Dies ist eine Einleitung. Oder ist es ein Bluff?
Wie geht AGENT AVENUE? Wir verfolgen einander auf einem Rundparcours. Wer sieben Schritte auf die gegnerische Figur gutmacht und die Figur damit einholt, gewinnt die Partie. Schritte gewinne oder verliere ich durch Agenten-Karten. Meine erste „Doppelagentin“ etwa führt dazu, dass ich einen Schritt rückwärtsgehen muss. Die zweite Doppelagentin bringt mich sechs Schritte vorwärts, die dritte und jede weitere wieder einen zurück.
Jede Runde erhalte ich eine Karte. Entweder bin ich der Anbieter. Dann wähle ich zwei meiner vier Handkarten, es müssen verschiedene sein, lege eine offen und eine verdeckt. Mein Gegenüber wählt zuerst aus, und ich muss nehmen, was übrigbleibt. Beim nächsten Mal legt mein Gegenüber aus und ich habe die erste Wahl.
AGENT AVENUE kann schon nach wenigen Zügen vorbei sein, längstenfalls spielen wir, bis die 38 Karten aufgebraucht sind.
Was passiert? AGENT AVENUE ist ein Bluffspiel. Der Reiz entsteht aus der Spannung, ob ein Bluff aufgeht, und aus der Freude, die Spielpartner:in hereinzulegen. Vielleicht lege ich eine attraktive Karte offen aus, und mein Gegenüber nimmt die verdeckte in der Annahme, sie müsse noch toller sein. Aber: Höhö, ist sie gar nicht. Oder die offene Karte ist mies, aber mein Gegnerüber nimmt sie trotzdem, weil ich doch sicher nicht so dermaßen plump eine gute Karte verdeckt durchschleusen werde. Höhö, genau das mache ich aber.
Umgekehrt versuche ich, das Minenspiel meiner Mitspieler:in zu lesen und das Level ihrer Dreistigkeit abzuschätzen. Ist jemand vorsichtig und bietet zwei etwa gleichgute Karten an? Oder wird da gezockt?
Im Bestfall entscheidet auch gar nicht mehr die Psychologie. Sondern ich kann eine Zwickmühle aufbauen. Einige Agenten-Karten schaffen Zwänge jenseits des Laufparcours. Der dritte „Draufgänger“ führt zur sofortigen Niederlage, die dritte „Codeknackerin“ zum sofortigen Sieg. Kann ich eine Codeknackerin anbieten, die meine dritte wäre, und dazu eine Karte, mit der ich meine Mitspieler:in einhole, gewinne ich in jedem Fall.
Was taugt es? AGENT AVENUE ist sehr schön für eine schnelle spannende Runde zwischendurch. Oft werden auch gleich mehrere Runden daraus, weil man eine Niederlage nicht auf sich sitzen lassen möchte.
Dass eine Person teilt und die andere wählt, ist nichts Neues. Die Verbindung mit einem Laufparcours aber verdichtet den Mechanismus sehr gut auf das Wesentliche. AGENT AVENUE ist klar und wunderbar schlank und kommt mit gerade mal acht verschiedenen Agenten-Karten aus. Deren Fähigkeiten sind sehr gut abgestimmt.
Die Kehrseite der Verschlankung: Man hat bald alles erlebt, was es zu erleben gibt. Die Verläufe wiederholen sich. Aus gutem Grund enthält AGENT AVENUE noch 15 weitere (spaßig illustrierte) Karten für Fortgeschrittene. Davon gewinne ich eine, wenn ich auf einem der vier Eckfelder der Laufstrecke lande. Manche bringen Sofort-, andere Dauereffekte wie „Wenn du sieben unterschiedliche Agenten im Spielbereich hast, gewinnst du das Spiel“ oder „Wenn du genau auf einem der beiden Startfelder ankommst, gehe drei Schritte nach vorne“. So erhöht sich die Zahl der Dinge, die man beachten muss, und die Zahl der Fallen, in die man tappen kann.
Mit kleinen Anpassungen lässt sich AGENT AVENUE auch gut und problemlos zu dritt oder zu viert spielen. Auch dies variiert das Spiel noch mal.
So gelungen ich AGENT AVENUE finde: Nicht allen Mitspieler:innen hat es gefallen. Manche mögen das wiederholte Bluffen schlichtweg nicht. AGENT AVENUE hat davon profitiert, dass ich es mit vielen verschiedenen Personen ausprobieren konnte und mich deshalb auf verschiedene Spielweisen einstellen musste. Dass ich es im Dauereinsatz mit derselben Person spielen wollen würde, glaube ich eher nicht. Es ist sehr konfrontativ und somit nicht das typische Wohlfühlspiel für Wochenende oder Urlaub.
***** reizvoll
AGENT AVENUE von Christian Kudahl und Laura Kudahl für zwei Spieler:innen, Nerdlab.