Mittwoch, 30. Juni 2021

Gern gespielt im Juni 2021

FORGOTTEN WATERS: An dämlichen Spielgeschichten kann ich mich stets ergötzen. Wie ich aktuell feststelle: an absichtlich dämlichen sogar noch mehr.

DUNE – IMPERIUM: Noch jemand, der bei „Wüstenplanet“ nicht zuerst an Dune denkt?

LOST CITIES – ROLL & WRITE: Wichtiger Beitrag zur Rehabilitation der Fehlwürfe. Hier kann man verlieren, wenn man zu wenige davon hat.

CROSS CLUES: Wortspiele können mich auch gerne mal kreuzweise.

ARLER ERDE: Royal Torf.









UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM JUNI:

THROUGH THE AGES – NEUE ANFÜHRER UND WUNDER: Lieber Charly Chaplin an der Spitze als Ronald Reagan.




Freitag, 25. Juni 2021

Praga Caput Regni

Woran erkennt man ein Eurogame? Es spielt in Prag.

Wie geht PRAGA CAPUT REGNI? Wir bauen Prag: den Königsweg, die Karlsbrücke, die Hungermauer, den Dom, die Innenstadt und noch eine weitere Mauer, weil wir so schön im Flow sind. Natürlich brauchen wir dafür Geld und Steine. Und natürlich bekommen wir Punkte und schöne Dinge, die das Bauen fortan leichter machen.
Leider haben wir nur 16 Spielzüge Zeit, und am Anfang denkt man, das sei viel zu wenig, aber dann geht es doch irgendwie – dank zahlreicher Verkettungen: Tue ich dies, kriege ich gleich noch das. Baue ich dies, steige ich dort auf. So erspiele ich mir Zusatzeinkommen und Doppelzüge.

Zentral ist das Aktionsrad. Dessen Drehmechanik organisiert, dass Aktionen, die länger niemand gewählt hat, attraktiver werden. Außerdem koppelt es an jede Aktion zufällig einen kleinen Bonus. Manchmal gibt dieser Bonus den Ausschlag, für welche Aktion ich mich entscheide.
Zwischen sechs Grundaktionen wähle ich. Drei davon bringen mir gar keinen unmittelbaren Baufortschritt. Sondern ich kassiere Geld oder Steine oder schaffe mir gar nur bessere Voraussetzungen, um später mehr Geld oder Steine zu kassieren. Oder ich werte Aktionen auf, indem ich sie für die Zukunft mit Boni ausstatte. Die anderen drei Aktionen sind Bauaktionen, verursachen also Kosten, und weil ich irgendwann blank bin, kann ich logischerweise nicht jedes Mal bauen.
Die Verflechtungen sind perfide. Beispielsweise gewinne ich durch den Bau von Mauerstücken rote Plättchen, deren Wert in der Schlussabrechnung von meinem Engagement für den Dom abhängt. Am Dom wiederum komme ich als Nebeneffekt voran, wenn ich Stadthäuser baue. Also leider nicht Mauern. Kurzum: PRAGA CAPUT REGNI legt nahe, alle Bereiche zu beackern. Dafür ist aber gar nicht die Zeit. Und die Punktesalatwertung belohnt in vielen Belangen das Gegenteil, nämlich Spezialisierung.


Was passiert? Die innere Zerrissenheit ist groß. Es ergibt Sinn, Steinbruch und Goldmine zuerst auszubauen, damit sie später mehr abwerfen. Es ergibt zusätzlich Sinn, Steine und Gold zu horten, denn volle Lager schalten Boni frei. Andererseits ist es schmerzhaft, schöne Baugelegenheiten immer nur anderen Spieler:innen zu überlassen. Und dann ist da noch das Aktionsrad, das mich wiederholt dazu zwingt, irgendwas zu tun, das ich nicht optimal finde. So gebe ich vielleicht doch Ressourcen aus und aktiviere doch wieder nicht die Boni für volle Lager.
PRAGA CAPUT REGNI verdichtet viele Elemente und Nebeneffekte auf wenige Züge. Weshalb man sich mit vielen Kleinigkeiten beschäftigen muss. Baue ich dieses Haus, bekomme ich einen Schritt auf der Technologieskala und darf mir ein Plättchen aussuchen, das mir fortan unter bestimmen Voraussetzungen einen Mini-Bonus bringt. Zusätzlich ist aber noch wichtig, wo auf dem großen Spielplan ich das Häuserplättchen ablege und wie ich es ausrichte. Und – ach ja! – weil ich ein anderes Plättchen habe, bekomme ich jetzt noch einen Stein. Und, Moment mal, wenn ich das Haus an ganz anderer Stelle ablege, dann …
Das typische Schema „Kosten X, Belohnung Y“ wird in PRAGA CAPUT REGNI vielfältig verwoben und dadurch komplex. Auch das erhöht die innere Zerrissenheit. Da liegt ein Mauerplättchen im Angebot, das man gerade so bezahlen könnte und dessen Belohnung attraktiv erscheint. Doch haben viele Plättchen auch Rand-Boni, die nur dann ausschütten, wenn man sie so anlegt, dass sich die Symbole berühren. Und auf meinem Wunschplättchen sind die Symbole leider unpassend angeordnet. Ignoriere ich das und nehme das Teil nun trotzdem… ? Ich rechne. Ich puzzle. Ich optimiere auf allen Ebenen.


Was taugt es? Generell mag ich Optimierspiele, deswegen finde ich es herausfordernd, auch in Prag das Beste herauszuholen. Das Spiel erlaubt, den Schwerpunkt mal so, mal anders zu setzen. Und auch der Spannungsbogen hält. Jeder Zug ist interessant. Ich starte klein und baue mir immer mehr auf. Wie viel Energie in die Entwicklung meiner Fähigkeiten stecke und wie oft ich meine Fähigkeiten nutze, ist ein kniffliger Balance-Akt.
PRAGA CAPUT REGNI ist nicht nur spielmechanisch gut ausgetüftelt. Besonders gefällt mir, wie das Spielmaterial Handhabung und Verwaltung erleichtert. Vertiefungen und Blockaden im Aktionsrad und in den 3D-Tableaus verhindern Spielfehler.
In meinen Augen ist PRAGA CAPUT REGNI aber zu detailverliebt. Für Menschen, die Spielreiz darin sehen, noch mehr bedenken und noch mehr berechnen zu müssen, um auch wirklich den allerletzten Punkt mitzunehmen, mag jeder zusätzliche Schnörkel ein spielerischer Gewinn sein. Für mich ist es lediglich ein zusätzlicher Schnörkel. Mehr Rechnen, aber nicht mehr Spielreiz.
Ich vermisse in PRAGA CAPUT REGNI eine tragende neue Idee oder einen überraschenden Leitmechanismus, um ein spezielleres Spielgefühl oder originelleres Dilemma zu erzeugen. Das Spiel greift bauliche Gegebenheiten der tschechischen Hauptstadt auf und verknüpft sie mit diversen Optimier-Mechanismen. Statt thematisch wirkt es trotz allem montiert.


**** solide

PRAGA CAPUT REGNI von Vladimír Suchý für zwei bis vier Spieler:innen, Delicious Games.

Freitag, 18. Juni 2021

Kräutergarten

Gegen fehlende Einleitungen ist einfach kein Kraut gewachsen.

Wie geht KRÄUTERGARTEN? Wir sammeln Karten, die Kräuter zeigen: sehr schön von Beth Sobel illustriert. Bin ich am Zug, decke ich zwei Karten vom Stapel auf. Zunächst die erste, und ich muss entscheiden, ob ich sie in die Tischmitte lege, wo alle Beteiligten Zugriff haben. Oder ob ich sie vor mir auslege, wo nur ich Zugriff habe. Dann kommt die zweite Karte, und die muss an genau den anderen Ort.
Bevor ich aufdecke, darf ich „eintopfen“: Ich nehme Karten aus der Mitte und aus meinem Privatbeet und erfülle damit einen meiner Pflanzaufträge. Viermal im Spiel darf ich das tun. Einmal müssen es lauter gleiche Kräuter sein, einmal lauter verschiedene, einmal Paare und einmal seltene Spezialkräuter. Je mehr Karten ich dabei ergattere, desto mehr Punkte zählt das.


Was passiert? Ich will nicht zu früh die Karten nehmen; fünf verschiedene Kräuter wären schließlich besser als nur vier verschiedene. Ich darf aber auch nicht zu lange zögern, sonst werden mir die Karten aus der Mitte weggeschnappt.
Dieses Dilemma ist bekannt und bewährt. Beispielsweise COLORETTO oder ZOOLORETTO nutzen einen ähnlichen Mechanismus. Neu ist die Unterscheidung zwischen allgemeiner und privater Auslage und neu ist auch der Kampf ums „Kräuterbrötchen“. Das Brötchen bringt einen Bonus von nicht selten entscheidenden fünf Punkten. Ich gewinne ihn, wenn ich als Erster die drei Spezialkräuter Thymian, Schnittlauch und Minze eintopfe.


Was taugt es? So eingängig das Spiel ist und so schön es aussieht, es hat zwei Probleme. Erstens: Es gibt wenig Anlass zu zocken. Wer in COLORETTO nimmt, ist für den Rest der Runde raus. Früh zu nehmen, kann bedeuten, etwas zu verpassen. Nehme ich in KRÄUTERGARTEN, bin ich nicht raus.
Ich habe wohl einen von vier Aufträgen erledigt, vielleicht brauche ich nun keine Pärchen mehr, doch schon ab meinem nächsten Zug könnte ich wieder in der Mitte zugreifen. Ich bin weiterhin kaum eingeschränkt und dadurch für die Mitspielenden kaum kalkulierbar. Irgendwer wird das in der Mitte schon für irgendwas gebrauchen können, weshalb sich dort auch nicht so viel ansammelt.
In KRÄUTERGARTEN macht man nicht den großen Coup, indem man die Nerven bewahrt und ausharrt. Die Sammlungen pendeln sich bei gewissen Mittelwerten ein. Das Sammelgeschehen wird schematisch.
Genau deshalb rückt – zweitens – das Brötchen in den Fokus. Die Brötchenzutaten Thymian, Schnittlauch und Minze sind die Karten, deren Wert sich am klarsten einschätzen lässt. Im Regelfall bunkere ich sie also, wodurch nun auch das Wettrennen ums Brötchen schematisch wird. Das Bonusbrötchen zu gewinnen, beruht auch nicht auf einem Verdienst. Man hat eben früher als die anderen die nötigen Karten gezogen oder hatte das Glück, sie in der Mitte vorzufinden.
Trotz allem ist das Spielgefühl in KRÄUTERGARTEN angenehm, was das Spiel seinen schnellen Abläufen und der schönen Gestaltung verdankt. Innerhalb seiner 20 Minuten unterhält KRÄUTERGARTEN gut. Doch gibt es eben Spiele, die mit ähnlich schlanken Regeln und vergleichbaren Abläufen nebenher mehr Tiefe erreichen.


*** mäßig

KRÄUTERGARTEN von Steve Finn und Eduardo Baraf für 1 bis 4 Spieler:innen, Quality Beast.

Montag, 14. Juni 2021

Clever hoch drei

Äh … äh … äh …
Der Titel des Spiels setzt mich unter einen perfiden Leistungsdruck, der mir eine geistreiche Einleitung unmöglich macht.

Wie geht CLEVER HOCH DREI? Das Spiel folgt denselben Würfelregeln wie GANZ SCHÖN CLEVER und DOPPELT SO CLEVER. Also referiere ich jetzt vermutlich nichts Neues; dennoch referiere ich:
Wer am Zug ist, würfelt zunächst mit sechs farbigen Würfeln und nutzt einen davon für eine Eintragung auf dem Wertungsblatt. Alle Würfel mit kleinerer Augenzahl gehen nun in den Pool für die Konkurrenz. Dasselbe nach dem zweiten und nach dem dritten Wurf. Jetzt fällt die Meute über die ausgeschiedenen Würfel her und wählt auch je einen.
Für jede Farbe existieren andere Regeln, nach denen man die Zahlen eintragen darf und wie sich das am Ende in Punkten niederschlägt. Und an allen möglichen Stellen des Wertungsblattes werden Boni ausgeschüttet. Weil ich hier bei Gelb ankreuze, darf ich dort bei Braun ankreuzen. Nachdem ich bei Braun gekreuzt habe, darf ich eine Wunschzahl bei Blau eintragen. Solche Kettenreaktionen will ich auslösen.
In einer Farbreihe sehr, sehr viel anzukreuzen bzw. einzutragen, bringt meist enorm viele Punkte ein. Allerdings schaltet man sich an bestimmten Stellen auch „Füchse“ frei. Und jeder Fuchs zählt so viel wie die schlechteste Farbe. Wegen dieser Füchse habe ich meine Highscores in sämtlichen CLEVER-Versionen mit halbwegs gleichmäßigem Bestücken aller Farben erzielt.


Was passiert? Hohe Augenzahlen sind in den meisten Situationen besser. Das typische und (wie ich über Jahre feststellen konnte) anhaltend reizvolle Dilemma besteht deshalb darin, immer wieder den erfolgreichen Kompromiss zu suchen: Bedeutete die eigentlich optimale Zahl, dass zwei oder sogar drei Würfel verloren gingen und ich in den Folgewürfen fast nichts mehr zum Weiterwürfeln hätte, entscheide ich mich vielleicht doch anders.
Manchmal aber auch nicht. In manchen Situationen kann man sich den Zock erlauben, die letzten zwei Würfe mit nur zwei Würfeln zu bestreiten. Weil es eben auch auf die Farben ankommt! Bleiben mir zum Beispiel der Jokerwürfel und dazu eine Farbe, deren Zahlen sich gerade flexibel unterbringen lassen, kann ich schon mal drei Würfel opfern.
In allen CLEVER-Spielen habe ich mir irgendwann mein Lieblings-Schema zurechtgelegt, welche Farben ich wie weit und wie schnell vorantreiben möchte. Ab diesem Punkt kommt es nur noch darauf an, es zu schaffen. Und es möglichst punkteträchtig zu schaffen. Trotzdem haben mich CLEVER 1, 2 und 3 wieder und wieder angefixt. Im Solo-Spiel lockt mich der Highscore. Im Spiel mit anderen muss man zwar länger zugucken, aber hier reizt zusätzlich die Überlegung, welche Würfel man der Konkurrenz gönnt. Oder nicht gönnt.

Was taugt es? In jedem CLEVER-Spiel hat der Spielreiz über mehr als 100 Partien angehalten, die meisten davon jedoch solo, weil meine Spiele-Peergroup nicht stunden- und tagelang immer dasselbe spielen will. Die gesamte Reihe ist für mich fraglos außerordentlich: Jeder Wurf bringt Spannung. Fast jeder Wurf löst ein Dilemma aus. Auch nach etlichen Partien stehe ich noch vor Abwägungen und Entscheidungen.
GANZ SCHÖN CLEVER hat das tragende Würfelprinzip eingeführt, deshalb sehe ich es als das originellste der drei an. Als bloße Variationen ranke ich die anderen beiden nicht ganz so hoch, obwohl sie es mit ihren Neuerungen geschafft haben, denselben Spielspaß wieder zu erzeugen. Wenn ich auf eins der drei Spiele verzichten müsste, wäre es wohl DOPPELT SO CLEVER. Zum Glück stellt sich die Frage nicht.
CLEVER HOCH DREI treibt Querbezüge zwischen den Farben und die Kettenreaktionen auf die Spitze. Es ist das punktereichste der drei Spiele. Wie in den Vorgängern auch gibt es einen Farbbereich (hier: türkis), auf dem beim Spielen mein Hauptaugenmerk liegt. Es erfordert besonderes Glück oder besondere Umstände, um hier erfolgreich zu sein.
In Türkis darf ich mehrere Kreuze zugleich setzen, wenn ich dafür eine Zahl wähle, die ich in derselben Runde schon herausgelegt habe. Das will ich natürlich. Also spekuliere ich beim Herauslegen jetzt auch noch darauf, dass sich Pärchen oder Drillinge ergeben könnten.
In CLEVER HOCH DREI sind nicht alle Farben gleich schwer oder gleich stark. Genau das ist (unter Inkaufnahme des Nachteils, dass man seine Strategie irgendwann gefunden hat) aber gut so, denn es kreiert immer wieder prickelnde Hopp-oder-Top-Situationen, in denen es drauf ankommt. Für die Emotion beim Spielen finde ich das besser als Gleichmacherei, wo es tendenziell egal ist, was man sammelt, Hauptsache, man sammelt nicht das, was die anderen sammeln, oder Hauptsache, man sammelt einfach nur möglichst viel davon.


***** reizvoll

CLEVER HOCH DREI von Wolfgang Warsch für eine:n bis vier Spieler:innen, Schmidt.

Donnerstag, 10. Juni 2021

Eine wundervolle Welt

Ist eine wundervolle Welt ohne Einleitung überhaupt möglich?

Wie geht EINE WUNDERVOLLE WELT? Wie AUGUSTUS mit Draften statt Zufallselement. Wir spielen Karten aus, die „U-Boot“, „Magnetschwebebahn“ oder „Bermudadreieck“ heißen und noch mit Rohstoffen gebaut werden müssen. Das „U-Boot“ benötigt zum Beispiel zwei graue und drei schwarze Rohstoffe, das „Bermudadreieck“ vier blaue.
Nach Fertigstellung zählen die Bauten Punkte und / oder produzieren regelmäßig Rohstoffe. „Regelmäßig“ bedeutet: In der Produktionsphase werden die Farben der Reihe nach abgehandelt: Erst produzieren wir – soweit möglich – Grau, dann Schwarz, Grün, Gelb, Blau. Das U-Boot, das zwei blaue Steine produziert, tut dies, nachdem es in der grauen oder schwarzen Phase fertig geworden ist, noch in derselben Runde. Karten, die ganz am Ende des Produktionszyklus fertig werden, haben ihren Einsatz verpasst und produzieren erst eine Runde später.
Nun das Draften: Zu Beginn jeder Runde bekommen wir sieben Karten, behalten eine, geben den Rest weiter, bekommen sechs, behalten wieder eine … und so weiter bis am Ende jede:r sieben Karten behalten hat. Für jede davon gibt es nun zwei Möglichkeiten: a) zum Bauen auslegen, b) abschmeißen, um den darauf abgebildeten Bonusrohstoff zu erhalten.


Was passiert? Es ist illusorisch, alle sieben Karten bauen zu wollen, denn EINE WUNDERVOLLE WELT dauert nur vier Runden. Die Maschine muss also schnell in Gang kommen. Ich wähle vielleicht drei oder vier Karten zum Bauen aus, den Rest werfe ich für Rohstoffe ab.
Was anfangs wie eine Notlösung erscheint, wird mit zunehmender Spielerfahrung ein ganz entscheidender Kniff. Durch das Abwerfen erhalte ich Rohstoffe schon vor dem Produzieren. Eventuell werden Bauten so etwas früher fertig und nehmen noch an der Produktionsphase teil. Wird mit den dadurch gewonnen Rohstoffen noch ein anderer Bau beendet, ist die Kettenreaktion perfekt.
Das Optimieren beginnt also schon während der Draftphase. Und weil man die Karten zunächst nur sammelt und erst später nutzt, indem man sie abwirft oder auslegt, muss man bereits an dieser Stelle viel durchkalkulieren und die gesamte Produktionsphase rohstoffgenau vorausberechnen. Vor allem gegen Ende des Spiels, wenn ein einziger Ressourcenwürfel darüber entscheiden kann, ob ein Bau noch beendet wird oder nicht, wird das Draften zum … mmh, ich nenne es mal: Drübeln.


Was taugt es? EINE WUNDERVOLLE WELT ist durch seine nur vier Runden schön kompakt, die Regeln sind elegant und logisch. Man spielt nicht immer denselben Stiefel, denn man kann auf schnellen Aufbau mit Massengütern oder auf Qualität setzen. Man wird auch nur selten in allen fünf Farben stark sein. So ergeben sich immer wieder andere Synergien.
Kleine interaktive Elemente gibt es auch. Wenn ich beispielsweise die Wahl zwischen mehreren ähnlich attraktiven Karten habe, überlege ich durchaus, welche davon ich im Stapel lasse, weil sie vermutlich die bessere Chance hat, wieder bei mir anzukommen. Trotzdem spielen wir mehr parallel als miteinander, weshalb ich die Nähe zu AUGUSTUS größer finde als die zu 7 WONDERS.
EINE WUNDERVOLLE WELT spielt sich rein mechanisch. Wir rechnen, wir stimmen Karten aufeinander ab, wir optimieren unsere Maschinerien. So atmosphärisch die Karten auch gestaltet sind: Wie sie heißen und welche Bilder sie tragen, spielt keine Rolle. Das Spiel lässt uns keine Geschichte erleben. Wenn man nicht gerade durch Mathematik an sich emotionalisiert wird, findet man hier wenig, das kribbelt.
Es gibt solche Momente: etwa wenn ich noch zwingend auf einen grünen Stein angewiesen bin und bibbern muss, dass in den letzten, immer kleiner werdenden Kartenpaketen genau die erhoffte Karte auftaucht. Dennoch bleibt EINE WUNDERVOLLE WELT für mein Empfinden etwas kühl und auch gesichtslos. Weil das Spiel gut komponiert ist und meistens nicht lange dauert, wäre ich bei einer Runde zweifellos mit dabei. Doch das trifft auf recht viele Spiele zu. Für Dauerbrennerqualitäten fehlt mir hier jenseits der puren Mechanik ein Charakter.


**** solide

EINE WUNDERVOLLE WELT von Frédéric Guérard für eine:n bis fünf Spieler:innen, La Boite de Jeu / OriGames / Kobold Spieleverlag.

Sonntag, 6. Juni 2021

Vor 20 Jahren (102): Medina

Mir fallen verschiedene Autor:innen ein, von denen ich gedacht hätte, sie gewinnen eines Tages mal die Auszeichnungen Spiel / Kennerspiel / Kinderspiel des Jahres – ohne dass es bislang geschehen wäre. Stefan Dorra ist einer davon. Mitte der 90er-Jahre wurde sein Name in der Spieleszene durch viele bemerkenswerte Veröffentlichungen bekannt. Wenn ich zurückblicke, was seine Spiele ausmachte, dann war es neben vergleichsweise schlanken, klaren Regeln und oft überraschender Spieltiefe ein hohes Ausmaß an Interaktion, das bis zur Gemeinheit gehen konnte.

Wer seinerzeit Brettspiele spielte, hat fast zwangsläufig auch Spiele von Stefan Dorra gespielt. MEDINA ist deshalb nicht das erste Dorra-Spiel in dieser Rubrik: Unter anderem haben sich meine Spielerunden auch an INTRIGE gerieben, MARRA CASH gehasst oder geliebt und sind LAND UNTER gegangen: das von mir (und somit auch von meinen Runden) meistgespielte Dorra-Spiel überhaupt.

Stefan Dorras Handschrift zeigt sich auch in MEDINA: Bin ich am Zug, baue ich zwei meiner Holzteile in die auf dem Spielplan wachsende Stadt ein. Das war’s. Na gut, so ganz war es das natürlich noch nicht. Denn das Einsetzen folgt bestimmten Regeln und nicht zuletzt folgt es bestimmten Zielen.

MEDINA lässt sich mit RA oder COLORETTO oder (als moderneres Beispiel) KRÄUTERGARTEN vergleichen: Gemeinsam befüllen wir einen oder mehrere Gewinnpötte. Die werden voller und voller und somit auch attraktiver – bis jemand zugreift. In MEDINA sind es statt Plättchen- oder Kartenpötte Häuserkomplexe auf dem Spielplan, die wir mit unseren Holzteilen vergrößern, bis wer ein eigenes Dach draufsetzt und das Gebäude so in Besitz nimmt.


Damit das Haus viele Punkte zählt, sollte es möglichst groß sein, an möglichst viele Mauerteile grenzen und von möglichst vielen Passanten umringt sein. Logisch, dass wir auf den Verlauf der Menschenschlange und den Bau der Mauer ebenfalls mit unseren Holzteilen Einfluss nehmen. Jede:r hat zu Spielbeginn denselben Teilevorrat bekommen und hält hinter dem Sichtschirm geheim, was schon verbraten ist und was noch da.

MEDINA spielt sich subtil. Von jeder Gebäudefarbe gibt es im Viererspiel 20 Teile. Pro Farbe darf ich nur ein Haus in Besitz nehmen, also will ich tendenziell keins mit weniger als fünf Teilen. Allerdings kommt es auch auf die Lage an. Mit Passanten fällt die Rechnung schon günstiger aus. Und mit Mauer obendrein noch günstiger. Wobei ich möglichst spät an eine Mauer anschließen möchte, weil der späteste Anschluss mit Sonderpunkten belohnt wird.

Eine Häuserfarbe zu übernehmen, eröffnet mir auch die Möglichkeit, das nächste Gebäude dieser Farbe an völlig unattraktiver Stelle zu beginnen. Am eigenen Haus darf ich nämlich nicht mehr weiterbauen, aber meine Steine muss ich trotzdem loswerden. Kurzum: Alles sehr verzwickt.

So gut das nun vielleicht klingen mag: Auch mit MEDINA hat Stefan Dorra nicht den Titel Spiel des Jahres gewonnen. An CARCASSONNE ging 2001 einfach kein Weg vorbei. Auch beim Deutschen Spielepreis nicht, wo MEDINA hinter CARCASSONNE Platz zwei belegte. Recht überraschend hat es MEDINA aber nicht einmal auf die Empfehlungsliste von Spiel des Jahres geschafft.

Folgt man Herbert Hellers Darstellung in Fairplay 56, lag es daran, dass die Juror:innen das Spiel nicht verstanden und mit dem Material lieber Türmchen gebaut haben. Damals fand ich das eine ganze Ecke lustiger als jetzt so im Nachhinein. Keine Ahnung, ob da nun der Witz schlecht gealtert ist oder ich. Wie MEDINA gealtert ist, weiß ich übrigens auch nicht. Die letzte Partie ist lange her.


Mittwoch, 2. Juni 2021

Cubitos

Oben ohne! Wenn der Käsewürfel auf dem Cover das darf, darf ich das auch.

Wie geht CUBITOS? Wir laufen würfelgesteuert um die Wette. CUBITOS mischt dabei Poolbuilding mit Zock und erinnert an DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG.
Alle besitzen zunächst dieselben Würfel und kaufen sich im Laufe der Partie (abhängig von gewählter Strategie und finanziellen Möglichkeiten) welche hinzu. In jeder Runde starte ich mit mindestens sieben meiner Würfel, rolle sie, und alle, die nun ein Symbol zeigen, kommen in meinen „Aktionsbereich“. Den Rest darf ich neu würfeln, um hoffentlich weitere Symbole zu erzielen. Misslingt dies jedoch, verfällt alles und ich kriege nur ein Trostpflaster.

Wer rechtzeitig aufgehört hat, wertet nun die Würfel im Aktionsbereich und gewinnt so Geld für den Kauf neuer Würfel und / oder Schritte für die Lauffigur und / oder besondere Aktionen, wie zum Beispiel die Genehmigung, ausnahmsweise abkürzend Wasserfelder zu überqueren.
Auf manchen Streckenfeldern dürfen Würfel entsorgt werden. Die schwachen Startwürfel sind dafür prädestiniert. Manche Aktionen und manche Felder bringen auch „Fans“. Die wiederum erhöhen das Würfelkontingent, mit dem ich in eine neue Runde gehe. Ohnehin erhöht sich das Kontingent für alle, die auf dem Parcours zurückliegen.


Was passiert? Zweierlei. Das Erste: Verwirrung am Tisch. Obwohl ich CUBITOS nur mit Menschen gespielt habe, die DOMINION kennen, und obwohl die Würfelverwaltung im Grunde nur Nachzieh- und Ablagestapel sowie Handkarten und Spielbereich aus DOMINION nachempfindet, musste ich erstaunlich viel helfen und korrigieren, damit alles korrekt gehandhabt wurde.
Auch die Effekte der Würfel wurden missverstanden und falsch angewendet. Einige Symbole bringen Sofortaktionen, die man logischerweise sofort abwickeln muss. Häufig wurde das vergessen und verfiel dann oder wurde verspätet nachgeholt. Der Grund: Man erkennt die Sofortaktionen nicht an ihrem Symbol. Die Symbole auf den Würfelfarben sind immer gleich. Ihre Bedeutung ändert sich aber von Partie zu Partie. Man muss sich also einprägen: Obacht, diesmal haben blaue und orangefarbene Würfel einen Soforteffekt!

Auch in DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG bedeuten rote, gelbe, blaue Chips mal dieses oder mal jenes. Auch in TINY TOWNS wird mit offenen Karten festgelegt, welche Farben welchen Regeln folgen. Dass dasselbe in CUBITOS mehr Fehler produziert als in den Vergleichsspielen, liegt möglicherweise daran, dass ein Würfel-Zockerspiel zu spontanerem und schnellerem Spiel verleitet, obwohl die vielen Effekte, die hier ein einziger Wurf auslösen kann, ganz im Gegenteil eine sorgfältige Auswertung verlangen würden.
Verwirrend ist obendrein die Anleitung, indem sie sehr viele Worte um die gar nicht so komplexen Geschehnisse macht – und manche Regelung dann trotzdem unserer Interpretation überlässt.
Nach sehr viel Erstens nun endlich das Zweite: CUBITOS macht Spaß! Es mischt Strategie beim Poolbuilding mit Taktik auf dem Parcours mit emotionalen Momenten beim Würfeln. Weil man vieles schnell und parallel abwickeln kann (sofern alle die Verwaltungsschritte beherrschen oder man sich nicht so sehr drum schert), hat das Spiel einen schön dichten Rhythmus aus Entscheidungen und Schicksal. Es ist immer was los. Allerdings ist man überwiegend mit sich selbst beschäftigt. Meine Glücks- oder Pechwürfe erleben die anderen am Tisch nicht mit. Allenfalls akustisch.


Was taugt es? Es macht Spaß, sich von den Würfeln überraschen zu lassen. Und es macht Spaß, eine Rennstrategie auszuhecken und zu schauen, ob sie funktioniert. Es macht schließlich Spaß, zu zocken und dann Glück zu haben oder rumzustöhnen. Kein Zweifel: CUBITOS hat eine starke Grundsubstanz.
Das Spiel enthält vier verschiedene Rennpläne und acht Würfelfarben, denen jeweils sieben verschiedene Eigenschaften zugeschrieben werden können – theoretisch also eine riesige Variation. Tatsächlich hatte ich in vielen Partien den Eindruck: So gewaltig sind die Unterschiede dann doch nicht, und wahrscheinlich hätten es auch zwei Farben weniger getan. Manche Effekte sind im Vergleich zum Ertrag recht kompliziert, und gerade in einem glückslastigen Spiel wie diesem finde ich Schnörkel und Überregelung ungünstig, weil sie Tempo kosten.
Grafik und Materialgestaltung von CUBITOS sprechen mich überhaupt nicht an. Die Pappschachteln, die man zur Würfelaufbewahrung basteln soll, finde ich unpraktisch und somit überflüssig. So trägt auch das Äußere zu dem Eindruck bei, CUBITOS sei nicht ganz ausgereift.


**** solide

CUBITOS von John D Clair für zwei bis vier Spieler:innen, Pegasus Spiele / AEG.