Mittwoch, 20. September 2023

Spielejahrgang 2022/23:
Was vom Jahrgang übrig bleibt
Teil 2: Challengers!

Ich glaube, dass ich ein Spiel wie CHALLENGERS vor 15 oder 20 Jahren weniger zu schätzten gewusst hätte als heute. Weil ich damals andere Dinge in Spielen gesucht habe und weil mir andere Dinge in Spielen Spaß gemacht haben. Ein Spiel zu durchdringen, gut zu planen, genau zu rechnen und erfolgreich zu spielen, war mir früher wichtiger. Doch dieses Konzept von Spielspaß hat sich über die Jahre sehr abgenutzt. Weil bei aller Liebe zum Spiel am Ende doch die Menschen das Wichtige sind. Und wenn man immer nur eine Art von Spielen spielt, schließt das viele Menschen aus.

Ich will damit nicht sagen, dass ich früher nicht auch einfache Spiele gemocht hätte, aber sie waren für mich im großen Spielekosmos eher so etwas wie eine schöne Ergänzung. Inzwischen hat sich das gedreht. Zumal ich gerade bei den komplexen Spielen den Eindruck habe, dass die Innovationen sich in einem hochspezialisierten und damit engen System bewegen und oft darin bestehen, Produktionen auf eine etwas andere Art zu optimieren oder Figuren nach einem etwas anderen Schema einzusetzen und so weiter.

Vielleicht tue ich den komplexen Spielen da auch Unrecht. Und die Kurzzusammenfassung müsste eigentlich lauten: Was bestimmte Spiele angeht, bin ich eben ziemlich satt, und das liegt vor allem an mir und gar nicht an den Spielen und führt jedenfalls dazu, dass ich nach anderen Spielen suche und mich über andere Arten von Innovationen freue.

CHALLENGERS hat mich von der ersten Partie an begeistert. Ich hatte das Glück, es auch gleich in großer Runde kennenzulernen, wo es am stärksten ist. CHALLENGERS vereint Dinge, die ich inzwischen an Spielen schätze: Bei CHALLENGERS passiert viel und nicht nur in den Köpfen, es geht schnell, es liefert Gesprächsstoff. Es lässt die Menschen in den Vordergrund treten, man erlebt ein Miteinander als Gruppe. Oft ist das auch in Partyspielen so, und in gewisser Weise ist CHALLENGERS ein Partyspiel, jedoch mit höherem Regelaufwand.

Das partyspielhafte Element besteht darin, dass unsere Sitzordnung am Tisch immer wieder durcheinandergewirbelt wird, dass wir uns bewegen müssen und mit jede:r Mitspieler:in eine Duellsituation erleben. Und es besteht darin, dass wir über Teile des Spiels die Kontrolle abgeben. Statt wie gewohnt gestaltende:r Lenker:in des eigenen Fortkommens zu sein, ist man in CHALLENGERS phasenweise auch nur erlebende:r Zuschauer:in. Was ich nicht weniger reizvoll finde. Sondern sehr spannend und unterhaltsam. Entgegen aller Gerüchte ist auch ganz klar eine Lernkurve da, und man hat durchaus Stellschrauben, um erfolgreicher zu werden. Aber der Erfolg ist nur nebensächlich. Die Hauptsache ist das gemeinsame ungewöhnliche Erlebnis.


  • Teil 1: Atiwa
  • Teil 3: Council of Shadows
  • Teil 4: weitere Spiele von D bis T

Samstag, 16. September 2023

Spielejahrgang 2022/23:
Was vom Jahrgang übrig bleibt
Teil 1: Atiwa

Bei Spiel des Jahres hat es nicht für die Empfehlungsliste gereicht, beim Deutschen Spielepreis nicht für eine Platzierung in der Top 10: Offenbar vertrete ich mit meiner Wertschätzung für ATIWA keine Mehrheitsmeinung. Und meine Mitspieler:innen auch nicht.

Was ich mir teilweise sogar erklären kann. ATIWA ist mechanisch sicher nicht das innovativste Spiel des Jahrgangs, es hat im Ablauf Redundanzen, die lange Auswertungsphase zwischen den Runden fühlt sich recht buchhalterisch an. Doch die besonderen Qualitäten von ATIWA wiegen die nur soliden Anteile nach meinem Empfinden mehr als bloß auf.

Gerne wird bei Brettspielen von Kulturgut gesprochen, doch gesellschaftliche Relevanz besitzen nur die allerwenigsten. Wenn sie die Realität reflektieren, dann üblicherweise oberflächlich. Indem auf Schachtelcovern und Spielmaterial mittlerweile häufiger Tiere und Natur zu sehen sind als noch vor einigen Jahren. Oder indem Spiele in einer postapokalyptischen Welt angesiedelt werden, weil die Erde leider kaputtgegangen sei.

Wir leben in der Klimakatastrophe, aber den meisten Spielen merkt man dies nicht an. Sie sind genau wie all die Jahre vorher auch. So als sei nichts. ATIWA ist aus meiner Sicht eine positive Ausnahme. Es beschäftigt sich auf realistische Weise mit dem Thema Natur und zeigt auch die Rolle des Menschen darin.

In Personaleinsatzspielen besetzen wir Felder und kriegen beispielsweise Holz. Wo das Holz herkommt, fragt niemand. Es ist halt da. Fälle ich in ATIWA, um Holz zu gewinnen, Bäume, bleibt den Flughunden weniger Nahrung. Das Holz ist nicht einfach so da.

Die Flughunde stehen exemplarisch für komplexe Zusammenhänge in der Natur, die wir nicht begreifen oder nicht begreifen wollen. ATIWA bildet ein Ökosystem ab, zeigt Kreisläufe und Zusammenhänge. Und zeigt, dass es der Mensch ist, der das Ökosystem stört.

Trotzdem ist ATIWA kein Lernspiel mit erhobenem Zeigefinger. Es ist ein Spiel, das man spielt, um Spaß zu haben und hoffentlich besser zu taktieren als die anderen. Und ATIWA verurteilt nicht, sondern stiftet Hoffnung. Denn unser Ziel ist es, das Ökosystem zu erhalten und den Menschen darin auch. Zumindest in ATIWA kann dies gelingen.


  • Teil 2: Challengers
  • Teil 3: Council of Shadows
  • Teil 4: weitere Spiele von D bis T

Dienstag, 12. September 2023

Spielejahrgang 2022/23:
Was meine Spielerunden gerne spielen

Seit April 2022 finden nach der Corona-Pause meine öffentlichen Spielerunden wieder statt (soweit die Runden die Pause überlebt haben, was in einem von drei Fällen leider nicht geklappt hat). Der vergangene Spieljahrgang ist somit der erste seit mehreren Jahren, der komplett und ohne Unterbrechung nicht nur in meinen privaten, sondern eben auch in den öffentlichen Runden gespielt werden konnte. Das hat sich natürlich positiv auf die Menge der Rückmeldungen ausgewirkt. Sie liegt immerhin wieder knapp über dem Stand von 2019/20, allerdings noch weit entfernt von 2018/19.

Als das Spielen im Frühjahr 2022 wieder anlaufen konnte, mussten Namensliste geführt werden, man brauchte einen Impfnachweis oder negativen tagesaktuellen Test, teilweise wurde auch mit Maske gespielt. Ich war positiv überrascht, wie viele Menschen trotz der Beschränkungen kamen.

Nicht mal eineinhalb Jahre später ist diese Realität ganz weit weg. Dennoch sind es seitdem nicht wesentlich mehr Spieler:innen geworden, wir verharren etwa auf demselben Stand wie vor einem Jahr. Besucher:innenzahlen von 50 bis 80 Personen an einem Abend, wie sie 2018 und 2019 oft vorkamen, habe ich nach der Pandemiepause noch nicht wieder erlebt.

Konnte ich mir früher den Luxus erlauben, nur Spiele in diese Auswertung aufzunehmen, die von mindestens 40 Personen gespielt und bewertet worden waren, muss ich die Schwelle nun bei 20 ansetzen. Sonst blieben zu wenig Spiele übrig. Offenbar sind meine Mitspieler:innen auch kritischer geworden, denn nur sieben Spiele haben es im Wertungsdurchschnitt über die Schwelle von 7,0 geschafft.

Zur Erklärung, wie die Noten entstanden sind: In meinen öffentlichen Runden bitte ich alle Teilnehmer:innen, die gespielten aktuellen Spiele mit Punkten (von 1 bis 10) zu bewerten. Viele tun das, manche ignorieren das, und manche spielen sowieso gar nichts Aktuelles, weil sie tatsächlich eigenmächtig entscheiden, was sie spielen wollen, und auf ihrem Egotrip an meine sehr wichtige Auswertung keinen Gedanken verschwenden.

Im Regelfall müssen sich die Teilnehmer:innen die Spielregeln selbst erarbeiten, was dazu führt, dass kleine und leichte Spiele bevorzugt werden. Großgruppenspiele sind gefragter als Spiele für wenige Personen. Spielt jemand ein Spiel mehrfach und bewertet es neu, überschreibt die neue Note die alte. Oft bleibt es aber beim Erst- oder Zweiteindruck, weil die Fluktuation auf solchen Abenden hoch ist und weil ich auch immer wieder andere Spiele mitbringe.

Das Ranking entspricht in diesem Jahr mehr meinen eigenen Bewertungen als zuletzt bei der Auswertung 2019/20. Vielleicht ist das einfach Zufall. Oder beeinflusse ich meine Mitspieler:innen irgendwie, ohne es zu bemerken? Ein Faktor ist sicherlich, welche Spiele ich überhaupt mitbringe und welche nicht. Aber ansonsten? Ich weiß sowohl von etlichen Partien COUNCIL OF SHADOWS als auch ATIWA, bei denen ich nicht mitgespielt und auch nicht erklärt habe. So dass ich auch nicht wüsste, wie ich beeinflusst haben könnte. Wahrscheinlich ist die Erklärung für die mit mir übereinstimmenden hohen Bewertungen ganz simpel: In Hannover hat man einen guten Geschmack!


1. FEED THE KRAKEN
Mitspieler:innen: 7,6 / 10
Udo: ***** reizvoll


2. ATIWA
Mitspieler:innen: 7,4 / 10
Udo: ****** außerordentlich


3. COUNCIL OF SHADOWS
Mitspieler:innen: 7,3 / 10
Udo: ****** außerordentlich


4. THAT’S NOT A HAT
Mitspieler:innen: 7,3 / 10
Udo: ***** reizvoll


5. PLANET UNKNOWN
Mitspieler:innen: 7,2 / 10
Udo: ***** reizvoll


6. SECRET IDENTITY
Mitspieler:innen: 7,1 / 10
Udo: **** solide


7. NEBEL ÜBER CARCASSONNE
Mitspieler:innen: 7,0 / 10
Udo: **** solide




Drei weitere Spiele haben eine Bewertung von über 7,0 erreicht, aber die 20 nötigen Stimmen knapp verfehlt: FEDERATION, IKI und TERRA NOVA. Und fünf Spiele hatten zwar genügend Bewertungen, blieben mit 6,9 aber knapp unter der Qualifikations-Schwelle hängen: AKROPOLIS, FUN FACTS, MANTIS, NEXT STATION LONDON und STADT LAND VOLLPFOSTEN – DAS BRETTSPIEL.


Freitag, 8. September 2023

Vor 20 Jahren (129): King Arthur

Trara! Als das österreichische „Spiel des Spiele“ wurde im Jahr 2003 Reiner Knizias KING ARTHUR gewählt, womit auch im dritten Jahr dieses Preises ein anderes Spiel ausgezeichnet wurde als das „Spiel des Jahres“ in Deutschland. Die Abweichung fiel auf, schon 2001, als erstaunlicherweise nicht CARCASSONNE gewann. Aber nie hätte ich geglaubt, dass es auch in den folgenden 20 Jahren und bis heute keine einzige Übereinstimmung geben würde.

KING ARTHUR konnte ich als Preisträger recht gut nachvollziehen. Das Spiel hatte meine Sympathie. Mit Elektronik, leitender Farbe auf dem Spielplan und professionellen Sprachstimmen versuchte Ravensburger hier etwas ganz Neues und steckte auch einiges an Entwicklungskosten in sein Experiment. Man wollte, so hieß es, das Genre Brettspiel weiterentwickeln. Und neue Impulse schienen bitter nötig, denn anders als in jüngster Zeit konnte die Branche damals nicht immer wieder Umsatzgewinne bejubeln.

Ich meine, mich zu erinnern, dass in der Szene große Neugierde auf KING ARTHUR herrschte. Das Produkt war innovativ. Es war von Reiner Knizia. Es hatte einen Preis gewonnen, noch bevor es in Deutschland erhältlich war. Und es war auch vom Volumen her mal eine echte Ansage: 55 mal 38 Zentimeter maß die Schachtel. Kleiner ging es nicht, denn der Spielplan ließ sich wegen der Technik darin nicht falten.


Und dann … waren sehr viele Rezensent:innen enttäuscht. Dass sich KING ARTHUR in der Fairplay bei Noten zwischen 2- und 4 einpendelte, war vergleichsweise milde. Sämtliche Mitarbeiter:innen von hall9000 beispielsweise vergaben drei oder weniger von sechs Würfelpunkten. Dabei war diese Seite normalerweise nicht für Verrisse bekannt. Neben vielleicht falschen Erwartungen hatte KING ARTHUR das Problem, sich zu wiederholen. Und manche Spieler:innen nahmen den Tag über anscheinend nicht genug Flüssigkeit auf, ihre Körper leiteten nicht gut, das Spiel hakte.

Heute weiß man, wie es ausgegangen ist: Mit DIE INSEL (auch von Reiner Knizia) erschien 2005 noch ein Nachfolger mit derselben Technik. Danach kam für die Spielpläne mit Leitfarbe das Aus. Die Elektronikreihe wurde in technisch abgespeckter Form weitergeführt, und jetzt gelangen zwei richtig große Würfe und Mega-Bestseller: erst WER WAR’S? (erneut von Reiner Knizia und meiner Meinung nach das beste Kinderspiel überhaupt), dann SCHNAPPT HUBI! (Steffen Bogen). Beide wurden Kinderspiel des Jahres. In Deutschland.


Montag, 4. September 2023

Turing Machine

Der Computer prüft, ob die Einleitung gut, schlecht oder nicht vorhanden ist. (Ich tippe auf schlecht.)

Wie geht TURING MACHINE? Wir suchen einen dreistelligen Code mit Ziffern von eins bis fünf. Wer die wenigsten Spielrunden benötigt, um diesen Code zu finden, gewinnt. Wer als Lösung einen falschen Code probiert, scheidet aus.
Statt auf eine App setzt TURING MACHINE auf viele Karten, darunter auch Lochkarten. Eine Aufgabenstellung entnimmt man der Anleitung (dort sind zwanzig Vorschläge) oder dem Internet (dort sind viel, viel mehr). Bevor es dann losgehen kann, müssen diverse Karten herausgesucht und kreisförmig angeordnet werden. Hinterher muss man das alles wieder wohlgeordnet wegpacken. TURING MACHINE erfordert Akkuratesse.
Auch im Geist. Die Aufgaben lassen sich durch Testen und ansonsten durch Logik lösen.

Beispielsweise kann eine Testung prüfen, ob die erste (blaue) Ziffer des Codes kleiner drei, gleich drei oder größer drei ist. Probiere ich das mit dem Code 3 – 4 – 1 aus (wozu ich die Lochkarten mit den entsprechenden Zahlen und eine bestimmte Ergebniskarte übereinander schieben muss) und erhalte im Sichtfenster ein grünes Häkchen, weiß ich: Der Code beginnt mit einer Drei. Wäre ein rotes X sichtbar gewesen, wüsste ich nur: Er beginnt nicht mit einer Drei. Ob kleiner oder größer, muss ich dann noch herausfinden.


Was passiert? Es hat ein bisschen was mit Glück zu tun, ob man schnell auf die richtige Fährte kommt. Vor allem aber hat es mit logischem Denken zu tun. Man muss nicht alles durchprobieren, manches lässt sich durch reines Nachdenken ausschließen, insbesondere wenn man weiß, dass jeder der angebotenen Tests für die Lösung nötig ist. Schon aus der Versuchsanordnung lässt sich etwas ableiten. Jedenfalls gelingt dies denjenigen Spieler:innen, die die entsprechende Denke mitbringen. Andere bleiben auf der Ebene des Herumprobierens.

In TURING MACHINE tüftelt jede:r für sich. Wir spielen quasi parallel dasselbe Solospiel, und am Ende vergleichen wir, wer die wenigsten Züge benötigt hat. Den Wettbewerb empfinde ich nicht als zentral. Der von mir empfundene Spielreiz speist sich mehr aus der komplexen geistigen Beschäftigung und (hoffentlich) dem belohnenden Gefühl am Schluss, den Code gefunden zu haben – selbst wenn andere schneller waren. Dennoch tut der Wettbewerbs-Charakter dem Spiel gut, denn er zwingt mich zu diszipliniertem Spiel: nicht so viel herumprobieren, mehr nachdenken.

Was taugt es? TURING MACHINE ist außergewöhnlich und sehr speziell. So speziell, dass einige meiner Mitspieler:innen laut gelacht haben, als ich ihnen die Regeln der beiden Ausbaustufen präsentierte. Wenn man die zum ersten Mal hört, denkt man, eine Lösung sei unter diesen Umständen gar nicht mehr möglich. Ist sie dann aber doch und sogar in weniger Schritten als angenommen.
Für andere Mitspieler:innen war die erste Partie schon die letzte. Nicht jede:r hat einen Zugang zu dieser Art Spiel und nicht jede:r hat Lust darauf. Alles in allem finde ich in meinem gesamten Mitspieler:innenumfeld nur sehr wenige Personen, die das Interesse hätten, TURING MACHINE oft zu spielen. Die Zielgruppe des Spiels scheint mir sehr klein zu sein. Für mein Empfinden fehlt der Kopfarbeit in TURING MACHINE das Spielerische. Ich empfinde Respekt und Faszination, aber keinen so großen Spielreiz.


**** solide

TURING MACHINE von Fabien Grindel und Yoann Levet für eine:n bis vier Spieler:innen, Huch / Scorpion Masqué.

Donnerstag, 31. August 2023

Gern gespielt im August 2023

SCHNITZELJAGD: Beruhigend, dass natürliche Prozesse doch noch funktionieren. Die Tierwelt in SCHNITZELJAGD hat sich an ihre neonfarbene Umgebung vorzüglich angepasst.

MY ISLAND: Jetzt bräuchte ich eine Inselbegabung.

ARKEIS: Ägypten???

PYRAMIDO: Ja!

CHAMPIONS: Am Ende des Turniers stehen oft die Unsympathischen auf dem Podest. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Partyspiel so philosophisch sein kann.




UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM AUGUST:

GREAT WESTERN TRAIL NEUSEELAND:
Schafe, Schafe, Häusle baue.






Sonntag, 27. August 2023

Tribes of the Wind

Gar nicht lange her, da hatten Spiele ganz schrecklich abgenudelte und hergeholte Themen. Da hieß es dann einfach: „Hey, holla, Mittelalter, fruchtbares Land entdeckt, baut neue Häuser dort!“
Mit derart hohlen Settings machte man sich inzwischen lächerlich. Heute reflektieren Spiele als Kulturgüter die Krisenhaftigkeit unserer Gegenwart. Sie haben echte Themen. Themen wie: „Au, oweh, Dystopie, alles kaputt, baut neue Häuser auf!“ Und das hat dann richtig Tiefe.

Wie geht TRIBES OF THE WIND? Au, oweh, Dystopie, alles kaputt, baut neue Häuser auf!
Häuser bauen wir, indem wir die Felder unserer Tableaus zunächst von Umweltverschmutzung befreien, dann Waldplättchen drauflegen, dann mit Pöppeln hinziehen und dann die erforderliche Menge Pöppel gegen ein Haus tauschen.
Das läuft kartenbasiert. Fünf Karten habe ich auf dem Halter vor mir stehen. Meine Mitspieler:innen sehen die farbigen Rückseiten. Und ich wiederum sehe ihre Kartenrückseiten. Das ist wichtig, weil die Effekte meiner Karten teilweise von den Kartenfarben meiner Nachbar:innen abhängen. Manche Karten darf ich sogar nur in Abhängigkeit der Farben meiner Nachbar:innen ausspielen. Beispielsweise kann eine Karte besagen: Hast du mehr grüne Karten als wenigstens eine:r neben dir, passiert x. Hast du sogar mehr als beide, passiert y.

Ausgespielte Karten bewirken, dass ich Pöppel bewege (gelbe Karten), Verschmutzung entferne (rot) oder Geld einnehme (blau), welches ich wiederum benötige, um Waldplättchen zu legen (grün).
TRIBES OF THE WIND ist einerseits als Wettrennen konzipiert: Es zählt einen schönen Punktebonus, zuerst fünf Häuser zu besitzen und damit auch das Spielende auszulösen. Unterwegs will ich möglichst schnell noch zwei individuelle Zwischenziele erreichen (jedes Tableau gibt unterschiedliche Ziele vor), weil ich dann Dauereffekte freischalte, die für den Rest der Partie gelten.
Zweitens geht es in TRIBES OF THE WIND auch um Auftragserfüllung. Aufträge machen in der Schlusswertung den größten Teil aus. Ich darf einen Auftrag auswählen, sobald ich ein Haus fertigstelle. Mehr als vier Aufträge kann ich allerdings nicht in die Wertung einbringen, weshalb ich auch mal auf einen Auftrag verzichte und als Ersatz einen starken Soforteffekt wähle.

Was passiert? Der Kartenmechanismus ist einerseits das Besondere an TRIBES OF THE WIND. Das Taktieren mit den eigenen Karten, wann die beste Gelegenheit ist, um sie zu spielen, in welcher Reihenfolge ich sie spiele, welche Farben ich aufbewahre, welche Farben ich nachziehe und so weiter, ist spannend. Gleichzeitig bremst dieser Mechanismus aber auch.
Meistens werden in Spielen, bei denen alle auf ihren eigenen Tableaus werkeln, Aktionen gleichzeitig abgehandelt. Hier nicht. Weil ich eben davon abhängig bin, welche Karten meine Nachbar:innen auf ihren Haltern haben, muss ich auch längere Kettenzüge abwarten, bis endlich ganz am Schluss Karten nachgezogen werden.

Bei manchen Spieler:innen führt die Tatsache, dass Karten einen optimalen oder auch einen suboptimalen Ertrag haben können, zu einem langen gedanklichen Durchdeklinieren der Möglichkeiten, bis die wirklich beste gefunden ist, in der man nicht mehr das doofe Gefühl hat, leichtfertig auf irgendeinen möglichen Vorteil zu verzichten.
Und die Tatsache, dass sich unspielbare Karten ansammeln, führt hier und da auch zu Frust und zu dem Gefühl, nichts machen zu können. Was allerdings gar nicht stimmt. TRIBES OF THE WIND löst das Problem sogar sehr elegant: Viermal im Spiel darf ich einen Tempel bauen, wozu ich drei meiner fünf Karten austauschen muss bzw. darf. Und weil Tempel Vorteile bringen und sogar Punkte zählen und obendrein Aufträge erfüllen können, ist das mehr als nur ein Notzug.
Statt darauf, aus allen Karten stets das Optimum herauszupressen, kommt es eben auch aufs Timing an: Manchmal ist es geboten, eine Karte zu spielen, die später wohl mehr bringen könnte. Aber wichtiger ist, was sie sofort bringt: dringend benötigtes Geld oder das Erfüllen eines Zwischenziels oder eine vorteilhafte Veränderung meiner Farbkombination, beispielsweise indem ich meine letzte blaue Karte wegspiele, weil eine andere Karte verlangt, dass ich kein Blau haben darf.

Was taugt es? TRIBES OF THE WIND ist mechanisch rund. Alles ist gut miteinander verwoben, ohne dass es irgendwo zu kompliziert oder detailliert wird. Auch die klare Zielvorgabe ist ein Vorteil. Man spielt fokussiert und weiß, wo man hinwill (fünf Häuser bauen), doch Zwischenziele und Aufträge verführen oder nötigen dazu, immer wieder kleine Schlenker zu machen.
Allerdings hat TRIBES OF THE WIND dieses schwer zu beschreibende „Allerdings“. Es packt mich nicht komplett. Auch wenn wir unterschiedliche Tableaus mit dezent unterschiedlichen Ausrichtungen haben, fühlt es sich für mich nach immer demselben Wettrennen mit immer denselben Stellschrauben an. Meine Neugierde auf weitere Partien ebbte bald ab.
Ab vier Personen dauert TRIBES OF THE WIND üblicherweise länger als die angegebenen 90 Minuten, mitunter auch deutlich länger. Aber selbst zu dritt bin ich nicht hingerissener. Wir spielen weitgehend nebeneinander her. Das Thema ist schwach, dem dargebotenen Endzeitszenario stehe ich emotionslos gegenüber, alles ist eben doch nur rein mechanische Eurokost. Die entscheidende Frage für den Wiederspielreiz ist vermutlich, ob man den Kartenmechanismus so stark findet, dass er den herkömmlichen Rest überstrahlt. Ich finde das nicht.


**** solide

TRIBES OF THE WIND von Joachim Th?me für zwei bis fünf Spieler:innen, Huch / La Boîte de Jeu.

Mittwoch, 23. August 2023

Duos – Dinge & Tiere

NICHTS auf REZENSIONEN FÜR MILLIONEN geschieht durch Zufall, harharhar! ALLES folgt einem monumentalen, immerwährenden Plan. Und so ist es natürlich auch kein Zufall, dass ich zwei Partyspiele nacheinander bespreche. Sie bilden ein … DUO!
(Außerdem habe ich gerade nicht so viel Zeit, und Partyspiele zu besprechen, geht wegen der Regelkürze echt schneller.)

Wie geht DUOS? Abwechselnd zwölf Abbildungen von Tieren oder Objekten liegen aus. Jede:r bildet geheim hinter einem Sichtschirm vier Paare, von denen man meint, sie passen gut zusammen, und markiert sie mit Farbwürfeln. Beispielsweise könnte ich beschließen, dass die zwei kleinen Fische sich doch recht ähnlich sind und der Hai, der da auch noch in der Auslage mitschwimmt, eher nicht so gut passt.
Nun wird aufgedeckt. In jeder Runde ist jemand anderes als „Ansager:in“ an der Reihe. Bin ich es, werden meine Paare mit denen der Mitspieler:innen verglichen. Bei Übereinstimmungen erhalten wir Punkte: meine Mitspieler:innen für jeden ihrer Treffer; ich hingegen muss in einer Tabelle ablesen, was ich bekomme.


Was passiert? Im Durchschnitt sind etwa zwei Paare relativ offensichtlich (wobei es auch immer wieder Mitspieler:innen mit eher speziellen Ansichten gibt). Um einen Punktevorsprung herauszuarbeiten, kommt es dann auf die beiden anderen an. Ob man sich da nun richtig oder falsch entscheidet, kann einfach Glück sein. Paarbildung A wäre genauso plausibel wie Paarbildung B. Vielleicht habe ich es so gemacht wie die Ansager:in – vielleicht aber auch nicht.
DUOS suggeriert durch seine Wertung, man solle sich speziell in die Gedanken der Ansager:in hineinversetzen. Das geschieht aber nicht. Üblicherweise besteht schlichtweg eine gewisse Grundeinigkeit, was paarfähig ist und was nicht. Bei den Tieren orientierten sich meine Runden oft an den Gattungen, bei den Dingen daran, wo und wie sie zum Einsatz kommen. Und wie sollte ich erahnen, dass irgendwer es für besonders gewitzt hält, Paare gegen alle Erwartungen zu bilden? Kreativ und originell zu denken, lohnt sich gerade nicht, weil man ja auf Übereinstimmungen abzielt. Die Punktestände liegen deshalb üblicherweise sehr eng beieinander.


Was taugt es? Dass man für die Punktwertung eine Tabelle zu Rate ziehen muss, dient vermutlich der Balance (die Ansager:in soll nicht das Vielfache an Punkten machen können), ist aber etwas unelegant. Wenn auch kein Beinbruch. Ansonsten spielt sich DUOS angenehm unproblematisch und zugleich unterhaltsam.
Beim Offenbaren der Einschätzungen ergibt sich je nach Mentalität der Beteiligten ein mehr oder weniger großes Hallo. Manchmal werden die Entscheidungen auch diskutiert. Man hat mit DUOS recht zuverlässig eine gute Zeit, allerdings ohne das Gefühl, etwas Neuartiges oder Außergewöhnliches zu spielen.


**** solide

DUOS – DINGE & TIERE von Niklas Gestrin und Markus Tangring für zwei bis sechs Spieler:innen, Huch / Granna.

Freitag, 18. August 2023

Secret Identity

Wer ist das?



Wie geht SECRET IDENTITY? Erklär’s mit Symbolen! Ich bekomme eine von acht offen ausliegenden prominenten Personen oder fiktiven Figuren zugelost und soll mit bis zu drei meiner Symbolkarten erklären, um wen es sich handelt. Ich darf Symbole auf die grüne Seite meines Tableaus stecken. Das bedeutet dann: Der Hinweis trifft zu. Auf der roten Seite bedeutet es: Hinweis trifft nicht zu.
Meine Mitspieler:innen machen parallel dasselbe. Anschließend raten wir. Jeder Treffer bringt beiden Beteiligten je einen Punkt – also dasselbe System wie etwa bei KRAZY WORDZ, KRAZY PICS oder PICTURES.
Für das gesamte Spiel, das über vier Runden läuft, habe ich nur zehn Symbolkarten zur Verfügung. Zwar sind auf jeder vier Symbole zu sehen, was eine gewisse Auswahl bedeutet. Wenn ich aber in den ersten drei Runden das Maximum von drei Karten verschieße, stehe ich in der letzten Runde ziemlich blank da. Sparsamkeit ist also angeraten.


Was passiert? Man kann Glück, man kann Pech haben. Soll ich „Die Maus“ erklären und habe eine Karte mit einer Maus, erwartet mich zuverlässig ein schöner Punkteregen. Soll ich Nena erklären und besitze ein Mikrofon und einen Luftballon, könnte die Sache ein ähnlicher Selbstläufer werden.
Es gibt aber auch genügend Runden, wo man gar nichts Naheliegendes hat, wo man überlegen und improvisieren muss. Oder sich damit behilft, die darzustellende Person von den anderen sieben ausliegenden irgendwie abzugrenzen.
Je nachdem, ob es anderen genauso ergeht oder nicht, kann es Runden geben, in denen sich die meisten Rätsel blitzschnell lösen lassen. Oder dass es ganz im Gegenteil in Raterei ausartet.
Am besten sind die Runden dazwischen. Jemand hat sich etwas ausgedacht, man muss eine Weile dran knabbern, und dann fällt der Groschen: Jaa! Das ist ein tolles Gefühl. Für beide. Oft ist es auch witzig, wie manche Prominente von irgendwem auf eins, zwei Symbole heruntergebrochen werden. Das Peace-Zeichen und als Negativhinweis eine Kopfbedeckung? Ah, der Dalai Lama! Ein Herz und eine Abwärtsbewegung? Ah, der Typ von der Titanic!

Apropos Titanic: Es sind recht viele Film- und Serien-Charaktere im Spiel. In meinen Runden mussten sie überwiegend aussortiert werden, weil dann doch immer irgendjemand mitspielt, der die Figur nicht kennt. Und es hat wirklich keinen Sinn, die Karten dann drinzulassen. Selbst eine grobe Vorstellung reicht selten aus, weil in den Erklärungen mit Details und Insiderwissen gearbeitet werden muss. Und wenn ich lediglich weiß, dass Marge Simpson irgendwer bei den Simpsons ist, aber ihre Eigenschaften nicht kenne, bin ich raus. In Runden, die SECRET IDENTITY mehrfach gespielt haben, entstand so der Eindruck, alle in Frage kommenden Charaktere schnell durchgespielt zu haben.

Was taugt es? Prinzipiell finde ich solche Spiele super: SECRET IDENTITY ist leicht erklärt, es funktioniert in bunten Runden, man kann ein bisschen kreativ sein, und bei den Auflösungen wird immer mal wieder gelacht.

Allerdings ist man bei SECRET IDENTITY wirklich nur „ein bisschen“ kreativ. Meine Symbole schränken mich ein, und es sind etliche dabei, die so gut wie nie verwendet werden. Andere doppeln sich. Sie sind zwar nicht identisch, sagen aber dasselbe aus und werden für immer dieselben Kategorien eingesetzt, zum Beispiel der Notenschlüssel, die Note oder das Mikrofon immer wieder bei Musiker:innen. Am Ende ist die Vielfalt also gar nicht so groß.
Am meisten missfällt mir das Material. SECRET IDENTITY ist überproduziert. Als unsere Lösungen stecken wir (warum auch immer) nummerierte Pappschlüssel in Tresor-Tableaus. Das ist umständlich, und manchmal fallen die Schlüssel heraus, bevor sie es sollen. Im schlimmsten Fall wird dabei die Lösung verraten.
Mein Spiel ist inzwischen auch total abgerockt. Es war viel im öffentlichen Spieletreff im Einsatz, schätzungsweise 30 bis 40 Partien wurden damit gespielt. Jetzt sind einige Schlüssel ausgefranst und passen kaum noch in die Öffnungen. Mehrere der Magnetverschlüsse sind ausgerissen.
Die eingangs genannten Spiele – zur Erinnerung: KRAZY WORDZ, KRAZY PICS und PICTURES – finde ich allesamt runder und somit besser. Das Spielgefühl ist ähnlich. Wie sie schafft auch SECRET IDENTITY immer wieder Momente, bei denen man sehr lacht, über die man noch länger redet oder die man noch Tage später weiß.
Das Tüfteln macht Spaß. Dass man nicht im luftleeren Raum rät, sondern weiß, dass es eine von acht möglichen Lösungen sein muss, ist die entscheidende Hilfestellung, die das Kombinieren reizvoll statt beliebig macht. Die oben genannten Spiele – ich wiederhole ihre Namen nicht noch einmal – nutzen genau diesen Mechanismus auch.
Rein auf den Spielspaß bezogen, hätte ich „reizvoll“ unter den Text geschrieben, wegen der Materialumsetzung möchte ich SECRET IDENTITY aber nicht zu sehr empfehlen. Als Mittelwert nenne ich das jetzt „solide“, auch wenn der Begriff so gar nicht passt.

(Auflösung des Einleitungsrätsels: Ich!)


**** solide

SECRET IDENTITY von Johan Benvenuto, Alexandre Droit, Kévin Jost, Bertrand Roux für drei bis acht Spieler:innen, Strohmann Games / Funnyfox.

Freitag, 11. August 2023

Evergreen

Jetzt lüfte ich das große Geheimnis: Meine immer rarer gesäten Einleitungen stehen symbolisch für das Waldsterben.

Wie geht EVERGREEN? Wir lassen Wälder wachsen. Am Ende aller vier Runden punktet meine größte zusammenhängende Waldfläche. Außerdem scheint in jeder Runde die Sonne von einer anderen Richtung auf mein Tableau. Und es kommt eine Zählweise zur Anwendung, die man schon aus PHOTOSYNTHESE kennen könnte: Bäume, die von der Sonne beschienen werden, bringen Punkte. Große Bäume sogar doppelt. Allerdings nehmen Bäume anderen Bäumen das Licht weg. Was im Schatten steht, punktet nicht.
Die Wertung kreiert also einen doppelten Widerspruch: Wegen der Flächenwertung will ich meine Bepflanzung eng halten – allerdings verursacht die Enge viel Schatten. Und weil sie mehr Punkte bringen, will ich ausgewachsene Bäume – jedoch nehmen die den anderen besonders viel Licht weg. Und auch für die Schlusswertung will ich große Bäume. Denn dann können sie noch Extrapunkte bringen, abhängig vom Gebiet, in dem sie stehen.

Für jeden Zug liegen Karten aus. Reihum wählen wir eine und nutzen sie. Eine Karte bleibt übrig. Sie wird für die Schlusswertung beiseitegelegt. Ihre Farbe und Symbole geben an, in welcher Region große Bäume am Ende wie viele Punkte zählen. Karten mit Totenkopfsymbol allerdings zerstören gleichfarbige Karten, die bereits für die Schlusswertung auserkoren waren.
Mit der gewählten Karte führe ich zwei Aktionen aus: Eine (ich wähle frei zwischen mehreren Möglichkeiten) muss in dem Gebiet stattfinden, dessen Kartenfarbe ich genommen habe. Bei der anderen Aktion ist es umgekehrt: In der Ortswahl bin ich frei, aber die Aktion wird vom Symbol der Karte vorgegeben.
Aktionen könnten sein: Ich pflanze einen neuen Spross, ich lasse einen Spross zum kleinen Baum oder einen kleinen Baum zum großen Baum wachsen, ich lege einen See an und ringsum werden automatisch zwei Gehölze größer, ich pflanze einen Busch, der keine Punkte durch Sonnenbestrahlung bringt und auch nie wächst, aber bei der Flächenwertung mitzählt. Je häufiger ich dieselbe Aktion ausführe, desto stärker wird sie. Kann ich zunächst mit der Spross-Aktion nur zwei Sprosse pflanzen, können es später bis zu vier sein.


Was passiert? Anfangs ist das alles offenbar recht verwirrend (oder ich erkläre wirr). Jedenfalls kann ich nach der Gesamterklärung, sobald die ersten Karten gewählt werden sollen, die Kartenverwendung gleich noch einmal von vorne erläutern. So richtig intuitiv ist es wohl nicht.
Trotzdem ist EVERGREEN kein schweres Spiel, zumal sich vieles ganz hervorragend durch das Thema erklärt. Auch wenn wir Wohlstandskinder den Bezug zur Natur verloren haben: Eine gewisse Vorstellung davon, wie ein Baum wächst, haben wir schon noch.
Über die optimale Platzierung der Bäume kann man sich lange Gedanken machen. Ich bin aber gar nicht sicher, ob sich das so sehr lohnt. Die Sonne scheint nun mal im Laufe der Zeit aus allen Richtungen. Und ein Baum, den ich für den jetzigen Lichteinfall gut platziert habe, wird, wenn die Sonne weiterwandert, unabänderlich andere Bäume verschatten.
Ich bin stets gut damit gefahren, mehr Mühe in mein größtes Gebiet zu stecken und Bäume dort hochzuziehen, wo die Schlusswertung Punkte verspricht. Das, was in der Wertung vermeintlich an Dilemma stecken könnte, habe ich gar nicht so wahrgenommen. Und leider betrifft es genau den aus PHOTOSYNTHESE stammenden Teil, der thematisch so wunderbar stimmig ist.
Ich will aber gar nicht behaupten, dass der Besitz der größten Baumfläche der unbedingte Schlüssel zum Erfolg ist. Autor und Testspieler:innen werden das sicher gut ausbalanciert haben. Mein Punkt ist ein anderer: Indem sich EVERGREEN nicht auf eine Punktequelle konzentriert, entsteht für mich nicht die große Spannung. Alle Züge sind schon irgendwie ganz gut. Alles fühlt sich ähnlich an, es geschieht wenig Drama, das mich mitfiebern lässt. Klar, es gibt Karten in der Auslage, die ich lieber hätte als andere. Und klar, ich will nicht, dass Totenköpfe Schlusswertungen zerstören, auf die ich hingearbeitet habe. Doch das, was ich hier überwiegend solitär tue und erschaffe, lässt mich trotz Optik und Thema überraschend kalt.

Was taugt es? EVERGREEN sieht sehr hübsch aus, hat sehr gute Double-Layer-Boards und tolles Holzmaterial. Das Thema spricht mich an und ist nicht nur aufgesetzt, sondern findet sich in den Wertungsmechanismen wieder. EVERGREEN ist überwiegend konstruktiv, man nimmt taktisch Einfluss. Die Saat für ein begeisterndes Spiel wäre gelegt.
Doch für mein Empfinden fehlen EVERGREEN Höhepunkte im Spielablauf. Das Spiel erzeugt wenig Reibung, es bleibt lauwarm.


**** solide

EVERGREEN von Hjalmar Hach für eine:n bis vier Spieler:innen, Horrible Guild.

Montag, 7. August 2023

Vor 20 Jahren (128): Europa Tour

Die Erinnerungen an gute alte Spiele sind für mich oft an bestimmte Mitspieler:innen geknüpft. Denn so manches Spiel hat in einer Runde besonders gezündet und wurde in den anderen nur wenige Male gespielt und war dann weg vom Fenster. – Ich darf das nicht beklagen. Ich bin selbst schuld daran, weil ich überall immer wieder neues Zeug angeschleppt habe.

EUROPA TOUR (von Alan Moon und Aaron Weissblum) war über einen sehr langen Zeitraum das Absackerspiel meiner damaligen Montagsrunde, und wir haben über 50 Partien gespielt. Die letzte dürfte allerdings lange her sein, was kein Wunder ist, da sich die Montagsrunde inzwischen ganz anders zusammensetzt. Und mit anderen Menschen entwickeln sich andere Vorlieben.

Dass sich in einer Runde Favoriten etablieren, hat Vorteile. Man muss zum Beispiel keine Regeln mehr erklären, was bei EUROPA TOUR allerdings nicht so dramatisch ins Gewicht fällt. Zusätzlich herrscht eine Grundeinigkeit über das Spiel. Man muss nicht lange überlegen, was aus dem Regal gezogen werden soll, alle haben Lust dazu, keiner nörgelt, keiner findet das Spiel hinterher doof. Man weiß, was einen erwartet, hat schon verschiedene Taktiken ausprobiert, kennt auch die Schwächen des Spiels und akzeptiert sie einfach.

Sehr viele solcher Spiele, die zu irgendeiner Zeit mit bestimmten Menschen besonders gut waren, stehen noch bei mir im Regal. Mit der Idee, sie irgendwann mal wieder zu etablieren. Aber ich fürchte – nein: ich weiß –, dazu wird es nie kommen, denn die Menschen, mit denen ich heute spiele, sind oft andere. Und das Gefühl und die Vertrautheit, die man mit einem Spiel hatte, lassen sich nicht auf neue Konstellationen übertragen. Regelmäßig, wenn ich irgendwo alte Perlen auf den Tisch gebracht habe, wurde ich tendenziell enttäuscht. Es war dann doch nie wie früher oder so wie in meiner Erinnerung von früher. Selbst mit denselben Menschen nicht. Weil nach Jahren auch die Vertrautheit schwindet. Und – man muss es zugeben – weil Spiele auch besser werden und das Neue das Alte alt aussehen lässt.


Das gilt natürlich ganz bestimmt nicht für EUROPA TOUR, was ich jetzt einfach mal ungeprüft behaupte. Zugegeben, die Grafik ist oll. Aber das war sie auch vor 20 Jahren schon. Und okay, die Spielidee ähnelt RACKO, und RACKO ist vielleicht auch nicht mehr taufrisch, sondern sogar älter als ich. Und das gilt ansonsten nur noch für SCHACH und GO.

EUROPA TOUR ist ein etwas komplexeres RACKO. Wir bringen nicht Zahlen in eine Reihenfolge, sondern bereisen europäische Länder. Auf unserem Kartenhalter soll eine Verbindung von benachbarten Ländern oder dazwischengeschalteten passenden Verkehrsmitteln entstehen. EUROPA TOUR ist sozusagen ein völkerverbindendes Spiel. Dass die Realität in Europa 20 Jahre später ganz anders aussehen würde, hätte ich damals nicht gedacht.


Donnerstag, 3. August 2023

Tipperary

Je häufiger ich Plättchenlegespiele spiele, desto mehr gerate ich ins Grübeln: Ist die Erde am Ende doch eine Scheibe? (Ich behaupte nichts. Ich stelle nur Fragen.)

Wie geht TIPPERARY? Aus TETRIS-artigen Plättchen bauen wir ein Minatur-Irland. Weil die Plättchen recht klobig sind (aus maximal sieben Quadraten zusammengesetzt), brauchen wir nicht viele Züge, um ein ziemlich großes Gebilde entstehen zu lassen. Nach zwölf Runden ist das Spiel schon vorbei.
Größe ist wichtig, denn mit Irland wollen wir Punkte verdienen, und die größte geschlossene Fläche macht einen erheblichen Teil der Wertung aus. Ist mein Irland lückenlos sechs mal acht Felder groß, ergibt das multipliziert 48 Punkte – ungefähr die halbe Miete.
Getreidefelder und Destillerien nebeneinander zu platzieren, erzeugt Whisky und somit logischerweise ebenfalls Punkte. Schafe nebeneinander ergeben eine Herde und: Punkte. Auf verschiedene Weisen kann man sich noch mobile Schafe aus Holz verdienen, die den auf Plättchen abgebildeten Schafen hinzugefügt werden können und die Herde weiter vergrößern oder sogar zuvor versprengte Schafe miteinander verbinden.
Zwei Moore zum Schutzgebiet zu vereinen, bringt ein zufälliges Extrateil der Größe eins. Drei Ruinen in Reihe bringen einen Turm, der dazu dient, um ganz am Ende lästige Lücken für die Flächenwertung zu schließen.
Die Prozedur, wie wir an unsere Teile kommen, erinnert an PLANET UNKNOWN, ist jedoch einfacher und schneller: Rund um ein Drehrad liegen Teile in Zweier-Portionen aus. Das Rad wird mit Schwung gedreht. Wo mein Symbol stehenbleibt, nehme ich die beiden Teile, baue eins angrenzend bei mir ein und lege das andere wieder zurück.


Was passiert? Wir spielen alle gleichzeitig, jede:r puzzelt für sich. Das hat den Nachteil, dass ich wenig davon mitbekomme, was die anderen tun (nach jeder Runde wird lediglich verglichen, wer die aktuell größte Schafherde besitzt, um die zugehörige Besitzurkunde zu vergeben).
Es hat aber den Vorteil, dass bei TIPPERARY kaum Wartezeiten entstehen. Und da ich auf das Irland-Gebilde der anderen sowieso keinen Einfluss nehmen kann, empfinde ich die Gleichzeitigkeit hier als Vorteil. Sie gewährleistet, dass TIPPERARY in 30 Minuten gespielt ist, meist sogar schneller, was zu der Tiefe des Spiels sehr gut passt. So trägt der Spannungsbogen bis zum Schluss.
Der Reiz ergibt sich aus den widersprüchlichen Zielen. Ich will viel Fläche machen, also tendiere ich zu großen Teilen. Allerdings sind auf ihnen die eher weniger wertvollen Geländearten abgebildet. Und oft hängt noch irgendein doofer Zipfel dran, der bei mir nicht passt und in meinem schönen Rechteck eine Lücke lässt, die mich zwingt, zur Kompensation Extrateil oder Turm zu erwirtschaften. Wie oft wird mir das in der Folge gelingen und wie viele solcher Lücken kann ich mir also erlauben?
Destillerien will ich nach außen legen, damit ich Getreidefelder anlegen kann. Getreidefelder will ich auch nach außen legen. Moore auch, Ruinen auch. Man ahnt es: Nicht alles kann außen liegen, weil mein Gebiet sonst zerfranst. Und dann sind da noch meine Schäfchen, die ich irgendwie zusammenhalten will. Mit der Wahl eines von zwei Plättchen und dessen Ausrichtung und Platzierung ist man gut beschäftigt.


Was taugt es? TIPPERARY ist nicht gerade ein originelles Spiel. Die wesentlichen Zutaten hat man schon anderswo gesehen. Doch ein Spiel ist eben mehr als die Addition der Elemente, und in dieser Kombination und zusammen mit dem gut gewählten Thema und der gelungenen Illustration ergibt sich ein angenehmes Wohlfühl-Paket.
Weil sich das Besondere des Spiels kaum benennen lässt, hätte ich vielleicht auch „solide“ unter meinen Text schreiben können. Aber die Spielerfahrung war schlichtweg besser: In mehreren Runden wurde nach der ersten Partie gleich noch eine zweite und eventuell sogar dritte hinterhergeschoben. Ruckzuck hatte ich eine zweistellige Partienzahl zusammen, und ich bin immer noch nicht müde, TIPPERARY zu spielen, auch um zu erkunden, was passiert: ob ich nicht doch noch ein größeres Rechteck bauen, nicht noch mehr Whisky brennen oder noch mehr Schafe sammeln kann.
Die Anleitung des Spiels ist sehr gut. Bemängeln lässt sich allerdings der klein geratene Beutel, in den die Bauteile fast nicht hineinpassen. Da ich solch unförmige Plättchen ohnehin nicht mischen wollen würde, geht das trotzdem in Ordnung. Wirklich nicht so gut sind indes die instabilen Türme und die auf den Plättchen sehr unauffällig geratenen Bonusschaf-Symbole, die immer wieder übersehen werden.


***** reizvoll

TIPPERARY von Günter Burkhardt für zwei bis fünf Spieler:innen, Lookout Spiele.