Dienstag, 3. Dezember 2024

Faraway

Faraway Cover

Ende.

Wie geht FARAWAY? Wir legen nacheinander acht Karten ab. Der Prozess ist immer gleich: Drei Karten haben wir auf der Hand, eine legen wir. Wer die niedrigste Zahl gelegt hat, wählt zuerst eine neue Karte aus einem kleinen Vorrat. Dann die anderen. So haben wir wieder drei Karten, legen wieder eine und so fort.
Am Ende des Spiels soll die Auslage viele Punkte zählen. Abgerechnet wird aber in einer vorgegebenen Reihenfolge, nämlich von hinten nach vorn: Wir verdecken die ersten sieben Karten wieder und werten zunächst die achte.

Faraway Karten

Die ersten sieben Karten sind – obwohl sie bereits feststehen – für die Wertung der achten noch nicht existent. Das ist aus zweierlei Gründen ein Problem: 1. Viele Karten haben Bedingungen, um überhaupt gewertet zu werden, beispielsweise sollen dafür in meiner Auslage zwei Symbole „Chimäre“ und ein Symbol „Distel“ vorhanden sein. Und je weniger Karten offenliegen, desto weniger Symbole liegen offen. 2. Die meisten Karten zählen einen variablen Punktwert, zum Beispiel drei Punkte für jede gelbe oder grüne Karte. Und solange sieben Karten zugedeckt sind, habe ich sicherlich nicht ganz so viele sichtbare gelbe oder grüne.

Faraway Wertung

Nach Wertung der achten Karte decken wir zusätzlich die siebte Karte auf, werten auch sie, dann die sechste … und so weiter bis zur ersten.

Was passiert? Da die hohen Karten üblicherweise fette Wertungen mit schwierigen Bedingungen verknüpfen, während niedrige Karten Symbole mitbringen, jedoch gar keine oder mickrige Wertungen, wäre es ziemlich logisch, die Karten in absteigender Reihenfolge zu legen, um im Finale erst die Symbole und dann die Wertungen aufzudecken. Bei nur drei Handkarten habe ich jedoch nicht immer die tollste Auswahl und vor allem …
Ich werde belohnt, wenn ich aufsteigend lege! Immer wenn meine aktuell gelegte Karte höher ist als meine Karte davor, erhalte ich eine Bonuskarte („Heiligtum“). Diese Kartensorte wird bei der Wertung niemals zugedeckt und zählt immer mit. Bonuskarten liefern Symbole, Bonuskarten können farbig sein und punkten dann bei Farbwertungen, Bonuskarten können selbst kleine Wertungen auslösen. Bonuskarten ziehe ich einfach vom Stapel. Je mehr Symbole „Hinweis“ in meiner Auslage sind, desto mehr Bonuskarten bekomme ich pro Ziehvorgang zur Auswahl.
Die Logik von FARAWAY ist ohnehin verkehrt herum, die Bonuskarten stellen die Sache nochmals auf den Kopf. Weil Bonuskarten sehr wertvoll sind, versuche ich, möglichst oft aufsteigend zu legen. Damit wächst das Risiko, dass Karten ihre Wertungsbedingungen nicht erfüllen. Was ich aber wiederum durch die Bonuskarten auszugleichen hoffe.
FARAWAY ist ein Zockspiel. Jede Karte, die ich nur deshalb lege, damit sie andere Karten unterstützt, ist eine Karte, die nicht wertet. Ich will aber viele Karten, die werten. Wenn ich noch zwei Symbole „Stein“ benötige, lege ich meistens trotzdem etwas anderes und hoffe darauf, die beiden Steine über Bonuskarten hereinzubekommen. Das kann klappen – oder auch nicht. Entsprechend krass können Spiele durch die Decke oder in die Hose gehen.


Faraway Heiligtümer

Was taugt es? Vielen Mitspieler:innen gefällt FARAWAY. Mir auch. Ich sehe es als schnell runtergespieltes Zwischendurchspiel, dessen Reiz darin besteht, aus wenigen Karten eine kleine Maschine aufzubauen, die einerseits Punkte abwirft und andererseits auch alle dafür nötigen Voraussetzungen mitbringt. Die Schicksalshaftigkeit ist aus meiner Sicht kein Problem, zumal FARAWAY in einer geübten Runde nur 20 Minuten dauert.
Wer die Zielgruppe für FARAWAY sein könnte, kann ich jedoch nicht so klar definieren. Spieldauer und Zufallsanteil sprächen eher für ein Spiel für alle. Die Originalität von FARAWAY baut allerdings Hürden auf. Ich habe Mitspieler:innen beobachtet, denen selbst nach einer vollen Partie inklusive Wertung noch kein Licht aufgegangen war, was in FARAWAY sinnvollerweise zu tun wäre was daran auch nur annähernd Spaß machen könnte.
Zweifellos nutzt sich die Originalität auch ab. Hat man sich eingefunden und die Fallen und auch die Chancen kennengelernt, spielt man schematischer. Man hat erfahren, was geht und was nicht geht, und macht natürlich das, was geht. Und hofft, dass es wieder funktioniert.
Im Rahmen eines derart kurzen Spiels empfinde ich dieses gewohnheitsmäßige Runterdreschen aber nicht als Manko. Denn trotz allem bringt jede Partie Ungewissheit und deshalb immer wieder Spannung: Welche Karten bekomme ich? Kriege ich die nötigen Symbole zusammen? Schaffe ich einen guten Score, womöglich einen neuen Highscore?


***** reizvoll

FARAWAY von Johannes Goupy und Corentin Lebrat für zwei bis sechs Spieler:innen, Kosmos.

Samstag, 30. November 2024

Gern gespielt im November 2024

ENDEAVOR – DIE TIEFSEE: Ich mag die Tiefe.

FISCHEN: Legacykartenspiel mit Stichen als schwerem Erbe.

AGENT AVENUE: Agent, Agent, ein Spielstein rennt.

PUERTO BANANA: Wenn du für 31 Bananen 74 Bananen bietest, obwohl du nur 26 Bananen besitzt.

FARAWAY: Da muss man erst mal den Rückwärtsgang reinkriegen.






UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM NOVEMBER:

MEDICAL MYSTERIES – NEW YORK EMERGENCY ROOM: Es fühlt sich unmoralisch an: Trotzdem bin ich froh über die Gewissheit, dass es auch in MIAMI noch ein paar hilfsbedürftige Kranke gibt.




Montag, 25. November 2024

Shake That City

Shake That City: Cover

Ich kann auch nicht jedes Mal eine Einleitung aus dem Ärmel schütteln.

Wie geht SHAKE THAT CITY? Wir bauen auf sechs mal sechs Felder großen Tableaus Städte mit Wohnvierteln, Geschäften, Parks, Fabriken und Straßen. Jede Plättchensorte punktet auf andere Weise. Parks sollten neben Wohnvierteln oder Fabriken liegen, Geschäfte möglichst im Stadtzentrum, aber sie benötigen einen Straßenanschluss, Wohnhäuser sollen keinesfalls an Fabriken angrenzen ...
Ein mechanischer Pappapparat (der „Shaker“) spuckt jede Runde zufällige neun Holzsteine aus, fein geordnet als Raster der Größe drei mal drei. Steine gibt es in fünf unterschiedlichen Farben, manche häufiger, andere seltener. Jede Farbe steht für einen der fünf Bebauungstypen.

Shake That City: Shaker

Die Startperson wählt zuerst eine der Farben und muss entsprechend viele zugehörige Gebäudeplättchen in die eigene Stadt legen – und zwar in exakt derselben Anordnung, wie die Klötze aus dem Shaker herausgekommen sind. Wählte ich im Bildbeispiel Blau, müsste ich vier blaue Geschäfte in jeweils zwei parallelen Zweiergruppen bauen. Wählte ich Grau, dürfte ich ein graues Straßenplättchen auf irgendein freies Feld meiner Stadt legen.
Alle anderen Spieler:innen wählen nun ebenfalls eine Farbe und legen die Plättchen. Die Wahl der Startperson ist für alle Nachfolgenden tabu.
Das spielen wir 15 Runden lang und rechnen am Ende die Punkte aus. Neben den fünf Gebäudearten punkte ich auch für korrekt gefüllte Reihen und Spalten. Welche Vorgaben da jeweils gelten, losen wir zu Spielbeginn aus. Beispielsweise sollen in die erste Spalte sechs beliebige Gebäude, in die zweite sollen mindestens vier schwarze Fabriken. Und so weiter.

Was passiert? SHAKE THAT CITY ist ein Mehrpersonen-Solitärspiel. Bin ich nicht selber Startspieler, warte ich ab, welche Farbe zuerst genommen wird, und analysiere dann, welche der übrigen mir am besten in den Kram passt. Wir spielen gleichzeitig, und was die anderen tun, beeinflusst mich nicht.

Shake That City: Stadt

Auf welche Gebäudesorten ich abziele, ist teilweise Geschmackssache. Man kann mit jeder Farbe ordentlich punkten. Je weiter das Spiel fortschreitet, desto mehr Zwänge und Notwendigkeiten ergeben sich allerdings: Geschäften fehlt noch eine Straßenanbindung, Wohnblocks laufen Gefahr, dass nebenan Fabriken entstehen.
Solche Legeunfälle passieren, weil ich gezwungen bin, eine Farbe zu wählen, und zwar eine, von der ich sämtliche Plättchen wie vorgegeben verbauen kann. Und weil mein Tableau immer voller wird, passt von den hingeschüttelten Farben vielleicht nur noch eine einzige – die muss ich nun nehmen. Und womöglich an einen idiotischen Ort legen.
Diese Zuspitzung macht das Spiel im Finale spannend. Wer will, kann Risiko vermeiden und – um am Ende flexibler zu sein – anfangs lieber Farben mit wenig Plättchen wählen. Weil man aber nicht weiß, was der Automat ausspuckt, kann Vorsicht auch nach hinten losgehen. Womöglich kriege ich im Finale wenig Material und meine Stadt bleibt zu leer.

Was taugt es? SHAKE THAT CITY ist ein strukturiertes Spiel mit sehr klaren Abläufen. Die Übersichtstafeln klären alle Fragen. Die Punktwertungen und Wechselbeziehungen der Plättchen sind thematisch schlüssig.

Shake That City: Übersicht

Wie gut der Shaker funktioniert, hat mich überrascht. Klar, es bleibt auch mal ein Klötzchen stecken, und dann muss man die Maschine noch einmal bedienen. Aber im Regelfall bekommt man neun zufällige und sehr akkurat aufgereihte Holzsteine. Müsste man die Farbvorgabe mit gemischten Karten herstellen oder indem man Würfel aus einem Beutel zieht: Man verlöre bald die Lust.
Im Grunde trägt der Shaker das komplette Spiel. Er ist sogar faszinierender als die Legeaufgabe – die völlig in Ordnung ist, vor allem dank ihrer Reduziertheit aufs Nötigste. Aber sie folgt Ideen, die auch schon in anderen Stadtbauspielen beackert wurden.
Mechanisch originell finde ich, dass man anders als in anderen Legespielen nicht nur jeweils ein Plättchen bekommt, sondern oft gleich mehrere und die in einer vorgegebenen Anordnung. Das verleiht SHAKE THAT CITY auch Puzzle-Charakter. Die Idee ist interessant, aber trotzdem nicht so umwerfend, dass SHAKE THAT CITY im Vergleich zu den vielen anderen Legespielen herausragt.
Daran ändern auch das alternative Tableau (Stadt am Meer) und das enthaltene Modul nichts, obwohl ich es natürlich sehr begrüße, dass die Autoren Varianten mitliefern. SHAKE THAT CITY ist für mich ein typisch solides Spiel. Mit einem tollen mechanischen Gerät.


**** solide

SHAKE THAT CITY von Mads Fløe und Kåre Torndahl Kjær für eine:n bis vier Spieler:innen, Board Game Circus / AEG.

Donnerstag, 21. November 2024

Rebel Princess

Rebel Princess: Cover

Schade, in der Einleitung habe ich diesmal nichts Stichhaltiges zu bieten.

Wie geht REBEL PRINCESS? Es ist ein Stichspiel, bei dem wir Stiche meistens vermeiden wollen, denn alle blauen Karten im Stich (die Prinzen) zählen Minuspunkte. Und noch mehr Minuspunkte zählt die grüne Acht (der Frosch).
Eingekleidet ist das in eine schöne und auch sehr einleuchtende Geschichte. Wir sind Prinzessinnen, wollen in Ruhe eine Tanzparty veranstalten, aber typisch Typ: Die übergriffigen Prinzen schleichen sich ein und nerven mit ihren Heiratsanträgen.
Eigentlich folgt das Spiel sehr einfachen Regeln, nämlich die höchste Karte der angespielten Farbe gewinnt den Stich. Allerdings wird diese Einfachheit doppelt durchbrochen. Erstens besitzen wir jeweils eine Sonderfähigkeit, die einmal pro Runde auf irgendeinen Stich angewendet werden darf. Zweitens gilt für jede Runde eine andere zufällig bestimmte Zusatzregel.

Rebel Princess: Regelkarten

Beispielsweise müssen wir unsere Blätter vorab in zwei Hälften teilen und spielen erst die eine und dann die andere. Oder die roten Karten sind Trumpf. Oder nach jedem Stich wird eine Karte nach rechts weitergegeben. Oder jede gespielte Sechs kehrt die Reihenfolge der Zahlen im Stich um. Und so weiter.

Was passiert? Die raschen Regeländerungen bewirken einerseits, dass REBEL PRINCESS nicht so ganz einfach ist. Man muss sich ständig auf etwas Neues einstellen. Bei manchen Regeln geht erst hinterher ein Licht auf, wie man cleverer damit umgegangen wäre. Und bei manchen Regeln verstehen ohnehin nicht alle auf Anhieb, was gemeint ist, und man muss gemeinsam den Wortlaut deuten.
Gleichzeitig machen die garantierte Abwechslung und das Erfordernis, die Spielweise stets flexibel anzupassen, REBEL PRINCESS sehr unterhaltsam. Man freut sich darauf, dass die nächste Runde anders sein wird. Man ist gespannt darauf.


Rebel Princess: Karten

Was taugt es? Manchmal sind die Gestaltungsmöglichkeiten gering. Denn zweifellos gibt es – trotz Kartenweitergabe zu Beginn – bessere und schlechtere Blätter. Wer Stichspiele gut beherrscht und die Karten mitzählt, wird zwar auch bei REBEL PRINCESS erfolgreicher abschneiden, ist aber nicht unverwundbar. Die Sonderfähigkeiten lassen sich teilweise bestens nutzen, um jemand eins auszuwischen oder den Spielverlauf erheblich zu verändern.
Die Sonderfähigkeiten halte ich übrigens für nicht gleichermaßen stark. Oder zumindest haben sich in meinen Runden manche als deutlich leichter nutzbar erwiesen als andere. Bei einem ohnehin auf Chaos und Witz angelegten Spiel fällt das vielleicht nicht ganz so sehr ins Gewicht.
Das Konzept, immer wieder anders sein zu wollen, löst Spielreiz aus, begrenzt ihn in gewisser Weise aber auch. Angesichts der vielen Stichspiele auf dem Markt würde ich dauerhaft dann doch lieber eins spielen wollen, das verlässlich durchkomponiert ist, und eher keins, bei dem manche Regelmodifikationen gelungener und manche weniger gelungen sind.
Ab und zu oder wenn’s speziell gewünscht ist, wäre ich aber auch bei REBEL PRINCESS dabei. REBEL PRINCESS ist eine sichere Bank, um eine Stichspielrunde gut zu unterhalten, Aufmachung und Spielgeschichte sind sympathisch.


**** solide

REBEL PRINCESS von Daniel Byrne, Gerardo Guerrero, Kevin Peláez und Tirso Virgós für drei bis sechs Spieler:innen, Wonderbow / Zombi Paella.

Sonntag, 17. November 2024

Lumicora

Lumicora Cover

Meinen Einleitungen geht es wie den Korallenriffen: Einst strahlten sie in Farben, mittlerweile herrscht nur noch graue Tristesse.

Wie geht LUMICORA? LUMICORA ist ein Legespiel, bei dem die Legeteile auch gestapelt werden. Mit Dominos bauen wir Korallenriffe. Alle Dominos zeigen eine Zahl zwischen eins und sechs. Auf ihrer anderen Hälfte zeigen die Einser-, Zweier- und Dreier-Dominos ein Tier, die höheren Dominos nichts.
Wenn ich in die Höhe baue, komme ich nicht umhin, Dominos teilweise zu überdecken. Tendenziell möchte ich, dass große Zahlen und Tiere sichtbar bleiben. Um kleine Zahlen ist es meistens nicht schade. Oft stören sie sogar. Jede der vier Korallenfarben darf ich einmal während der Partie werten. Dann zählt in jeder Ebene diejenige sichtbare Zahl mit dem niedrigsten Wert.

Lumicora Korallen

Je höher mein Riff wächst, desto mehr Ebenen kann ich also werten. Im Widerspruch dazu belohnt die Schlusswertung Ausbreitung in der Fläche. (Und die Tiere zählen am Ende auch noch Punkte.)
Ungewöhnlich sind die Regeln, nach denen wir unsere Bauteile bekommen. Bin ich am Zug, spiele ich eins meiner Teile in die Mitte (wo schon andere Teile liegen) und wähle dann (üblicherweise) von dort bis zu drei Teile einer anderen Farbe. Diese muss ich nun verbauen. Ich baue also (üblicherweise) kein Teil aus meinem Vorrat, sondern hoffe auf ein schönes Angebot in der Mitte.

Was passiert? Ich muss mein Riff genau planen, damit ich nichts überbaue, was nicht überbaut werden soll. Ich muss gut haushalten, denn ab einer gewissen Riffgröße muss ich jede weitere Ausbreitung mit Kalksteinen bezahlen. Ich muss abwägen, was ich in die Mitte spiele. Ein Geschenk für die Konkurrenz soll es möglichst nicht sein. Und ich muss meine Wertungen gut timen und abschätzen, wann ich eine Farbe als abgeschlossen betrachte, um mich in meinen restlichen Zügen auf anderen Farben zu konzentrieren.

Lumicora Legeteile

Es gibt also einiges zu bedenken, allerdings verheddern sich viele meiner Mitspieler:innen schon an anderer Stelle. Sowohl das Nehmen als auch das Legen der Teile folgt gekünstelten Regeln, was während der Partie immer wieder zu Nachfragen führt. Und auch mehrmals zu denselben Fragen, obwohl sie schon beantwortet waren. LUMICORA geht nicht in Fleisch und Blut über. Vielfach musste ich korrigierend eingreifen.
Normalerweise müssen gleiche Korallenfarben zueinander benachbart oder aufeinander gelegt werden. Manchmal geht das aber nicht, und dann muss man es auch nicht. Und wiederholt wird dabei vergessen, dass nur Plättchen auf derselben Ebene als benachbart gelten. Intuitiv wird Sichtbarkeit als Kriterium für Nachbarschaft angenommen und eine gelbe Koralle in Ebene eins neben eine gelbe Koralle in Ebene zwei gelegt. Manche Spieler:innen verwirrt auch, dass man trotz der Pflicht, ein Teil in die Mitte zu legen, keins von dort nehmen muss, sondern durchaus auch eins aus dem eigenen Vorrat verbauen darf.
Dass ich meine Bauteile (üblicherweise) aus der Mitte bekomme, führt zu einer hohen Abhängigkeit von Mitspieler:innen und Nachfüllsack. Mit Glück bekomme ich eine Vorlage serviert und kann drei Plättchen auf einmal ergattern. Oder ich sehe schon vorher: Oh, da liegt mal wieder nichts Brauchbares für mich. Ab und zu gibt es die Möglichkeit, den Vorrat auszutauschen. Trotzdem fühlt sich der Erwerb der Spielsteine bei LUMICORA oft ungerecht an.

Lumicora Wertungsplan

Im Finale steigt die Schicksalshaftigkeit noch, weil ich zwei oder drei Farben schon gewertet habe und dringend auf Teile der anderen Sorten hoffe. Perfekt ist es dann, wenn ich es so gedeichselt habe oder es sich so ergeben hat, dass ich nun Farben brauche, die die anderen Spieler:innen nicht mehr brauchen.

Was taugt es? Die grundlegende Bau- und Puzzleaufgabe in LUMICORA empfinde ich als reizvoll. Sie ist jedoch mit weiteren Mechanismen verknüpft, die erstens unintuitiv sind und zweitens nichts Wesentliches zum Spielreiz beitragen.
Das sehr schön gestaltete und sehr schön ausgestattete LUMICORA will gewiss kein Spiel für Einsteiger:innen sein; es richtet sich an ein geübteres Publikum. Insofern darf es ein paar Regeln mehr haben – wenn sie das Spiel verbessern. Bei LUMICORA habe ich jedoch den Eindruck, die Regularien ergeben sich nicht aus einer Folgerichtigkeit, sondern aus der Hoffnung, ein paar Ecken und Kanten erhöhten den Spielreiz.


*** mäßig

LUMICORA von Rita Modl für zwei bis vier Spieler:innen, Deep Print Games / Pegasus Spiele.

Samstag, 9. November 2024

Kutná Hora: Stadt des Silbers

Kutna Hora: Cover

Schweigen ist Gold. Wortkargheit ist Silber.

Wie geht KUTNÁ HORA? Wir bauen Gewerbegebäude in der schönen Stadt Kutná Hora. Die zählen Punkte für jedes ihrer Wappen, das dem Wappen eines der Nachbargebäude entspricht.
Um zu bauen, benötige ich Grundstücke und Baurechte. Grundstücke kosten Geld, Baurechte kosten auch Geld. Ich brauche also Geld. Geld bekomme ich, wenn ich die Aktion „Einkommen“ wähle. Was ich aber möglichst selten tun möchte, weil es ein ansonsten weitgehend verlorener Zug ist. Damit ich die Einkommen-Aktionen selten wählen muss, möchte ich mein Einkommen maximieren.
Das wiederum ist in KUTNÁ HORA kniffliger als in anderen Spielen. Baue ich ein Gebäude, das etwa Nahrung produziert, sinken wegen des gestiegenen Angebots sofort die Nahrungspreise. Allgemeiner gesagt: Wann immer ich von einer Ware mehr produziere als vorher, sinkt zunächst deren Erlös. Die Ware wird erst dann wieder wertvoller, wenn auch andere Waren häufiger hergestellt werden.

Kutna Hora: Anzeiger

KUTNÁ HORA schafft also ein Abbild von Angebot und Nachfrage. Und das auf mechanisch einfache Weise: Es genügen zwei Kartendecks in Papphaltern mit Schiebern und Sichtfenstern darin sowie einfache Symbole auf den Gebäuden, wann in Folge ihres Baus Schieber verschoben oder Karten herausgezogen werden müssen.

Was passiert? Spielerisch mit dieser „dynamischen Wirtschaft“ umzugehen, ist gar nicht so einfach. Ich kann versuchen, anderen die Baurechte wegzuschnappen, damit ich es wenigstens selbst in der Hand habe, wie oft ein Gewerbe in die Stadt kommt. Durch Nichtbauen könnte ich das Warenangebot dann verknappen. Andererseits will ich ja generell durchaus bauen, schließlich bringt das Punkte.

Kutna Hora: Spielplanausschnitt

Timing ist in KUTNÁ HORA fast immer wichtig: wann ich ein Baurecht nehme (sobald es möglichst billig ist natürlich; aber warte ich zu lange, nimmt es wohl jemand anderes), wann ich mir ein Grundstück sichere (dito), wann ich Einkommen nehme (sobald es mir besonders viel bringt), wann ich am Dom mitbaue (dito).
Genau wie die Stadt bauen wir auch den Dom und übrigens auch das Bergwerk gemeinsam. KUTNÁ HORA ist durchzogen von Wechselspielen aus Kooperation und Konkurrenz: Die Bautätigkeit aller hat Einfluss auf die Preise. Die Wappen eines fremden Nachbargebäudes können meinem Gebäude Punkte bringen, gleichzeitig zählen dann auch meine Wappen fürs Nachbargebäude. Öffentliche Gebäude werden von einer Person gebaut, können aber allen helfen. Ich darf Patrizier in den Stadtrat einsetzen, um mir genehme Wertungen zu initiieren – aber andere profitieren davon möglicherweise ebenso.
Alle Aktionen wähle ich durch das Ausspielen zweigeteilter Karten. Sie zeigen eine Kombination aus zwei Aktionen. Eine der Aktionen führe ich durch, die andere muss ich verfallen lassen. Jede Aktion ist insgesamt nur zweimal auf meinen Karten abgebildet, so dass ich nicht dauernd dasselbe machen kann, sondern variieren muss.


Kutna Hora: Karten

Was taugt es? Der Kartenmechanismus ist einfach und einleuchtend, schwere Dilemmata löst er aber nicht aus. In meinen Partien musste sich selten jemand ärgern, die falsche Karte abgelegt zu haben und nun nicht die Wunschaktion ausführen zu können. Zumal man sowieso nicht darum herumkommt, für jeden Bau den dreigeteilten Ablauf aus „Grundstück reservieren“, „Baurecht sichern“ und „Gebäude bauen“ zu durchlaufen. Weshalb sich die Aktionsschritte auch erstens wie vorgegeben und zweitens langatmig anfühlen.
KUTNÁ HORA punktet mit der engen und auch thematischen Verflechtung seiner Spielelemente. Es ist überdies schön gestaltet mit Gold- und Silberdruck, filigran modellierten Spielsteinen aus Recyclingmaterial und praktischen Double-Layer-Boards. Und trotzdem verlockt es nicht zu vielen Partien.
Dass sich auf diffizile und manchmal auch chaotische Weise die Aktionen einzelner Spieler:innen auf alle und alles auswirken, ist auf einer Meta-Ebene originell, fühlt sich im Spiel aber nicht so reizvoll an. Es entsteht eher das Gefühl, in diesem fremdbestimmten System eingeengt zu sein. Die Neugierde auf kommende Partien hält sich deshalb in Grenzen.


**** solide

KUTNÁ HORA: STADT DES SILBERS von Ondřej Bystroň, Petr Čáslava und Pavel Jarosch für zwei bis vier Spieler:innen, Czech Games Edition / Heidelbär Games.

Eine ausführlichere Rezension zu KUTNÁ HORA habe ich für die spielbox 5/24 geschrieben.

Dienstag, 5. November 2024

Vor 20 Jahren (143): Sole Mio!

Sole Mio: Cover

MAMMA MIA! gehört zu den Spielen mit meiner schlechtesten Siegbilanz. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich trotz zahlreicher Versuche überhaupt je gewonnen habe. Als dann sechs Jahre später (und vor 20 Jahren) die MAMMA MIA!-Variante SOLE MIO! (beide Spiele von Uwe Rosenberg) erschien, war eigentlich klar: Es kann nur besser werden!

Eigentlich. Doch wie sich herausstellte, ist das eine doofe Floskel. Nur weil etwas schlecht ist, muss es gar nicht besser werden. Es kann zum Beispiel einfach genauso schlecht bleiben. Und potztausend: So war es! Auch an einen Sieg bei SOLE MIO! kann ich mich nicht erinnern. Und ich würde mich erinnern. Denn ich hätte das besondere Ereignis doch sicherlich mit einem unvergesslichen Tänzchen um den Tisch zelebriert.

Aber ich bin weiterhin an der Sache dran, und sobald ich’s geschafft habe, werde ich es hier natürlich sofort melden. Bei MAMMA MIA! wird das allerdings auf längere Sicht nicht klappen können. Wenn wir eines der beiden Spiele spielen, dann SOLE MIO!

Warum? Weil wir es mehr mögen. Dass man anderen beim Erfüllen ihrer Rezepte helfen darf (und dann als Belohnung selbst ein Rezept loswird) empfinden meine Spielerunde und ich als klare Verbesserung. Es bringt auch noch mal eine andere Taktik ins Spiel. Und Interaktion: Wann helfe ich? Wann nicht? Und wie viel lasse ich mich das kosten? Spendiere ich tatsächlich drei Zutaten? Absolut ungern. Aber vielleicht dann doch, bevor es wer anders tut.

Und wenn ich selbst derjenige bin, der Hilfe braucht: Nach wie vielen Zutaten frage ich? Nur nach der einen, der mir fehlt? Oder dreist nach zweien, damit ich heimlich eine Karte spare? Vielleicht verzocke ich mich dann, weil niemand das Gewünschte geben kann. Oder will.

Sehr angenehm finde ich auch, dass die Pizzarezepte in SOLE MIO! von der eigenen Spielfarbe entkoppelt sind. In MAMMA MIA! wäre es für mich als Gelbspieler sehr nachteilig, wenig Ananas zu bekommen. Denn bei sieben von acht Rezepten läuft ohne Pflichtananas gar nichts.

Andererseits hat MAMMA MIA! auch einen großen Vorteil: Die Rezepte sind intuitiv verständlich, während wir in SOLE MIO!, wenn wir es nach etwa einem Jahr Spielpause mal wieder hervorholen, so manche Kartenbedeutung zum x-ten Mal nachschlagen müssen. Vielleicht ist die größere Kompliziertheit der Grund, warum sich SOLE MIO! im Gegensatz zu MAMMA MIA! nicht durchgesetzt hat.

Dass es bei Abacusspiele nicht mehr im Programm ist, empfinde ich sogar als doppelten Verlust. 1. Neue Fans können nicht SOLE MIO! spielen. 2. Und sie können nicht beide Spiele mischen und MAMMA MIA! GRANDE spielen.

Welches ich übrigens auch noch nie gewonnen habe. Aber das hätte ich sicherlich gar nicht extra sagen müssen.


Samstag, 2. November 2024

Die Blumenstraße

Die Blumenstraße: Cover

Blumen sagen bekanntlich mehr als 1000 Worte.

Wie geht DIE BLUMENSTRASSE? Wir pflanzen Tulpenzwiebeln und bekommen Punkte dafür. Und weil das zu wenig verschachtelt wäre, machen wir auch noch viele andere Dinge und kriegen auch dafür Punkte.
Der mechanisch auffälligste Bestandteil von DIE BLUMENSTRASSE ist ein Windmühlentableau, mit dem ich meine Aktionen bestimme. Es besteht aus zwei ineinandergreifenden Zahnrädern, eins größer mit sechs Segmenten, eins kleiner mit fünf. In jedem Zug muss ich das Rad um mindestens eine Position weiterdrehen. Je ein Segment des großen und eins des kleinen Rades treffen sich nun an einer hervorgehobenen Stelle. Auf jedem Segment ist eine mögliche Aktion abgebildet. Eine der beiden Aktionen wähle ich und führe sie aus. Man kann sagen: Es handelt sich um ein verschlungenes Duo-Aktionsrondell.

Die Blumenstraße: Windmühlentableau

Mein Rondell kann ich im Laufe der Partie verändern, und das ist auch eine der möglichen Aktionen: Ich erwerbe ein Plättchen und platziere es auf einem Radsegment. Damit überdecke ich die bisherige Aktion, das Plättchen zeigt die neue Aktion. Plättchen sind üblicherweise verbesserte Versionen der Grundaktionen, Plättchen machen meine Mühlräder also stärker. Zweitens kann ich mich auch spezialisieren und bestimmte Aktionen mehrfach bei mir einbauen, andere dafür überbauen.
Bei Spielbeginn zeigen die Räder sieben verschiedene Aktion. Neben dem Rad-Upgrade gibt es eine Kartenaktion, die mir entweder einen Dauereffekt (mache ich fortan X, erhalte ich Y) oder eine Schlusswertung bringt. Und es gibt Aktionen, die zwar unterschiedlichen Regeln folgen, aber im Großen und Ganzen darauf hinauslaufen, dass ich Tulpenzwiebeln bekomme und / oder einpflanze und / oder Geld und / oder Punkte erhalte. Oder Plättchen oder Karten. Manche Aktionen sind mehrteilig. Dauereffekte können zusätzlich Kettenzüge auslösen.


Die Blumenstraße: noch ein Tableau

Was passiert? Weil die Räder unterschiedlich groß sind, ergeben sich beim Drehen nicht immer dieselben, sondern immer neue Aktionspaare. Das ist spielerisch interessant, weil man nicht so leicht in ein Schema verfällt, wie weit man dreht und welche Segmente man überspringt. Das Aktionsrad finden ohnehin alle Mitspieler:innen faszinierend. Es macht einfach Spaß, sich da eine eigene Maschine zu konstruieren, die hoffentlich viel effektiver ist als die der Konkurrenz.
Allerdings haben sich in meinen Partien manche Spieler:innen erstaunlich schnell in Sackgassen manövriert. Das Problem ist Geld. Anfänger:innen können noch nicht einschätzen, wie nachteilig es ist, blank zu sein. Manche Aktionen kosten Geld, und auch das Einlagern von Tulpenzwiebeln muss ab der sechsten Zwiebel bezahlt werden. Und wenn man da am Limit ist, will man natürlich keine Aktion wählen, die Tulpenzwiebeln brächte, zusätzlich scheidet jede Aktion aus, die Geld kostet – und so ist man sehr am Herumrechnen, was überhaupt geht und was einen Ausweg aus der Misere darstellt.
Diese Beobachtung spricht nicht generell gegen DIE BLUMENSTRASSE. Es ist ein Spiel im Kenner:innen- / Expert:innenbereich; da muss man eben durch Erfahrungen lernen. In meinen Partien habe ich zudem wahrgenommen, dass Führende schwer einzuholen waren. Aber auch das mag die Folge suboptimalen Spielens der Konkurrenz gewesen sein. Denn auch die richtige Einschätzung, welche Ausbauten und Wertungskarten wie stark sind, beruht auf Erfahrung. (Allerdings ist es natürlich auch Glück, an diese Dinge heranzukommen, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt ins Angebot rutschen.)

Was taugt es? Das Windmühlentableau mitsamt seiner Mechanik empfinde ich als sehr faszinierende Idee. Allerdings ist die Idee meiner Meinung nach in DIE BLUMENSTRASSE nicht optimal ausgearbeitet. Zu viele mittelmäßige und teilweise auch unnötige Mechanismen entfernen das Spiel von seinem zentralen Element. Das Aktionsrad steht weniger im Zentrum, als es sollte.

Die Blumenstraße: Spielplan

Insbesondere wenn Spieler:innen auf Tempo spielen (sobald jemand sein großes Rad viermal komplett gedreht hat, endet die Partie), macht man auf seinem hochgezüchteten Rondell gar nicht so viele Aktionen, wie man sich das vielleicht vorgestellt hat. Und selbst wenn langsam gespielt wird, passiert für mein Empfinden zu viel abseits des Rades. Das liegt an den Kettenzügen. Je mehr ich durch eine einzige Aktion bekomme, desto weniger Züge dauert das Spiel insgesamt und desto seltener muss während der Partie das Rad zum Einsatz kommen.
Es ist auch nicht gelungen, allen sieben Aktionen ein klares Profil zu geben. Ich jedenfalls habe nicht das Gefühl, es gibt genau diese sieben Aktionen, weil sie sich logisch aus dem Spiel herleiten. Sondern es gibt sie, weil das große Rad sechs Segmente hat und für jedes eine andere Aktion gefunden werden sollte. (Plus eine für alle Segmente des kleinen Rades.)
Alles ist stark verwoben. Es gibt die Aktion „Tulpenzwiebeln pflanzen“. Aber Tulpenzwiebeln kann ich auch als Folgewirkung beim Windmühlenbau pflanzen, auch beim Marktbesuch sowie (per Dauereffekt) nach dem Fernhandel, dem Schleusen oder dem Erwerb einer Karte.
Es ist also nicht so eindeutig, für welche Effekte eine Aktion am Ende steht, weshalb ich beim Bestücken meines Rades auch gar nicht alle Folgewirkungen und Verquickungen vorhersehen kann. Das macht das Planen des Rades diffuser, als es meines Erachtens sein müsste. Das Potenzial des Radmechanismus wird teilweise verschenkt.


**** solide

DIE BLUMENSTRASSE von Dani Garcia für eine:n bis vier Spieler:innen, Giant Roc.

Donnerstag, 31. Oktober 2024

Gern gespielt im Oktober 2024

ENDEAVOR – DIE TIEFSEE: Eintauchen lohnt sich.

VERRÄTER AN BORD: Dito – aber nur, wenn man jemanden vom Gegenteam erwischt.

FAIRY RING: Das Spielkonzept erinnert mich sehr an MONOPOLY. Aber weil es Feen sind, die den Parcours entlangziehen, und wir Mana statt Money einsacken, ist es sicherlich ganz anders gemeint.

TIME TROUBLE: Ich hätte nie gedacht, eines Tages im Team mit unter anderem einer Cyberqualle Fluffys aufzulesen. Aber ich hätte auch nie gedacht, eines Tages Spielekritiker zu sein. Manchmal nimmt das Leben eben absurde Wendungen.

KRAKEL ORAKEL: Wer ein bisschen malen kann, fühlt sich durch die Krakeltafeln vermutlich eingeschränkt. Ich dagegen blühe auf. Mit einer derart hilfreichen Unterlage hätte ich es im Kunstunterricht möglicherweise auf eine Drei bringen können!



UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM OKTOBER:

BOMB BUSTERS: Das erste Bumm des jungen Spieljahrgangs.






Freitag, 25. Oktober 2024

Bomb Busters

Bomb Busters: Cover

Bei einem Bombenspiel eine zündende Einleitung zu schreiben, hätte ich für zu gefährlich gehalten.

Wie geht BOMB BUSTERS? Irgendjemand Verrücktes droht mit einer Bombe. Wir sollen die Bombe kooperativ entschärfen. Also tages- und weltpolitisch alles, wie aus dem Leben gegriffen.
BOMB BUSTERS enthält 66 Missionen mit steigendem Schwierigkeitsgrad. Oder genauer: mit vermutlich steigendem Schwierigkeitsgrad. Was heißen soll: Für die Missionen, die ich gespielt habe, kann ich das so bestätigen. Ich bin aber längst noch nicht mit allem durch. (Muss ich auch nicht, um zu wissen, was ich von BOMB BUSTERS halte.)
In der ersten Mission sind Zahlenplättchen von eins bis sechs im Spiel, jedes viermal. Wir mischen sie verdeckt, teilen sie auf und stellen sie in aufsteigender Folge auf unsere Ablagebänkchen. Nur ich kann meine Zahlen sehen. Eins meiner Plättchen markiere ich mit einem Zahlenchip, so dass nun alle wissen: Aha, das da ist eine Drei.

Bomb Busters: Bänkchen

Bin ich am Zug, wähle ich das Plättchen einer Mitspieler:in und gebe einen Tipp ab, um welche Zahl es sich handelt. Tippe ich richtig, legt die Mitspieler:in ihr Plättchen offen aus, und ich spiele ein Plättchen derselben Zahl von meinem Bänkchen herunter. Was bedeutet, dass ich nur Zahlen raten darf, die ich selbst auch besitze.
Tippe ich falsch, kostet das unsere Gruppe ein Leben, und allzu viele Leben haben wir nicht. Aber immerhin darf die Mitspieler:in nun bekannt geben, um welche Zahl es sich tatsächlich handelt. Und wenn die anderen mitdenken, wissen sie nun, welche Zahl ich irgendwo besitze, denn besäße ich sie nicht, hätte ich sie ja nicht raten dürfen.
„Raten“ ist aber eigentlich das falsche Wort. Denn normalerweise raten wir nicht. Sondern wir wissen. Oder vermuten zumindest. BOMB BUSTERS ist ein Deduktionsspiel. Aus der Sortierung der Plättchen von klein nach groß kann ich Rückschlüsse ziehen. Ich weiß, welche Zahlen schon geraten wurden und welche noch im Spiel sind. Ich berücksichtige Wahrscheinlichkeiten. Und das Spielverhalten der anderen lässt Rückschlüsse auf ihre Zahlenwerte zu.


Bomb Busters: Bänkchen von hinten

Was passiert? In den ersten Partien neigen viele Mitspieler:innen noch dazu, ihren eigenen Zug nur irgendwie fehlerfrei hinter sich zu bringen. Je geübter die Gruppe ist, desto mehr denkt man für die anderen mit: Wie mache ich einen fehlerfreien Zug UND gebe damit neue verwertbare Informationen?
Schon bei Spielbeginn ist die Frage, welche meiner Zahlen ich benenne, eine wichtige Entscheidung. Ich kann anzeigen, dass ich überwiegend hohe oder überwiegend niedrige Werte habe. Ich kann die Stelle in meiner Zahlenreihe markieren, von der aus sich meine Mitspieler:innen am besten vorantasten. Ich kann potenzielle Gefahren andeuten.
Auch Timing kann entscheidend sein. Statt eines Rateversuchs darf ich auch einfach Zahlen aus meinem Halter herauslegen – sofern ich alle dieser Sorte besitze. Also entweder alle vier gleichen Zahlen oder die verbliebenen zwei, nachdem das erste Paar gefunden wurde. Es scheint nahezuliegen, diesen Zug bei erstbester Gelegenheit auszuführen. Falls ich dadurch wichtige Informationen gebe, sollte ich das auch machen. Wenn aber sowieso schon alle wissen, dass die verbliebenen Zahlen bei mir stehen, gibt es vielleicht einen für das Team besseren Zug.

Bomb Busters: Ablageplan

Die Missionen werden, wie gesagt, schwieriger. Bald gehen die Zahlen von eins bis zwölf, und es kommen noch gelbe (die sind schwerer zu knacken) und rote Plättchen hinzu (die sind noch schwerer zu knacken und obendrein sehr gefährlich). Wir schalten hilfreiche Gegenstände frei (die wir dann auch brauchen). Wir müssen die Zahlen in einer bestimmten Reihenfolge erraten. Und immer so weiter. Die Missionen, die ich bislang gespielt habe, empfand ich als gelungene Variationen: stets ein bisschen anders als das davor, aber nicht so sehr, dass man viele neue Regeln erlernen muss oder BOMB BUSTERS sich womöglich von seinem eigentlichen Kern entfernt.

Was taugt es? BOMB BUSTERS fühlt sich an wie eine Mischung aus DA VINCI CODE, SUDOKU und HANABI. DA VINCI CODE wegen der aufsteigenden Zahlen und der Deduktionsaufgabe. SUDOKU wegen der Art, wie man sich innerhalb des Rätsels immer weiter vorantastet und wie eine erfolgreich ermittelte Zahl hilft, um weitere Zahlen zu entschlüsseln. Und HANABI schließlich wegen der Kooperation bei limitierter Kommunikation.
Es sind immer mindestens vier Plättchenhalter im Spiel. Sind wir weniger als vier Personen, müssen manche von uns (oder alle) zwei Plättchenhalter gleichzeitig bedienen. Mein Verdacht, das sei deutlich weniger reizvoll, hat sich bislang nicht bestätigt. Zu dritt, wenn eine Person mit der doppelten Menge Plättchen spielen muss, bringt das sogar einen Zusatzkniff. Die Spieler:in mit zwei Plättchenhaltern weiß viel mehr als die beiden anderen und muss, weil sie trotzdem nicht mehr Spielzüge hat, besonders gut abwägen, wie sie diese Informationen nutzt und teilt.

Bomb Busters: Missionen

BOMB BUSTERS hat in den meisten meiner Gruppen sofort Begeisterung ausgelöst. Viele Spieler:innen mochten nicht so schnell wieder aufhören, sondern haben nach einer Mission gleich noch die nächste gespielt. Und dann die danach.
Der Einstieg ist leicht, die Regeln sind einfach. Ohne lange Vorlaufzeit passiert sehr schnell viel Spannendes. Es gibt immer wieder knifflige Momente, in denen jemand ein Risiko eingehen muss. Niemand besitzt Vollinformationen, es kommt auf jedes einzelne Teammitglied an. Wenn man dranbleibt und mitdenkt, wird man gemeinsam besser. Man feiert Erfolge.
Ich war Fan von HANABI und SKY TEAM, nun bin ich Fan von BOMB BUSTERS. Kooperative Spiele, in denen wir Teilwissen besitzen und eingeschränkt kommunizieren, um zu einem gemeinsamen Erfolg zu kommen, treffen bei mir offenbar einen Nerv. Ich glaube, Immersion erlebe ich am intensivsten, wenn kooperative Spiele von uns allen eine gewisse Mündigkeit verlangen und wir deswegen an einer Aufgabe wirklich als Team wachsen.
Lediglich die Materialausstattung gefällt mir nicht so. Alles ist recht klein, die Zahlenplättchen stehen enger beisammen, als es optimal wäre. Die Handhabung ist fummelig, die Bänkchen kommen mir billig vor. Schön wäre es, auf ihrer Rückseite ließe sich erkennen, auf welcher Seite die großen und auf welcher die kleinen Zahlen sind. Liegen erst mal Plättchen aus, braucht man diese Hilfe nicht mehr. Vorher jedoch sind schon Teilnehmer:innen durcheinandergekommen.


****** außerordentlich

BOMB BUSTERS von Hisashi Hayashi für zwei bis fünf Spieler:innen, Pegasus Spiele.

Montag, 21. Oktober 2024

Intarsia

Intarsia: Cover

Hätte ich mir jetzt mit Gewalt eine Einleitung ausgedacht, sie wäre mit Sicherheit hölzern geworden.

Wie geht INTARSIA? INTARSIA ist ein Legespiel mit besonders schönen Holzornamenten. Alle Ornamentteile kosten entsprechend ihrer aufsteigenden Wertigkeit eine, zwei, drei oder vier Karten derselben Farbe. Der Clou des Spiels ist, dass ich direkt nach dem Bauen neue Karten meiner Wahl nehmen darf, allerdings eine weniger, als das Teil gekostet hat, und in einer anderen Farbe. Mit jedem Bau treffe ich also auch schon eine Festlegung für kommende Bauaktivitäten.

Intarsia: Tableau

Es gibt natürlich Legeregeln (alles muss aneinandergrenzen, Ornamente müssen von außen nach innen gebaut werden), aber weniger diese Vorgaben schränken mich ein, sondern mehr meine Kartenhand. Ich muss zielgerichtet sammeln, um die nötige Kartenmenge einer Farbe zusammenzubekommen; ein allzu buntes Blatt will ich vermeiden.
Jede Bauaktion kostet mich unter dem Strich eine Karte. Kombiniere ich meine Karten gut, kann ich mit meinen zehn Karten pro Runde zehnmal bauen. Muss ich auf den Notbehelf zurückgreifen, eine fehlende Farbkarte durch zwei beliebige andere zu ersetzen, werde ich einmal weniger bauen. Denn kostet etwas nominell drei Karten, erhalte ich trotzdem nur zwei neue, selbst wenn ich vier oder mehr Karten eingesetzt habe.
Niemand würde ein Parkett verlegen, gäbe es keine Punkte dafür. Also gibt es Punkte: Die Zwischenwertungen belohnen, dass ich mich auf meiner Legefläche ausbreite, die Schlusswertung, dass ich mich auf wenige Ornamente konzentriere und sie komplettiere. Zwischen diesen beiden Extremen liegt die dritte Wertungsmöglichkeit: „Werkzeugplättchen“.
Solche Plättchen enthalte ich, wenn ich einen bestimmten Baufortschritt als Erster oder Zweiter erreiche, beispielsweise soll ich zwei rote Ornamente begonnen oder bei drei gelben Ornamenten schon mindestens bis zum zweiten Teil gekommen sein. Bereits gesammelte Plättchen punkten erneut, sobald ich ein weiteres mit demselben Werkzeugsymbol erhalte.

Intarsia: Werkzeuge

Es wäre also naheliegend, immer auf Plättchen der Sorten abzuzielen, die ich schon besitze. Aber genau das ist nicht so einfach, weil ich jedes Plättchen eines Werkzeug-Sets mit einer andere Baufarbe gewinne. Während also Zwischen- und Endwertung sture Zielgerichtetheit belohnen, erfordern die Werkzeuge Flexibilität.

Was passiert? INTARSIA hat einen klaren Rhythmus. Ich baue, ich nehme Karten, und vielleicht werte ich dann noch. Wegen des Wettrennens auf die Werkzeugplättchen beobachte ich auch die Baufortschritte der anderen, um nicht versehentlich Ziele anzupeilen, die andere voraussichtlich schneller erreichen. Oder um mich zwischen zwei Baumöglichkeiten für die dringendere zu entscheiden. Mit schwindenden Baukarten verringern sich meine Möglichkeiten aber. Oft ist schon für mehrere Züge klar, welche Kombination ich spiele und welche Karten ich mir dann nehmen werde und was ich dann spiele.

Intarsia: Karten

Sachte durchbrochen wird dieses Schema durch einen Rondellmechanismus. Baue ich für vier Karten, darf ich mir nicht irgendwelche drei Karten nehmen, sondern ziehe mit der gemeinsamen Figur einen oder zwei Schritte auf dem Rondell weiter. Das erreichte Feld bestimmt, welche drei Karten ich nun bekomme. Hier das Passende zu erwischen, erfordert Timing – sofern mir Timing möglich ist. Irgendwann muss ich meine Viererkombination nun mal spielen, selbst wenn es gerade nicht so gut passt. Der gemeinsam gesteuerte Spielstein auf dem Rondell ist ein winziger Chaosfaktor in diesem ansonsten nahezu zufallsfreien Spiel.

Was taugt es? Positiv ist mir aufgefallen, dass in INTARSIA höchst unterschiedliche und auch extreme Strategien zum Erfolg führen können. Allerdings erlebe ich wenig Spannung dabei, diese Strategien zu spielen. Egal, ob ich auf maximale Ausbreitung oder vollendete Ornamente spiele: Es fühlt sich immer schematisch an, INTARSIA verläuft gleichförmig und höhepunktarm. Damit kommt es tatsächlichem Parkettbauen vermutlich näher als AZUL dem tatsächlichen Fliesenlegen.
Letztendlich spielt das Thema nur eine untergeordnete Rolle. INTARSIA ist auf Unvollkommenheit angelegt, niemand wird sein Parkett bis zum Spielende auch nur annähernd fertigbauen. Das ist auch gar nicht das Ziel. Mit dem hübschen Material unternehmen wir wenig. Wir legen es lediglich auf exakt vorgegebene Orte des eigenen Spieltableaus. Denn die schönen Holzteile sind nur Anzeiger. Man hätte das Spielkonzept auch wesentlich weniger aufwendig umsetzen können, beispielsweise mit Pyramidenebenen.
Natürlich ist es in dieser Umsetzung viel schöner. Und vielleicht stand die Idee dahinter, ein Erfolgsrezept zu wiederholen: Nachdem uns Michael Kiesling in AZUL mit sehr hübsch gestalteten Kunststoffteilen Wände fliesen ließ, sind nun und mit wunderbaren Holzteilen die Fußböden an der Reihe.
Mechanisch haben AZUL und INTARSIA aber nicht viel gemeinsam. Und auch der Spielreiz klafft auseinander. In AZUL wäge ich ab, bin hin- und hergerissen, spekuliere und hoffe. In INTARSIA plane ich eher emotionslos vor mich hin. Ich spiele meinen Stiefel runter.


*** mäßig

INTARSIA von Michael Kiesling für zwei bis vier Spieler:innen, Deep Print Games / Pegasus Spiele.