Dienstag, 5. Dezember 2023

Vor 20 Jahren (132): Attika

Nach ELEMENTS, VERRÄTER, MEUTERER, LIFT OFF, ATTRIBUT und BAKERSTREET – allesamt Kartenspiele – war ATTIKA das erste große Brettspiel von Marcel-André Casasola Merkle. Und wäre ich er, wäre ich erstens sehr stolz auf dieses Werk und hätte mir zweitens einiges davon erhofft.

Eine Nominierung für die Wahl zum Spiel des Jahres vielleicht. Aber es wurde nur die Empfehlungsliste. Nominiert wurden im Jahr 2004 ZUG UM ZUG, EINFACH GENIAL, SANKT PETERSBURG, RAJA und DICKE LUFT IN DER GRUFT.

Na gut, aber dann vielleicht eine Top-3-Platzierung beim Deutschen Spielepreis? Nein, wieder knapp verfehlt. Es wurde Platz vier hinter SANKT PETERSBURG, SAN JUAN und GOA. Und wenn ich mir diese ganzen Spieletitel so vergegenwärtige (und obwohl ich zwei Spiele auf der Nominierungsliste nicht nominiert hätte), muss ich feststellen: Puh! Der 2003/04er-Jahrgang war legendär stark!

Vielleicht lag’s an diesem starken Jahrgang, dass ATTIKA – zumindest nach meinem Empfinden – ein bisschen in Vergessenheit geraten ist. Aber offenbar waren schon damals einige gar nicht so hingerissen wie ich. In der spielbox vergaben die Rezensent:innen überwiegend acht Punkte, allerdings auch einmal nur fünf und einmal nur sechs. In der Fairplay gab es Zweien, aber nicht nur glatte, und Dreien gab es auch, und eine davon war sogar eine Drei minus. – Was soll ich dazu sagen? Pfft!

ATTIKA ist ein Aufbauspiel. Aber es ist auch ein Positionierungsspiel. Verglichen mit heutigen Aufbauspielen ist es sehr interaktiv und zugleich erstaunlich elegant. Ganze vier Seiten Anleitung genügen.


Jede:r besitzt dieselben 30 Plättchen, die überwiegend Gebäude zeigen. Zunächst liegen sie verdeckt. Ich gewinne, wenn ich entweder alle meine Plättchen baue oder wenn ich so baue, dass ich zwei Heiligtümer auf dem während der Partie wachsenden Spielplan verbinde. Die Gebäudeplättchen baue ich mit Rohstoff-Kombinationen. Die Rohstoffe bezahle ich teilweise in Form von Handkarten, teilweise nutze ich Rabatte, die mir der Spielplan gibt. Baue ich beispielsweise auf oder neben Wald und Hügel, spare ich dabei ich ein Holz und ein Lehm. Wer früh baut, baut billiger. Denn überbaute und unsichtbare Symbole geben keinen Rabatt mehr.

Das ist nicht nur absolut logisch. Es ist auch ein Beispiel dafür, wie gut die Abläufe in ATTIKA grafisch unterstützt sind. Das gilt auch für eine weitere Bauregel: Ich darf Plättchen kostenlos legen, wenn sie an ein bestimmtes anderes Plättchen angrenzen, beispielsweise der Turm an die Festung.

Welche Plättchen zusammengehören, ist nicht nur thematisch erklärbar, es zeigt sich auch auf meinem Tableau, auf dem ich Plättchen zwischenlagere, nachdem ich sie aufgedeckt, aber noch nicht gleich gebaut habe. Was ich dürfte. Aber manchmal kann man eben nicht. Und manchmal will man nicht. Habe ich etwa einen Turm gezogen, wäre es eine Überlegung, erst noch die Festung abzuwarten, um für den Turm keine Rohstoffe zahlen zu müssen.

Nicht zu bauen, kostet allerdings Präsenz auf dem Spielplan. Die anderen besetzen währenddessen die rohstoffreichsten Ecken. Und die Gefahr, dass irgendwer zwei Heiligtümer verbindet, ist in einer eher leeren Landschaft natürlich auch viel größer. Und das ist übrigens das Einzige, was ich an ATTIKA manchmal nicht so gemocht habe. Oder vielleicht habe ich es auch an meiner Spielerunde nicht gemocht: In letzter Not einen Verbindungssieg zu verhindern, kann eine sehr teure Angelegenheit sein. Und in meiner damaligen Runde überließ einer das gerne dem Nächsten. Bis es dann derjenige machen musste, der als Letzter vor dem potenziellen Gewinner an die Reihe kam. Andere standen vielleicht besser da und profitierten deshalb mehr davon, andere hätten’s auch mit weniger Aufwand hingekriegt, aber die Drecksarbeit blieb trotzdem an mir hängen … ähm, ich meine, an dem armen Unbekannten, der da gerade eine unglückliche Position in der Sitzreihenfolge hatte.

Aber das ist längst Schnee von gestern. Ich habe es vollständig abgehakt und bin da emotional kein bisschen mehr involviert. Überhaupt nicht. Und je häufiger wir ATTIKA spielten, desto seltener gelang ohnehin ein Verbindungssieg.

In Rezensionen schreibt man oft im letzten Absatz (also diesem): „Kommt immer wieder auf den Tisch.“ Und vielleicht glaubt man das in dem Moment auch, aber es scheitert an der Realität. ATTIKA ist eines der wenigen Spiele, das in den vergangenen 20 Jahren tatsächlich immer mal wieder von uns gespielt wurde. Und es fühlt sich nicht alt an, sondern wie vor 20 Jahren schon. Sehr elegant. Sehr spannend. Und leider unterbewertet.


Freitag, 1. Dezember 2023

Orichalkum

Platon – das ist wichtig – hat Orichalkum als das Material bezeichnet, das die Bewohnerinnen und Bewohner von Atlantis außer Gold am meisten wertschätzten. Angeblich war mit Orichalkum auch ihre Königsburg verziert.
Das ist sicherlich nicht allen geläufig, deshalb wollte ich eingangs unbedingt darauf hinweisen. Kontinuierlicher Wissenszuwachs meiner Leser:innen ist eines der Hauptanliegen von REZENSIONEN FÜR MILLIONEN. Um für das Verständnis meiner Artikel eine gemeinsame intellektuelle Basis aufzubauen, bin ich gerne bereit, immer wieder kleine Perlen meines umfassenden Kenntnisschatzes weiterzugeben, die ich mir … äh, gerade eben auf Wikipedia angelesen habe.

Wie geht ORICHALKUM? ORICHALKUM ist ein Wettrennen auf fünf Siegpunkte. Als Fundament muss ich aber erst mal einige Landschaftsteile auf meine Insel legen. Die Teile sind bis zu drei Inselfelder groß und zeigen verschiedene Landschaften wie Wald, Gebirge oder Lagune.
Habe ich so gelegt, dass vier verschiedene Landschaften ein Parallelogramm bilden, könnte ich in einer späteren Bauaktion einen Tempel auf diese vier Landschaften setzen. Das zählt einen Punkt. Lege ich drei oder mehr gleiche Landschaften aneinander, gewinne ich die Gunst eines Titans. Der Titan bringt mir einen einmaligen Vorteil, und auch er zählt einen Punkt, solange mir niemand den Titan wieder abjagt. Und schließlich: In der Bauaktion kann ich auch einfach fünf Orichalkum abgeben. Damit erschaffe ich eine Medaille, und auch sie zählt einen Punkt.

In jeder Runde wählt jede:r eine Kombination aus einem Landschaftsteil (und baut es bei sich ein) und einer Aktion (und führt sie aus). Es gibt die schon erwähnte Bauaktion, in der ich auch Gebäude auf meine Landschaften bauen darf, die zwar leider diese Landschaften versiegeln, aber ansonsten Spielvorteile bringen und sehr starke Kombinationen ergeben können (wenn es die zufällige Auslage zulässt, solche Kombinationen zu bilden).
Weitere Aktionen sind: Orichalkum produzieren (je mehr Orichalkum-Minen ich gebaut habe, desto mehr produziere ich), Hopliten rekrutieren (je mehr Trainingslager ich gebaut habe, desto mehr rekrutiere ich), Monster bekämpfen. Monster kommen mit den Landschaftsteilen ins Spiel. Jedes Vulkanfeld liefert ein Monster mit. Solange ich Monster auf meinem Tableau habe, kann ich nicht gewinnen. Aber besiegte Monster bringen eine schöne Belohnung. Und ich besiege Monster mit Hopliten und glücklichen Würfelwürfen.

Was passiert? Weil es ein Wettrennen ist, soll jeder Zug einen erkennbaren Fortschritt bringen. Das Legeteil sollte besser groß statt klein sein und es sollte an der richtigen Stelle die gewünschten Landschaften zeigen. Je nachdem, wie man aufgestellt ist, möchte man Monster auf seinen Landschaften eher vermeiden – oder freut sich sogar auf sie.
Aber zum Landschaftsteil gehört eben noch die Aktion. Bauen ist fast immer beliebt. Ob man aber Hopliten rekrutieren möchte, hängt sehr davon ab, wie viele man bekommt. Und Monster bekämpfen zu dürfen, ist vollkommen sinnlos, wenn keines da ist. Unter Einsatz von Hopliten ist man bei der Wahl der Teil-Aktions-Kombi etwas flexibler. Allerdings kann es passieren, dass sowieso keine Kombination ausliegt, die man dringend haben möchte. Oder dass man zwar eine Bauaktion bekommen könnte, aber das Gebäudeangebot gibt gar nichts her. Oder man kann sein Plättchen so legen, dass man einen Titan bekommt, doch dessen Vorteil passt überhaupt nicht zu dem, was man bislang gebaut und gelegt hat.
Sicher: Man muss sich den Titan ja nicht holen, wenn man ihn gar nicht will. Aber er zählt nun mal einen von fünf Punkten. Es ist in ORICHALKUM ohnehin gar nicht so leicht, eine lupenreine Strategie zu verfolgen, der sich dann alles unterordnet. Vieles hängt von Gegebenheiten, Sitzreihenfolge und Würfelglück ab. ORICHALKUM fühlt sich deshalb etwas wirr und unaufgeräumt an. Statt des großen Plans entscheidet oft eher, ob sich situativ Gelegenheiten bieten, die man nutzen kann.

In meinen Partien wurden die meisten Siegpunkte über Medaillen gewonnen, weshalb das Orichalkum recht schnell als übermächtig in Verruf kam. Das ist meines Erachtens aber eine Frage der Spielerfahrung. Taucht man tiefer ein, wird man feststellen, dass es noch weitere Wege zum Sieg gibt. Ohnehin gewinnt man nie alle fünf Siegpunkte mit derselben Methode. Es ist immer ein bisschen Mischstrategie. Die Frage ist lediglich, welche Beimischung die stärkste ist.
Und die Frage ist ebenso, ob man überhaupt tiefer eintauchen möchte. Viele meiner Mitspieler:innen wollten das nicht, und ich kann es ihnen nicht verübeln. Denn …

Was taugt es? Auf mich wirkt ORICHALKUM sehr konstruiert. Der Spielablauf selbst ist nicht kompliziert. Doch ORICHALKUM verwendet sehr viele Mechanismen gleichzeitig, und ich frage mich, was denn das Zentrum des Spiels ist. Hat es eines?
Am schönsten finde ich die Legespielidee: Gebäude auf Landschaften können mir große Vorteile bringen, aber sie überdecken die Landschaft, und offene Landschaften hätten den Vorteil, dass ich mit drei gleichen einen Titan und mit vier verschiedenen einen Tempel gewinnen könnte. Da man obendrein nicht jedes Gebäude auf jede Landschaft bauen darf, ergibt sich immer mal wieder die verzwickte Abwägung, ob das Bauen von Gebäuden meinen Siegpunkterwerb nicht vielleicht eher bremst statt ihn zu beschleunigen. Oder ob ein paar zerstörte Landschaften nicht einfach der Preis sind, um mir eine Engine aufzubauen, die mich im Schlussspurt an den anderen vorbeipreschen lässt.
Dieser reizvolle Aspekt kommt während der Partie aber gar nicht so auffallend zum Tragen, weil er durch so viele andere Dinge und Mechanismen überlagert wird. ORICHALKUM wirkt auf mich überdimensioniert. Das meint sowohl die vielen im Spiel enthaltenen Details und Nebenmechanismen als auch das Material. Alles ist riesig, wie für Kinderhände gemacht. ORICHALKUM benötigt unnötigerweise sehr viel Platz auf dem Tisch.


*** mäßig

ORICHALKUM von Bruno Cathala und Johannes Goupy für zwei bis vier Spieler:innen, Pegasus Spiele.

Donnerstag, 30. November 2023

Gern gespielt im November 2023

MISCHWALD: Pirsch auf Hirsch.

SCHÄTZ IT IF YOU CAN: … if you can!!! Ich bin ja der Meinung, dass ich mich in jedem Spielzug absolut korrekt an das ausgegebene Motto halte. Weiß nicht, warum das nicht mehr belohnt wird.

MOORLAND: Meine Baustoffe geraten ziemlich ins Schwimmen und ich auch.

DER HERR DER RINGE – ADVENTURE BOOK GAME: Das Runde muss ins Feurige.

’NE TÜTE CHIPS: Der Titel unterschlägt, dass es sich zugleich um ’ne Tüte Münzen handelt. Diese Prioritätensetzung ist mir als Betreiber von REZENSIONEN FÜR MILLIONEN unerklärlich.




UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM NOVEMBER:

E-MISSION: Dass der Bindestrich nicht mitgelesen wird, habe ich übrigens nicht so sehr schnell kapiert.





Donnerstag, 23. November 2023

Heiße Hexenkessel

Hex, Katz, bärtig
Einleitung ist fertig

Wie geht HEISSE HEXENKESSEL? Wir versuchen, der Person rechts von uns mehr Zutaten zuzuschanzen, als sie in ihrem Vorrat unterbringen kann. Hat meine Nachbarhexe fünf überschüssige Zutaten gesammelt, gewinne ich.
Die Zutaten sind Holzwürfel in den Farben rot, blau, grün, weiß und schwarz. (Man könnte auch stimmungsvoller sagen: Es sind Pilze, Spinnen, Kröten, Alraunen, Schattenherzen.) Jede Runde spielt jede:r eine von vier Rezeptkarten aus der Hand. Jede Rezeptkarte definiert ein Tauschverhältnis und besagt beispielsweise, ich muss zwei weiße Würfel einsetzen, um damit drei blaue Würfel herzustellen.
Alles, was ich hergestellt habe (in diesem Fall drei blaue Würfel), schiebe ich am Ende der Runde nach rechts. Meine Nachbarhexe muss es, wenn möglich, in ihren Bestand nehmen. Alles, was ich eingesetzt habe, geht verloren. Was meistens gar nicht schlecht ist, denn ich will ja nicht, dass meine Vorräte überlaufen.

Nun werden die Handkarten nach links weitergegeben, eine nachgezogen, wieder eine ausgespielt. Nach der zweiten Runde hat man also zwei Rezepte im Spiel, nach der dritten drei und so weiter. Und soweit der eigene Zutaten-Vorrat reicht, wird man üblicherweise auch alle Rezepte ausführen, um möglichst viel Zeug nach rechts rüberschieben zu können.
Reicht der Vorrat nicht aus, darf man auch Zutaten, die man im selben Zug hergestellt hat, benutzen, um die Voraussetzungen anderer Rezepte zu erfüllen. Das ist meist besser, als komplett auf die Ausführung des Rezepts zu verzichten. Aber natürlich ist es ärgerlich, denn man hätte auch diese Steine lieber der Nachbarhexe reingedrückt.


Was passiert? HEISSE HEXENKESSEL endet ziemlich schnell. Die meisten meiner Partien gingen nur über vier Durchgänge. Selten wurden es mal fünf. Mehr habe ich kein einziges Mal erlebt, obwohl ich HEISSE HEXENKESSEL in verschiedenen Runden mit unterschiedlicher Teilnehmer:innenzahl und sowohl mit Neuspieler:innen als auch Wiederholer:innen gespielt habe.
Und vier Runden, selbst fünf, empfinde ich als zu kurz. Bei irgendwem entsteht recht schnell in irgendeiner Farbe ein Überschuss, sagen wir in Blau. Und es ist auch nicht so, dass man das verpennt oder ignoriert: Man sieht das Unglück kommen, aber man bekommt eben nicht die Rezepte, um nennenswert blaue Zutaten loszuwerden. Und wenn die Person links ihre Produktion blauer Zutaten sogar noch steigern kann, ist man ruckzuck am Ende, und ich frage mich: Wozu der ganze Aufwand? Wo ist da der Spannungsbogen?
Ich erlebe in HEISSE HEXENKESSEL auch keine Abwägung zwischen Offensive und Defensive. Offensive ist klar am besten. Ob ich mein Zutatenlimit etwas überschreite, ist egal, Hauptsache, ich mache meine rechte Nachbarhexe platt.

HEISSE HEXENKESSEL geht erst dann über mehr Runden, wenn wirklich alle am Tisch die Züge durchrechnen und registrieren, dass da jemand kurz vorm Absaufen ist, und versuchen, der Person, die dann gewinnen würde, Zutaten gezielt vorzuenthalten. Man braucht dann eine Regelung, wer seine Rezepte im Zweifelsfall zuerst ausführen muss, und über Initiativwerte der gespielten Karten gibt es eine solche Regelung auch.
In meinen Runden wurde davon aber kein Gebrauch gemacht. HEISSE HEXENKESSEL wurde als schnell gespieltes Ärgerspiel verstanden, und es gab auch einige Spieler:innen die mit der kurzen Spieldauer und dem, was währenddessen passierte, völlig zufrieden waren.

Was taugt es? Vom Prinzip her gefällt mir HEISSE HEXENKESSEL. Man spielt nicht nebeneinander her, sondern steht im direkten Duell mit den beiden Nachbar:innen. Von links kommt lauter Übles, nach rechts möchte man möglichst viel Übles weitergeben. Mir gefällt die Aufmachung des Spiels und mir gefällt auch die Schadenfreude.
Für mein Empfinden ist das Spiel aber zu kurz. Es baut sich keine Spannung auf, sondern die Dinge geschehen einfach, brechen über die Opfer herein. Dass hier redaktionell nicht alles rund ist, zeigen mir auch die bislang nicht erwähnten Arkana-Effekte, die für wenig Auswirkung sehr viel Erkläraufwand verursachen – und beim Spielen (vielsagenderweise) dann doch ständig vergessen werden.


*** mäßig

HEISSE HEXENKESSEL von Erik Andersson Sundén für zwei bis fünf Spieler:innen, Leichtkraft / AEG.

Sonntag, 19. November 2023

Pyramido

Pyramiden, so alt sie sind, offenbaren bis in die Gegenwart noch Neues. Und was soll man sagen: Für Pyramiden als Spielthema, so abgehangen es ist, gilt das anscheinend ebenso.

Wie geht PYRAMIDO? Wir bauen mit Domino-Plättchen Pyramiden. Die unterste Lage besteht aus zehn Dominos, die zweite Lage aus sechs, die dritte aus drei, und die abschließende vierte Ebene enthält noch genau einen Domino-Stein.
Die meisten Dominos sind zweifarbig, manche einfarbig. Und jeder Domino zeigt zwei Wertungssymbole, entweder verteilt oder beide Symbole auf derselben Hälfte.

Ist eine Ebene fertig, wird geschaut, wie viele Wertungssymbole zu sehen sind. Bei der ersten Ebene werden das bei allen Spieler:innen logischerweise 20 sein – aber nicht alle Symbole werden auch gewertet. Pro Farbe werte ich nur eine Fläche. Und ich darf mir nicht mal aussuchen, welche. Sondern es wird die Fläche gewertet, auf der mein Marker liegt.
Marker wiederum kommen ins Spiel, wenn ich in einem Durchgang (der dem Legen einer Ebene entspricht) eine Farbe zum ersten Mal spiele. Diese Farbe muss ich markieren. Außer ich spiele gleich zwei Farben erstmalig. Dann markiere ich nur eine.
Pro Symbol der gewerteten Farbflächen bekomme ich einen Punkt. Meine schlechteste Farbfläche punktet doppelt. Deswegen kann es lukrativer sein, nicht alle Farben zu bauen. In oberen Ebenen wird dies zwangsläufig passieren.
Der entscheidende Kniff des Spiels ist, dass wir die Ebenen leicht versetzt bauen. Was in der ersten Ebene ganz außen liegt, bleibt auch nach dem Bau der zweiten Ebene sichtbar. Äußere Symbole können also erneut punkten, falls ich sie farblich passend anbinde.


Was passiert? Die Kombination versetztem Bauen und Wertungsmodalitäten ist originell. Trotz einfacher Regeln bietet PYRAMIDO im Genre der Domino-Legespiele tatsächlich noch etwas Neues. Wie clever das ausgedacht ist, merkt man erst beim Spielen.
Weil man Dominos angrenzend an bereits gelegte Dominos derselben Ebene legen muss, entstehen fiese Zwänge. Insbesondere ab der zweiten Ebene, wo ich bereits recht klare Wunschvorstellungen habe, welche Farbkombination mein Plättchen liefern soll. Immer wieder muss ich improvisieren und auch Abstriche machen.
Ein bisschen kann ich vorausplanen. Stets drei Bauteile liegen zur Auswahl. Und auch das jeweils oberste Teil der vier Nachziehstapel ist offen. Ich sehe also, was kommen könnte. Jedoch: Wenn ich etwas sehr, sehr gut gebrauchen kann, wird es vermutlich nicht kommen. Denn wer ein Teil baut, bestimmt, von welchem Stapel der Markt wieder aufgefüllt wird. Dass Mitspieler:innen mein Lieblingsteil hinlegen, ist unwahrscheinlich. Lege ich es selbst in den Markt, kann es jede:r wegschnappen, bevor ich wieder an die Reihe komme.

Dieser konfrontative Mechanismus macht das Spiel leider zäh. In meinen Partien war es oft so, dass Spieler:innen lange überlegt haben, wie sie anderen möglichst keine Vorlage geben. Jedes Plättchen im Markt ist mit exakt zwei Nachziehstapeln verknüpft. Beim Bauen des Teils darf ich nur von diesen Stapeln nachlegen. Deshalb kann sich das Vermeiden-Wollen einer Vorlage sogar darauf auswirken, welchen Domino ich bei mir anlege, was die Überlegungen mitunter noch mehr in die Länge zieht … und bei allem Grübeln, wie ich der Person nach mir schade, übersehe ich am Ende vielleicht, dass ich der Dritten oder dem Vierten am Tisch ein Spitzenteil serviere.
Zu zweit empfinde ich diesen Mechanismus als angemessen und gut funktionierend. Ich frage mich aber, ob in Spielen zu dritt und zu viert verdeckte Nachziehstapel, von denen man zufällig nachlegt, nicht die bessere Option gewesen wären. Dem Spielfluss täte es auf jeden Fall gut.

Was taugt es? Dass PYRAMIDO trotz seiner stringenten und reizvollen Bau- und Wertungsmechanik nicht über „solide“ hinauskommt, liegt noch an einer zweiten Sache, die mir nicht gefällt: der letzte Durchgang. Hier lege ich nur ein Teil und bin stark determiniert, was ich brauchen kann und was nicht. Meist macht es einen riesigen Punkteunterschied, ob ich ein optimales oder ein mittelmäßiges Teil erhalte.
Dreimal im Spiel darf ich mit einem Abdecker aus Papier eine Dominoseite umfärben. Und: Beim Umfärben darf ich auf beide Hälften des Plättchens einen Marker legen. Also werde ich bis zum Schluss die Papiere übrigbehalten, deren Farben mir in der vierten Ebene die meisten Punkte bringen. Doch pro Domino darf ich nur eine Hälfte umfärben. Mindestens eine Hälfte des abschließenden Teils muss eine meiner beiden Wunschfarben zeigen.
Mit Pech klappt aber nicht mal das. Obendrein hängt es von der Zugreihenfolge ab. In jedem Durchgang startet die Person, die im vorigen Durchgang die wenigsten Punkte gewonnen hat. Gespielt wird dann im Uhrzeigersinn. So kann jemand mehr oder weniger willkürlich in die letzte Position geraten und muss eventuell mit ansehen, wie Zug für Zug immer schlechtere Plättchen in den Markt gelegt werden. Bis wirklich gar nichts mehr passt.


**** solide

PYRAMIDO von Ikhwan Kwon für zwei bis vier Spieler:innen, Synapses Games.

Mittwoch, 15. November 2023

Mycelia

Neulich bei Ravensburger: „Ich habe eine Themen-Idee für unser Familienspiel mit den blauen Steinen!“ – „Dann man tau!“

Wie geht MYCELIA? Wir wollen die blauen Steine loswerden, die verstreut auf verschiedenen Feldern unserer Tableaus liegen. Dazu müssen wir sie auf ein Feld verschieben, das sich „Schreinfeld“ nennt. Der Schrein ist der Ausgang. Wer sich zuerst aller Steine entledigt, gewinnt.
MYCELIA ist ein Deckbau-Spiel. Alle starten mit denselben sechs Karten. Zufällige drei davon habe ich pro Zug auf meiner Hand, spiele und führe sie aus und lege sie auf meinen Ablagestapel. Für den nächsten Zug ziehe ich drei neue Karten vom Ziehstapel. Geht das nicht, mische ich meinen Ablagestapel und mache ihn zum Ziehstapel.
Zum klassischen Prinzip eines Deckbauspiels gehört, dass man Karten hinzukaufen kann. So ist es auch in MYCELIA. Einige Karten bringen beim Ausspielen „Blätter“, und Blätter sind die Währung, um damit Karten aus dem wechselnden Angebot zu erwerben. Sie sind stärker als die Karten des Startdecks, beispielsweise erlauben manche von ihnen, Steine an Ort und Stelle zu vernichten, ohne den mitunter langen Weg zum Ausgang nehmen zu müssen.

Meine Startkarten ermöglichen lediglich, einen Stein von einem blauen Feld herunterzuziehen. Oder von einem grünen. Oder von einem roten. Allein mit den Startkarten käme ich also sehr langsam voran. Oder teilweise gar nicht, denn ich besitze keine Karten, um Steine von braunen Feldern herunterzuziehen.
Die stärkeren Karten, die ich hinzuerwerbe, sind oft an Bedingungen geknüpft, um sie vollständig nutzen oder überhaupt nutzen zu können. Beispielsweise erlauben sie, dass ich auf einem roten Feld meiner Wahl bis zu drei Steine vernichte – aber nur, wenn dort wenigstens zwei Steine liegen. Oder ich bekomme ein Blatt und darf einen Stein auf einem beliebigen Feld vernichten – auf dem jedoch auch nur exakt ein Stein liegen darf. Oder ich darf auf allen vier Nachbarfeldern eines Steines je einen Stein vernichten – aber nur, wenn der zentrale Stein einzeln auf seinem Feld liegt.
Alle entfernten Steine sammeln wir auf einem Pappgebilde, das ebenfalls „Schrein“ heißt. Ist abhängig von der Spieler:innenzahl eine bestimmte Menge Steine beisammen (was pro Partie meist dreimal vorkommt), darf irgendwer einen Mechanismus auslösen, der nicht nur die gesammelten Steine auf die Tischplatte kullern lässt, sondern auch einen Würfel, der bestimmt, wo auf ihrem Tableau alle Spieler:innen einen oder zwei neue Steine hinzubekommen. Längst aufgeräumte Ecken können also noch mal wieder vollgemüllt werden.


Was passiert? Aufgrund der niedlichen Optik (die meisten Karten zeigen vermenschlichte Pilzwesen) könnte man MYCELIA unterschätzen. Trotz relativ einfacher Regeln steckt dann aber doch Tiefe drin. Irgendwelche Karten zu kaufen und dann zu schauen, was sich so ergibt, ist eine schlechte Idee.
Will ich gewinnen, sollte ich erstens die Erfordernisse meines Spielplans berücksichtigen: Auf welchen Farbfeldern liegen viele Steine herum? Auf welche Farben lassen sich die Steine leicht ziehen? Ich sollte mir auch merken, welche Karten ich schon gekauft habe, um die Neuerwerbungen darauf abzustimmen. Und ich sollte mir erst recht merken, welche Karten in meinem Zielstapel noch kommen werden. Besitze ich die oben beschriebene, die ausgehend von einem zentralen Stein vier Nachbarsteine abräumen kann, wäre es ja klug, beizeiten eine entsprechende Konstellation auf meinem Brett herzustellen.
Dass man nicht sicher weiß, welche Karte wann auf die Hand kommt, und dass man im Markt Brauchbares oder auch weniger Brauchbares vorfinden kann, ist in MYCELIA der Glücksanteil. Abgesehen natürlich vom Würfel, der Erträgliches oder Ärgerliches beschert.


Was taugt es? Den Pappschrein empfinden manche als überflüssiges Gimmick. Mich stört er nicht. Er gewährleistet durch seine Sortierfunktion immerhin, dass man nie den Zeitpunkt verpasst, wann gewürfelt werden muss.
Eher schon fiel in meinen Partien negativ auf, dass die Symbolik, so logisch und eindeutig sie ist, nicht direkt in Fleisch und Blut übergeht. Es gibt immer wieder Nachfragen. Ein entscheidendes Manko ist aber auch das nicht.
Obwohl ich Deckbau mag und obwohl ich dessen Verknüpfung mit Fortbewegung auf einem Spielplan reizvoll finde, werde ich mit MYCELIA nicht warm. Ganz klar würde ich das wesentlich konkretere WETTLAUF NACH EL DORADO bevorzugen. Ich glaube, die starke Abstraktion verhindert, dass ich mehr ins Spiel hineingezogen werde.
Die grünen Felder sollen Moos darstellen, die braunen Felder Erde. Aber ich bin beim Spielen nie auf die Idee gekommen, tatsächlich im Wald zu sein. Oder irgendwas zu spielen, das mit Wald zu tun hat. Oder mit Pilzen. Oder mit Tautropfen (so heißen die blauen Steine nämlich offiziell). So entsteht bei mir wenig Beziehung zu dem, was ich hier tue. Ich bin mit dem Kopf, aber nicht mit dem Herzen dabei.
MYCELIA ist redaktionell gut gemacht. Gut finde ich, dass Karten mit höherem Schwierigkeitsgrad markiert sind und je nach Erfahrung der Spielerunde ein- oder aussortiert werden können. Gut finde ich auch, dass es neben einem Standardtableau noch individuelle Boards gibt, auf denen man mit unterschiedlichen Voraussetzungen startet. Vieles an MYCELIA ist mir sympathisch. Die Neugierde auf Folgepartien ist trotzdem eher mittel.


**** solide

MYCELIA von Daniel Greiner für eine:n bis vier Spieler:innen, Ravensburger.

Dienstag, 7. November 2023

Heat

Zu Autorennen fällt mir ein: Ich finde sie bekloppt! Doch wenn ich weiterdenke: Eigentlich würde ich fast nichts, womit ich mich in Spielen beschäftige, auch in der Realität tun wollen. Ich möchte nicht Pyramiden bauen, nicht mit Geistern kommunizieren, nicht Drachen hüten, nicht auf Kaperfahrt fahren, nicht in Dungeons gegen Monster kämpfen, nicht Rinderherden treiben, nicht Königreiche verwalten, nicht den Mars terraformen und so weiter.
Spielwelten, sagt man, seien eine Flucht aus der Realität. Bei mir scheint es umgekehrt zu sein: Meine deutlich unspektakulärere Realität ist die Flucht aus diesen Spielwelten.


Wie geht HEAT? Wir fahren ein Autorennen. Vier verschiedene Kurse stehen zur Wahl. Wer das Rennen gewinnt, gewinnt HEAT.
Unsere Wagen bewegen wir mit Karten voran. Sieben Karten habe ich auf der Hand. Der eingeschaltete Gang bestimmt, ob ich eine, zwei, drei oder vier davon (zunächst verdeckt) spiele. Die Wagen ziehen dann, beginnend beim vordersten, Felder entsprechend der Zahlensumme der gelegten Karten.
Genutzte Karten kommen auf meinen Ablagestapel. Vom Ziehstapel ziehe ich wieder auf sieben Karten hoch. Geht das nicht, mische ich meinen Ablagestapel und mache ihn zum Ziehstapel. Es ist das klassische Prinzip eines Deckbauspiels.
In HEAT allerdings verändert sich das Deck während eines Rennens nur insofern, dass negative Hitzekarten ins Deck gelangen oder ich sie wieder herauskühle. Hitzekarten bekomme ich, wenn ich um gleich zwei Gänge hoch- oder runterschalte. Und vor allem, wenn ich zu schnell durch Kurven rase. Jede Kurve zeigt einen Richtwert. Pro Differenz zwischen meiner Geschwindigkeit und diesem Wert muss ich eine Hitze nehmen. Presche ich also mit 7 durch eine Vierer-Kurve, macht das drei Hitze.
Muss ich Hitzekarten ins Deck nehmen und habe keine mehr in meinem Vorrat, gerät mein Wagen ins Schleudern. Er wird vor die Kurve zurückgesetzt, und ich erhalte obendrein eine Stresskarte in mein Deck.
Stresskarten sind, wie ihr Name erahnen lässt, unerfreulich. Spiele ich eine, addiert sie einen zufälligen Wert zu meiner Geschwindigkeit: Ich decke Karten von meinem Ziehstapel auf, bis ich eine Zahl finde. Sie gilt nun.
Warum spielt man Stresskarten überhaupt? Man kommt irgendwann nicht darum herum. Drei hat man von Beginn an, sie sammeln sich mit Hitze in der Hand und schränken die Möglichkeiten ein. Um sie von der Hand zu kriegen, spielt man sie.
Hitze wird man nur durch Kühlen los. Fahre ich maximal im zweiten Gang, darf ich Hitze von meiner Hand in meinen Vorrat zurücklegen. Bin ich an letzter Position (ab fünf Personen reicht auch die vorletzte), darf ich ohnehin einmal pro Zug kühlen.


Was passiert? HEAT erfordert Handmanagement. Auf einer langen Geraden kann ich Stresskarten meist gefahrloser spielen als in scharfen Kurven. Und wenn ich nicht gerade kurz vorm Nachmischen bin, kann ich obendrein ganz gut einschätzen, ob ich wahrscheinlich eher hohe oder eher niedrige Werte aufdecken werde. Auch wenn man hereinfallen kann: Es ist kein reines Glück.
Auch der Umgang mit Hitzekarten erfordert Taktik. Mit allzu konservativer Fahrweise gewinnt man bei HEAT nicht, Hitze sammelt sich zwangsläufig. Aber es ist eine Abwägung: Wann lohnt es sich, Hitze in Kauf zu nehmen? Wann kann ich sie wieder runterkühlen, ohne im Rennen zurückzufallen?
Entscheidend sind die Kurven: Komme ich durch eine scharfe Dreier-Kurve gerade so durch, kann ich ab dem nächsten Zug wieder beschleunigen, während die Konkurrenz, die vielleicht auf dem letzten Feld vor der Kurve hängengeblieben ist, nur mit Geschwindigkeit drei weiterfahren kann oder sich ordentlich Hitze auflädt. Wie perfekt ich durch die Kurve komme, hat teilweise natürlich auch mit dem Glück zu tun, im entscheidenden Moment das Passende auf der Hand zu haben. Es hat aber auch damit zu tun, wie man sich positioniert und wie man an eine Kurve heranfährt.
Womit ein zweiter wichtiger Faktor ins Spiel kommt: Windschatten. Wessen Zug direkt hinter oder direkt neben einem anderen Auto endet, darf zwei Schritte mehr gehen. Das will man möglichst oft erreichen, also dreht es sich beim Ausspielen der Karten auch immer um die Frage, wie weit die Fahrzeuge vor mir ziehen werden. Und bin ich selber führend: ob und wie ich so fahren kann, dass niemand von meinem Windschatten profitiert.


Was taugt es? Mit relativ einfachen Prinzipien und cleveren Mechanismen erzeugt HEAT spannende Rennatmosphäre. Die Rennen können sich insbesondere in Vollbesetzung aber etwas in die Länge ziehen. Auch systembedingt. Denn der Hitze-Mechanismus trägt erst, wenn das Blatt mehrere Male durchgespielt wird. Außerdem hat ein Autorennen nun mal eine andere Dramaturgie als ein Hundertmeterlauf.
Für meinen Geschmack ist der Faktor Windschatten zu dominant. Zu vieles dreht sich darum, ob man sich zwei Extraschritte erschnorren kann oder nicht. Wegen des Windschattens kann sich früh im Rennen niemand entscheidend absetzen. Die anderen holen durch gegenseitige Windschattenunterstützung meist wieder auf. Umgekehrt hat man es schwer, sobald man vom Pulk abreißt. Zwar darf das Auto an letzter Position immer einen zusätzlichen Schritt fahren. Dennoch fährt man ohne die Chance auf hin und wieder zwei Gratisschritte durch Windschatten lange hinterher.

Toll finde ich, was die Box außer den Grundregeln noch alles mitliefert. Insbesondere sind dies Upgrade-Karten, die Teile unseres Standard-Decks ersetzen. Jede:r fährt nun mit einem individuellen Karten-Set, das Strategieanpassungen erfordert. Im Modul „Meisterschaft“, das über mehrere Rennen ausgetragen wird, wird der Wagen von Rennen zu Rennen immer stärker und komplexer. Man kann sich obendrein durch besondere Fahrmanöver „Sponsorenkarten“ verdienen, die ebenfalls das Deck verbessern, aber nach ihrer Verwendung wieder abgegeben werden müssen.
Um das Feld aufzufüllen, kann man Autos mitfahren lassen, die (sogar einigermaßen sinnvoll) vom Spiel gesteuert werden. Man kann die Streckenbedingungen verändern, man kann mit Wettereffekten spielen. Auch wenn dies eine ganze Menge mehr Regeln ins Spiel bringt und sich nur an Menschen richtet, die häufig HEAT spielen: All das rundet das Spiel als Gesamtpaket gelungen ab. Und natürlich finde es gut, wenn Autoren und Verlag einplanen, dass ihr Spiel häufig gespielt wird. Das sollte der Anspruch sein.


***** reizvoll

HEAT von Asger Harding Granerud und Daniel Skjold Pedersen für eine:n bis sechs Spieler:innen, Days of Wonder.

Freitag, 3. November 2023

Vor 20 Jahren (131): Iglu Pop

Schütteln und horchen. Im Jahr 2000 erschien bei Zoch ZAPP ZERAPP von Heinz Meister und Klaus Zoch. Das Spiel beinhaltete 13 kleine Holztonnen mit jeweils einer bis 13 Metallkugeln darin. Am Gewicht und am Schüttelgeräusch konnte und sollte man die Zahl der Kugeln erraten. Um dann als Belohnung auf dem MENSCH-ÄRGERE-DICH-NICHT-artigen Rundparcours schnell voranzukommen und alle drei Figuren ins sichere Häuschen zu bringen.

Gezogen wurde so: Irgendwer würfelte zwei Würfel. Nun versuchten alle gleichzeitig, die beste Tonne zu finden: eine, die möglichst viele Steine enthielt – aber tunlichst nicht mehr als die gewürfelte Zahl. Im Findungsprozess griff man sich irgendeine Tonne aus der Spielplanmitte und schüttelte sie. Man behielt sie entweder und beendete damit diese Spielphase für sich. Oder stellte sie zurück und suchte nach einer besseren.

Waren alle fertig, wurde anhand der Nummerierung auf der Tonnenunterseite überprüft, wer sich verzockt hatte und zur Strafe gar nicht gehen durfte. Alle anderen zogen mit einer Figur so viele Felder, wie ihre Tonne Steine hatte; die höchste Zahl zog zuerst. Unterwegs warf man raus, und zwar sämtliche fremde Figuren, die man ein- oder überholte (außer sie standen auf Schutzfeldern). In einem einzelnen Zug konnte es also reichlich Opfer geben.

ZAPP ZERAPP erhielt wohlwollende Kritiken, es wurde sogar 2001 für die Wahl zum Spiel des Jahres nominiert. Ich hatte mir ZAPP ZERAPP von der 2000er Messe in Essen mitgebracht und war wegen seiner Originalität und herzallerliebsten Gestaltung ebenfalls vorfreudig gestimmt: Wenn das kein tolles Spiel für Empfehlungen in Tageszeitungen war, welches dann?

Jedoch: Von Partie zu Partie verschlechterte sich mein Eindruck. ZAPP ZERAPP war ein Blender. Ich kann nicht mehr exakt sagen, was mir missfallen hat; dazu ist es zu lange her. Mit 85-prozentiger Trefferwahrscheinlichkeit würde ich aber meinen, dass die Partien zu lange dauern konnten, zu destruktiv und für einige frustrierend verliefen und mit unnötigen Hakeleien vom eigentlichen Kern wegführten: dem Schütteln und dem Horchen.


2003 erschien vom selben Autorenduo IGLU POP und machte alles viel besser. Der ganze Regelballast rund um den Parcours, das Ziehen, das Rauswerfen, dessen Ausnahmen und so weiter: all das fiel weg. Es lagen jetzt neun Karten mit bis zu drei Zahlenwerten aus („12“, „3, 4, 5“ etc.), man schüttelte Plastik-Iglus mit Kügelchen drin, und wenn man der Meinung war, das Iglu enthalte zwölf Kugeln, markierte man es mit der eigenen Spielfarbe und stellte es auf die Karte „12“. Oder – falls sie auslag – sicherheitshalber nur auf die Karte „10, 11, 12“, was im Erfolgsfall aber weniger Punkte brachte.

Chaotisches Gegrabbel, Abwägungen unter Zeitdruck, peinliche Fehleinschätzungen: IGLU POP war schneller und direkter als sein Vorgänger, natürlich auch eindimensionaler. Aber es machte Spaß, während ZAPP ZERAPP den Spaß oft verdorben hatte. IGLU POP funktionierte bestens als Partyspiel, und ich habe es sogar schon mal auf einer Party gespielt. Ein Freund, der unerlaubterweise in eine andere Stadt und damit aus meiner Spielerunde weggezogen war, brachte IGLU POP an seinem Geburtstag auf den Tisch. Er verteilte seine Gäste, damit sie sich besser kennenlernten und nicht in ihren Cliquen verharrten, auf gemischte Teams und ließ sie ein Turnier mit LOOPING LOUIE, KLONDIKE, CARABANDE und IGLU POP durchlaufen.

Die Idee war, die Spiele so zu wählen, dass nicht zwangsläufig die Vielspieler:innen gewinnen. Das Ergebnis zeigte dann aber: Vielspieler:innen gewinnen trotzdem. Vielleicht sind sie einfach in allem Spielerischen geübter. Oder sie sind schlichtweg ehrgeiziger und müssen selbst bei Daddelkram unbedingt vorne landen. Dem Abend hat es nicht geschadet. Wir haben uns besser kennengelernt, verharrten nicht in unseren Cliquen, und die Spiele wurden nach dem Turnier noch weitergespielt.


Dienstag, 31. Oktober 2023

Gern gespielt im Oktober 2023

E-MISSION: Dieses Spiel verhindert, wenn gewonnen, zig andere, die in einer apokalyptischen Welt nach dem Untergang der Menschheit spielen. Danke allein schon dafür!

PASST NICHT: MAU-MAU in schlau.

KARVI: Seefahrt als Brotberuf.

MY ISLAND: Weil Inselwissen bekanntermaßen gefährlich ist, wird hier nichts verraten.

GET IT: Bitte lächeln!







UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM OKTOBER:

THE SAME GAME: Den hitzigen Diskussionen entnehme ich, wie überfällig die Klärung der Frage war, ob es weltweit mehr Kletterseile gibt oder Zahnimplantate.





Montag, 30. Oktober 2023

My Island

Wenn ich als Rezensent eines Tages etwas erfahrener bin, unterläuft mir bestimmt nicht mehr der doofe Fehler, ein Legacy-Spiel erst dann zu fotografieren, wenn das meiste Material bereits beschrieben oder mit Aufklebern versehen ist. Versprochen!

Wie geht MY ISLAND? So ähnlich wie MY CITY, das schon so ähnlich wie FITS ging: Eine Karte vom Stapel bestimmt, welches Legeteil wir alle in unser Raster einbauen müssen. Auf Kosten eines Minuspunkts können wir das Einbauen auch verweigern. Das sollte man aber nicht zu häufig tun, weil sonst leere Felder bleiben, die negativ zählen.

Die Teile bestehen in MY ISLAND aus zwei bis vier Sechseckfeldern statt zuvor Viereckfeldern. Und sie sind nicht mehr einfarbig, sondern zwei-, drei- oder vierfarbig. Die Bauregeln sind in der Praxis verflixter, als sie sich beim Regelstudium anhören: Man muss immer benachbart legen zu dem, was man schon hat. Und mindestens eine Farbe des neuen Teils muss an dieselbe Farbe eines schon vorhandenen Teils angrenzen. (Außer natürlich beim allerersten Teil). Das schafft mitunter gemeine Zwänge. Am Anfang der Partie muss man mit der Leere des Spielplans klarkommen. Man ist in seiner Startecke gefangen und möchte sich schnell ausbreiten, um mehr Anlegemöglichkeiten zu schaffen. Gegen Ende muss man immer mehr mit der Enge klarkommen.
Wie MY CITY ist auch MY ISLAND ein Legacy-Spiel, was bedeutet, dass sich durch den Ausgang einer Partie die Voraussetzungen für die nächste ändern. Wer gewinnt, erhält Punkte für die Schlusswertung. Wer nicht gewinnt, bekommt meist irgendeinen Ausgleich, beispielsweise in Form eines hilfreichen Aufklebers auf dem Tableau oder auf einem der Legeteile. Oder wer gewinnt, kriegt nebst Punkten auch irgendein Hindernis für die Zukunft.
Gespielt werden 24 Partien. Regeln und Materialien für jeweils drei Partien befinden sich in einem von acht Umschlägen. Jeder Umschlag stellt ein Kapitel dar, in dem alle drei Partien demselben mechanischen Leitgedanken folgen.


Was passiert? MY ISLAND ähnelt MY CITY. Das Spielgefühl ist dasselbe. Von Umschlag zu Umschlag steigert sich der Schwierigkeitsgrad. Es geht nicht immer nur darum, lückenlos die Fläche vollzupuzzeln und bestimmte Muster zu legen. Nebenbei gibt es Wettrennen, Zwischenziele und übergeordnete Aufgaben, die sich über mehrere Partien ziehen. Dieser Aspekt ist sogar noch ausgeprägter als in MY CITY, und ich finde das sehr gut gemacht. So sind es nicht einfach beliebig aneinandergereihte 24 Partien, die in Summe eine Siegpunktzahl ergeben. Die längeren Spannungsbögen verknüpfen mehrere Partien zu einer Komposition.
Trotz Ähnlichkeit zu MY CITY wiederholt MY ISLAND aber nicht einfach dieselben Bauaufgaben, jetzt eben nur mit Sechseckplättchen. Im Detail ist alles neu. Und: Es ist komplexer. Allein schon das Material ist komplexer. In vielen Partien, vor allem in den ersten Kapiteln, als man sich der Gefahr noch nicht so bewusst war, passierte es, dass jemand ein falsches Teil eingebaut hatte, was erst später bemerkt wurde und schwer rückgängig zu machen war.
Auch die Aufgaben sind komplexer. Teilweise muss man sehr viele Ziele gleichzeitig im Blick haben, mehr als man erreichen kann. Eine wesentliche Herausforderung besteht deshalb darin, zu filtern und sich auf das Machbarste und Wichtigste zu fokussieren. Benötigt man anfangs für eine Partie noch nicht die angegebenen 30 Minuten, geht es später durchaus in Richtung 60 Minuten. Weil man wirklich nachdenken und knobeln muss. Selbst erfahrene Spieler:innen.


Was taugt es? Dass Zurückliegende einen Ausgleich bekommen, führt nicht zu Beliebigkeit. Und auch wenn das Finale den Spielstand noch gehörig durcheinanderwirbeln könnte, zeichnet sich in ungleich spielstarken Gruppen recht bald ab, wer gewinnen wird und wer nicht. Aber das System gewährleistet immerhin, dass auch Zurückliegende Punkte machen werden und einzelne Partien gewinnen oder Platz zwei erreichen.
Im Vergleich zu MY CITY finde ich die Aufgabenstellung in MY ISLAND noch etwas raffinierter und herausfordernder. Andererseits finde ich die Thematik in MY CITY schlüssiger. In ganz groben Zügen erzählt das Spiel reale Stadtbaugeschichte, MY ISLAND bietet dagegen nur eine austauschbare Mystery-Story.
Alles in allem nehmen sich beide Spiele nicht viel. Wer MY CITY mochte, wird voraussichtlich auch MY ISLAND mögen. Und wer nicht, der nicht.
Wer nur zu zweit ist, kann die Kampagne mit einem Exemplar von MY ISLAND gleich doppelt durchspielen. Der Verlag hat extra Aufkleber beigelegt, um bestimmte Komponenten in ihren Ursprungszustand zurücksetzen zu können.


***** reizvoll

MY ISLAND von Reiner Knizia für zwei bis vier Spieler:innen, Kosmos.

Donnerstag, 26. Oktober 2023

Tiwanaku

Wer schreibt, TIWANAKU basiere auf einem abstrakten Logikrätsel, hat es offenbar nicht kapiert. In Wahrheit geht es bei TIWANAKU um eine Andengöttin, die das Volk auf der Suche nach fruchtbarem Land in unbekanntes Gebiet leitet. Damit erklärt sich übrigens auch das Vorhandensein eines goldenen verzierten Drehrades: Göttinnen haben goldene verzierte Drehräder.

Wie geht TIWANAKU? Das Spiel basiert auf einem abstrakten Logikrätsel. Bei Spielbeginn ist uns der Spielplan weitgehend unbekannt. Wir versuchen kompetitiv (in einer Variante auch kooperativ) herauszufinden, wie er aufgeteilt ist.
Erstens gibt es auf dem Spielplan farbige Gebiete der Größe eins bis fünf. Wir wissen, dass sich gleichfarbige Gebiete nie berühren, auch über Eck nicht. Und weil zu Spielbeginn eine vom Szenario vorgegebene Menge Plättchen bereitgelegt wird, wissen wir auch, wie viele Felder welcher Farbe es insgesamt gibt.

Zweitens trägt jedes Feld jedes Gebietes eine Zahl. In Gebieten mit fünf Feldern gibt es alle Zahlen von eins bis fünf exakt einmal, in vierfeldrigen Gebieten gibt es alle Zahlen von eins bis vier. Und so weiter. Gleiche Zahlen verschiedener Gebiete liegen niemals nebeneinander, auch nicht diagonal.
Ein paar Felder samt Zahlen werden beim Spielaufbau schon platziert. Nun sind wir abwechselnd an der Reihe. Wer am Zug ist, bewegt eine eigene Figur. Man darf nicht über Felder ohne Plättchen hinwegziehen, aber dort stehenbleiben. Dann wird enthüllt, welche Farbe der Untergrund hier hat. Ich bekomme Punkte.
Alternativ darf ich auch versuchen, die Zahl eines Feldes zu nennen, auf dem eine meiner Figuren steht. Stimmt meine Vorhersage, gewinne ich Punkte und darf die Zahl eines weiteren Feldes nennen, auf dem ich stehe. Ansonsten Minuspunkte und Zug vorbei.


Was passiert? Zur Überprüfung nutzen wir sowohl bei den Untergrundfarben als auch bei den Zahlen ein Drehrad, in das wir bei Spielbeginn ungesehen die zum Szenario gehörende Pappscheibe eingebaut haben. Außer dass es Atmosphäre bringt, hat das Rad allerdings einige Nachteile: Der Ein- und Ausbau der Scheiben geht nicht gerade leicht von der Hand. Mein Rad hat schon ziemlich gelitten.
Ab und zu öffnet irgendwer versehentlich das falsche Sichtfenster oder vergisst, das Sichtfenster nach dem Zug wieder zu schließen. Vielleicht sieht man dann etwas, das man gar nicht sehen durfte. Aber nicht immer, denn: In den kleinen Sichtfensterchen ist die Information ohnehin schwer zu erkennen.
Auch die Mechanismen empfinde ich nicht als optimal. Figuren können sich gegenseitig blockieren. Das ist offenbar taktisch gemeint, hat sich in meinen Partien aber eher destruktiv ausgewirkt. Manchmal ist man gezwungen, eine Figur wieder aus dem Raster herauszuziehen, was einfach nur ein verlorener Zug ist. Und manchmal hätte man eine tolle Idee, wo man gerne hinziehen wollte, aber das Feld ist nur für andere Spieler:innen erreichbar. Aber nicht, weil sie das schlau vorhergesehen und geplant hätten. Sondern weil es sich so ergeben hat.

Und schließlich: die umständliche Wertung. Für Gebietsfarben punkte ich dann besonders stark, wenn ich Farben möglichst gleich häufig entdecke. Abgesehen davon, dass das oft auch einfach Glückssache ist, müssen für die Statistik, wer welche Farben bislang wie oft entdeckt hat, viele Marker in einer großen Tabelle verwaltet werden. Und das für ein paar Pünktchen, die oft keinen Ausschlag geben. Den größten Teil der Punkte bringen üblicherweise die Zahlen.
Und auch hier ist vieles Glückssache. Es kann sich herausstellen, dass ich auf einer Vier oder Fünf stehe, was ich beim Hinziehen noch überhaupt nicht ahnen konnte. Und eine Vier oder Fünf richtig zu benennen, bringt nun mal am meisten Punkte, nämlich vier bzw. fünf. Das Spiel versucht da einen Ausgleich herzustellen, indem man auch punktet, wenn man möglichst viele verschiedene Zahlen vorhersagt, doch in meinen Partien hat sich das nicht nennenswert ausgewirkt. Um viele verschiedene Zahlen vorhersagen zu können, brauche ich nun mal unweigerlich trotzdem die Vier und / oder Fünf.
Den Glücksfaktor an sich finde ich gar nicht schlimm, auch nicht, dass man manchmal schlicht zum Raten gezwungen ist oder den Mitspieler:innen Vorlagen gibt. Nur passt der Aufwand von TIWANAKU für mich nicht zur spielerischen Tiefe.

Was taugt es? Das SUDOKU-artige Rätsel an sich mag ich. Es macht mir Spaß, aus den offen liegenden Informationen kombiniert mit den Gesetzmäßigkeiten Schlussfolgerungen abzuleiten und dabei vielleicht ein Detail mitzubedenken, das die anderen noch übersehen.
Der Versuch, hieraus ein großes Brettspiel zu machen, scheint mir allerdings nicht ganz geglückt. Regel, Wertungen und Handling machen alles nur aufwendiger, aber nicht reizvoller. Dabei ist TIWANAKU als abstraktes Logikrätsel eigentlich elegant und klar.


*** mäßig

TIWANAKU von Olivier Grégoire für eine:n bis vier Spieler:innen, Sit Down!