Montag, 24. Februar 2020

Aufbruch nach Newdale

Darf ein Kennerspiel auch mal etwas glückslastiger sein? Alexander Pfister hat in BROOM SERVICE (mit Andreas Pelikan) die Frage bereits mit Ja beantwortet. Wer dennoch weiter für Nein ist, braucht eigentlich gar nicht weiterzulesen und spart eine Menge Buchstaben.

Wie geht AUFBRUCH NACH NEWDALE? Man nehme den Grundmechanismus von OH MY GOODS!, kombiniere ihn mit Ausbreitung, Figureneinsatz und einer Kampagne über acht Kapitel.
Aus OH MY GOODS! übernommen ist die Weise, wie wir Waren produzieren: In jeder Runde bestimmt eine Ereigniskarte, wie viele gelbe, grüne, rote und blaue Gehilfen sämtlichen Produktionsgebäuden aller Spieler*innen zur Verfügung stehen. In einer späteren Spielphase werden noch vier weitere Gehilfen hinzugelost. Welche Farbe sie haben werden, wissen wir zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht und planen teilweise auf gut Glück oder mit Risiko.

Mein Startgebäude, die Kohlemine, produziert, sofern ich eine meiner Arbeiterfiguren dort einsetze und später zwei gelbe und ein roter Gehilfe vorhanden sind. Im Laufe des Spiels werde ich mehr Gebäude mit auch anderen Farbkombinationen besitzen und flexibler auf die gezogenen Gehilfen reagieren können. Fehlende Schergen darf ich notfalls auch durch Handkarten ersetzen. Und schließlich gibt es noch die „Produktionsketten“: Gebäude produzieren sogar unabhängig von den Gehilfen, wenn ich bestimmte Güter abgebe. Zum Beispiel stellt die Gerberei Leder her, wenn ich Rind zahle.
Anfangs habe ich nur zwei Arbeiterfiguren, kann also nicht überall sein, zumal es außer meinen Gebäuden fünf weitere zentrale Einsatzfelder gibt. Hier bekommen wir Waren oder Karten, kaufen zusätzliche Arbeiterfiguren oder bauen Gebäude.
Neue Gebäude baue ich von meiner Hand in meine Auslage und muss ihre Kosten mit Waren bezahlen. Jede Ware hat einen festen Wert: Kohle 1, Leder 3 und so weiter. Außerdem platziere ich bei jedem Bau ein Haus auf dem Spielplan und erhalte schöne Dinge dafür. Je nach gewähltem Ort schalte ich mir Boni frei (und schnappe sie anderen Spielern weg), gewinne Punkte oder profitiere von Rabatten.

Was ist passiert? Aus einem, der OH MY GOODS! nie so recht feiern konnte, ist ein NEWDALE-Fan geworden. Und, nein, es liegt nicht primär an der Spielkonzeption als Kampagne. Von Kapitel zu Kapitel kommen neue Karten und vorübergehend neue Regeln ins Spiel. Mehrfach wechseln wir das Spielbrett, durchlaufen insgesamt sechs verschiedene Untergründe. Im Finale schließlich verändert sich der Fokus von Landnahme hin zur Seefahrt.
Diese Vielfalt ist ein toller Service, die gebotene Abwechslung verbessert das Spiel. Jedoch: Obwohl die Kapitel durch einen Erzählfaden miteinander verbunden sind, hat man nie das Gefühl, einer interessanten Geschichte beizuwohnen. Was ich wiederum nicht allzu tragisch finde. Lieber wohne ich einem interessanten Spiel bei.
Durch die hinzugefügten Elemente und die Transformation vom Karten- zum Brettspiel fühlt sich AUFBRUCH NACH NEWDALE für mich runder an. Zwar hat es lediglich Ergänzungen bekommen, die man schon aus anderen Spielen kennt, aber das ist in diesem Fall kein Manko, weil der Produktionsmechanismus aus OH MY GOODS! den Motor des Ganzen bildet. Und der wiederum ist in Verbindung mit dem Rest ungewöhnlich.


Was taugt es? In einer geübten Runde dauert eine Partie kaum länger als eine Stunde. Zufallsfaktoren halte ich da für verschmerzbar. Zumal das Auftauchen oder Nichtauftauchen von Gehilfen die Sache auch spannend macht.
Dass wir AUFBRUCH NACH NEWDALE in einer Stunde spielen können, liegt natürlich daran, dass vieles parallel abgewickelt wird und wir uns gar nicht groß um die Aktionen anderer kümmern. Bei AUFBRUCH NACH NEWDALE spielt jede*r weitgehend für sich. Lediglich auf dem Spielplan entwickelt sich ein gewisses Gegeneinander beim Wettrennen um die besten Bauplätze.
In AUFBRUCH NACH NEWDALE lässt sich nicht alles durchrechnen. Man kann sich verzocken, man kann zu feige sein. Und, ja, man kann auch richtig Pech haben. Fehlende Gehilfen können den ganzen schönen Plan verhageln. Doch man muss nicht zwangsläufig jede Runde irgendwas produzieren. Das Spiel bietet genügend andere attraktive Felder, um seine Figuren dort einzusetzen. Und man muss nicht zwangsläufig nur den Produktionsketten hinterherjagen. Jedes Gebäude, selbst wenn es später nie irgendwas Relevantes herstellt, unterstützt die Ausbreitung auf dem Spielplan.
In AUFBRUCH NACH NEWDALE habe ich nie das Gefühl, alles im Griff zu haben, sondern eher Engpässe und Mangel zu managen und auf das Beste zu hoffen. Aber ich habe stets das Gefühl, mich weiterzuentwickeln, etwas zu erschaffen und Entscheidungen zu treffen.
Beispielweise ringe ich mit mir, ob ich ein mittelgutes Gebäude bauen sollte, das den Charme hätte, perfekt zu den vorhandenen Gehilfen zu passen, und das noch in derselben Runde von mir genutzt werden könnte. Andererseits passt das Gebäude nicht zu den bereits gebauten und die Baukosten verschlingen meine Ersparnisse, mit denen ich mir eigentlich die vierte Figur kaufen wollte. Hm … knifflig.
Nicht allen liegt diese etwas eigentümliche Mischung aus Planung und Schicksal. Und für viele, die den Glücksfaktor leichter akzeptieren könnten, beinhaltet das Spiel schlichtweg zu viele Regeln. Deshalb gehört zu den Nachteilen von AUFBRUCH NACH NEWDALE, dass man nicht so leicht die passende Gruppe findet.


***** reizvoll

AUFBRUCH NACH NEWDALE von Alexander Pfister für eine*n bis vier Spieler*innen, Lookout Spiele.

1 Kommentare:

Peter hat gesagt…

Als ausgesprochener Pfister-Fan fand ich das Spiel anfangs etwas unspektakulär. Aber richtig eingeordnet ist es von Spieldauer und -tiefe her eigentlich ein weiteres Schmuckstück. Schöne Rezension!

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