wäre für mein Empfinden spielerisch und thematisch noch mehr drin gewesen. Die Helden beginnen jedes Spiel wieder mit ihrem Ausgangsdeck, so als hätten sie sämtliche erworbenen Gegenstände wieder verloren und die erlernten Flüche vergessen. Die Bösewichter kehren stets zurück, auch wenn sie im erfolgreich bestandenen Szenario besiegt wurden und obendrein in der literarischen Vorlage gestorben sind.

Die Änderungen von Szenario 1 bis Szenario 7 bestehen vor allem darin, dass immer mehr Kartenmaterial ins Spiel kommt. Und somit auch immer mehr Bösewichter. Den ganzen Stapel – im wahrsten Sinne – abzuarbeiten, kann dann schon mal zwei Stunden dauern.
Dennoch: Der Reiz ist da; das Spiel übt einen Sog aus. Man will es schaffen. Neben Taktik und Glück ist das – wie bei einer Patience, die nicht immer aufgeht – auch eine Geduldsfrage. Die Abläufe mögen repetitiv sein: Weil wir kooperativ spielen und somit auch beim Mitspielerzug mitfiebern, fällt das gar nicht so sehr ins Gewicht.
HARRY POTTER – KAMPF UM HOGWARTS profitiert nicht zuletzt von den vielen Filmbildern auf den Karten, von den bekannten Charakteren, denen man hier wiederbegegnet, und schlichtweg auch von der starken Romanvorlage. Wer nicht Harry-Potter-affin ist, wird die Mängel sicherlich höher gewichten. Ich bin Potter-affin, deshalb konnte ich von dem Spiel nicht mehr lassen, bis es geschafft war.
Aber jetzt ist es geschafft. Und prompt fühlte sich eine weitere Partie in einer anderen Mitspielerkonstellation weniger interessant an. Um es mehrfach durchzuspielen, ist HARRY POTTER – KAMPF UM HOGWARTS schlichtweg nicht interessant und abwechslungsreich genug. Doch bis zu diesem Punkt ist es reizvoll.


***** reizvoll

HARRY POTTER – KAMPF UM HOGWARTS von Forrest-Pruzan Creative für zwei bis vier Spieler, Kosmos.

Dienstag, 15. Oktober 2019

Spielejahrgang 2018/19:
Was vom Jahrgang übrig bleibt (2: Große Spiele)

Dieselbe Leier wie immer (regelmäßige Besucher dürfen einfach weiterscrollen): Spielezeit knapp, Rentenzeit auch schon verplant, Gesamtsituation hoffnungslos.
Aber man wird ja wohl träumen dürfen. Und so träume ich davon, dass ich meine Lieblingsspiele des zurückliegenden Jahrgangs doch noch irgendwann spielen werde und dass es sich deshalb ganz bestimmt lohnt, diese Spiele ins Ehrenregal zu stellen. Neben den schon präsentierten fünf kleinen investiere ich meine Hoffnungen in fünf größere Spiele:



CARPE DIEM: Ich bin sehr überrascht, dass es CARPE DIEM beim Deutschen Spielepreis nicht mal unter die ersten zehn geschafft hat. Denn es ist von Stefan Feld. Und von alea. Und es ist – wie ich finde – sogar eins der besten Spiele von Stefan Feld und von alea. Dass CARPE DIEM nicht dort ist, wo es meiner Meinung nach hingehört, kann ich mir nur damit erklären, dass viele Spieler es gar nicht erst ausprobiert haben. Denn die Konkurrenz ist nun mal groß, man kann heutzutage nicht mehr alles spielen; und eins ist unbestritten: CARPE DIEM sieht man seine Qualitäten nicht an.


PAPER TALES: Regelmäßige Besucher dürfen erneut weiterscrollen, denn auch über Erweiterungen habe ich schon geschrieben, was ich jetzt gleich noch mal über Erweiterungen schreibe.
Erweiterungen erhöhen bei mir die Lebensdauer eines eigentlich nicht mehr aktuellen Spiels ganz enorm, weil ich mir beim Spielen mit Erweiterung einbilden kann, zweckgebunden zu spielen. Nämlich zum Erkenntnisgewinn statt nur zum Vergnügen. Da Vergnügen frühestens für meine Rente vorgesehen ist, fühlt sich mit diesem Psychotrick das Spielen gleich viel besser an. Perfekt also, dass PAPER TALES bereits eine Erweiterung hat. Und dass sie obendrein gut ist.


FLÜGELSCHLAG: Ein ähnliches Phänomen wie bei JUST ONE: Ich schätze es, meine Mitspieler lieeeben es. Und FLÜGELSCHLAG ist ja auch so wunderbar stimmig. Ich wünschte, alle Spiele präsentierten sich so gelungen. Dann käme – glaube ich – das Spielen noch mehr aus seiner Nische heraus.


DETECTIVE: DETECTIVE habe ich in der spielbox rezensiert und ich hatte so einiges zu bemängeln. Ich muss trotzdem nicht lange überlegen, welches Spiel aus dem Kenner- und Expertenbereich mir in den vergangenen Monaten die intensivsten und ungewöhnlichsten Erfahrungen beschert hat. Kombiniere: DETECTIVE. Die Erweiterung L.A. CRIMES habe ich zwar auch schon durch. Aber wie man hört, geht es weiter, und da möchte ich gerne dabei sein.


NEWTON: Sorry, aber NEWTON dürfte trotz seiner Qualitäten von den fünf hier genannten Spielen die schlechteste Chance haben, wiedergespielt zu werden. Je aufwändiger ein Spiel, desto unwahrscheinlicher, dass es nach längerer Pause auf den Tisch kommt. Denn nach einem Jahr oder gar zwei haben natürlich alle die Regeln vergessen. Und bevor ich – zum Vergnügen: pfui! – ein altes Spiel neu erkläre, erkläre ich lieber – zweckgebunden – ein neues Spiel. Das habe ich auch schon mal geschrieben? Mag sein. Aber dies ist ein Rückblick. Und in Rückblicken wird nun mal Altes wieder aufgekocht. Bitte weiterscrollen.

Freitag, 11. Oktober 2019

Res Arcana

Wie so oft habe ich erst den restlichen Text geschrieben und nun sitze ich hier und habe keine Einleitung und überlege so vor mich hin. Hm … Beim Schreiben ist noch eins übrig geblieben, was ich sagen wollte, und es einfach so hinten an den Artikel zu klatschen, passt auch nicht. Sage ich’s doch einfach jetzt und löse damit beide Probleme auf einmal. Also: Die Symbolsprache in RES ARCANA ist sehr gelungen. Ohne jeden Text sind sämtliche Karten gut verständlich. Ende der Durchsage.


Wie geht RES ARCANA? RES ARCANA ist ein Wettrennen um Punkte. Wir spielen Karten, die Rohstoffe produzieren, mit denen wir das Ausspielen weiterer Karten bezahlen, die dann noch mehr Rohstoffe bringen oder auch andere Effekte haben. Manche Karten zählen Punkte, der Besitz von zehn Punkten ist das Ziel.
Ungewöhnlicherweise muss jeder Spieler mit gerade mal acht Karten in seinem gesamten Deck auskommen. Für Anfänger gibt es vorgegebene Start-Sets; Fortgeschrittene draften bei Spielbeginn. 40 Karten gibt es insgesamt, alle verschieden.
Mit gerade mal drei Handkarten startet jeder, die anderen fünf sind im Nachziehstapel, und der Durchlauf dieses Stapels geht langsam voran. RES ARCANA ist zu Beginn ein minimalistisches Spiel. Damit man sich bei einer unglücklichen Kartenverteilung nicht sofort totläuft, darf jede Karte für zwei Rohstoffe abgeworfen werden, wovon man durchaus Gebrauch machen sollte; man spielt sowieso nicht alle acht aus.
Und warum nicht? Weil die wesentlichen Punktebringer „Monumente“ und „Orte“ sind, die man sich aus dem Markt kauft. Viele Orte lassen sich überdies durch Abgabe von Rohstoffen aufladen und zählen dann immer mehr. Weil diese wundervollen Karten aber recht teuer sind, muss man ein bisschen sparen und zielgerichtet sammeln, um den Erwerb stemmen zu können.


Was passiert? Wer am Zug ist, macht genau eins: Karte abwerfen, Karte kaufen oder ausgespielte Karte nutzen. Für die Nutzung werden die meisten Karten getappt, sie sind für die laufende Runde verbraucht. Hat bei Rundenende noch niemand zehn Punkte, wird alles enttappt, einige Karten generieren ihrem Besitzer ein Rohstoffeinkommen, und die nächste Runde startet.
Viel Interaktion entsteht hier nicht. Man schnappt sich gegenseitig die Orte weg und gelegentlich aktiviert mal wer eine Karte mit einem kleinen aggressiven Effekt. Vorrangig ist jeder mit seiner eigenen Maschine beschäftigt und tüftelt für sich: Was tue ich in welcher Reihenfolge? Welchen Rohstoff nehme ich, wenn ich die Wahl habe? Kann ich mir aus meinen aktuellen Handkarten was aufbauen oder muss ich an bestimmte Schlüsselkarten aus meinem Nachziehstapel gelangen? Beim Draften kommt noch die strategische Ebene hinzu: Welche Karten könnten zusammenpassen? Auf welche(n) Ort(e) ziele ich ab?
Was die anderen Spieler machen, verfolgt man nur so am Rande. Man spielt nebeneinanderher, was aber den Vorteil hat, dass es – je nach Spielermentalität – sehr schnell gehen kann. Das Tempo ist ein Pluspunkt des Spiels. Geht es rasch, macht es ja nichts, wenn man mal eine Partie komplett in den Sand setzt, was auch immer mal wieder geschieht: Weil die Karten in einer ungünstigen Reihenfolge kommen. Weil man mal was ausprobieren wollte. Weil es nicht geklappt hat, wie man sich das so dachte.


Was taugt es? RES ARCANA ist wie ein Baukasten. Die Experimente damit machen den Spielspaß aus. Der Baukasten enthält zwar nur bekannte Elemente, originell ist aber neben der geringen Kartenanzahl auch deren relativ hohe Varianz.
Obwohl die Grafiken schön aussehen: Ein Thema hat RES ARCANA nicht wirklich und es hat auch nichts, was das Herz anspricht. Zumindest nicht meines. RES ARCANA ist ein eher intellektuelles Spiel, eins für den Kopf. Ich kann nachvollziehen, warum manche Spieler sehr anfixt sind. Aber RES ARCANA bleibt in der Mechanik. Für mein Empfinden sind die Spielhandlungen als solche nicht interessant genug, um mich zu fesseln. RES ARCANA erlebe ich während der Partie nicht als spannend.
Am Ende komme ich zwar auch an den Punkt, wo ich denke: „Oh, Karte X war diesmal stark.“ Oder: „Sieh an, Kombination XY hat den Sieg gebracht.“ Oder: „Vielleicht mache ich nächstes Mal Z.“ RES ARCANA ist anregend. Dennoch brenne ich nicht auf ein nächstes Mal. Denn für mein Spielerlebnis zählt nicht nur der Kopf.


**** solide

RES ARCANA von Tom Lehmann für zwei bis vier Spieler, Sand Castle Games.

Montag, 7. Oktober 2019

Spielejahrgang 2018/19:
Was vom Jahrgang übrig bleibt (1: Kleine Spiele)

Vom vorigen Jahrgang blieben neun Spiele übrig: THE MIND, A FAKE ARTIST GOES TO NEW YORK, CODENAMES DUETT, AZUL, GANZ SCHÖN CLEVER, DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG, PANDEMIC LEGACY – SEASON 2, GAIA PROJECT und HEAVEN & ALE. So zumindest meine Behauptung im Oktober 2018.

Schaue ich in mein Regal, stelle ich fest: Ja, sie sind tatsächlich übrig geblieben, sie stehen hier noch. Aber wie oft wurden sie eigentlich gespielt? Ähem, hüstel, hüstel. Mit Ausnahme von CODENAMES DUETT ist keines der Spiele seitdem häufiger als dreimal auf den Tisch gekommen, manche gar nicht mehr. Das liegt nicht etwa daran, dass ich mich geirrt und versehentlich die falschen Spiele behalten habe. Es liegt an zwei anderen Dingen: a) zu viele Neuheiten, b) zu wenig Zeit.

Natürlich ist da immer noch der Gedanke, dass ich all die schönen Spiele eines noch schöneren Tages während meiner Rente spielen werde. Aber auch hier melden sich bereits leise Zweifel, in diesem Fall sogar aus drei Gründen: a) zu viele übrig gebliebene Spiele, b) zu wenig Zeit, c) welche Rente?!

Oh! Je länger ich darüber nachdenke, desto überflüssiger ist diese Rubrik. Also denke ich lieber nicht länger darüber nach und nenne meine ersten fünf Favoriten des abgelaufenen Jahrgangs. Mehr als sonst haben sich diesmal kleinformatige Spiele aufgedrängt. Nämlich diese:


L.A.M.A. … NIMM’S LÄSSIG: „belanglos“, „völlig überzogen“, „Da hört der Spielspaß auf!“, „Alle Gäste waren super gelangweilt von dem Spiel.“ – Es ist ja relativ selten, dass ich das Label „außerordentlich“ vergebe. Noch seltener aber ist, dass gleich mehrere Leser ihre Gegenmeinungen artikulieren. Aber wie das so ist: Letztlich ist mir L.A.M.A. dadurch noch mehr ans Herz gewachsen.



WERWÖRTER: Auch WERWÖRTER habe ich mit „außerordentlich“ bewertet, und ich kann noch einen draufsetzen: Von keinem Spiel dieses Jahrgangs habe ich mehr Partien gespielt, und wenn ich so in mich reinhorche, glaube ich, dass WERWÖRTER mein persönliches Lieblingsspiel des Jahrgangs ist. Nur leider ist es schwieriger als bei manch anderem Spiel, die richtige Runde dafür zu finden.



DIZZLE: Und dieses ist das meiner Meinung nach unterschätzteste kleine Spiel des Jahres. Ich bin froh, dass Schmidt einen Zusatzblock veröffentlichen wird, was hoffentlich bedeutet, dass die Welt noch eine ganze Weile weiterdizzeln kann.



DOPPELT SO CLEVER: Wenn ich mich entscheiden müsste, ob ich GANZ SCHÖN CLEVER besser finde oder dieses, würde ich grübeln und grübeln und dann fiele mir auf: Hey, ich muss es doch gar nicht entscheiden, denn es gibt nun mal beide.



JUST ONE: Wenn’s nach mir ginge, würde ich die vier vorgenannten Spiele sogar noch lieber spielen. Aber es geht nun mal nicht immer nach mir. JUST ONE war in diesem Jahrgang mit riesigem Abstand das beliebteste Spiel meiner Mitspieler. Nachdem ich die Stifte nach einiger Zeit ersetzen musste, ist aufgrund des Dauereinsatzes mittlerweile auch die zweite Generation Filzschreiber komplett dahin. Genau wie L.A.M.A. ist JUST ONE ein fast barrierefreies Spiel, weil es in den meisten Fällen und den meisten Runden sofort funktioniert. Und wie ich schon damals bei L.A.M.A. schrieb: Solche Spiele werden gebraucht!


Donnerstag, 3. Oktober 2019

Bring mich nicht mit (30): Rück’s raus!

Sommerferien sind klassischerweise die Zeit für kleine Mitbringspiele. Aber mittlerweile sind ja gar keine Sommerferien mehr. Völlig folgerichtig wendet sich REZENSIONEN FÜR MILLIONEN jetzt also kleinen Spielen zu, die man besser nicht mitbringt.

Falls es mit dem Rezensieren irgendwann nicht mehr so läuft, peile ich eine Karriere als Schriftsteller an. Der Plot für meinen Roman steht bereits: Zwei Nudisten leben glücklich und zufrieden im Garten Eden, da überredet sie eine Schlange, die Rose der Erkenntnis abzupflücken. Das wiederum erzürnt den Parkwächter, der den Rabattenrandalierern lebenslängliches Platzverbot erteilt. Die Schlange muss seitdem auf dem Bauch kriechen, und den Tag, an dem das geschah, nennt man Rosenmontag.

Ich habe mich vor dem Schreiben natürlich kundig gemacht. Deshalb ist mir bewusst, dass das zugrundeliegende Motiv einer ähnlichen Geschichte aus einem älteren, aber immer noch recht bekannten Buch entstammt. Doch vielleicht habe ich Glück und ein Verlag sucht gerade noch was im Segment Fantasy und erkennt die Qualitäten meines Manuskripts. Denn ein bisschen abgewandelt habe ich die Sache ja schon: Statt eines Apfels geht es um eine Rose und der Wochentag ist auch ein anderer.

Bevor ich nach dieser Privatanekdote endlich zu RÜCK’S RAUS! komme, will ich kurz von HOL’S DER GEIER erzählen. Das ist ein etwas älteres, aber immer noch recht bekanntes Spiel von Alex Randolph, dessen zugrundeliegender Mechanismus stilbildend war: Jeder wählt geheim eine seiner Handkarten, man deckt auf und wertet aus: Geht es in der aktuellen Runde um Pluspunkte, gewinnt die höchste gespielte Karte, bei Minuspunkten die niedrigste. Gleiche Karten patten sich aus, weshalb es immer wieder zu schönen Überraschungen kommt. Am Ende gewinnt der mit den meisten Punkten.

Die Entstehungsgeschichte von RÜCK’S RAUS! stelle ich mir nun so vor: Der Autor war eigentlich Schriftsteller, aber es lief nicht mehr so, und für diesen Fall hatte er schon ein Spiel in petto. Und zum Glück gab es einen Verlag, der gerade etwas im Segment quadratische Schachtel suchte und die Qualitäten des Prototyps erkannte. Denn ein bisschen abgewandelt ist die Sache ja schon: In jeder Runde gewinnt die höchste Karte – und die niedrigste auch. Gleiche Karten patten sich nicht aus. Am Ende gewinnt der mit den zweitmeisten Punkten, weshalb es immer wieder zu schönen Überraschungen kommt und alles auch ein bisschen egal ist.

** misslungen


RÜCK’S RAUS! von Antonin Bocca für drei bis fünf Spieler, Zoch.

  • Bring mich nicht mit (29): Railroad Ink
  • Bring mich nicht mit (31): Muss man dann mal sehen.