Einleitungen sind, wenn man mich fragt, ein ziemlich ausgedientes Ritual.
Wie geht RITUAL? Wir spielen kooperativ und dürfen dabei nicht reden. Unabhängig von der Zahl der Mitspieler:innen müssen drei Personen eine geheime persönliche Aufgabe erfüllen, anschließend muss die Gruppe eine Gemeinschaftsaufgabe (oder mehrere) erledigen. Sollte die Zeit dann noch nicht abgelaufen sein, haben wir gewonnen.
Jede:r startet mit zugelosten vier farbigen Steinen. Die persönlichen Aufgaben bestehen darin, entweder fünf oder sechs ganz bestimmte Steine zu besitzen. Weil wir als Gruppe insgesamt nie mehr Steine haben werden als zu Beginn, bedeutet dies: Einige von uns müssen welche hergeben, damit andere ihre Aufgaben schaffen. Und: Nicht alle gleichzeitig können ihre Aufgabe erledigen, wir sollten es der Reihe nach tun.
Bin ich am Zug, führe ich eine der folgenden Aktionen aus: Ich verschenke einen meiner Steine (außer ich habe nur noch zwei; weniger als zwei darf ich nie besitzen). Oder ich nehme einen Stein der Person links von mir. Oder ich lege einen Stein auf mein Austauschfeld. Oder ich nehme den Stein von meinem Austauschfeld herunter. Oder ich tausche den Stein vom Austauschfeld einer Mitspieler:in mit einem Stein des Vorrats. Dies ist die einzige Möglichkeit, wie die Gruppe an andere Farben herankommt als die ursprünglich zugelosten.
Habe ich meine Aufgabe erledigt, gebe ich das bekannt. Auch das ist eine Aktion. Bin ich gar als Erster fertig, darf ich mir schon mal die Gruppenaufgabe ansehen. Für alle anderen bleibt die Karte geheim. Sie könnte zum Beispiel besagen: Nur eine:r von uns darf blaue Steine besitzen, und es müssen mindestens drei sein. Ist die Aufgabe an der Reihe, muss ich dafür sorgen, dass die anderen aus meinen Handlungen schlau werden und bei der Erfüllung mithelfen.
Was passiert? Wir kommunizieren nicht verbal, wir kommunizieren durch unsere Spielzüge. Nehme ich meinem linken Nachbarn einen grünen Stein weg, bedeutet das wohl, ich brauche Grün. Lege ich einen Stein auf mein Austauschfeld, signalisiere ich: Tauscht ihn bitte aus! Und gebe ich einen gelben Stein meiner rechten Nachbarin, heißt das vielleicht: Gelb brauche ich nicht. Oder: Ich glaube, sie braucht Gelb. Oder: Ich habe leider gar keine Peilung, ich mache nur irgendwas, um nicht den Laden aufzuhalten.
Beim ersten Mal verliert man recht häufig. Ob man auch in weiteren Anläufen verliert und wie oft, hängt maßgeblich von den Beteiligten ab. Die persönlichen Aufgaben folgen Mustern (fünf von einer Farbe / je drei von zwei Farben / je zwei von drei Farben). Wenn man das verinnerlicht und aufpasst, was die anderen tun, wird man es – normalerweise – irgendwann hinkriegen.
Allerdings ist da der Zeitdruck, der einige Leute stresst oder gar überfordert, und da ist das Kommunikationsverbot, das viel Konzentration und Mitdenken erfordert – für manche Gruppen eine tödliche Mischung. Ich habe hin und wieder Mitspieler:innen von einer Seite kennengelernt, die ich nicht unbedingt hätte kennenlernen wollen.
Zum Beispiel gibt es den Typus „Ich zuerst“. A nimmt von B einen blauen Stein, und alle wüssten nun: Gebt blaue Steine an A. Aber noch bevor A damit eine Aufgabe erledigen kann, nimmt C einen blauen Stein von A. Weil: C braucht ihn ja auch! Oder den Typus „Alle doof außer ich“. D ist megabeleidigt, weil A, B und C, wenn sie sich noch erinnerten, was D fünf Züge zuvor gemacht hat, doch längst wissen müssten, welche Farbe D noch fehlt.
Ich habe auch Frust erlebt. Denn es kommt immer mal vor, dass irgendwer mit nur noch zwei Steinen dasitzt und über Runden nichts Sinnvolles beitragen und schon gar nicht die eigene Aufgabe erfüllen kann. Auch wenn wir instinktiv gerne aktiver wären: Das Spielprinzip verlangt, dass einige sich mit der Rolle des Helferleins abfinden.
Unschön ist auch, als Neuling in eine eingespielte Gruppe hineinzukommen. Selbst wenn gar keine Vorwürfe ausgesprochen werden: Die eigene Planlosigkeit löst erst mal schlechte Gefühle aus.
Was taugt es? RITUAL ist ein sehr spezielles Spiel. Es ist nicht für alle Runden geeignet, und es spielt sich auch nicht fehlerfrei. Ungezählt, wie häufig ich unerlaubte Spielzüge korrigieren musste: Nein, Klauen nur links! Nein, nicht den eigenen Stein mit der Bank tauschen! Nein, nicht in einem Zug den Stein von Austauschfeld wegnehmen und gleich den nächsten hinlegen!
Aber sobald man sich hineingearbeitet und aufeinander eingegroovt hat, kann sich RITUAL für die Gruppe sehr belohnend anfühlen. Weil man den Schwierigkeiten getrotzt hat. Weil man eine gemeinsame Sprache gefunden hat. Weil man einander verstanden hat.
Dieser Moment des gemeinsamen Durchbruchs ist für mich der schönste Moment des Spiels. Ist man gut eingespielt, lässt sich RITUAL mit anderen Gemeinschaftsaufgaben und noch mehr Zeitdruck vielfach variieren. Den schönsten Moment hat man dann aber schon hinter sich. Um weiter erfolgreich zu sein, verfestigt sich die gemeinsame Sprache. Spielzüge werden zu Codes. Man interpretiert nicht mehr, sondern arbeitet ab.
RITUAL zu spielen, ist sehr interessant. Es ist ein Erlebnis. Das Label „solide“ passt begrifflich mal wieder nicht gut, RITUAL ist zu außergewöhnlich dafür. „Solide“ soll in diesem Fall bedeuten: Ich würde mitspielen, bin aber nicht direkt heiß darauf. RITUAL ist für mich kein Wohlfühl-Spiel. Ich möchte nicht noch mal mit einer Gruppe durch all die Schwierigkeiten gehen und auch nicht mit einer geübten Gruppe solange weiterspielen, bis wir restlos alle Aufgaben durchhaben.
Die Anleitung empfinde ich übrigens als schlecht strukturiert. Und dass dem Spiel eine esoterische Sprache aufgepfropft wird („Elementarsteine“, „Inspirationsmarker“, „mystische Ebene“ etc.), macht es nicht leichter.
**** solide
RITUAL von Tomás Tarragón für zwei bis sechs Spieler:innen, Strohmann Games.
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