Mittwoch, 25. Juni 2025

Brilliant

Brilliant: Cover

Eins vorweg: Dieses Spiel ist auf jeden Fall brillanter als diese Einleitung.

Wie geht BRILLIANT? Irgendwer würfelt, alle schreiben. „Roll & Write“ nennt man das. Unsere Blätter zeigen ein siebenmal sieben Felder großes Raster. Gleichfarbige Felder bilden ein Gebiet. In Level 1 etwa gibt es zwei rote Gebiete mit je sechs Feldern und zwei blaue mit je vier Feldern. Mein Ziel ist es, solche Gebiete komplett zu befüllen – und das auch noch schneller als die Konkurrenz. Dafür gibt es Punkte.
Gefüllt werden die Felder mit Zahlen. Zwei Würfel geben vor, welche Zahl ich eintragen darf. Sind Eins und Drei geworfen, bedeutet das: Ich darf entweder eine Drei auf einem Feld neben einer bereits vorhandenen Eins eintragen. Oder eine Eins neben einer bereits vorhandenen Drei. Auch die Feldfarbe nimmt Einfluss: Alle Zahlen in einem roten Gebiet müssen verschieden sein, alle in einem blauen Gebiet gleich. Und so weiter.
Obwohl die Würfel zwölfseitig sind, gibt es nur Zahlen von Eins bis Sechs. Die Würfel sollen offenbar an grüne Brillanten erinnern.


Brilliant: Zettel

Was passiert? Irgendwer würfelt, alle schreiben. Aber vorher suchen wir noch. Zu Beginn, wenn unser Raster nur einmal die Zahlen von Eins bis Sechs enthält, ist noch viel Platz. Jede Zahl hat freie Nachbarfelder. Dass man einen Wurf nicht verwenden kann, kommt noch nicht vor.
Aber natürlich wird es immer enger. Die Farbvorgaben schränken mich zunehmend ein. Wenn im roten Gebiet nur noch ein Feld frei ist, muss dort eine ganz bestimmte Zahl hin. Nämlich die einzige, die noch fehlt. Und die muss dann erst mal gewürfelt werden, und dann auch noch (damit ich sie dort eintragen darf) zusammen mit einer anderen Zahl, die sich neben diesem leeren Feld befindet.
Trage ich eine bestimmte Zahl (sagen wir: die Vier) nur selten ein, etwa weil die Vier nicht so oft gewürfelt wird oder weil, wenn doch, ich überwiegend die andere Zahl wähle, engt mich auch das ein, weil ich immer weniger freie Felder neben Vieren haben werde.
Und deshalb suche ich, bevor ich schreibe. Um überhaupt Möglichkeiten fürs Eintragen zu finden. Und wenn es mehrere gibt, um abzuwägen, welches die beste ist. Einerseits geht es um Raumgewinn. Je mehr ich mich in meinem Raster ausbreite, desto bessere Möglichkeiten schaffe ich mir für die Zukunft. Zweitens geht es um Tempo. Weil ich Gebiete möglichst als Erster abschließen will, hängen meine Entscheidungen auch davon ab, wie weit die Konkurrenz gekommen ist und in welchen Gebieten ich mir demzufolge die besten Chancen ausrechne. Und drittens geht es um Effizienz. Es bringt nichts, alle Gebiete befüllen zu wollen. Das Spiel ist vorher vorbei. Optimalerweise konzentriere ich mich auf nur einige Gebiete, um sie zu komplettieren.
Wofür – wenig überraschend – auch das Glück mitspielen muss. BRILLIANT ist nun mal ein Würfelspiel.


Brilliant: Zettel 2

Was taugt es? BRILLIANT bringt eine neue Eintrage-Regel ins Genre der „Roll & Write“-Spiele – die allerdings ein bisschen um die Ecke gedacht ist. Einige Mitspieler:innen hatten Schwierigkeiten, regelkonform zu spielen. Ich musste ziemlich oft helfend oder korrigierend eingreifen, was mir zeigt, dass diese Regel nicht so intuitiv ist.
Vier Level (also vier verschieden gestaltete Raster), in denen BRILLIANT gespielt werden kann, variieren das Spiel. Am Spielgefühl ändern sie aber wenig. In den höheren Levels sind die Gebiete größer, das Spiel dauert länger. Mir gefällt das etwas besser, weil es mir das Gefühl gibt, mehr gestalten zu können (was auch Einbildung sein kann). Mit Anfänger:innen würde ich trotzdem auf Level 1 oder 2 einsteigen.
Man ist gefordert, man sucht, man puzzelt: Ich spiele BRILLIANT gern, aber an die besten Roll & Writes kommt es dann doch nicht ganz heran, auch nicht an Ralf zur Lindes leider unterschätztes DIZZLE.
Die Spannungskurve und die emotionale Involviertheit sind nicht so hoch wie bei manch anderen Roll & Writes, die mir mehr das Gefühl geben, mit anderen zu konkurrieren, beispielsweise indem wir uns in irgendeiner Form einen gemeinsamen Würfelpool teilen (und gegenseitig wegnehmen).
Auch die Hin- und Hergerissenheit zwischen ähnlich guten Optionen empfinde ich in BRILLIANT als nicht ganz so ausgeprägt. Hier geht es mehr darum, gute Optionen nicht zu übersehen. Und oft habe ich sowieso einen klaren Plan A und warte, bis endlich die passende Würfelkombination auftaucht. Bei aller Originalität ist BRILLIANT dann doch wiederholend. Nach Level 1 bis 4 bin ich nicht überzeugt, dass potenzielle Level 5 und höher da noch mal mehr herauskitzeln könnten.


**** solide

BRILLIANT von Ralf zur Linde für eine:n bis sechs Spieler:innen, Ravensburger.

Samstag, 21. Juni 2025

Castle Combo

Castle Combo: Cover

Die Klimakatastrophe bedeutet unweigerlich Verlust: Verlust von Sicherheit, Verlust von Wohlstand, Verlust von Lebensqualität, Verlust von Lebensräumen. Was wiegt da der Verlust von Einleitungen?

Wie geht CASTLE COMBO? Jede Runde kaufe ich eine Karte und lege sie in mein Raster, das am Schluss die Größe dreimal drei hat. Die Karten kosten zwischen null und sieben Münzen, haben Sofort- (ich bekomme Geld oder Schlüssel) oder Dauereffekte (Rabatte für weitere Karten) und zählen Punkte, sofern die Bedingungen dafür erfüllt sind.
Der Kanonier zählt zwei Punkte pro rotes Wappen in seiner Spalte (er selbst bringt auch ein rotes Wappen mit), die Goldschmiedin bringt sechs Punkte, falls sie in der linken Spalte meines Rasters liegt, der Templer zählt einen Punkt pro Schlüssel in meinem Besitz und die Bildhauerin je zwei Punkte für bis zu sieben Münzen, die ich bei Spielende noch habe. Insgesamt gibt es 78 Karten, alle verschieden.

Castle Combo: Auslage

Als Angebot liegen je drei Karten in zwei Reihen aus: in der oberen Reihe die tendenziell teureren „Schlosskarten“, in der unteren die „Dorfkarten“. Jede Karte bringt mindestens ein Wappen: die Schlosskarten überwiegend blaue, violette und grüne, die Dorfkarten überwiegend die restlichen Farben.
Meine Auswahl ist ziemlich eingeschränkt. Ich darf nur aus der Reihe kaufen, neben der die Heroldfigur steht. Die wechselt ihre Position, sobald jemand eine Karte mit Heroldsymbol kauft (fast die Hälfte aller Karten hat eins). Oder wenn ich einen Schlüssel bezahle. Einen Schlüssel kostet es auch, die drei Karten der Heroldreihe abzuwerfen und neue vom Nachziehstapel hinzulegen. Allerdings darf ich pro Zug nur einen Schlüssel einsetzen.

Was passiert? Ich bin nicht so leicht in das Spiel reingekommen, denn man bekommt so einige Symbole um die Ohren gehauen, die man erst mal verstehen muss, und man hat überhaupt keine Einschätzung, was eine gute oder eine schlechte Karte sein könnte, wie viel Punkte man so macht, wie die Wahrscheinlichkeiten sind. Man muss sich vorwärtstasten, und das Punkteergebnis der ersten Partie wird wahrscheinlich nicht so brillant werden.

Castle Combo: Karten

Auch spätere Ergebnisse müssen nicht zwangsläufig toller ausfallen, denn CASTLE COMBO hat einen hohen Glücksfaktor. Manchmal passt mir gar nichts von dem, was ich kaufen muss. Manchmal zerrinnt viel zu schnell mein Startkapital, weil keine Karte angeboten wird, die auch mal wieder ein paar Münzen zurückbringt. Manchmal experimentiere ich – und das Experiment geht irgendwie schief.
Dass man experimentieren kann, gehört zu den Pluspunkten von CASTLE COMBO. Es macht Spaß, herauszufinden, was erfolgsversprechend ist und was weniger. Weil ich auf das Spiel der anderen nur wenig Einfluss habe, spiele ich auch immer gegen meinen eigenen Highscore.

Was taugt es? Den relativ geringen Entscheidungsspielraum empfinde ich als dem Spiel angemessen. Ich muss zwischen drei Karten wählen. Der Einsatz eines Schlüssels bewirkt, dass es noch mal drei andere Karten sind. Das beschleunigt die Abläufe. Und Tempo halte ich in einem Spiel, in dem wir nacheinander an die Reihe kommen und zwischendurch wenig planen können, für entscheidend, um die Spannung hochzuhalten.
Und spannend ist CASTLE COMBO. Ich fiebere mit, welche Karten für meinen Zug in den Markt rutschen. Und wenn schon vor meinem Zug passende ausliegen: dass sie liegen bleiben. Gelegentlich zocke ich auch: Eine Karte, die ich haben möchte, ist schon da – aber der Herold steht in der anderen Reihe. Vielleicht kann ich die Karte noch eine Runde liegen lassen, und beim nächsten Mal steht der Herold richtig. Das Risiko würde ich aber allenfalls im Zweier- oder Dreierspiel eingehen. Zu mehreren ist der Durchlauf zu groß für solche Spekulationen.

Castle Combo: Raster

Ich finde es erstaunlich, mit welch einfachen Mitteln CASTLE COMBO Spielreiz erzeugt. Im Grunde ist es ja nur: Hier liegen ein paar Karten, wähle die beste. Aber hinzukommt: a) die Verlockung: Setze ich einen Schlüssel ein, wird es vielleicht noch besser. b) das Haushalten. Welche Karte die stärkste ist, ließe sich vielleicht ohne großes Nachdenken ermitteln. Aber das Geld reicht nicht aus, um jedes Mal die stärkste Karte zu kaufen. Das macht die Entscheidungen selten trivial.
Und schließlich c) die Abwechslung. Weil ich nur zwischen wenigen Karten wählen kann, bin ich gezwungen, in jeder Partie ein bisschen anders zu spielen, andere Dinge zu sammeln, mein Raster anders zu bauen. So bleibt die Neugierde auf weitere Partien erhalten.
Dass es tatsächlich Können ist, die richtigen Entscheidungen zu treffen, lässt mich glauben, mein Schicksal selbst in der Hand zu haben. Ohne dieses Gefühl würde mich das Spiel irgendwann langweilen. Wegen der vielen Unwägbarkeiten habe ich es größtenteils aber doch nicht in der Hand. Jede Partie bedeutet Abstriche und Kompromisse, und ich will es gerne wieder versuchen.


***** reizvoll

CASTLE COMBO von Grégory Grard und Mathieu Roussel für zwei bis fünf Spieler:innen, Kosmos.

Freitag, 13. Juni 2025

Sherlocks Spürnasen

Sherlocks Spürnasen: Cover

Was meine Einleitungen angeht, muss ich wohl als Serientäter gelten. Oder als Serienuntäter?

Wie geht SHERLOCKS SPÜRNASEN? Wir sind Sherlocks Spürnasen, ein Ermittlerteam bestehend aus Maus, Meise, Vogelspinne und Frosch. Kooperativ lösen wir sechs Kriminalfälle plus Tutorial.
Pro Fall steht uns eine gewisse Menge an Zeitmarkern zur Verfügung. Jeder Besuch eines Ortes kostet einen davon. Sind die Zeitmarker aufgebraucht, haben wir – Überraschung – nur so halb verloren, denn wir dürfen trotzdem weiter ermitteln, bis wir am Ziel sind.

Sherlocks Spürnasen: Spielplan

Der Spielplan (er hat eine Tag- und eine Nachtseite) zeigt die möglichen Zielorte. Fast immer interagieren wir dort mit anderen Tieren. Wir beobachten Dinge, erhalten Gegenstände, bekommen Informationen. Karten mit Gegenständen oder Informationen und auch unsere Charakterkarten haben Strichcodes, die wir mit den Strichcodes anderer Karten kombinieren können. Zum Beispiel den stets diplomatischen Frosch mit schwierigen Gesprächspartnern oder einen potenziell hilfreichen Gegenstand mit einem Ort. Zeigt sich eine gültige Verbindung, schalten wir weitere Informationen oder Dinge frei.


Sherlocks Spürnasen: Charaktere

Was passiert? Nicht die Auflösungen und erst recht nicht die Mechanismen sind das Besondere an SHERLOCKS SPÜRNASEN. Es ist die Geschichte. Sie wird konsequent aus Tiersicht erzählt. Auch wenn sie vermenschlicht sind, behalten sowohl die vier Held:innen als auch alle Nebencharaktere etliche ihrer tierischen Eigenschaften. Die Welt der Tiere ist eine Parallelwelt zur Menschenwelt. Dadurch ergeben sich schöne Kontraste. Immer wieder kommt es auch zu Überschneidungen, und SHERLOCKS SPÜRNASEN erzählt mit viel Augenzwinkern, wie die Tiere uns wahrnehmen und beurteilen.
Die Geschichte ist witzig, Dialoge und Pointen sitzen. Die Zeichnung der Nebencharaktere ist besonders gelungen. Häsin Beatrix, Eichhörnchen Rosetti, Rabe Nevermore und einige andere begegnen uns immer wieder und nerven oder erfreuen uns mit ihren Marotten. SHERLOCKS SPÜRNASEN erschafft einen charmanten eigenen Kosmos. Jeder Fall ist Teil der übergeordneten Gesamterzählung. Alles entwickelt sich weiter, auch unsere Charaktere wachsen im Laufe der Geschichte an ihren Aufgaben und Erfolgen.

Was taugt es? SHERLOCKS SPÜRNASEN lebt davon, dass jemand in der Gruppe Lust und im Bestfall auch das Talent hat, um laut vorzulesen. Die Texte fesseln, aber sie sind lang. Das Spiel erfordert Zeit und Muße.

Sherlocks Spürnasen: Strichcode

Ich denke nicht, dass ich SHERLOCKS SPÜRNASEN Unrecht tue, wenn ich sage, es ist in erster Linie ein Lese- und Vorlesespiel. Mechanisch gab es das alles schon und auch weitaus raffinierter und mit mehr Rätseln und Knobeleien. In SHERLOCKS SPÜRNASEN sollen wir uns wohlfühlen, wir sollen Erfolg haben. Deshalb sind die naheliegenden Lösungsansätze oft auch die richtigen. Deshalb befinden sich in den Texten sogar Unterstreichungen, damit man das Wichtigste auf keinen Fall überliest. Und deshalb kann man sich während der Fälle auch noch zusätzliche Tipps holen. Trotzdem wären wir im zweiten Fall beinahe ins Straucheln gekommen. Von einer nicht so gelungenen Ortskartenanweisung wurden wir zwischenzeitlich in die Irre geführt.
Im Laufe der Kampagne werden die Fälle immer umfangreicher – und verlieren für mein Empfinden ihre Leichtigkeit. Was mit der niedlichen Mission beginnt, Sherlocks Lieblingsmütze wiederzufinden, bekommt zunehmend ernste und düstere Untertöne und mündet in einen großen Finalkampf gegen einen unheimlichen Endboss. Die einfallsreiche Detektivgeschichte wandelt sich in ein typisches Abenteuer, in dem sich Gut und Böse duellieren.
Nicht die Ernsthaftigkeit als solche stört mich. Es muss ja nicht immer von der heilen Welt erzählt werden. Aber große Finalkämpfe empfinde ich als so herkömmlich und ausgelutscht, dass ich dieses Ende der Kampagne gar nicht als ihren Höhepunkt begreifen kann. Das Originelle, Besondere und Interessante spielt sich für mein Empfinden mehr in den vorderen Teilen der Geschichte ab als im Finale.


**** solide

SHERLOCKS SPÜRNASEN von Dave Neale und Clémentine Beauvais für eine:n bis vier Spieler:innen, Mirakulus.

Montag, 9. Juni 2025

Vor 20 Jahren (150): Schatten über Camelot

Zeitungsausschnitte

Schon vor etwa 20 Jahren deutete sich an, dass Spielkritik in Tageszeitungen einen zunehmend schwereren Stand haben würde. Zeitungen kämpften mit Auflagen- und Anzeigenverlust und wollten sparen, sparen, sparen. Prominentester Beleg des Niedergangs war die sang- und klanglose Einstellung der traditionsreichen Spielerubrik in der Süddeutschen Zeitung.

Die Entwicklung hat sich fortgesetzt und dazu geführt, dass ich immer weniger Lust hatte, für Tageszeitungen zu schreiben. Wochenendteile und Beilagen wurden gestrichen oder mit denen anderen Zeitungen zusammengelegt. In den Redaktionen gab es viele Personalwechsel und geänderte Zuständigkeiten; statt Redakteur:innen wurden Volontär:innen oder gar Praktikant:innen meine Ansprechpartner:innen, durften aber nichts allein entscheiden, was Absprachen kompliziert machte und in die Länge zog. Statt Kritiken waren immer häufiger nur Spiele-Tipps gefragt. Und selbst um die unterzubringen, musste man mehr kämpfen. Falsch fühlte es sich ohnehin an; Spiele wurden zu „Geschenkideen“ degradiert.

Vor ein paar Tagen habe ich meine Zeitungsbelege des Jahres 2005 ins Altpapier geworfen und vorher (auf Inspirationssuche für diese Rubrik) noch einmal durchgeblättert und war doch ziemlich überrascht, wie wenig mich der Negativtrend damals noch betraf. Meine Erinnerung wäre anders gewesen. 2004 hatte ich in der Fairplay einen größeren Bericht über das Kolumnensterben geschrieben, und ich hätte gedacht, das sei aus einer größeren persönlichen Betroffenheit heraus geschehen. Tatsächlich hatte auch ich 2004 zum ersten Mal eine Kolumne verloren. Aber so schwer wog das offenbar nicht. Ich hatte noch viele Veröffentlichungsmöglichkeiten. MANILA, ein gutes, aber sicher nicht das Top-Spiel des Jahres, hatte ich in immerhin vier Zeitungen besprochen und in drei Zeitungen SCHATTEN ÜBER CAMELOT. Damals konnte ich die Spiele noch nach meinen eigenen Kriterien auswählen und darüber schreiben, was ich wollte. Es musste keine Empfehlung sein.

Von SCHATTEN ÜBER CAMELOT (Bruno Cathala und Serge Lalet bei Days of Wonder) war ich nämlich gar nicht so sehr begeistert. Ich bemängelte die Anleitung, ich nörgelte, trotz atmosphärischer Grafik und exzellentem Spielmaterial blieben die Abläufe überraschend abstrakt, und das Spiel sei schlecht ausbalanciert. Der Verrat-Mechanismus funktioniere nur in großer Runde gut.

Ich besitze SCHATTEN ÜBER CAMELOT schon lange nicht mehr, deshalb habe ich mein Urteil seit schätzungsweise 19,5 Jahren nicht mehr überprüft. Kooperative Spiele waren vor 20 Jahren noch ungewöhnlich; möglicherweise hatte ich einfach nicht die richtigen Runden dafür. Mich erstaunte dann, dass SCHATTEN ÜBER CAMELOT in der allgemeinen Wahrnehmung deutlich besser abschnitt als in meinen Gruppen. Das Spiel heimste Nominierungen und Auszeichnungen ein und bekam sogar einen Sonderpreis „Fantastisches Spiel“ der Spiel-des-Jahres-Jury.

Heute weiß man vom überragenden Siegeszug der kooperativen (Euro-)Spiele für Erwachsene. PANDEMIE (Matt Leacock, 2008) war der entscheidende Durchbruch. Wenn man nach Wegbereitern fragt, also älteren, vergleichbaren Spielen, die dank weltweiter Verbreitung Inspiration und Vorbild sein konnten, wäre meine erste Antwort Reiner Knizias DER HERR DER RINGE (2000). Und die zweite: SCHATTEN ÜBER CAMELOT.

Im englisch- und französischsprachigen Raum dürfte SCHATTEN ÜBER CAMELOT sogar das bedeutendere Spiel gewesen sein. Auf Boardgamegeek hat es mehr Bewertungen und steht einige Plätze höher als DER HERR DER RINGE. Sicher liegt das auch daran, dass DER HERR DER RINGE „zu früh“ da war, noch kurz bevor das Spielen international boomte. Aber ganz unabhängig von der Frage, welches der beiden Spiele nun wichtiger war: Die Besonderheit von SCHATTEN ÜBER CAMELOT habe ich 2005 klar unterschätzt. Ich hätte nie geahnt, dass sich hier ein mächtiges Genre entwickeln könnte, für das dieses Spiel mitbegründend wäre.

Ich glaube, meine Vorstellung von einem guten Spiel war damals noch enger. Aber zum Glück erweitert Spielen ja Horizonte. Auch spielerische Horizonte. Die Spiele sind in den vergangenen 20 Jahren gewachsen, man selbst wächst – hoffentlich – mit.


Donnerstag, 5. Juni 2025

Foxy

Foxy: Cover

Null.

Wie geht FOXY? FOXY ist ein Gedächtnisspiel. Es enthält 48 großformatige Landschaftskarten. Die zeigen jeweils eine von vier Landschaften: Bauernhof, Wald, Savanne oder Ozean. Und darin eins, zwei oder drei Tiere. Auf dem Bauernhof könnten dies Schwein, Huhn und Katze sein, im Wald Bär, Hase und wieder Katze. Alle Tiere sind einem bestimmten Lebensraum zugeordnet – mit Ausnahme der Katze, die überall sein kann.
Zufällige 19 dieser Karten mischen wir unbesehen zusammen, hinzu kommt die Sonderkarte „Foxy“. Sie bilden einen Stapel, von dem wir nacheinander Karte für Karte aufdecken (und die bisherigen überdecken).
Meine Aufgabe nach jeder Karte: Ich soll notieren, wie viele Tiere der abgebildeten Sorten bislang insgesamt vorkamen. Bei den ersten Karten ist das noch leicht: Wenn es mit Bär, Hase und Katze losgeht, notiere ich eine Drei. Dann kommt der Ozean mit einem Delfin. Eins. Jetzt ein Hase allein im Wald. Zwei. (Denn da war ja schon mal einer.) Savanne mit Giraffe und Katze: wieder die Drei.

Foxy: Karten

Je mehr Karten im Spiel sind, desto unsicherer wird man. Beim vierten Wald weiß ich schon nicht mehr genau, ob jedes Mal ein Hase dabei war. Und wie viele Katzen es gab. Ich fange an zu schätzen – aber ich sollte nicht überschätzen. Meine notierte Zahl bekomme ich als Punkte, falls sie richtig oder zu niedrig ist. Ich gehe leer aus, ist meine Angabe zu hoch.

Was passiert? FOXY ist neben der Merkaufgabe also auch ein bisschen Zock. Ein gutes Bauchgefühl kann Wissenslücken ausbügeln. Wobei Wissen letztlich natürlich besser ist. Wer gewinnen will, muss vollkonzentriert sein und FOXY von der ersten Karte an ernst nehmen. Jede Unaufmerksamkeit bringt mich raus. Ich schwimme, ich rate, ich verliere Punkte.
Am Schluss werten wir alle 20 Karten der Reihe nach aus. Verglichen mit der Gesamtspielzeit ist diese Phase recht lang. Aber das stört bei FOXY gar nicht – denn jetzt ist es spannend: Entsetzen hier („Waaas?! Das war die erste Giraffe?“), Triumph dort („Volltreffer! Fette 18 Punkte!“).

Was taugt es? Die Dramaturgie ist gelungen. Den Auftakt kriegt noch fast jede:r hin, wir starten mit Erfolgserlebnissen. Und während dann bei zunehmender Kartenzahl die Unsicherheit steigt, gehen die immer fetteren Punkte über den Tisch. Man kann im Finale viel gewinnen – und viel verlieren.
Tauchten die Tiere völlig beliebig auf allen Karten auf, wäre es schnell nur noch ein knallharter Inselbegabungstest. Der Trumpf von FOXY ist die Gruppierung der Tiere nach Lebensraum. Dies ist genau die nötige Merkhilfe, um die Tiermengen gedanklich strukturieren zu können und gleichzeitig ein Gefühl für die Mengen zu behalten. (Und die Katze ist das genau richtig dosierte Chaoselement, um das Muster wieder zu durchbrechen.)

Foxy: Auswertung

Wie bei Merkspielen üblich, gibt es Personen, denen das liegt, und andere, denen das weniger liegt. In festen Gruppen weiß man meist vorher, wer überhaupt Siegchancen hat und wer nur um die weiteren Plätze mitspielt. Immer wieder erlebe ich auch, dass Menschen Merkspiele generell ablehnen. Auch FOXY, so sympathisch es daherkommt, lockt solche Spieler:innen nicht zweimal an den Tisch. Was schade ist. Aber nicht der Fehler des Spiels.
Mit 15 Minuten Spieldauer wäre FOXY genau richtig als kleines Spiel, das man überall mitnehmen kann, um es bei Gelegenheit schnell mal auszupacken. Jedoch hat der Verlag (vermutlich weil abwischbare Tableaus und Stifte drin sind und damit es in eine Reihe mit BIRDIE passt) dem Spiel eine übergroße Schachtel gegönnt, die leider so gar nicht in jede Tasche passt.
Viel Neues bietet FOXY von Partie zu Partie nicht, man ist bald nicht mehr so überrascht, es gibt eine Lernkurve. Kinder stören sich an Wiederholungen üblicherweise weniger. Bei Familien mit Kindern könnte ich mir FOXY im Dauereinsatz vorstellen. In Erwachsenenrunden verfliegt der Anfangsreiz von FOXY etwas. Und ausgerechnet die Sonderregeln, die ein bisschen Variation bringen, finde ich nicht ganz so gelungen.
Die „Foxy“-Karte kann auf dreierlei Weise gewertet werden. Ihre Hauptvariante unterläuft die Regel „Doppelt oder nichts“: Einmal pro Partie darf ich eine Zahl einkreisen, und stimmt sie exakt, werden deren Punkte verdoppelt. Mit der „Foxy“-Wertung kann das bisweilen zu einfach werden und dem „Doppelt oder nichts“ seinen Reiz nehmen.
Um aber nicht mit Nörgelei zu enden: FOXY ist ein sehr sympathisches Spiel, das von der Klarheit der Aufgabe und seiner attraktiven Aufmachung lebt. Wenn jemand eine Runde FOXY einschieben möchte, sage ich bestimmt nicht nein.


**** solide

FOXY von David Spada für eine:n bis fünf Spieler:innen, Game Gactory.

Samstag, 31. Mai 2025

Gern gespielt im Mai 2025

CIVOLUTION: Und dabei hieß es doch immer, Gott würfelt nicht.

CASTLE COMBO: Nach Castle sieht mein 3-mal-3-Gebilde niemals aus. Wenn ich Glück habe, dann immerhin nach Combo.

KRAKEL ORAKEL: Malen nach Zahlen – mit Zahlen an den völlig falschen Stellen.

LIFE OF THE AMAZONIA: Ich empfinde es als Fortschritt, dass wir die Natur mal nicht ausbeuten, sondern nur ausbeuteln.

FARAWAY: Wer kennt sie nicht: die Leute, die ihre Züge immer rückabwickeln? In FARAWAY sind wir alle so.






UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM MAI:

BOMB BUSTERS: Vs. Bomben-Bastler.







Mittwoch, 28. Mai 2025

Krakel Orakel

Krakel Orakel: Cover

KRAKEL ORAKEL ist laut Eigenwerbung ein Zeichenspiel für alle, die nicht zeichnen können. Und dies ist laut Eigenwerbung die Einleitung von jemandem, der keine Einleitungen schreiben kann.

Wie geht KRAKEL ORAKEL? Wir malen und raten. Kooperativ. Jede:r zieht geheim eine Karte mit einem Begriff. „Frühling“ etwa. Den soll ich nun visualisieren, indem ich nur auf den vorgegebenen Linien meines Tableaus zeichne, strichle oder punkte.
Wir malen alle gleichzeitig, anschließend werden unsere Begriffskarten mit derselben Anzahl Störkarten zusammengemischt und auf dem Tisch ausgebreitet. Reihum müssen wir jeweils eine aussortieren – in der Hoffnung, dass die richtigen Karten liegenbleiben. Jeder Fehler zählt einen Minuspunkt.


Krakel Orakel: Frühling

Was passiert? Allzu viele Linien zum Bemalen bieten die Tableaus nicht; ein detailreiches Gemälde kann nicht entstehen. Die Anforderung besteht deshalb darin, minimalistisch oder symbolisch zu arbeiten und die Bildaussage aufs Wesentliche zu reduzieren. Wofür steht Frühling? Sonnenlicht und Wachstum. Ich suche auf meinem Tableau: Bilden die vorgegebenen Linien irgendwo die Form einer Sonne? Ermöglichen sie, Baum oder Blume anzudeuten?
Oft gelingen dann doch Bilder, die mich mit einigem Optimismus in die Ratephase gehen lassen. Manchmal nicht. Dann kann ich nur hoffen, dass die anderen, wenn sie schon nicht erkennen, was das sein soll, wenigstens erkennen, was es nicht sein soll. Das erfordert auch etwas Glück, dass tunlichst kein Stör-Begriff aufgedeckt wird, der zu meinem Bild passen könnte. Und den ich natürlich ganz schnell aussortiere, sobald ich an die Reihe komme.

Krakel Orakel: Murmelbahn

Besonders bescheuerte Bilder – auch die eigenen – lassen uns immer wieder laut losprusten. Und selbst das schiefste Gestokel offenbart, wenn man es länger auf sich wirken lässt, meist doch noch seinen Sinn. Grübelt man allerdings zu gründlich, kann sich die Aussortier-Phase in die Länge ziehen. Weil wir jetzt brav nacheinander an der Reihe sind und zwischendurch (um nichts zu verraten) unsere Werke nicht kommentieren dürfen, fällt die Spannung manchmal etwas ab. Insbesondere in großen Runden ist gedanklich viel Arbeit zu verrichten. Spielen wir zu acht, liegen 16 Begriffe aus, die ich mit allen Gemälden abgleichen und im Kopf sortieren muss.

Was taugt es? Wir rätseln, wir interpretieren, wir sind kreativ. Und wir freuen uns über die Kreativität der anderen. Wenn ich die Bildidee einer anderen Person entschlüssele, verbindet uns das. Ich fühle mich wissend, mein Gegenüber fühlt sich verstanden.

Krakel Orakel: Begriffe

KRAKEL ORAKEL ist ein Wohlfühlspiel – selbst wenn man sich beim Malen normalerweise nicht so wohlfühlt. Es kommt auf Ideen und Assoziationen an, nicht darauf, ob ich einen Malstift geschickt führen oder Dinge grafisch akkurat nachempfinden kann.
Die vorgegebenen Linien sind die entscheidende Zutat. Sie schränken einerseits meine Freiheit beim Malen ein. Andererseits inspirieren sie auch. Und sie gewährleisten, dass sämtliche Bilder zuverlässig nach schiefem Gekrakel aussehen und nicht nur die Bilder derjenigen, die auch sonst keinen geraden Strich hinkriegen.
Sogar zu zweit und zu dritt funktioniert KRAKEL ORAKEL überraschend gut. Jetzt muss jede:r gleich zwei Begriffe auf dem eigenen Tableau unterbringen. Das schränkt noch mehr ein und ist für diese Gruppengröße genau die richtige Erschwernis. Insgesamt und vor allem zu viert ist KRAKEL ORAKEL tendenziell etwas zu leicht. Aber man kann auch mit schwereren Begriffen spielen. Und: Es soll ja ein Wohlfühlspiel sein.


***** reizvoll

KRAKEL ORAKEL von 7 Bazis für zwei bis acht Spieler:innen, Topp.

Samstag, 24. Mai 2025

Kauri

Kauri: Cover

Wenn ich in Deutschland mittags eine Einleitung schreibe, beginnt kurz danach in Neuseeland ein neuer Tag. Meine Einleitung wäre ruckzuck veraltet. Tückische Umstände also, weshalb ich mir die Mühe diesmal spare.

Wie geht KAURI? KAURI ist ein asymmetrisches Spiel. Jede:r spielt eine andere Fraktion (Kiwi, Possum, Engländer, Maori), und jede dieser Fraktionen hat andere Figuren, andere Ziele und folgt anderen Regeln.
KAURI greift thematisch die Kolonialgeschichte Neuseelands auf. „Der Engländer“ hat das Land zwecks Ausbeutung in Besitz genommen und dabei „das Possum“ eingeschleppt. Das Possum verdrängt „den Kiwi“, der ums Überleben kämpft.
Der Engländer punktet zunächst für jeden Baum, den er fällt. Im Laufe des Spiels wandelt sich aber sein Gewissen. Er fällt bald keine Bäume mehr, sondern macht Jagd auf die Possums. Jedes getötete Possum bringt ihm ebenfalls einen Punkt. Kiwis und Possums punkten pro Exemplar, das es von ihnen bei Spielende (noch) gibt.

Kauri: Situation

Spielt man zu viert, ist außerdem „die Maori“ mit von der Partie, die etwas außerhalb dieses Systems agiert und vor allem für Bauten punktet, die sie im Laufe des Spiels errichtet. Hauptsächlich werden dies „Tempel“ sein. Sie dürfen nur in Gebieten mit Baum, aber ohne Tier errichtet werden. Also tötet auch die Maori Tiere. Beide Arten bringen ihr Punkte.
Jede:r besitzt ein Deck mit neun Karten. Alle Karten zeigen Aktionsmöglichkeiten und eine Zahl. Von meinen drei Handkarten spiele ich pro Zug zwei: eine für die Aktion, die andere für die Initiative. Wer die kleinste Zahl gelegt hat, führt die Aktion der anderen Karte zuerst aus. Das machen wir alle viermal, dann endet ein Durchgang. Alle Kiwis ohne einen Baum in ihrem Gebiet sterben jetzt aus, der Gewissensanzeiger des Engländers rückt vorwärts.

Was passiert? KAURI ist ein aggressives Spiel; für Possum und Kiwi ist es ein Überlebenskampf. Das Possum will sich möglichst stark vermehren und sich überall auf der Insel verteilen, bevorzugt weit entfernt vom Engländer, um in der späteren Phase weniger leicht gejagt werden zu können. Der Engländer besitzt Fähigkeiten, um auf seinem Feld sämtliche Possums zu töten. Also sollten nicht zu viele auf demselben Fleck hocken. Nebenbei räumt das Possum ein paar Bäume weg und macht so dem Kiwi das Leben schwer.
Der Kiwi läuft weg, wo Bäume fallen, forstet Gebiete wieder auf, kann den Gewissensmarker des Engländers voranbewegen und besitzt einmal pro Spiel die mächtigen Sondereffekte „Vulkanausbruch“ und „Tsunami“, mit denen zwei zueinander benachbarte Felder (einmal am Vulkan, einmal an der Küste) in Schutt und Asche gelegt werden.

Kauri: Possum

Anfangs kennt man die Karten und Möglichkeiten der anderen Fraktionen noch nicht so genau und wird von Aktionen überrascht. Natürlich könnte man vorab alle Features aller Fraktionen gemeinsam durchgehen, aber das wird sich dann sowieso kaum jemand merken können. Man ist schon genügend mit den eigenen Aktionen beschäftigt.
Das Hineinfinden in die eigene Rolle wird durch Übersichtsblätter sehr erleichtert. Man kann nach einer gar nicht allzu langen allgemeinen Erklärung losspielen und sagen: „Lest euch durch, was eure Karten können, sobald ihr sie zieht.“ Spielfehler kommen dennoch vor. Nach meiner Erfahrung hauptsächlich deshalb, weil Spieler:innen rein auf die Kartengrafik vertrauen und nicht mehr die Details auf ihrem Übersichtsblatt lesen. Die Voraussetzung, um einen Karteneffekt anwenden zu dürfen, ist auf manchen Karten grafisch hinterlegt, auf vielen anderen inkonsequenterweise nicht. Es steht nur im Text auf dem Übersichtsbogen.

Was taugt es? KAURI sieht toll aus, das Spielmaterial ist herausragend, die Thematik ist mutig gewählt und erscheint überwiegend schlüssig. – Der Wow-Effekt ist üblicherweise groß, denn die meisten Menschen haben etwas Vergleichbares noch nie gespielt. Um zu zeigen, wie originell und vielfältig das Hobby Spiel sein kann, eignet sich KAURI ganz besonders gut.
KAURI ist zudem spannend, viele Partien enden knapp. Und es bleibt auch erst mal spannend, weil ich das Spiel beim nächsten Mal aus einer anderen Perspektive erleben darf. KAURI gewährleistet, dass ich mit den vier Fraktionen vier komplett unterschiedliche Partien spielen kann.

Kauri: Karten

Mit derselben Fraktion sind die Partien dagegen nicht sehr unterschiedlich. Vieles ergibt sich durch meine Rolle und meine Aktionsmöglichkeiten ganz zwangsläufig. Ich folge einem Programm. Ob ich so spielen kann, wie es für mich vorgesehen ist und gut für mich wäre, hängt stark von den Gegebenheiten ab. Zentrale Karten meines Decks hätte ich gern in einer bestimmten Reihenfolge und zu bestimmten Zeitpunkten auf der Hand. Und sie sollten nicht ausgestochen werden, was vorkommen kann, wenn ich sie kombiniert mit einem ungünstigen Initiativwert spielen muss.
Neben Glück entscheiden auch Gnade (Wenn andere Spieler:innen die Wahl haben, wen sie schädigen: Wählen sie dann mich?) und Gruppendenke (Welche Fraktion wird allgemein als die böseste angesehen und kriegt bevorzugt was auf den Deckel?). Manche Aktionen haben durchaus Königsmachercharakter; im Dreierspiel wird das für mein Empfinden besonders deutlich.
Einem Skript zu folgen oder in einem konfrontativen Spiel stark von äußeren Umständen abzuhängen, muss für ein Spiel nicht grundsätzlich negativ sein. Die Kombination aus beidem fühlt sich in KAURI aber letztendlich nicht so gut an. Man kommt sich phasenweise machtlos vor, das Drehbuch erlaubt wenig Abwechslung. Meine Neugierde auf immer weitere Partien ist inzwischen gesunken.


**** solide

KAURI von Charlec Couronnaud für zwei bis vier Spieler:innen, Koalla Spiele / Débâcle Jeux.

Mittwoch, 21. Mai 2025

Flip 7

Flip 7 Cover

„Wer knackt die 200?“, fragt die Schachtel. Wenn es um Einleitungen geht, knacke ich nicht mal die Eins.

Wie geht FLIP 7? FLIP 7 enthält Zahlenkarten von eins bis zwölf, die Eins einmal, die Zwölf zwölfmal. Und die Eins zählt einen Punkt, die Zwölf zwölf – falls ich denn Punkte gewinne. Sobald ich eine Zahlenkarte doppelt habe, scheide ich ohne Punkte aus der Runde aus.
Bin ich dran, darf ich mir von der reihum wechselnden Dealer:in entweder eine weitere Karte geben lassen. Oder ich steige aus und bekomme meine Punkte gutgeschrieben. Wer erfolgreich zockt und sogar sieben verschiedene Zahlenkarten sammelt, gewinnt 15 Bonuspunkte. 200 Punkte sind das Ziel.

Was passiert? FLIP 7 ist ein Glücksspiel, fast sogar ein reines Glücksspiel. Der zugrunde liegende Zock (Beute sichern? Oder immer mehr wollen – und eventuell scheitern?) wird wahrlich nicht zum ersten Mal spielerisch ausgetragen. Man kennt dieses CAN’T STOP-Prinzip spätestens seit … CAN’T STOP.
FLIP 7 bricht das Dilemma noch weiter herunter. Jetzt muss man nicht mal mehr würfeln und Zahlen kombinieren. Die Frage ist lediglich: Karte ja oder nein? Ob das Spaß macht, hängt zweifellos mit der Gruppe zusammen, die da gemeinsam am Tisch sitzt: ob alle bereit sind, sich so sehr dem Zufall zu überlassen. Ob sie Schadenfreude empfinden, wenn andere zu gierig sind oder Pech haben. Und ob sie den Frust wegstecken können, falls sie schon nach zwei, drei Karten raus sind, womöglich auch mehrfach hintereinander.

Flip 7 Karten

In seiner Einfachheit ist FLIP 7 gut gemacht. Man kann sich einbilden, nach Wahrscheinlichkeiten zu entscheiden. Oft genug kommen die Zahlenwerte dann leider entgegen der Wahrscheinlichkeit, was bei vielen den Ehrgeiz auslöst, es nächstes Mal besser hinzukriegen – obwohl man ja nahezu keine Eigenleistung erbringt, also im eigentlichen Sinne auch nichts „hinkriegt“. FLIP 7 zu spielen, ist wie am Geldspielautomaten zu stehen und darauf zu hoffen, dass man den Jackpot knackt. Nur ohne Geldeinsatz. Und gemeinsam mit anderen, die genau dasselbe hoffen.

Was taugt es? Dass die wertvollsten Karten zugleich die häufigsten und damit auch die riskantesten Karten sind, ist clever ausgedacht. Und vor allem sind die wenigen Sonderkarten gut abgestimmt. Sie bewirken, dass sich niemand jemals sicher sein kann.
„Freeze“ beispielsweise darf ich gegen andere einsetzen, um sie aus der laufenden Runde rauszukicken. Punkte gibt es dann zwar trotzdem. Aber wenn jemand eine vielversprechende Auslage und womöglich die Karte „Second Chance“ hat (die einmalig eine tödliche Zahl abwehrt), dürfte es für die betroffene Person ärgerlich sein, in dieser Situation eingefroren zu werden. Dummerweise müsste ich „Freeze“ gegen mich selbst einsetzen, wenn ich der letzte verbliebene Spieler bin. Das tut dann doppelt weh.

Flip 7 Sonderkarten

Ähnlich zweischneidige Wirkung hat die Karte „Flip three“. Und mit Bonuskarten könnte ich rein theoretisch einen riesigen Punktesprung schaffen und aus nahezu aussichtsloser Position doch noch gewinnen. Was aber nur sehr selten geschehen wird, zumal die 15 Bonuspunkte für einen „Flip 7“ nicht allzu viel sind.
Abgeschlagene sind neben der extrem geringen Entscheidungstiefe ein Problem in FLIP 7. Es gibt immer wieder welche, die wiederholt schon bei ihrer zweiten oder dritten aufgedeckten Karte ausscheiden, und dann nicht mal wegen einer Elf oder Zwölf, sondern wegen einer Vier oder Fünf. Wenn man erst mal 60 oder 80 Punkte zurückliegt, ahnt man: Da ist nicht mehr viel zu holen.
In meinen regelmäßigen Spielerunden kommt FLIP 7 nicht besonders gut an und wird bestenfalls als lau empfunden. Und wenn ich merke, dass die anderen kein Feuer fangen, macht es mir auch gleich weniger Spaß.
In meinen gemischt zusammengesetzten öffentlichen Runden ist FLIP 7 dagegen oft stärker, spaßiger und viel emotionaler, als man es von diesem bisschen Spiel erwartet hätte. Hier kann jede:r mitspielen ohne Sorge vor zu vielen Regeln oder möglichen Blamagen. Wer verliert, muss sich nicht schämen. Man hat nichts falsch gemacht. Die Karten haben es falsch gemacht.
FLIP 7 ist kein Spiel, das ich aus eigenem Wunsch heraus besonders gerne spiele. Aber ich spiele es besonders gerne mit, wenn ich merke, dass die passende Runde beisammen ist. Und muss dann nicht so tun, als hätte ich Spaß. Sondern empfinde den Spaß.


***** reizvoll

FLIP 7 von Eric Olsen für drei bis angeblich 18 Spieler:innen, Kosmos.

Dienstag, 13. Mai 2025

Sky Team Turbulenzen

Sky Team Turbulenzen Cover

Turbulenzen aber sie geschrieben, völlig Einleitung Ich haben diesmal hatte durcheinandergeschüttelt. extra heftige eine leider

Was bringt SKY TEAM TURBULENZEN? SKY TEAM TURBULENZEN ist eine Erweiterung mit mehreren kleinen Zusätzen zu SKY TEAM. Drei davon finde ich wichtig: 1. „Turbulenzen“ zwingen mich, nach jedem platzierten Würfel meine restlichen Würfel neu zu würfeln. 2. „Schlechte Sicht“ bewirkt, dass ich maximal zwei Würfel zur Auswahl habe. Erst nachdem ich einen einsetze, bekomme ich einen weiteren. 3. „Alarm“ sperrt bestimmte Einsetzfelder meines Gegenübers solange, bis ich sie mit einem passenden Würfel wieder freischalte.
Die Packung enthält 20 Szenarien in den bewährten Schwierigkeitsstufen, in denen diese neuen Elemente zum Einsatz kommen.

Was passiert? SKY TEAM bleibt SKY TEAM. Aber die Abwechslung ist jetzt noch einmal deutlich größer – ohne dass das Spiel wesentlich mehr Material oder Regeln benötigt. Sondern einfach durch Einfälle.
„Alarm“ erhöht die Zwänge. Auf Dauer können wir es uns nicht erlauben, dass bestimmte Einsatzfelder gesperrt sind. Doch wenn die Würfel nicht recht passen oder andere Anliegen noch dringender scheinen, kann es geboten sein, die Blockade eine Weile hinzunehmen. Mit Glück werden Felder blockiert, die man ohnehin nicht mehr benötigt. Und mit Timing beim Fliegen kann man Alarme vermeiden.
„Schlechte Sicht“ schränkt ebenso wie „Turbulenzen“ die Planbarkeit ein. Während „Schlechte Sicht“ thematisch passend genau das umsetzt, was die Benennung andeutet, nämlich eine geringere Vorausschau, können „Turbulenzen“ manchmal sogar positiv sein – wenn meine Nachwürfe besser sind als das, was ich vorher hatte. Mit „Turbulenzen“ kann ich auch ein bisschen zocken.

Was taugt es? SKY TEAM TURBULENZEN ändert an der Struktur von SKY TEAM gar nichts und wird deshalb vermutlich jenen Spieler:innen nicht so gut gefallen, die von einer Erweiterung ein anderes Spielgefühl oder einen eingegrenzten Glücksfaktor wünschen.

Sky Team Turbulenzen Material

Ich zähle mich nicht dazu. Das Grundspiel von SKY TEAM empfinde ich als so abwechslungsreich, dass ich über 100 Partien gespielt habe. Und als so überragend, dass ich diese 100 Partien mit großer Begeisterung gespielt habe. TURBULENZEN hat die Klasse, um noch mal dieselbe Menge an Partien hinzuzufügen. Das allein ist schon toll. Noch toller wird es für mich dadurch, dass die Erweiterung in einer schnöden Papierhülle verkauft wird. Da man das bisschen Zusatzmaterial sowieso in die Box des Grundspiels werfen wird, wäre eine weitere Pappschachtel auch überflüssig gewesen.
SKY TEAM hatte ich noch mit „außerordentlich“ statt „genial“ bewertet, hauptsächlich als Kritik am zu fummeligen Material. Ich finde das Material immer noch fummelig – aber ursächlich dafür ist nicht diese Erweiterung, denn sie muss sich natürlich der Größe des Basisspiels anpassen. Somit kann ich jetzt die Bewertung nachholen, die SKY TEAM für Originalität, Spielreiz und Themenumsetzung durchaus längst hätte bekommen dürfen.


******* genial

SKY TEAM TURBULENZEN von Luc Rémond für zwei Spieler:innen, Kosmos.

Donnerstag, 8. Mai 2025

Vor 20 Jahren (149): Fürchterliche Feinde

Fluffys aus TIME TROUBLE

Diese Begebenheit habe ich an anderer Stelle schon einmal aufgeschrieben. Aber sie gefällt mir gut genug für eine Wiederholung. Ohnehin muss ich meinen Stoff für diese Rubrik ein bisschen strecken, denn von den vielen Spielen des Jahres 2005 habe ich gerade mal zehn behalten – was für zwölf Teile „Vor 20 Jahren“ arg knapp bemessen ist. Und ja, FÜRCHTERLICHE FEINDE ist ein Spiel von Friedemann Friese aus dem Jahr 2006. Es ist also noch gar nicht 20 Jahre alt. Da es entgegen der Überschrift aber auch nicht um dieses Spiel geht, mag der Anachronismus okay sein. Und, ebenfalls ja, das Bild der vermeintlichen fürchterlichen Feinde stammt von einem ganz anderen Spiel, nämlich TIME TROUBLE (Hans im Glück, 2024). – Das ist schon eine ziemlich wilde Zeitreise hier.

Meine kleine Geschichte spielt in Göttingen auf dem Autor:innentreffen 2005. Da stand ein Autor hinter seinem Pult auf, zeigte mit dem Finger auf mich und rief quer durchs Foyer in meine Richtung, wir seien miteinander verfeindet. Ob ich das wisse? – Äääh … nein. Tatsächlich erfuhr ich von unserem komplizierten Beziehungsstatus gerade erst in diesem Moment. Und dabei hätte ich es eigentlich längst wissen sollen, dachte ich, denn zum Miteinander-verfeindet-Sein gehören doch üblicherweise zwei?

Ich kramte in meinem Gedächtnis, ob ich irgendwann ein Spiel meines sehr überraschend aufgeploppten Feindes schlecht besprochen haben könnte, aber mir fiel keines ein. Mir fiel überhaupt kein Spiel dieses Autors ein, das ich jemals besprochen hatte. Was also wollte der von mir?

Es stellte sich heraus, dass man mich mit einem anderen Kritiker der Fairplay verwechselt hatte. Und dass es um eine Lappalie ging; zudem eine Lappalie aus dem Jahr 2002. Da hatte es auf der Messe in Essen eine nett gemeinte Ausstellung mit den Spielen von Alex Randolph gegeben, und der Fairplay-Autor, der nicht ich war, hatte bemängelt, in der Ausstellung hätte mehr gespielt werden sollen; man erfahre die Randolphschen Werke nicht durch reines Anschauen.

Es lässt sich diskutieren, ob die nett gemeinte Ausstellung überhaupt die Relevanz besitzt, um im Rahmen des Messeberichtes einer Bewertung unterzogen werden zu müssen. Gleichwohl bin ich überrascht, wie sehr die Kritik die Verantwortlichen verletzt hatte, dass sie selbst zweieinhalb Jahre später noch mit mir Unschuldslamm verfeindet sein wollten.

Zurückblickend auf all meine Fairplay-Jahre erinnere ich mich an insgesamt drei Begebenheiten, in denen ich für einen anderen Fairplay-Kritiker gehalten worden war. Und es war immer derselbe – weshalb ich nicht an Zufall glaube. Vermutlich steckten Vorurteile dahinter. Ich hatte damals lange Haare; der andere Fairplay-Autor eckte mit seinen Artikeln gerne mal an. Und offenbar schloss man: Na, so etwas Empörendes schreibt doch sicher nur dieser Fairplay-Bombenleger!


Montag, 5. Mai 2025

Civolution

Civolution: Cover

CIVOLUTION verbraucht so viel Platz, da passt keine Einleitung mehr. Beim besten Willen nicht. (Der mir ohnehin fehlte.)

Wie geht CIVOLUTION? Als werdende Gottheiten führen wir Zivilisationen. Die Zivilisation als solche ist uns egal. Es geht uns um die Punkte, die wir mit ihr erzielen. Denn mit vielen Punkten bestehen wir unsere Abschlussprüfung und gewinnen. (So ähnlich also wie in den meisten Spielen, aber hier wird es endlich mal offen ausgesprochen.)
Unsere Methode ist Würfeleinsatz. Mindestens sechs Würfel besitze ich. Ein Spielzug besteht darin, entweder neu zu würfeln oder zwei Würfel für eine Aktion zu nutzen und damit zu verbrauchen. Die wahnwitzige Grundidee von CIVOLUTION ist nun, dass jede Augenzahl-Kombination für eine andere Aktion steht: eine Eins und eine Vier initiieren „Entdeckung“, eine Eins und eine Fünf benötige ich für „Transport“, eine Vier und eine Fünf für „Handel“. Es gibt schlappe 21 Möglichkeiten, von denen sich 15 auch noch aufwerten lassen, wodurch es diese 15 Aktionen auf Level eins, zwei oder drei gibt.

Civolution: Spielplan

Unsere Figuren erkunden die Welt, finden Rohstoffe, bauen sie ab, vermehren sich, jagen, entdecken besondere Orte, errichten Siedlungen und andere Bauwerke. Gleich mehrere Aktionen drehen sich darum, „Forschungskarten“ zu ziehen oder sie von der Hand auszuspielen, wofür ich teils Bedingungen erfüllen, teils Rohstoffe bezahlen muss. Karten bringen mir dauerhafte Spielvorteile und lassen mich auf Skalen vorrücken. Auf den Skalen wiederum gewinne ich Punkte und beim Überschreiten bestimmter Marken auch schöne Boni.
Ebenso beschäftigen mich „Zielplatinen“. Das sind Zielplättchen, wie man sie auch aus BORA BORA kennt. Die muss ich mir erst besorgen und später erfüllen, wofür ich vielleicht zwei Farmen in bestimmten Gegenden besitzen oder einen vorgegebenen Rohstoff bezahlen muss. Forschungskarten und Zielplatinen geben mir Richtungen vor, was ich erledigen könnte, selbst wenn ich noch keinen großen Plan habe.
CIVOLUTION dauert vier Epochen. In jeder Epoche bringen andere Errungenschaften Punkte, in jeder Epoche tritt ein anderes Ereignis ein und es herrschen andere Wetterbedingungen. So schafft CIVOLUTION Anreize, um nicht immer auf die gleiche Weise zu spielen und dieselben Dinge zu priorisieren. Was ohnehin nicht so leicht möglich wäre, weil man in jeder Partie mit anderen Karten startet, die Landschaften etwas anders angeordnet sind, die Rohstoffe anderswo auftauchen.

Was passiert? Bevor es losgehen kann, gibt es erst mal viel aufzubauen und viel zu erklären. Sehr hilfreich sind dabei die Kompaktübersichten ... die in einem derart monumentalen Spiel dann doch nicht ganz so kompakt sind. Es sind achtseitige Heftchen, fast DIN-A5-groß.

Civolution: Konsole

Aber: Einmal erklärt, ergeben sich nur wenige Fragen. Und in der nächsten Partie weiß man das meiste auch noch oder kann es sich herleiten. Das liegt daran, dass alle Mechanismen inhaltlich logisch und zudem schlüssig miteinander verbunden sind. Es liegt ebenso an den Übersichten. Und es liegt an der Grafik. Alles, was man nur irgendwie mit Symbolen auf den Plänen und dem Material hinterlegen kann, wurde hinterlegt. So hat man beim Spielen neben der Text- auch eine Bild-Absicherung.
Thematisch geschieht in CIVOLUTION nichts, was man nicht schon auch in anderen Zivilisationsspielen erlebt hätte. Zivilisation halt. Auch einen speziellen Mechanismus, der dieses Spiel herausragen lässt, könnte ich nicht nennen. Die Besonderheit von CIVOLUTION ist tatsächlich der Umfang des Spiels.
Dass man in komplexeren Spielen nicht gleich bei der ersten Partie alle Karten kennenlernt, ist normal. In CIVOLUTION aber werde ich auch mehrere der Rohstoffsorten nicht bekommen und sogar einige der möglichen Aktionen nicht ausführen, vielleicht auch in der zweiten Partie nicht, und ganz zu schweigen von den aufgewertenen Aktionen.
Was in anderen Spielen ein Bug wäre (Wozu gibt es Aktionsmöglichkeiten, die nicht genutzt werden?), ist hier ein Feature. Dass ich eine Aktion nicht nutze, bedeutet ja nicht, dass niemand sie nutzt. Oder dass ich sie nicht beim nächsten Mal nutze. CIVOLUTION fühlt sich an wie eine große Spielewelt, in der ich zwangsläufig immer nur einen Ausschnitt bespielen werde. Nach jeder Partie bleibt das Gefühl, noch längst nicht alles entdeckt und erspielt zu haben. Das ist ein schönes Gefühl: ein Versprechen auf mehr, auf weniger offensichtliche Strategien und versteckte Power-Kombinationen.

Civolution: Tableaus

In meiner ersten Partie war ich noch sehr skeptisch. Was insbesondere an den Würfeln lag. Ich erinnere mich an einen Wurf mit acht Würfeln, in dem ich zwei Viererpasche erzielte – und keine einzige der beiden vierfach vorhandenen Zahlen haben wollte. Natürlich gibt es (wie in DIE BURGEN VON BURGUND) Möglichkeiten, Würfelergebnisse zu verändern. Aber gleich acht Würfel zu manipulieren, kann man vergessen. Es fühlt sich schon speziell an, dass der Zufall in einem derart komplexen Spiel so viel Mitsprache hat.
Doch üblicherweise würfelt man ja nicht nur zwei Zahlen. Die Ergebnisse liefern eine Mischung aus Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, mit der man clever umzugehen hat. Wer dabei mehr Kompromisse eingehen muss als andere, ist auf lange Sicht natürlich trotzdem im Nachteil. Der Würfelzufall lässt sich nicht wegreden, aber immerhin sorgt er dafür, dass es nie ganz optimal läuft und dass man wie etwa auch bei DIE BURGEN VON BURGUND selbst aus einer erfolgreichen Partie mit dem Wunsch herausgeht, das Ergebnis noch zu verbessern.

Was taugt es? Sehr gut gefällt mir, wie CIVOLUTION langfristige Pläne und kurzfristige Ziele miteinander verquickt. Ich habe eine klare Leitung, was ich sinnvoll tun könnte. Tragischerweise ist es grundsätzlich mehr, als ich schaffen kann, so dass die Kunst darin besteht, eine realistische Auswahl zu treffen.

Civolution: Karten

Die Aussicht, für die Entdeckung von CIVOLUTION noch viele Partien spielen zu können, gefällt mir. Ich bin gespannt auf Weiteres, an diesem Spiel habe ich mich noch lange nicht abgearbeitet. Tatsächlich mag ich hier auch den Gigantismus, den ich normalerweise nicht mag. Aber in CIVOLUTION kommt er nicht in Form barocker Regelschnörkel daher, die willkürlich angeflanscht wirken. Es passt alles harmonisch zusammen, und deshalb ist es bei allem Gigantismus am Ende auch kompakt.
Wenn ich allein nach dem Spielreiz urteilen würde, wäre ich bei „reizvoll“ gelandet. CIVOLUTION fühlt sich vor allem nach mehr an, weniger nach neu. Zum außerordentlichen Spiel wird CIVOLUTION durch die überragende redaktionelle Leistung. Gerade bei komplexen Spielen hatte ich in jüngster Zeit den Eindruck, dass Verlage ihre Arbeit einfach den Spieler:innen aufladen. Hier nicht. Anleitung, Übersichten, Glossar und Gestaltung von CIVOLUTION sind sowohl fürs Erlernen als auch fürs Nachschlagen herausragend. Ein seltenes Vorbild.


****** außerordentlich

CIVOLUTION von Stefan Feld für eine:n bis vier Spieler:innen, Deep Print Games.