Donnerstag, 30. April 2020

Gern gespielt im April 2020


ANDOR JUNIOR: Zu Legenden werden.



MAN MUSS AUCH GÖNNEN KÖNNEN: Man gönnt sich ja sonst nichts.



ROBIN VON LOCKSLEY: Robin in der Hood.



SPICY: Ich bin in einem Haushalt groß geworden, in dem es nur Pfeffer und Salz gab. Meine soziale Herkunft macht mich chancenlos.


LETTER JAM: Es ist das A und O, dass es nicht nicht A und O sein können.


PICTURES: Corona macht erfinderisch und plötzlich geht PICTURES auch zu zweit.





Dienstag, 28. April 2020

Little Town

Auch hier habe ich länger überlegt, ob ich „solide“ oder „reizvoll“ drunterschreiben soll. Dann kam die neue spielbox ins Haus und ich stellte fest, dass ich LITTLE TOWN darin 7 Punkte gegeben hatte. Manchmal ist das Leben einfacher, als man denkt.

Wie geht LITTLE TOWN? Personaleinsatz. Zum hundertsten Mal. Oder gar hundertundersten. Wer am Zug ist, platziert eine Figur auf einem freien Feld des Spielplans und kassiert von allen acht Feldern ringsum die Ressourcen. Seen, Berge und Wälder in Nachbarschaft bringen Fisch, Stein und Holz. Weitere Erträge liefern Gebäude, die allerdings erst im Laufe des Spiels entstehen.
Um ein fremdes Gebäude zu nutzen, zahle ich dem/r Besitzer*in eine Münze. Meine eigenen Gebäude nutze ich kostenlos. Gebäude bringen Getreide oder Geld oder Siegpunkte. Oder sie erlauben einen Tausch: Geld gegen Rohstoffe, Rohstoffe gegen Geld, Rohstoffe gegen Rohstoffe, Rohstoffe gegen Punkte und so weiter.
Ein Gebäude zu bauen, ist der Alternativzug zum Einsatz auf dem Spielplan. Ich zahle eine Kombination aus Holz und Stein, wähle ein noch verfügbares Gebäudeplättchen, lege es auf ein freies Feld und kassiere Punkte dafür.
Sind alle Figuren eingesetzt, müssen sie ernährt werden. Pro Figur ist ein Fisch oder ein Getreide fällig, sonst setzt es Minuspunkte. Diesen Ablauf spielen wir vier Runden lang. Im Viererspiel besitzen wir lediglich drei Figuren, sind also überhaupt nur zwölfmal am Zug.


Was passiert? Auf den ersten Blick gar nicht so viel Neues: Man checkt ab, wo es die besten Erträge gibt, und dort positioniert man seine Figur.
Die Einschätzung, was ein guter Ertrag ist, ändert sich allerdings im Laufe der Partie. Anfangs muss man noch größeren Aufwand für die Ernährung betreiben, später läuft das fast nebenbei und Baustoffe werden wichtiger; gegen Ende erscheint es schließlich oft am besten, die Materialien gar nicht mehr zu verbauen, sondern gegen Siegpunkte wegzutauschen. Trotz nur weniger Spielzüge durchläuft eine Partie LITTLE TOWN einen kompletten Spannungsbogen.
Zentrale Fragen sind: Welches Haus baue ich? Und wo? Und wann? Der variable Häuservorrat sollte analysiert werden. Gibt es nur wenige Häuser, die Geld generieren, wäre es sicherlich gut, eins davon zu besitzen.
Das Dilemma beim Hausbauen ist: Ich kann das Gebäude nicht sofort nutzen, erst mal sind meine Mitspieler*innen an der Reihe. Andererseits: Na, dann sollen sie doch! Jede Nutzung bringt Geld in die Kasse, und in der unattraktivsten Ecke zu bauen, nur damit niemand etwas davon hat, ist ein Schuss ins Knie, wenn man dann nicht einmal mehr selber hingehen mag.
Toll sind Gebäude, die einander zuarbeiten und obendrein so platziert sind, dass sich die Produktionskette mit nur einer Figur auslösen lässt. Toll sind auch Gebäude, die fremde Häuser sozusagen in den Schatten stellen, indem sie ihnen Figuren-Einsatzplätze rauben. Und umgekehrt können Figuren auch mal attraktive Bauplätze blockieren.
LITTLE TOWN hat Härten. Wer kein Geld mehr hat, muss eventuell lange warten, bis eigene Häuser wieder etwas einnehmen, und fremde Häuser können solange nicht genutzt werden. Die Spielzüge sind derweil also weniger ertragreich. Weil die Rohstoffwürfel begrenzt sind und wir ja mittlerweile wissen, wie sehr Menschen in Krisensituationen zum Horten neigen, kann es – vor allem im Spiel zu viert – geschehen, dass man irgendetwas nicht mehr bekommt. Umso ärgerlicher, wenn dies die Ernährung betrifft und mit Minuspunkten ins Kontor schlägt.


Was taugt es? LITTLE TOWN ist sicher nicht das ganz große Spiel, aber es heißt ja auch: LITTLE TOWN. Mir gefällt die Reduziertheit. Obwohl wir nichts Kompliziertes machen und auch nicht lange spielen, fühlt sich die Partie am Ende rund an.
Als stärkstes Element empfinde ich die Freiheit bei der Gestaltung des Spielplans. Jedes Mal wird er sich ein bisschen anders entwickeln. Im weitesten Sinne ist das wie in einem Legacy-Spiel, nur in einer einzigen Partie und deshalb ohne Aufkleber. Der gemeinschaftliche Spielplanbau initiiert ein interessantes Wechselspiel zwischen Kooperation und Eigennutz.
Ja, Ähnliches gab es auch schon in anderen Spielen (CAYLUS zum Beispiel), doch finde ich den Mechanismus in LITTLE TOWN besonders prägnant auf den Punkt gebracht.
Nicht alles ist dufte: Dass die Auftragskarten, die wir zu Beginn erhalten, LITTLE TOWN viel bringen, bezweifle ich. Sie zählen nur wenige Punkte, machen das Spiel aber regelintensiver und verleiten Anfänger*innen dazu, falsche Prioritäten zu setzen. Und wie schon bei TINY TOWNS und DRAFTOSAURUS muss ich auch hier vermelden, dass das Spielmaterial ungesund riecht.


***** reizvoll

LITTLE TOWN von Shun Taguchi und Aya Taguchi für 2 bis 4 Spieler*innen, iello.

Montag, 20. April 2020

Letter Jam

Einer der häufigsten Gründe, warum ich gewisse Rezensionen vor mir herschiebe: Ich kann mich zwischen zwei Noten nicht entscheiden. Manchmal denke ich deshalb: Vielleicht sollte ich diese einengenden Noten einfach abschaffen. Andererseits … die schnelle Orientierung …  oh, ich kann mich nicht entscheiden.

Wie geht LETTER JAM? Kooperativ erraten wir Wörter und Buchstaben. Jemand hat aus fünf / sechs / sieben Buchstabenkarten ein geheimes Lösungswort für mich erdacht. Diese Karten werden gemischt, eine davon vor mir in einem Halter so aufgestellt, dass ich sie nicht sehe. Das machen wir alle. Jede*r sieht nur die Buchstaben der anderen.
Wer meint, eine gute Idee zu haben, bildet aus den für ihn sichtbaren Buchstabenkarten ein Wort und markiert sie in der richtigen Reihenfolge mit Zahlenchips. Beispielsweise S 1, T 2, A 3, L 4 und 5. Ist mein geheimer Buchstabe an Position eins, notiere ich mir _TALL und komme wohl darauf, dass mein Buchstabe ein S ist. An Position drei wäre es nicht so leicht. In ST_LL kann ein A oder ein I fehlen, sogar ein E. Und bin ich der Spieler mit dem L, bleiben ebenfalls Zweifel. Am Ende von STA_ _ wären auch M oder R oder T oder F denkbar.
Wer seinen Buchstaben ermittelt hat (oder das zumindest glaubt), legt die Karte verdeckt ab und steckt die nächste in den Halter. Habe ich alle meine Buchstaben erraten, kombiniere ich daraus das Geheimwort. Je fehlerloser wir das alle hinkriegen, desto höher der Gruppen-Score.


Was passiert? Da wir nur über eine begrenzte Menge Tipps verfügen, können wir uns nicht allzu lange mit einzelnen Buchstaben aufhalten. Hinweise wie HOSE oder BEIN sind verheerend, weil zu wenige Spieler*innen profitieren. Einige kommen mit ihrem Buchstaben gar nicht im Wort vor, für die anderen ist es uneindeutig.
Die Gruppe leidet ebenso, wenn jemand zu optimistisch seine Karten ablegt und meint, der erste Buchstabe in _EIN könne ja bloß ein W sein, was denn sonst? Falsche Buchstaben ergeben am Ende ein falsches Lösungswort. Oder nur Murks.
Neben Gruppendisziplin benötigen wir auch Glück. Insbesondere sind wir auf Vokale angewiesen. Befinden sich auf unseren Kartenhaltern lediglich Konsonanten, rettet uns nur der Jokerbuchstabe, der in jedes Wort eingebaut werden darf. Nutzt man ihn, wird es allerdings noch diffiziler, gute Hinweise zu kreieren. _?LL (das Fragezeichen steht für den Joker) kann so ziemlich alles sein. Fell, hell, Ball, Soll …
Dass ich mich an dieser Stelle so gründlich darüber auslasse, wie man es nicht macht, liegt daran, dass ich genau dies sehr häufig erlebe. Um bessere Tipps zu geben, benötigt man mindestens eine Lernpartie und obendrein Geduld. Je gründlicher wir alle nachdenken, desto besser stehen die Chancen, dass irgendwer ein Wort findet, das alle sichtbaren Buchstaben einbindet und beim Erraten kaum Zweifel lässt. Nach meiner Erfahrung wächst mit der Gruppengröße aber auch die Ungeduld. Es sind immer welche dabei, die lieber schnell spielen wollen als ambitioniert.
Auch im von mir geliebten CODENAMES gibt es diesen Effekt. Im Vergleich verläuft LETTER JAM trotzdem starrer, schweigsamer, lahmer. Die Aufgabenstellung gibt einfach weniger her. Ich fühle mich in LETTER JAM nicht kreativ, sondern eher wie ein fleißiger Handwerker, der in allen erdenklichen Kombinationen Buchstaben montiert. Insbesondere beim Lösen gehe ich systematisch alle Möglichkeiten durch. Und stets für mich allein. Wir sprechen fast gar nicht, wir haben nichts zu diskutieren.
Spielziel und Wertung sind in LETTER JAM schwammig. Die Anleitung sagt, wenn „fast alle“ ihr Zauberwort erraten, habe man „im Prinzip gewonnen“. Menschen, die es genauer wissen wollen, können obendrein Punkte ausrechnen. Kurioserweise lässt sich aber im „Standardspiel“ (mit fünf Buchstaben pro Ratewort) gar keine besonders hohe Wertung erreichen. Selbst bei fehlerlosem Spiel meldet LETTER JAM: Leute, das war Mittelmaß.


Was taugt es? Ich empfinde LETTER JAM als originell und fühle mich herausgefordert. Im Gegensatz zu fast allen anderen Wortspielen gibt es hier endlich mal keine Zweifel, welche Wörter erlaubt sind. Wenn ich denke, dass DINO ein ganz toller Hinweis ist, darf ich ihn geben. Ob er wirklich so grandios ist, wird sich zeigen.
LETTER JAM ist auch Coronawelt-tauglich. Es geht problemlos zu zweit. Was den Anspruch an die Teamleistung angeht, ist man zu zweit sogar eher auf einer Linie als zu sechst. Und Geduld hat man in diesen Zeiten sowieso.
Doch selbst unter diesen guten Bedingungen: Ja, in LETTER JAM steckt Positives. Ja, ich knoble gerne mit. Ja, es gibt schöne Aha-Momente, wenn man nach langem Tüfteln und Auf-dem-Schlauch-Stehen doch noch die Lösung findet.
Doch LETTER JAM wird beim nächsten Mal etwa dieselben Erlebnisse bieten wie beim letzten Mal. Vermutlich deshalb, weil es nicht um Bedeutungen von Wörtern geht, nicht um Assoziationen, Nuancen, Interpretationen. LETTER JAM ist Kopf statt Herz, Schema statt Fantasie. Es viel mehr Wort-Arbeit als Wort-Kunst.


**** solide

LETTER JAM von Ondra Skoupy für zwei bis sechs Spieler*innen, Czech Games Edition.

Donnerstag, 16. April 2020

Mystery House

Erst wenn die letzte schwarze Schachtel geöffnet, der letzte Zahlencode eingegeben und das letzte Rätsel gelöst ist, werdet ihr feststellen, dass man sich an diesem Genre auch überfressen kann.

Wie geht MYSTERY HOUSE? Jetzt hat auch Schmidt endlich ein Escape-Spiel. Es unterscheidet sich von anderen durch seinen 3D-Aufbau. Die Box wird zu Spielbeginn so präpariert, als stünden wir vor einem quadratischen Haus.
An den Außenwänden finden wir Hinweise und Gegenstände, die wir in Form von Karten an uns nehmen. Indem wir Rätsel lösen oder die richtigen Gegenstände mit abgebildeten Objekten kombinieren, dürfen wir zur Belohnung Wände entfernen. Das eröffnet uns Blicke auf das Innere, wo wir wieder neue Dinge entdecken. Und so weiter.
Gesteuert wird das Spiel von einer App. Sie misst die Zeit und verhängt auch Strafen. Wenn wir beispielsweise eine gefundene Brechstange an einem Objekt bei Koordinate C1 anwenden wollen und der Computer sagt nein, werden 30 Sekunden zur abgelaufenen Zeit hinzugezählt. Über die App lassen sich auch Hinweise anfordern. Und am Ende des Spiels berechnet sie aufgrund des Zeitverbrauchs und der benötigten Hilfen einen Sternchen-Score.


Was passiert? Man sucht die Wände ab. Man findet Dinge. Man probiert rum.
Oder auch nicht, denn die App ist gnadenlos, und irgendwann traut man sich kaum noch. Schlüssel in Tür? – Zack, Zeitstrafe! Denn leider war es der Schlüssel einer anderen Tür. Mit Gegenstand irgendwo draufhauen? – Zack, Zeitstrafe! Um einen Weg zu bahnen, ist hier eine andere Lösung vorgesehen.
An späterer Stelle wiederum soll man mit dem Gegenstand draufhauen. Das hat man sich wegen schlechter Erfahrung jetzt vielleicht verkniffen. Man will ja nicht noch mehr Strafen. Die setzt es übrigens auch, wenn man sich mal vertippt, was mir zweimal beim „Erkunden“ passiert ist: Man gibt die Koordinate ein, an der man sucht, und im Display erscheint eine lange Liste von Dingen, aus der man das vermeintlich Erspähte herauspicken soll.
Dieser Mechanismus wirkt ohnehin behelfsmäßig, zumal die Sachen teilweise anders benannt sind, als man es erwarten würde. Selbst Hinweise sind manchmal wenig hilfreich formuliert. Und die Redaktion hat sich auch nicht die Mühe gemacht, Rätselbegriffe ins Deutsche zu übersetzen.
Das Herzstück des Spiels, der 3D-Aufbau, verliert bald seinen Reiz und nervt dann sogar. Um in verborgene Ecken hineinzuschauen, muss ich die Schachtel in die Hand nehmen, drehen, in einem bestimmten Winkel vor mein Auge führen. Und meine Mitspieler*innen an den anderen Seiten der Schachtel sehen dann – nichts. Oder allenfalls Gewackel. Wir können nur abwechselnd sinnvoll mit der Box hantieren.


Was taugt es? Die Idee, das Dreidimensionale eines Escape-Raum am Spieltisch nachzuempfinden, klingt vielversprechend. Allerdings ergeben sich etliche Probleme an der Schnittstelle Mensch – Spiel.
Während ich in einem realen Raum frei wäre, mich zu bewegen und Dinge zu probieren, muss ein analoges Spiel mit strikten Setzungen arbeiten. Der Weg und die Lösung stehen fest. Alles, was davon abweicht, ist per Definition falsch. Das fühlt sich willkürlich an. Also nicht so, als würde ich tatsächlich Probleme lösen, sondern als müsste ich erraten, welche Variante das Spiel als einzigen richtigen Weg vorgesehen hat.
Die Rätsel als solche sind üblicher Standard ohne Überraschungen. MYSTERY HOUSE enthält zwei Abenteuer. Gar nicht sonderlich viel. Aber genügend, denn ich bin an keinem weiteren interessiert.


** misslungen

MYSTERY HOUSE von Antonio Tinto für einen bis fünf Spieler*innen, Schmidt.

Sonntag, 12. April 2020

Tiny Towns

So vorbildlich: Das Cover zeigt eine Stadt mit relativ leeren Straßen; man flaniert maximal in Zweiergrüppchen.

Wie geht TINY TOWNS? Jede*r baut auf seinem vier mal vier Felder großen Spielplan Gebäude, die am Ende des Spiels Punkte zählen. Jedes Gebäude hat ein anderes Baumuster. Für beispielsweise ein Landhaus muss ich drei Felder über Eck mit Ziegel, Glas und Weizen belegt haben. Oder anders gesagt: mit einem roten, einem türkisfarbenen und einem gelben Würfelchen. Habe ich das geschafft, darf ich die Würfel abräumen und an der Stelle eines dieser Würfel eine Landhaus-Miniatur aufstellen.
Würfel kommen in zufälliger Reihenfolge und Mischung über Karten ins Spiel. Eine wird aufgedeckt, der gezeigte Baustoff gilt für uns alle und muss auf einem beliebiegen freien Feld platziert werden. Wer keine freien Felder mehr hat, ist raus und wartet bis zum Spielende.
In jeder Partie werden dieselben Häuser-Miniaturen verwendet. Pro Miniatur gibt es aber vier verschiedene Versionen, mit welchem Rohstoff-Farbmuster sie zu bauen sind und wie sie dann Punkte zählen. Je nach Auslosung zu Spielbeginn kann das Atomkraftwerk-artige rote Gebäude entweder „Bauernhof“ oder „Getreidespeicher“ oder „Gewächshaus“ oder Obstgarten“ sein und einen oder zwei braune Würfel erfordern, einen oder keinen roten usw. Was bedeutet, dass je nach Auslosung bestimmte Rohstoffe gefragter sein werden, andere weniger.


Was passiert? Nach jeweils zwei Karten dürfen wir uns individuell einen Rohstoff aussuchen und platzieren. So hat man trotz aller Zufallselemente Gestaltungsmöglichkeiten.
Doch trotz Gestaltungsmöglichkeiten gibt es eben auch die Zufallselemente. Wenn wider alle Wahrscheinlichkeit lauter gelbe Würfel ins Spiel geschüttet werden, mit denen ich im laufenden Szenario nicht viel anzufangen weiß, sammelt sich auf meinem Tableau sinnloses Geröll und blockiert Felder. Ein paar ungeplante Karten – plötzlich ist eine Abwärtsspirale in Gang und TINY TOWNS kann ganz schnell vorbei sein.
Mit etwas Erfahrung baut man seine Häuser planvoller in den Ecken und am Rand und bewahrt sich Spielraum für Eventualitäten. Und man baut nicht mehr querbeet alle möglichen Häuser, sondern pickt sich die heraus, die am lukrativsten erscheinen.
Man könnte sagen, man „liest“ die Auslage. Mein Eindruck ist aber, dass die Lektüre spannender sein könnte, da sich häufig simple Strategien anbieten. So oft wie möglich Gebäude X bauen. Oder Gebäude X und Y in Kombination. Der Rest wird nur errichtet, wenn unerwünschte Würfel dazu zwingen.
Dass sich komplexe Strategien unter Einbeziehung zu vieler verschiedener Gebäude eher nicht lohnen, liegt auch am schwindenden Spielraum. Kann ich anfangs noch gezielt Bäckerei neben Bank stellen, wie es Punkte bringt, bin ich bald schon froh, überhaupt noch irgendwo bauen zu können.


Was taugt es? Mit einer halben Stunde Spieldauer und überwiegend zufällig bestimmten Baustoffen will TINY TOWNS gewiss kein strategisches Stadtplanungsspiel sein. Die Gebäudemischung mit ihren nicht so leicht überschaubaren Wertungsregeln sendet allerdings gegenteilige Signale aus. Das harmoniert für meine Begriffe nicht ganz.
Auch sonst passt einiges nicht hundertprozentig. Für die Karten gibt es kein Ablagesystem. Wiederholt kommt man durcheinander, wann es an der Reihe wäre, aufzudecken oder einen Rohstoff auszusuchen. In Partien ab fünf Spieler*innen gingen mittendrin auch manche Häusersorten aus. Und das Holz – so schön es ist – roch in meinem Spiel mehrere Wochen lang unangenehm.
Insgesamt sehe ich das Spiel aber doch positiv. Weil jede*r für sich tüftelt und TINY TOWNS deshalb schnell geht, ist es nicht so schlimm, wenn eine Partie mal total in die Hose geht. Auch die in der zweiten Spielhälfte stark schwindende Kontrolle kann ich unter diesen Umständen akzeptieren. Gewiss, TINY TOWNS ist solistisch. Aber ich bin genügend mit meinem eigenen Aufbau beschäftigt, da muss ich zwischendrin gar nicht im Detail wissen, wie es den anderen ergeht.
Jede aufgedeckte Karte ist ein Spannungsmoment: Passt es wie erhofft? Wird das Gebäude noch fertig? Falls nein: Kann ich den Schaden gering halten? Falls wieder nein: Bleibe ich wenigstens im Spiel? Ganz nebenbei veranschaulicht TINY TOWNS, wie Ansprüche stufenweise bescheidener werden, wenn Wünsche und Realitäten auseinanderklaffen.


**** solide

TINY TOWNS von Peter McPherson für eine*n bis sechs Spieler*innen, Pegasus Spiele / AEG.

Mittwoch, 8. April 2020

Vor 20 Jahren (88): Ohne Furcht und Adel

Abgeschabte Karten? In diesem Fall ein Qualitätsmerkmal. Denn die Schäden besagen: Mein Exemplar OHNE FURCHT UND ADEL wurde sehr häufig gespielt.

OHNE FURCHT UND ADEL gewann 2000 den À-la-carte-Preis, es wurde für die Wahl zum Spiel des Jahres nominiert, beim Deutschen Spielepreis belegte es Platz 6. Namhafte Kritiker waren vollkommen begeistert. Andreas Mutschke bezeichnete OHNE FURCHT UND ADEL (in Fairplay 52, 2000) als „wirklich eine der besten Neuheiten dieses Jahrgangs und vielleicht sogar noch ein bisschen mehr.“ Edwin Ruschitzka sah (in spielbox 3/2000) das Spiel als „Beleg dafür, welch gewaltiger Tiefgang mit einem Päckchen Karten zu erzielen ist“ und vergab von zehn möglichen Punkten zehn.

Es mag sein, dass ich mich falsch erinnere, deshalb sind die folgenden Angaben ohne Gewähr, und man darf mich im Sinne der Wahrheitsfindung gerne korrigieren. Mir jedenfalls kommt es im Rückblick so vor, als hätten kleine Spiele und somit auch Kartenspiele im Jahr 2000 noch einen anderen Status gehabt als heute. Sie waren im Spieler*innenbewusstsein auf das Locker-Leichte abonniert.


Wie man mit Karten ganze Welten komponiert, machten seit einigen Jahren aber Sammelkartenspiele wie MAGIC vor. Und so langsam, um die Jahrtausendwende, kamen vermehrt Kartenspiele wie zum Beispiel VERRÄTER, denen Kritiker bescheinigten, sie fühlten sich an wie vollwertige Brettspiele. Das war als Kompliment gemeint, doch für meine Begriffe schwang da stets mit: Na ja, normalerweise sind diese kleinen Dinger eben nicht vollwertig.

OHNE FURCHT UND ADEL nehme ich in der Rückschau als eines der ersten dieser vermeintlich vollwertigen Kartenspiele wahr. Als Spieldauer gab die spielbox „90 bis 120 Minuten“ an, was der Wahrheit wahrscheinlich näher kam als die auf der Schachtel behaupteten „ca. 60 Minuten“.

Aber was war so besonders? Da waren die Illustrationen aus Frankreich – heute sind wir dran gewöhnt, damals nicht. Da war die Eignung für bis zu sieben Spieler*innen. Und da waren Mechanismen, die frühe Spielarten dessen waren, was später mächtig hip werden sollte. OHNE FURCHT UND ADEL hat diese Mechanismen nicht initiiert, aber auf originelle Weise in einem Spiel zusammengeführt und damit weiterentwickelt.

Trotzdem gilt – so mein Eindruck – OHNE FURCHT UND ADEL eher nicht als großer Klassiker. Gewiss hätte der Titel Spiel des Jahres geholfen. Aber davon abgesehen: Wenn ich in mich hineinhorche, ob ich OHNE FURCHT UND ADEL jetzt und heute spielen wollte, käme ich zum Ergebnis: Muss nicht sein. Klar, das kann natürlich an mir liegen ... oder eben auch daran, dass OHNE FURCHT UND ADEL inzwischen doch nicht mehr ganz auf der Höhe unserer Zeit ist.

Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Das Spiel kombiniert zu vieles. Und vieles ist mittlerweile eleganter und pointierter umgesetzt. Heute draftet man nicht ein Kartenpaket und wartet die meiste Zeit, bis endlich alle nacheinander ihre Rolle auswählen. Man draftet mehrere Kartenpakete parallel.

Auch das Erraten anderer Rollen oder das Verheimlichen der eigenen gibt es mittlerweile dynamischer. Aus Deduktion ist vielfach Social Deduction geworden, ein kommunikatives Gruppenerlebnis, bei dem wir nicht nur mit Pokerface dasitzen, sondern noch direkter interagieren, argumentieren, schauspielern, anschuldigen, lügen.

Trotzdem war und ist OHNE FURCHT UND ADEL ein Glücksfall. Denn neue, bessere Spiele können nur deshalb entstehen, weil alte, gute Spiele vorher da waren. Insofern bedeutet mir OHNE FURCHT UND ADEL auch heute noch einiges und ist stets selbstverständlicher Teil meiner Sammlung geblieben.

Samstag, 4. April 2020

Kitchen Rush

Derzeit leider geschlossen.

Wie geht KITCHEN RUSH? Kooperativ betreiben wir ein Restaurant. Gäste kommen in unser Haus und bestellen Gerichte. Wir wieseln durch Vorratskammern und Küche, schaffen die benötigten Zutaten ran und brutzeln sie auf dem Herd.
Das alles findet ohne festgelegte Reihenfolge in Echtzeit statt. Wer etwas tun möchte, stellt seine Sanduhr auf einem der Einsatzfelder ab und führt die zugehörige Aktion sofort durch. Ist der Sand durchgelaufen, darf die Uhr für eine neue Aktion verwendet werden. Jede*r Spieler*in bedient zwei Uhren gleichzeitig. Außerdem sind die Einsatzfelder begrenzt. Es kann Blockaden geben, zum Beispiel am Herd, wenn alle beschließen, erst kurz vor Ultimo mit dem Kochen zu beginnen.
Während wir das alles tun, stoppen wir mit irgendeinem Instrument (nicht beiliegend) die Zeit. Nach vier oder fünf Minuten müssen wir ein bestimmtes Ziel erreicht haben. Welches genau, hängt vom Szenario ab. Acht verschiedene mit aufsteigendem Schwierigkeitsgrad gibt es.


Was passiert? KITCHEN RUSH erzählt zugleich die Geschichte unseres Restaurants. Die Szenarien bauen thematisch überzeugend aufeinander auf: Mit viel Enthusiasmus, aber auch ein bisschen naiv eröffnen wir unser Lokal. Langsam werden wir professioneller, die Gäste zugleich anspruchsvoller. Unsere Einnahmen investieren wir in besseres Equipment. Das ist super gemacht, sehr sympathisch hergeleitet und obendrein perfekt unterstützt durch die Spielplangestaltung: Für neue Szenarien werden bestimmte Segmente des achtteiligen Plans von der A- auf die B-Seite gedreht – und siehe da: Plötzlich hat unser Restaurant auch einen Kräutergarten.
KITCHEN RUSH verlangt von uns gutes Teamwork. Wir müssen uns koordinieren und absprechen, Arbeitsteilung empfiehlt sich. Und schließlich hilft uns auch das Glück, wenn die ankommenden Gäste mit ihren Wünschen ganz gut zu unserem Kontingent an Zutaten, Gewürzen und Tellern passen.
Unweigerlich wird es chaotisch. Sanduhren kippen um, Hände stoßen aneinander. Man übersieht, dass man längst einen Zug machen könnte. Man muss einen Weg zu viel machen, weil die Vorratskammern nicht optimal aufgefüllt wurden. Man nimmt eine Bestellung an, die sich mangels Teller oder Zutaten gar nicht mehr ausführen lässt – was Ressourcen verbraucht und die Gruppenwertung verschlechtert.
Manche Runden spielen da strenger als andere. Das ist eine Frage der Selbstkontrolle und des Eigenanspruchs. Wer einen durch Paragraphendehnung erreichten Erfolg belohnend findet, soll so spielen. Mir würde es auf Dauer keinen Spaß machen. – Womit ich generell beim Spielspaß angekommen bin ...


Was taugt es? Das ähnlich angelegte MAGIC MAZE erlebe ich als interessanter. Obwohl ich dessen Spielgeschichte hanebüchen und das Spiel eher hässlich als hübsch finde.
Doch im Gegensatz zu KITCHEN RUSH erzeugt MAGIC MAZE Emotionen wie zum Beispiel Verzweiflung, weil irgendwer nicht kapiert, dass er dringend ziehen muss. Oder Witz, weil das Redeverbot kuriose Missverständnisse verursacht. KITCHEN RUSH erzeugt lediglich Zeitdruck und Stress. Es ist ein Optimierspiel mit eigentlich simplen Handlungen, die nur deshalb zur Herausforderung werden, weil die Zeit drängt.
Ich habe es in etlichen Gruppen mit KITCHEN RUSH probiert. Nach zwei bis drei Partien kam das Spiel regelmäßig an den Punkt, dass es den Beteiligten genug war. Und KITCHEN RUSH wurde auch nicht mit dem Wunsch eingepackt, es bald wieder auszupacken.
Denn so schön die Geschichte und die Gestaltung auch sind: Das allein reißt es noch nicht raus. Noch mal fünf Minuten weiterzuspielen, ist stets mit Mühen verbunden. Jedes Szenario verlangt gründliche Vorbereitung: Diverses Material muss abgezählt, sortiert und an den richtigen Stellen bereitgelegt werden. Und dies für einen kurzen Moment Spiel, welches sich trotz verschiedener Aufgaben immer wieder ähnlich anfühlt und auch gar nicht ausschließlich nach Spiel, sondern ebenso nach Selbstoptimierung und strenger Rationalisierung eines Arbeitsvorgangs.


**** solide

KITCHEN RUSH von David Turczi und Vangelis Bagiartakis für zwei bis vier Spieler*innen, Pegasus Spiele.