Donnerstag, 1. Juni 2023

Kunterpunkt



Wie geht KUNTERPUNKT? „Roll & Dot“ nennt der Verlag das Spielprinzip: Irgendwer würfelt, und alle dürfen mindestens einen der Würfel nutzen, um Punkte auf ihre Marienkäfer in der Farbe des Würfels zu malen.
Mit einer blauen Fünf male ich logischerweise fünf Punkte. Diese fünf Punkte darf ich auch auf mehrere blaue Käfer verteilen, wenn – und das ist das Besondere – ich dabei die klassische Anordnung der Würfelaugen beibehalte. Aus der Fünf kann ich so beispielsweise eine Vier und eine Eins machen. Denn die Würfelaugenmuster von Vier und Eins ergeben übereinander projiziert das Muster der Fünf. Eine Drei und zwei Einsen kann ich demzufolge nicht bilden.
Ich darf Käfer auch nachträglich mit weiteren Augen aufrüsten. Ein Zweier-Käfer kann mit einer Drei zu einer Fünf werden. Aber ein Einer-Käfer nicht mit einer Drei zur Vier.

Die Reihen zählen erst dann Punkte, wenn ich ihnen eine Wertung zuweise. Beispielsweise: In dieser Reihe zählen alle Dreien. Dann ist jeder Käfer mit exakt drei Augen einen Punkt wert.
Die Wertungen darf ich mir aber nicht ausdenken, sondern ich muss sie freischalten. Das geschieht auf einem Areal des Aufschreibzettels, das sich „Wiese“ nennt. Auf der Wiese befinden sich abzweigende Pfade mit Feldern. Statt Würfelaugen auf meine Käfer zu malen, darf ich sie auch nutzen, um Felder auf der Weise abzustreichen. Über die Felder gelange ich zu den Wertungen. Die attraktiveren Wertungen sind vom Startpunkt weiter entfernt.
Ein weiterer Pfad befindet sich unten auf dem Aufschreibblatt. Hier gehe ich vorwärts, wenn ich einen Würfel mit Kleeblattsymbol wähle. Oder wenn ich auf der Wiese Felder mit Kleeblatt erreiche. Oder wenn ich allen fünf Käfern einer Farbe Tupfer gemalt habe, egal wie viele. Fortschritte auf dem Kleeblatt-Pfad sind sehr erstrebenswert. Sie schalten die Verdopplung oder gar Verdreifachung der von mir gewählten Wertungen frei.


Was passiert? Das Konzept von KUNTERPUNKT ist sperrig und muss gut erklärt werden, damit es alle verstehen. Viele Spieler:innen schneiden in ihren ersten Partien auch nicht sonderlich gut ab, weil sie für ihre Reihen die leicht verständlichen Wertungen auswählen, etwa „nur Fünfen zählen“.
Wer häufiger spielt, wird herausfinden, dass solche Mono-Wertungen schwierig sind, weil man immer wieder dieselbe Zahl in derselben Farbe braucht. Leichter sind Wertungen wie „symmetrisches Muster“ (Einsen, Vieren und Fünfen), die mehr Flexibilität erlauben. Und vorteilhaft sind ebenso Wertungen, die kleine Zahlen erfordern wie „diagonales Muster“ (Zweien und Dreien), weil sich kleine Zahlen sowohl direkt erwürfeln als auch durch die Zerlegung einer großen Zahl erreichen lassen. Eine in Zwei und Zwei zerlegte Vier füllt gleich zwei Käfer – und führt (nächster Vorteil) dazu, dass schneller alle Käfer Tupfer bekommen und so einen Kleeblatt-Schritt aktivieren.
Es gibt also eine Lernkurve. Was gut ist. In meinen Runden gab es aber auch bald eine Einheits-Spielweise. Was nicht so gut ist.

Was taugt es? Durch die originelle Regel, wie Würfelaugen eingetragen werden, fügt KUNTERPUNKT dem Genre etwas Neues hinzu. Und zunächst fasziniert das. Doch der Reiz lässt nach, weil die Partien gleichförmig verlaufen.
Und schon vorher stören redaktionelle Mängel: Für die verschiedenen Wertungsmöglichkeiten fehlen Übersichten. Die Wertungen sind unintuitiv, deshalb muss selbst nach mehreren Partien noch die Tabelle auf der Rückseite der Anleitung herumgereicht werden. Auf dem Block fehlen für manche Wertungen Felder, um Punkte einzutragen. Die Anleitung ist nicht lückenlos und die unklare Gestaltung des Wiesenpfads führt zu der Irritation, ob die Kleeblätter ein separates Feld sind oder nicht.


*** mäßig

KUNTERPUNKT von Julia Thiemann und Christoph Waage für eine:n bis sechs Spieler:innen, Topp.

Mittwoch, 31. Mai 2023

Gern gespielt im Mai 2023

HEAT: Die Sinnhaftigkeit von Autos wurde in jüngster Zeit etwas in Zweifel gezogen. Gerade noch rechtzeitig kommt HEAT mit einem wichtigen Pro-Argument: Mit Autos kann man ganz hervorragend im Kreis herumfahren!

GET IT: Was starrt ihr mich alle so an?

THAT’S NOT A HAT: Der Titel lässt sich nicht beanstanden. Die meisten Karten zeigen tatsächlich keinen Hut. Beanstanden lässt sich die fehlende Möglichkeit, dieses Wissen gewinnbringend anzuwenden.

CHALLENGERS: Mein Motto-Deck „Die gelbe Gefahr“ mit gleich drei Verkäuferinnen musste kürzlich leider erfahren, warum der Bösewicht „Bösewicht“ heißt.

CODENAMES DUETT: In Kapstadt gewesen, in Sydney, in Tokio. Und das alles auf Juist.






UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM MAI:


DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER: Und wenn ich noch irgendwann herausfinde, warum Händler:innen kein bisschen miteinander interagieren, sage ich Bescheid.



Samstag, 27. Mai 2023

Cartaventura

Es kann natürlich sein, dass die Illustrationen auf den kleinen quadratischen Schachteln mich neugierig gemacht und positiv eingestimmt haben. Ich fürchte jedoch, die entfernte Ritter-Sport-Anmutung hat mich unterbewusst noch viel mehr eingefangen.

Wie geht CARTAVENTURA? „Zur See fahren? Den Gouverneur treffen? Wie werdet ihr entscheiden?“ Die Schachtelrückseite von CARTAVENTURA verdeutlicht schon recht genau, worum es geht: Wir versetzen uns in eine Person, erleben ihre (Reise-)Geschichte nach und treffen Entscheidungen, die die Handlung in die eine oder andere Richtung bewegen.
Hin und wieder sind noch Ressourcen im Spiel, von denen es abhängt, ob uns bestimmte Wege offenstehen oder nicht. In LHASA ist dies beispielsweise Geld, das wir während der Reise verdienen können und an anderer Stelle einsetzen müssen, um weiterzukommen.

Unsere Entscheidungen führen dazu, dass wir Karte XY ziehen und lesen sollen, dass wir Karten zu einer Landkarte kombiniert auf dem Tisch auslegen, dass wir Teile der Landkarte auf ihre Rückseite drehen dürfen, wodurch sich neue Orte offenbaren, die wir fortan ansteuern könnten. Und so weiter.
Irgendwann kommt die Geschichte an ihr Ende. Genauer: an eines ihrer fünf möglichen Enden, das sich mehr oder weniger befriedigend anfühlt. Das Spiel verzichtet auf eine Wertung, ob das erreichte Ende das „richtige“ ist. Wer will, kann gleich noch einmal spielen und schauen, ob und mit welchen anderen Entscheidungen ein anderes Finale erreicht wird.

Was passiert? Weil deutlich mehr gelesen als entschieden werden muss, ist CARTAVENTURA wie ein Buch mit ein bisschen Spiel: Möglichkeit A oder Möglichkeit B? Manchmal gibt es zusätzlich eine Möglichkeit C oder gar D. Man kann da seinem Gefühl folgen, wird aber kein System oder keine Taktik finden, um die Fälle gut zu absolvieren, zumal es ja, anders als bei Escape-Spielen, auch keine Lösung gibt, die ganz unbedingt erreicht werden muss.


Was taugt es? In CARTAVENTURA liegt die Konzentration auf dem Erzählinhalt. Und im Gegensatz zu so vielen anderen Spielen wirken die Geschichten realistisch und authentisch. Dass Historiker:innen beratend mitgearbeitet haben, zahlt sich aus.
Wir spielen auch nicht die üblichen abgenudelten Szenarien nach, denen man schon zig Mal begegnet ist. CARTAVENTURA wählt historische Personen und Ereignisse abseits dessen, was man aus dem schulischen Geschichtsunterricht kennt.
In KARAWANEN reisen wir auf den Spuren von Ibn Battuta, der als bedeutendster arabischer Reisender des Mittelalters gilt, von dem ich zuvor aber trotzdem noch nichts gehört hatte. In LHASA geht es um die mir bis dato ebenso unbekannte Reiseschriftstellerin Alexandra David-Neel, in OKLAHOMA um Bass Reeves, der als ehemaliger Sklave der erste afroamerikanische Deputy U.S. Marshal westlich des Mississippi River wurde.
Allerdings: Bei keiner der vier Boxen hatte ich Lust, mich so häufig damit zu beschäftigen, bis ich tatsächlich sämtliche Enden erreichte. Irgendwann wiederholt es sich. Unter spielerischen Gesichtspunkten bietet CARTAVENTURA nichts Besonderes. Vergleichbares gab es schon etliche Male, auch ausgefeilter und abwechslungsreicher.
Trotzdem finde ich die Reihe gelungen, weil sie Geschichte ernst nimmt und sich bemüht, unübliche Geschichten zu erzählen und verklärte oder klischeehafte Bilder zu vermeiden. Ich wünschte, mehr Spielen gelänge es, auf Realität und Historie so seriös Bezug nehmen wie CARTAVENTURA.


**** solide

CARTAVENTURA: LHASA / OKLAHOMA / VINLAND / KARAWANEN von Thomas Dupont für eine:n bis vier Spieler:innen, Kosmos.

Dienstag, 23. Mai 2023

Hennen

Hallo, hier spricht Huhni! Kennt ihr mich noch? Ich wollte so gerne HENNEN für euch spielen, aber Hahni hat gesagt, ich darf das nicht, weil ich mir nur die vielen tollen Hühner-Pin-ups angucken will, und das kommt gar nicht in die Tüte, hat Hahni gesagt. Deswegen hat Udo gespielt. Aber der hat sich die Bilder gar nicht mal richtig angeguckt.

Wie geht HENNEN? Mit zwölf Hennenkarten bilde ich eine Auslage, die viele Punkte zählen soll. In jedem Zug lege ich angrenzend eine Karte. Deren Nummer muss von sämtlichen Nachbarkarten um exakt eins abweichen. Außer die Nachbarkarte hat dieselbe Farbe, dann darf ich auch unabhängig von ihrer Nummer legen.

Weil das Anlegen zunehmend knifflig wird, brauche ich eine gewisse Kartenauswahl – und die habe ich. Mit vier Karten starte ich meinen Zug. Dann ziehe ich zwei weitere: entweder vom verdeckten Stapel oder den offenen Stapeln meiner Mitspieler:innen. Anschließend lege ich eine Karte aus und werfe eine Karte auf meinen offenen Ablagestapel. Von dem ich übrigens nicht ziehen darf.
Punkte zählen die unter den Hennen abgebildeten Eier, jedoch nur in meiner größten Farbgruppe und zusätzlich in der Farbgruppe mit meiner Hahnenfigur. Den Hahn muss ich bei Halbzeit des Spiels auf eine meiner Karten setzen. Und der Hahn darf tunlichst nicht in meiner größten Gruppe landen, weil die nicht doppelt gewertet werden darf. Aber groß soll die Hahnengruppe trotzdem werden, damit viele Eier drin sind.
Punkte zählen außerdem Medaillen. Sie auf den Hühnerkarten der selteneren Farben abgebildet. Und weitere Punkte gibt es für zwei zu Beginn ausgeloste Bauaufträge, die für alle Spieler:innen gleichermaßen gelten. Beispielsweise sollen wir mindestens vier verschiedene Farben auslegen oder mindestens eine Zeile unserer Auslage mit ausschließlich unterschiedlichen Farben bestücken.


Was passiert? Die Legeregeln einzuhalten, erweist sich als Herausforderung. Man muss im Blick haben, welche Karten überhaupt noch kommen können und welche schon in den Auslagen verbaut sind. Auch den Hahn sollte man nicht auf gut Glück setzen, sondern mit einer realistischen Idee, wie sich die Auslage wohl weiterentwickelt. Anfänger:innen scheitern öfter mal, weil sie das Ausmaß der nötigen Überlegungen unterschätzen.
Wer keine Hühnerkarte regelkonform platzieren kann, legt als Ersatz einen Hühnerstall, der minus zählt. Um diesen Unfall zu vermeiden, muss man mehrere Züge vorausplanen und die für später vorgesehenen Karten auf der Hand sammeln. Das allerdings blockiert die Hand. Sehr gerne würde man ja auch Karten aufbewahren, die man seinen Gegner:innen nicht gönnt. Vielleicht geht ja beides? Das Blatt zu managen und mit den Ablagestapeln zu taktieren, fordert heraus und macht Spaß.

Was taugt es? HENNEN ist oft bis zum Schluss spannend, weil man noch auf das Auftauchen einer bestimmten Karte hofft. Auch mittendrin schon kann das Vorankommen an einer einzigen Karte hängen. Gut, wenn man dann die Auslage so flexibel gestaltet hat, dass man noch ein paar Verlegenheitszüge einstreuen und den Platz für die ultimative Karte freihalten kann.
Die Aufträge geben eine Richtung vor, weil man auf deren Punkte schwerlich verzichten darf. Und weil die Wertung belohnt, große Hennengruppen gleicher Farbe zu bilden, ist man recht bald auch festgelegt, welche Farben man sammelt und welche nicht. Somit ergibt sich früh im Spiel, wie der Aufbau am Ende aussehen soll. Das Konzept umzuschmeißen, ist meistens schlecht. Die wesentlichen Weichen stellt man bei Beginn, der Rest der Partie besteht darin, sich zum angestrebten Ergebnis hinzutaktieren.
Die schönen Illustrationen machen HENNEN sympathisch. In dem Spiel steckt mehr Tiefe, als man aufgrund seiner Anmutung annehmen würde. Planungsfehler lassen sich nicht mehr korrigieren. HENNEN ist rundes, schnörkelloses Taktik- und Strategiespiel, dessen Zielgruppe mir allerdings nicht so deutlich ist. Trotz der Hennen ist es rein abstrakt.


**** solide

HENNEN von Giampaolo Razzino für eine:n bis vier Spieler:innen, Little Rocket Games / Fun Bot.

Montag, 15. Mai 2023

Starship Captains

Ich bin kein Trekkie, sorry! Star Trek und Star Wars sind für mich quasi dasselbe, und der Weltraum als solcher fasziniert mich auch nicht sonderlich. Natürlich entgehen mir durch meine Ahnungslosigkeit in STARSHIP CAPTAINS sämtliche Anspielungen, andererseits erspare ich mir auch enttäuschte Erwartungen. Weil ich schlichtweg gar nicht genau weiß, was mich eigentlich erwarten sollte.

Wie geht STARSHIP CAPTAINS? Als Kommandant eines Raumschiffs besitze ich eine Crew, deren Mitgliedern ich nach und nach bestimmte Aufgaben zuweise. „Personaleinsatz“ nennt man diesen Mechanismus, und man begegnet ihm häufiger.
Wir nehmen uns keine Aktionen weg; die Einsatzorte für meine Figuren befinden sich ausschließlich auf meinem eigenen Raumschiff. Die meisten Aktionen erfordern ein Crew-Mitglied einer bestimmten Farbe. Die Figur ist anschließend erschöpft und begibt sich in den Pausenbereich. Zu Beginn der nächsten Runde kommen meine Figuren von dort zurück – mit Ausnahme der letzten drei. Durch die Reihenfolge meiner Aktionen bestimme ich also, welche Figuren mir in der nächsten Runde zur Verfügung stehen.

Wir starten mit gleicher Ausgangslage, aber weil Aktionen dazu führen, dass ich mein Raumschiff ausbaue und meine Crew schule oder umfärbe, unterscheiden sich unsere Möglichkeiten bald. Unterhalb meines Raumschiffes befinden sich sechs Felder, um „Technologiekarten“ darauf abzulegen, wozu ich die Felder allerdings erst mal entmüllen, also von Schadensmarkern befreien muss. Die Technologien erweitern dann meine Fähigkeiten. Darüber hinaus will ich die Karten so anordnen, dass Symbole an ihren Seitenrändern übereinstimmen. Das bringt mir Boni.
Außerdem besitzt mein Raumschiff einen Ladebereich, wo ich hilfreiche Plättchen aufbewahren kann. Auch der Ladebereich muss entmüllt werden, allerdings kann er durch Beschädigungen bei Kämpfen wieder vollmüllen.
Zu Kämpfen kommt es, weil ich auf dem Weltall-Spielplan Piratenschiffen begegne. Als cooler Typ gewinne ich jeden Kampf automatisch und bekomme eine Belohnung dafür, jedoch erhalte ich auch eine Beschädigung.
Auf dem Spielplan schnappen wir uns gegenseitig „Missionen“ weg. Das sind Karten, die auf Planeten ausliegen. Wer hinfliegt, darf die Karte nehmen. Die Mission zu erfüllen, erfordert dann den Einsatz von bis zu drei Crew-Mitgliedern. Die Belohnung in Form von Punkten und Boni fällt höher aus, wenn meine Crew-Mitglieder überdies die geforderte Farbe haben.


Was passiert? STARSHIP CAPTAINS hat einen für Euro-Games typischen Verlauf: Die ersten Runden gehen noch schnell. Wir besitzen kaum Figuren, bald ist das Pulver verschossen. Mit zunehmender Dauer schaltet man sich Figuren und Dauereffekte frei, hortet Material und hat insgesamt mehr Ressourcen, mit denen sich dann auch mehr anfangen lässt.
Typisch für Euro-Games sind in STARSHIP CAPTAINS auch das Spielziel (sammle in diversen Bereichen möglichst viele Punkte, die am Schluss einfach addiert werden) und die Detailverliebtheit. Alles ist mechanisch eng verknüpft, alles ist voller Symbole, und es gibt diverse Nebenschauplätze. Auf drei Skalen („Fraktionspfade“) kann man Schritte gewinnen, wobei hier und da ein Punkt abfällt sowie hier und da ein Bonus. Aus manchen Boni ergeben sich dann andere Boni und so weiter.
Zu Beginn des Spiels ist man noch mehr damit befasst, das Schiff aufzumöbeln und die Maschinerie ins Laufen zu bringen. Mit zunehmender Dauer mündet STARSHIP CAPTAINS immer mehr in ein Abklappern der Planeten und Abarbeiten der Missionen. Denn die Missionen tragen üblicherweise den größten Teil zur Punktewertung bei.


Was taugt es? STARSHIP CAPTAINS ist ein sauber konstruiertes Spiel. Es fühlt sich in seinem Wesen lediglich sattsam bekannt an. Und das Thema bleibt auch blass. Ja, wir fliegen über einen Spielplan, der sich als All begreifen lässt. Ja, unser Tableau erinnert an ein Raumschiff. Aber letztendlich handelt es sich doch um klassische Optimiererei von Zugfolgen und Ressourcen. Die Raumfahrt ist weder Abenteuer noch Wissenschaft noch Vordringen in neue Welten.
Der interessanteste und sympathischste Mechanismus ist die Rotation der erschöpften und arbeitsbereiten Figuren. Die durchdachte Gestaltung des Boards unterstützt diesen Ablauf sehr gut. Wie überhaupt STARSHIP CAPTAINS gelungen und auch witzig gestaltet ist. In das Spiel ist merklich Herzblut geflossen. Ich hätte mir gewünscht, mehr mit diesem Kernmechanismus beschäftigt zu sein und weniger mit austauschbaren Optimierungsdingen.


**** solide

STARSHIP CAPTAINS von Peter B. Hoffgaard für eine:n bis vier Spieler:innen, Czech Games Edition.

Donnerstag, 11. Mai 2023

Vor 20 Jahren (125): Löwenherz

Nach dem riesigen Erfolg mit CATAN räumte Klaus Teuber der Überarbeitung seiner älteren Werke zunehmend Zeit ein. Im Falle von LÖWENHERZ hatte dies sicher auch damit zu tun, dass die erste Version des Spiels bei Goldsieber erschienen war und das Spiel nun zu Kosmos geholt werden sollte. Generell aber war Klaus Teuber als hauptberuflicher Autor auch schlichtweg erfahrener geworden und hatte ein immer besseres Gefühl dafür entwickelt, wie sich Spiele verbessern lassen.

Oft bedeutete dies: vereinfachen. Denn ein Spiel, das nicht gespielt (weil nicht verstanden) wird, ist leider ein Spiel, das untergeht. Und Überforderung kann schon beim Auspacken beginnen. Alles Material ist anfangs fremd. Man weiß noch nicht, worum es geht und wozu das alles dienen soll. Und jetzt so viel Krams auf einmal! Weil Teuber dies nachfühlen konnte und den Einstieg erleichtern wollte, steckte er viel Zeit in Konzepte wie etwa die „Prof. Easy“-Anleitungen.

Und um Spielklima und Spielgefühl zu verbessern, feilte er an den Mechanismen. Seine Spiele sollten nicht frustrierend sein, nicht zu aggressiv, nicht zu lange dauern. So wurde unter anderem BARBAROSSA UND DIE RÄTSELMEISTER zu KNÄTSEL, LICHT UND SCHATTEN zu TINTENHERZ, ENTDECKER zu IM REICH DER JADEGÖTTIN. Und LÖWENHERZ eben zu LÖWENHERZ.

Im Ur-LÖWENHERZ musste um das Recht auf Aktionen gefeilscht und verhandelt werden. Gewiss war dies eine der Stärken des Spiels gewesen, das neue LÖWENHERZ ließ das Element trotzdem weg. Reihum spielte man nun eine Aktionskarte oder verkaufte eine in die Bank, wo sie sich später wer anders nehmen konnte. Der Kern des Spiels aber, dass wir mit Mauern Gebiete abgrenzen, mit Rittern hochrüsten und uns gegenseitig Land wegnehmen, blieb.

Ich rezensierte das neue LÖWENHERZ damals für die Fairplay und war erstaunt, wie gut ich die Vereinfachung fand und wie wenig ich den Verhandlungsteil vermisste. Wenn ich heute meine 20 Jahre alte Rezension lese, erstaunt mich allerdings etwas ganz anderes. Offenbar war es mir damals nicht möglich, für die Fairplay einen Text zu schreiben, ohne wiederholt die Spiel-des-Jahres-Jury zu bashen. Ich kreiste geradezu darum: Wie finden die das Spiel wohl? Und was halten sie davon, dass so auffallend viele Spiele in Neufassungen erscheinen? Die wollten doch alle offensichtlich nur den Preis gewinnen! Pfui! Und war es nicht eigentlich voll skandalös, dass LÖWENHERZ 1997 nicht gewonnen hatte? Bla, bla, bla.

Nicht alle Werke altern gut. Spiele kann man überarbeiten und neu veröffentlichen. Bei Artikeln hofft man wohl besser, dass die Zeitschriften von früher nicht mehr angerührt werden und so mancher Blödsinn in Vergessenheit gerät.


Sonntag, 7. Mai 2023

East India Companies

„Ja, dass man unserem Spiel einen Kolonialismus-Vorwurf machen kann, ist uns noch aufgefallen. Aber wir hatten dann doch keinen Bock, uns weiter damit auseinanderzusetzen.“
So verstehe ich den Disclaimer am Ende der Anleitung von EAST INDIA COMPANIES. Formuliert ist er aber etwas anders. Nämlich: „EAST INDIA COMPANIES ist in erster Linie ein Spiel ohne politische Hintergedanken. Die historische Kulisse ist lediglich dazu da, die Spielmechanik zu verstärken, die perfekt zu dem Thema passt, das sie umgibt. Es geht in diesem Spiel um eine andere Zeit mit anderen Bezugspunkten als den unseren. EAST INDIA COMPANIES ist ein Spiel, sogar eine Fiktion, aber keinesfalls eine Dokumentation. Und es muss als solches betrachtet werden.“


Wie geht EAST INDIA COMPANIES? Wir kaufen Tee, Gewürze, Kaffee und Seide in Fernost, um sie in Europa teurer zu verkaufen. Wer am Schluss am meisten besitzt, gewinnt.
Der Hauptmechanismus ist Figureneinsatz. Allerdings gibt es zwei Sorten Figuren: Zuerst werden die drei „Gesandten“ eingesetzt. Sie nehmen sich die Einsetzfelder nicht gegenseitig weg, doch wer später kommt, muss denen, die schon da sind, Geld bezahlen.
Außerdem sind die Gesandten etwas unbeweglich. Von Runde zu Runde dürfen sie nur zu Feldern in der Nähe ihres Standortes wechseln. Das schließt etwa 40 Prozent der Felder aus. Zunächst. Sofern ich einen Zug Verzögerung in Kauf nehme, kann letztendlich jeder Gesandte jedes Feld erreichen.
Und später setzen wir dann die zweite Figurensorte: unsere Schiffe. Und zwar nach entweder Indien, Südostasien oder China, wo sie beladen werden wollen. Große Schiffe können mehr Ware aufnehmen. Schnelle Schiffe kommen früher an die Reihe, selbst wenn sie später eingesetzt wurden. Früher an der Reihe zu sein, bedeutet, billiger einzukaufen und – in einem späteren Schritt – teurer zu verkaufen.
Ich beginne das Spiel mit zwei kleinen langsamen Schiffen. Bis zu vier Schiffe darf ich besitzen. Neue kaufe ich mit meinen Gesandten, alte darf ich verschrotten. Um mehr als zwei Schiffe haben zu dürfen, muss ich zuvor noch meinen Hafen vergrößern. Andere beispielhafte Aktionen mit Gesandten: Ich kaufe einen Handelsposten, der mir für den Rest des Spiels in einer der drei Regionen beim Warenkauf einen dauerhaften Rabatt verschafft. Oder ich lege fest, dass ich in dieser Runde eine der Waren teurer verkaufen darf. Oder dass meine Schiffe keine Reisekosten verursachen etc.


Was passiert? EAST INDIA COMPANIES bildet Angebot und Nachfrage schlüssig ab. Generell lässt sich mit jeder Warenart Gewinn machen – aber nur bis zu einer gewissen Grenze. Je mehr Waren in Asien gekauft werden, desto höher die Preise. Und je mehr die Nachfrage in Europa gesättigt ist, desto niedriger die Erlöse.
Schnelle Schiffe sind also vorteilhaft, aber mit wenig Laderaum bringen sie dann doch nicht so viel. Weil die wirklich guten Schiffe anfangs noch nicht zur Verfügung stehen, kommt es bei allen Investitionen auf das Timing an. Und beim verdeckten Aussenden der Schiffe darauf, die Vorhaben der Konkurrenz zu erahnen.
Doch in der Praxis sind die Entscheidungen nicht ganz so spannend, wie sie in der Theorie klingen. Wer ein Handelshaus in China errichtet hat, wird es sicher auch wiederholt nutzen wollen, im Laufe der Partie also bevorzugt nach China segeln und die dortige Handelsware Seide einkaufen. Darauf kann ich mich einrichten. Und wenn die auf China spezialisierte Person einen Gesandten einsetzt, um verdeckt Einkaufs- oder Verkaufspreise manipulieren, steht zu erwarten, dass dies zugunsten von Seide geschieht. Und auch darauf kann ich mich einrichten.
Dass die Gesandten nicht zu jedem beliebigen Feld ziehen dürfen, klingt wie ein reizvoller Kniff. Tatsächlich habe ich nie erlebt, dass jemand deswegen in Schwierigkeiten geraten wäre. Die Aktionsfelder, die mir am wichtigsten sind, werde ich schon mit irgendeiner Figur direkt erreichen. Und wenn ich mit meiner letzten Figur einen Zwischenschritt machen muss oder nur noch eine mittelmäßige Aktion bekomme, ist das fast schon egal.
Viel Spielzeit fließt in die Abwicklung der Aktionen: Nachdem die Schiffe vor Ort erst mal nach Ankunft sortiert werden, wird dann Schiff für Schiff abgefragt, was und wie viel man kaufen möchte. Die Klötzchen werden aufs Schiff geladen, der Preis ausgerechnet und bezahlt. Nächstes Schiff. Und immer so weiter. Und dann dasselbe im nächsten Markt. Und dann noch mal so ähnlich bei der Rückkehr nach Europa.


Was taugt es? Mir gefällt, dass EAST INDIA COMPANIES mit vergleichsweise wenigen Regeln auskommt. Die Markt-Dynamiken zu erfahren und damit umzugehen, erlebe ich als spannend. Allerdings tragen diese Erfahrungen kein ganzes Spiel von dieser Länge. Nennenswerte Überraschungen blieben in meinen Partien aus, weil man recht häufig immer dieselben Aktionen wiederholt. Die frühen Investitionen geben eine Richtung vor; vieles ergibt sich dann daraus.
Zum Finale ist in meinen Partien die Spannungskurve sogar gefallen statt zu steigen. Die Märkte in Europa waren übersättigt. Großen Profit machte man nun nicht mehr. Die Sache hatte sich schon vorher entschieden – was aber nichts dran änderte, dass man trotzdem noch mal all die langen Abläufe durchexerzieren musste.


*** mäßig

EAST INDIA COMPANIES von Pascal Ribrault für zwei bis vier Spieler:innen, R & R Games / Huch.

Sonntag, 30. April 2023

Gern gespielt im April 2023

FEDERATION: Fehde-Ration.

MANTIS: Fangschreckenkrebse – nicht meine Lieblingstiere. Was aber nicht heißt, dass man sie mir wegnehmen darf!

TURING MACHINE: Löchrige Logik.

DER HERR DER RINGE – GEMEINSAM ZUM SCHICKSALSBERG: Merkwürdig, dass Tolkien den Würfel in seinen Büchern kaum erwähnt. Oft ist er viel gemeiner als Sauron.

PLANET UNKNOWN:
Planet entdeckt? Cool. Versiegle die Oberfläche!







UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM APRIL:

NEXT STATION LONDON: Das Einzige, was sich in diesem Spiel abnutzt, sind die Buntstifte.






Freitag, 28. April 2023

Planet Unknown

„Die Ressourcen der Erde sind erschöpft,“ heißt es in PLANET UNKNOWN, und das entspricht genau meinem Gefühl beim Schreiben von Einleitungen.

Wie geht PLANET UNKNOWN? Wir puzzeln mit Polyomino-Legeteilen. Meine Planetenoberfläche soll möglichst voll werden, denn komplettierte Reihen und Spalten zählen Punkte. Außerdem bringt jedes Legeteil (im Regelfall) zwei Marker auf meinem Konzern-Tableau voran. Jedes Legeteil ist zweifarbig, und in den entsprechenden Farbskalen gehe ich vorwärts.
Diese Fortschritte wiederum bringen Punkte. Außerdem schalten sie Errungenschaften frei. Fortschritte auf Grün beispielsweise bringen mir Einer-Legeteile, mit denen ich lästige Lücken füllen kann. Fortschritte auf Rot aktivieren meine Rover, mit denen ich über den Planeten fahre und erstens „Rettungskapseln“ einsammle, die dann Punkte zählen. Sowie zweitens „Meteoriten“, die beim Bau auf einige der Teile gelegt werden müssen und dort stören. Denn sie verhindern, dass ich für die zugehörige Reihe oder Spalte Punkte bekomme. Dazu muss die Reihe nicht nur komplett zugepuzzelt, sondern auch frei von Meteoriten sein.
In der Wahl meines Legeteils bin ich nur alle paar Runden frei: als Startspieler. Dann drehe ich den großen Teilespender so, dass das gewünschte Teil direkt vor mir liegt (und nehme es). Alle anderen müssen eins von den beiden Teilen wählen, die nun vor ihrer Nase liegen.


Was passiert? Kompromisse. Generell möchte ich raumgreifend bauen. Bauteile mit Meteoriten aber möchte ich nicht so gerne. Rettungskapseln möchte ich lieber bergen, statt sie zu überbauen. Auf den Farbskalen möchte ich bestimmte Punkte erreichen. Und natürlich: Mit den mir zur Verfügung stehenden Polyominos geht das bestenfalls teilweise.
Zu meinen internen Problemen gesellen sich noch externe: Mit meinen beiden Nachbar:innen befinde ich mich im Wettstreit, wer ein zufällig bestimmtes Ziel besser erfüllt. Beispielsweise geht es darum, wer das größere rote Gebiet oder weniger graue Symbole auf seinem Planeten baut.
PLANET UNKNOWN ist von Anfang bis Ende spannend. Man hat kurzfristige und langfristige Ziele. Alle am Tisch sind immer gleichermaßen involviert. Und weil man sich mit seinen Nachbar:innen vergleichen muss, spielt man nicht komplett solistisch vor sich hin.


Was taugt es? Hindernisse und bewegliche Elemente auf dem Bauplatz machen die Puzzleaufgabe anspruchsvoll. Aber nicht sie sehe ich als das stärkste Element von PLANET UNKNOWN, sondern die Kombination der Puzzleaufgabe mit einem Tech-Tree.
Ist es normalerweise das Wesen von Puzzlespielen, dass man erst am Schluss weiß, ob es aufgeht und wie gut man steht, ist in PLANET UNKNOWN jeder Bauschritt mit einer belohnenden Rückmeldung und einem Aufstieg auf dem Konzern-Tableau verbunden. Das hebt die Spannungskurve über die gesamte Spieldauer merklich an.
Beim Puzzeln hoffe ich darauf, bestimmte Lücken zu füllen oder bestimmte Farben oder Symbole an gewünschte Stellen zu legen; auf den Farbskalen will ich bestimmte Felder erreichen und manche davon schneller als die Konkurrenz. PLANET UNKNOWN hat eine Dimension über das übliche Legespiel hinaus, und diese Dimension wirkt nicht etwa aufgesetzt, sondern leitet sich sehr harmonisch aus dem Legespiel ab. Deshalb bewahrt sich PLANET UNKNOWN bei aller Komplexität auch eine gewisse Einfachheit. Vieles lässt sich logisch herleiten.
Trotzdem ist PLANET UNKNOWN nicht rundum gelungen. Aus der Spielidee hätte man für mein Empfinden noch mehr herausholen können. Meiner Meinung nach bietet es sich im Basisspiel zu eindeutig an, vorrangig die schwarze und die graue Skala voranzutreiben. Die Belohnungen bei Schwarz sind einerseits sehr stark, andererseits ist dies die einzige Skala, bei der man durch Tempo anderen Spieler:innen Belohnungen wegschnappen kann. Und die graue Skala verbessert Aktionen auf Grün, Rot und Blau, weshalb es sich auszahlt, mit der Entwicklung dieser Skalen etwas zu warten.
Gewiss werde ich diese Strategie nicht immer durchsetzen können, weil ich natürlich nicht immer nur schwarze und graue Teile bekomme, schon gar nicht, wenn andere Spieler:innen die auch haben wollen. Und gewiss können die Vorgaben der Nachbarschaftsziele dazwischenfunken. Aber das ändert nichts daran, dass das Basisspiel strategisch monoton angelegt ist, und dies wiederum halte ich für die größte Schwäche von PLANET UNKNOWN.

Kleinere gibt es auch: Statt des Auslosens der Nachbarschaftsziele hätte ich mir einen besseren Kniff gewünscht. Zu oft schon hat irgendjemand zwei widersprüchliche Ziele erwischt und ging deshalb mit dem Nachteil an den Start, nicht beides erreichen zu können. Auch einige Regeln müssten klarer formuliert werden, und der Drehteller könnte sehr gut einen Deckel gebrauchen. Ach, und auf das Ereignis-Modul, dessen Idee einzig und allein darin besteht, einem planerischen Spiel platte Willkürelemente hinzuzufügen, werde ich nach einmaligem Versuch fortan verzichten.
Menschen, die PLANET UNKNOWN häufiger spielen, bekommen Angebote für Variation. Das Spiel enthält sechs verschiedene Planetenpläne und sechs verschiedene Konzern-Tableaus, die teilweise gravierende und unterhaltsame Regeländerungen mit sich bringen. Weil jeder Planet mit jedem Konzern kombiniert werden kann, gibt es viel auszuprobieren.
Sicherlich ist nicht jede Kombination gleichstark, sicherlich ist nicht alles austariert. Weil ich die Spezialpläne als Spielwiese für Fortgeschrittene sehe, finde ich das aber okay, gerade auch um mal kuriosere Partien zu erleben, um die Herausforderung zu erhöhen oder um gegen Anfänger:innen bewusst mit einem Handicap zu starten.


***** reizvoll

PLANET UNKNOWN von Ryan Lambert und Adam Rehberg für eine:n bis sechs Spieler:innen, Strohmann Games / Adam’s Apple Games.

Dienstag, 25. April 2023

kosmopoli:t

Weiter Wutwochen auf REZENSIONEN FÜR MILLIONEN. Stein des Anstoßes sind jetzt aber nicht mehr die Spiele, sondern die fehlenden Einleitungen. Grrr!

Wie geht KOSMOPOLI:T? Wir betreiben kooperativ ein Restaurant. Und wir machen es uns nicht leicht. Denn offenbar gibt es bei uns keine Speisekarte. Die sehr internationalen Gäste bestellen, was immer sie wollen, einfach in ihrer Landessprache oder in ihrem Dialekt.
Die „Kellnerin“ nimmt alle Bestellungen entgegen. Dazu benötigt sie Smartphone, Kopfhörer und die zugehörige App. Sie klickt auf ein Gast-Icon und hört nun in Originalsprache, wie jemand etwas sagt, das beispielsweise klingt wie „Sölat Dörsle“. Die Kellnerin spricht das dem „Oberkellner“ vor, eventuell auch mehrfach, der notiert es auf seinem Block.

Im Bestfall haben die „Köche“ auch zugehört. Falls nein oder um später auf eine Bestellung zurückkommen zu können, dient die Mitschrift des Oberkellners. Er kann den Köchen alles beliebig oft wiederholen und vorsprechen, führt Buch über Fehlendes und Erledigtes und koordiniert die Gruppe, während die Kellnerin schon wieder neue Bestellungen aufnimmt oder fertige Gerichte der Köche serviert und in der App überprüft, ob das Richtige auf dem Teller ist.
Damit ein Gericht serviert werden kann, durchsuchen die Köche schnellstmöglich ihre je sechs Karten, auf denen in „Laien-Transkription“ jeweils sechs Gerichte stehen. Wer meint, das Gesuchte gefunden zu haben (in diesem Fall wäre es „ßüella tudoßö), benötigt noch die abgebildete Zutat (hier eine Chili), die sich im Stapel der Gemüsekarten findet, allerdings hat vielleicht ein anderer Koch diese Kartensorte, und leicht entsteht Chaos und Geschrei. In sechs Minuten müssen wir mit allem fertig sein.


Was passiert? Vor allem eine große Runde wird bei KOSMOPOLI:T schnell laut – obwohl sie sich damit ja selber schadet! Schließlich kommt es in diesem Hektikspiel auf genaues Hören an. Und auf das gedankliche Übertragen von Sprachlauten in eine mögliche Lautschrift. Je weiter das Gehörte und Geschriebene auseinanderklaffen, desto größer hinterher die Verwunderung.
Natürlich gibt es Gruppen, die strukturierter arbeiten, und solche, in denen die Küche ins Chaos abgleitet. Und es gibt Spieler:innen, die für ihre Posten im Spiel eher geeignet oder eher ungeeignet sind. Trotz unterschiedlicher Voraussetzungen ist KOSMOPOLI:T dennoch in so ziemlich jeder Gruppe eine sichere Bank, um Spielspaß, Gemeinschaftsgefühl und Erfolgserlebnisse zu erzeugen. Nur zu klein sollte die Gruppe nicht sein. Je weniger Köche parallel arbeiten, desto einfacher ist es.
Bald wird die Gruppe weiteres Material freischalten. Jetzt kommen noch mehr Karten ins Spiel; noch mehr Tische sind gleichzeitig zu bedienen. Am Grundmuster ändert sich allerdings nichts. Im Grunde zeigt KOSMOPOLI:T schon in der ersten Partie, was es spielerisch kann. Und wesentlich mehr kann es dann auch später nicht. Zumal wir hier keine Rollen ausüben, in denen wir etwas gestalten, sondern lediglich Rollen, in denen wir auf die Impulse der App reagieren. So bewegt sich das, was wir hier tun, bei aller Spaßigkeit in einem immer wieder engen und ähnlichen Rahmen.


Was taugt es? KOSMOPOLI:T ist ein ungewöhnliches und sehr sympathisches Spiel, das Neulingen fast immer Spaß macht. Allerdings habe ich auch beobachtet, dass es den Teilnehmer:innen nach zwei oder drei Partien genug war und dass wenig Neugierde da war, das Spiel ein anderes Mal wieder auszupacken. Das liegt auch am technischen Aufwand, der vorab betrieben werden muss. KOSMOPOLI:T ist nicht so schnell losgespielt.
Als spielerisches Projekt finde ich KOSMOPOLI:T toll. Ich kann nur grob erahnen, wie viel Recherche, wie viel wissenschaftliche Unterstützung und wie viel Arbeit in dieses ungewöhnliche Sprachspiel geflossen sein müssen. Die Bestellungen in 60 verschiedenen Sprachen wurden (nach Verlagsangaben) fast ausschließlich von Muttersprachler:innen eingesprochen, nur selten handelte es sich um die Zweitsprache. Ein 32-seitiges Begleitheft informiert über Sprachen der Welt. Das Gesamtpaket ist mehr als nur ein Spiel.


**** solide

KOSMOPOLI:T von Florent Toscano und Julien Prothière für vier bis acht Spieler:innen, Huch / Jeux Opla.

Freitag, 21. April 2023

Encyclopedia

Wutwochen auf REZENSIONEN FÜR MILLIONEN. Teil 3, grrr!

Wie geht ENCYCLOPEDIA? Wir sammeln Tierkarten, um die Arten zu erforschen und anschließend unsere Ergebnisse zu publizieren. Jedes Tier hat fünf Merkmale, beispielsweise ist es Pflanzen-, Fleisch- oder Allesfresser und lebt in heißem, gemäßigtem oder kaltem Klima. Das Spiel belohnt, möglichst häufig zu gleichen Merkmalen zu publizieren, weshalb es sich lohnt, möglichst häufig dieselben Merkmale zu erforschen und Tierkarten mit denselben Merkmalen zu sammeln.
Der Hauptmechanismus ist Würfeleinsatz. Alle würfeln zu Rundenbeginn ihre vier Würfel, die sie zuvor zufällig aus einem Beutel gezogen haben, wodurch auch die Würfelfarben zufällig sind. Alle diese Würfel bilden nun einen Pool, aus dem sich reihum jede:r bedient, um einen der Würfel einzusetzen. Allerdings: Wählt jemand anderes einen meiner Würfel, bekomme ich Geld oder Punkte oder Ansehen dafür. Jedem meiner Würfel habe ich zuvor eine der möglichen Belohnungen zugewiesen; dem vermeintlich stärksten Würfel die vermeintlich beste Belohnung.
Die Aktionen sind dazu da, um sich Geld oder Siegel oder Tierkarten zu nehmen, um zu forschen und zu publizieren oder um eine „Expertenkarte“ zu wählen, die (meist) einen dauerhaften Vorteil bringt. Hohe Augenzahlen sind dabei grundsätzlich besser als niedrige. Für einige Aktionen ist auch eine passende Würfelfarbe erforderlich. Mit Geld darf man Würfelaugen hinzukaufen, mit Siegeln die Farbe ändern.


Was passiert? Die Vorgaben in ENCYCLOPEDIA legen eine Spezialisierung auf gleiche Merkmale nahe, also wird man, wenn es irgend geht, Tierkarten mit gleichen Merkmalen wählen und erforschen. Und wenn man seine Forschungsrichtung erst mal festgelegt hat, wäre es unsinnig, davon wieder abzuweichen.
Auch die Aktionen sind klar. Ich brauche Tiere. Ich muss erforschen. Und weil beim Forschen hohe Kosten anfallen, muss ich auch Geld ranholen. Hin und wieder spare ich eine Aktion, weil ich durch Nebeneffekte Geldeinnahmen habe oder ein Tier geschenkt bekomme oder weil ich (sofern sie vom selben Kontinent stammen) mehrere Tiere gleichzeitig erforschen darf. Aber grundsätzlich wiederholen wir alle immer dieselben Schritte.
Das Erforschen ist obendrein mit viel Rechnerei verbunden. Um die Ernährungsweise eines Tieres zu erforschen, benötige ich vier Würfelaugen, für den Lebensraum sieben, für die Klimazone zehn. Will ich bei mehreren Tieren desselben Kontinents einmal die Ernährung, zweimal den Lebensraum, einmal das Klima erforschen, macht das 28. Fünf habe ich auf dem Würfel, einen kriege ich als Bonus meines Einsatzfeldes, zwei über eine Expertenkarte, vier über Siegel und die restlichen 16 zahle ich mit Münzen.

Und dafür kriege ich nun Siegpunkte, nämlich einen für die Ernährung, zweimal drei für Lebensraum und sechs für das Klima sowie weitere drei Punkte plus vier Geld über meine Expertenkarten. Und beim Veröffentlichen bekomme ich schon wieder Siegpunkte, allerdings nach einer anderen Tabelle. Und bei der Schlusswertung gilt eine noch andere Tabelle.
ENCYCLOPEDIA setzt seine Vorgänge mechanisch unnötig kompliziert und obendrein langweilig um. Vieles im Spiel fühlt sich nur nach Verwaltung und Abarbeiten und Zusammenrechnen an. Der Würfelmechanismus ist nach meinem Empfinden Blendwerk. Gewiss kann ich überlegen, ob ich für meine gelbe Fünf lieber drei Punkte, zwei Geld oder zwei Ansehen haben möchte. Weil aber am Ende sowieso alle Würfel genommen werden, bekomme ich am Ende auch alle drei Belohnungen, außer ich nehme Würfel bei mir selbst. Oft ist es nur ein Ringtausch.


Was taugt es? ENCYCLOPEDIA behauptet, dass es um Expeditionen zu anderen Kontinenten und das Erforschen der faszinierendsten Geschöpfe unserer Erde gehe. Aber gar nichts davon spürt man in den Mechanismen. Die tollen Illustrationen: verschenkt! Das spannende Thema: verschenkt!
Ich bin gewiss kein Fan der vielen seelenlosen Renaissance-, Bauwerk- oder Städtenamenspiele, die fast beliebig um ein Thema kreisen, um irgendwie den abstrakten Mechanismus zu ummänteln, weil man das ja nun mal so tut. Doch diesen ganzen Standardthemen möchte ich wenigstens zugutehalten, dass sie unter Eigeweihten eine Art Code sind, der andeutet, mit welcher Art Spiel man es vermutlich zu tun haben wird. Wesentlich ärgerlicher finde ich es, wenn Leben, Natur, Forschung versprochen werden – und sich dann trotzdem dieselbe Seelenlosigkeit offenbart.


** misslungen

ENCYCLOPEDIA von Éric Dubus und Olivier Melison für eine:n bis vier Spieler:innen, Holy Grail Games.