Montag, 31. August 2020

Gern gespielt im August 2020

DETECTIVE CLUB: Wenn ich die Punktwertung richtig interpretiere, möchte dieser ominöse Club die begabtesten Schwindler in seinen Reihen wissen.


AEON’S END: Oh, dieser zermürbende Widerspruch, dass es trotz Ende der Ewigkeit bislang verdammt oft wieder von vorne losging.


TAPESTRY: Die einen finden es misslungen, die anderen reizvoll. Ich finde: beides. Grmpf.


MAGIC MAZE ON MARS: Schön, dass das blöde Kaufhausklau-Thema vom Tisch ist. Es fühlt sich gleich deutlich reeler an, wenn man Kühe, Bananen und Blätter auf dem Mars hin- und herschieben muss.


FRINGERS: Ich weiß schon, warum ich keine Ringe trage: Das richtig zu machen, ist eine Wissenschaft für sich.


TRAILS OF TUCANA: Das ideale Spiel für Videokonferenzen, das ich nie auf einer Videokonferenz gespielt habe.




Mittwoch, 26. August 2020

Tapestry

Es ist noch nicht so lange her, da hatte ich das Gefühl, vermehrt setze sich die Erkenntnis durch, dass bei Spielen vor allem die schöpferische Leistung zählt. Statt der Kritik „Mit einem Zettel und drei Würfeln könnte ich das auch basteln“ machte man den Wert eines Spiels mehr von der schönen Zeit abhängig, die einem das Spiel bescherte, und weniger vom vermeintlichen Gegenwert des enthaltenen Materials. Seit jedoch immer mehr Spiele per Crowdfunding finanziert werden und ich auf Schachtelrückseiten „18 einzigartige, bemalte Wahrzeichen“ lese, beschleicht mich das Gefühl, diese Zeit ist schon wieder vorbei.


Wie geht TAPESTRY? TAPESTRY ist ein Zivilisationsspiel, dessen Thema nur am Rande durchschimmert. Die meiste Zeit sind wir damit beschäftigt, auf vier Skalen voranzuschreiten. Das kostet Rohstoffe und bringt Fortschritte.
Jede Skala steht für einen anderen Aspekt, wie man Punkte und Rohstoffe sammelt. Beispielsweise erlaubt mir die rote Skala Ausbreitung auf der Landkarte, die gelbe Skala beschert mir Technologie-Karten und deren Aufwertung.
TAPESTRY erfordert Optimierung, um mit den vorhandenen Ressourcen möglichst viele und auch die richtigen Schritte zu schaffen und unterwegs Effekte auszulösen, die dann noch mehr Schritte oder Punkte bringen. Der Motor ist das Einkommenstableau. Je mehr Felder ich hier freischalte, desto höher sind mein Ressourcen-Einkommen und meine Wertungen.
Zu solchen Wertungen kommt es nur viermal im Spiel, und zwar immer bei Aufstieg in eine neue Ära. Mit dem Aufstieg verbunden ist das Ausspielen eine meiner „Gobelin-Karte“, die mir entweder einen Sofort-Effekt oder einen Dauereffekt für die kommende Ära bringt. Erreiche ich die fünfte Ära, endet meine Partie. Meine Mitspieler*innen spielen weiter, bis auch sie in der fünften Ära ankommen.


Was passiert? TAPESTRY dauert recht lange; zu viert sollte man drei Stunden einkalkulieren. Angesichts dieser Spieldauer und auch der Interaktionsarmut überraschen die zahlreichen Glücksfaktoren. Manche Entscheidungen werden schlicht ausgewürfelt. Es gibt Gobelin-Karten, die gerade gar nichts nützen, und dann wieder andere, die einen fantastischen Boost bescheren.
Jede*r Spieler*in verkörpert eine von 16 möglichen Zivilisationen mit Spezialregeln. Und wie das so ist: Die eigene Eigenschaft wirkt zu schwach, die der Nachbarn superstark. Ungewöhnlicherweise liefert TAPESTRY den Beweis der Unausbalanciertheit auch gleich mit: Meinem Exemplar liegt ein Regel-Update für acht der Zivilisationen bei und im Netz konnte ich bereits ein zweites Update für noch mal drei Zivilisationen finden. Die meisten Zivilisationen sind auch nicht auf die Mitspieler*innenzahl angepasst, obwohl ich den Eindruck habe, dass das bei einigen durchaus einen Unterschied macht.
Mir ist klar, dass man ein Spiel nie zu 100 Prozent durchtesten kann, weil es nach der Veröffentlichung zwangsläufig von viel mehr Menschen und viel häufiger gespielt wird als vorher. Wenn allerdings in einem Ausmaß Anpassungen nötig werden wie in TAPESTRY, habe ich den Eindruck absichtlicher Nachlässigkeit. Die Community wird’s schon richten.
Wenn obendrein die speziell beworbenen „18 einzigartigen, bemalten Wahrzeichen“ kaum ins Spiel eingebunden sind und sogar eher stören, ärgert mich das sehr. Eine der Punktwertungen zielt darauf ab, dass ich mein Hauptstadt-Tableau vollpuzzle. Die größte Fläche dabei bedecken die Wahrzeichen, die ich immer dann erhalte, wenn ich auf einer Skala bestimmte Felder als Erster erreiche. Zu mehr werden die Dinger tatsächlich nicht gebraucht. Ansonsten stehen sie im Weg rum, erschweren die Übersicht und passen nicht einmal deckungsgleich auf die Hauptstadtfelder. Sie sind für ihren gedachten Zweck grotesk ungeeignet. Wäre an dieser Stelle alles gesagt, wäre TAPESTRY ein klarer Fall für das Label „misslungen“.
Doch TAPESTRY hat auch große Qualitäten. Die elegant verzahnte Optimiererei an sich macht schon Spaß: der Versuch, aus der eigenen Zivilisation möglichst viel herauszuholen, das Erforschen, welche Vorgehensweisen erfolgreicher als andere sind, das Experimentieren, indem man die Prioritäten mal so und mal anders setzt.
Nicht mal die heftigen Glücksmomente finde ich störend. Dass es starke Karten und gute Würfelwürfe gibt, bringt Hoffnung und Emotionen ins Spiel. Es ist nicht alles trockene Rechnerei. Es gibt auch so etwas wie Schicksal und man muss seine Spielweise daran anpassen.
TAPESTRY ist weniger kanalisiert als typische Eurogames und traut sich auch Extreme. Die zahlreichen Zivilisationen und Gobelin-Karten können sich gegenseitig und damit die Partie überraschend beeinflussen, und in ihrer Gesamtheit sind die vielen möglichen Kombinationen unvorhersehbar. Immer wieder kommt es zu Situationen, die es in Partien zuvor noch nicht gegeben hat. Auf der einen Seite stört dann wieder, dass uns die Anleitung in Spezialfragen alleine lässt. Auf der anderen Seite verblüfft TAPESTRY beim Spielen durch das, was passiert. Es ist ein bisschen wie eine Wundertüte.


Was taugt es? Ich finde einiges in TAPESTRY auf ärgerliche Weise misslungen, anderes sehr reizvoll. Im Mittel nenne ich das jetzt mal „solide“, obwohl gerade diese Bezeichnung überhaupt nicht zu TAPESTRY passt.
Ich halte TAPESTRY für nicht komplett ausgereift und hätte mir mehr Feintuning und weniger Details gewünscht, mehr Zweckmäßigkeit und weniger Show. Doch die Verkaufszahlen geben der Verlagsstrategie recht. Anscheinend sind „18 einzigartige, bemalte Wahrzeichen“ mittlerweile vielen Menschen wichtiger als redaktionelle Perfektion.


**** solide

TAPESTRY von Jamey Stegmaier für eine*n bis fünf Spieler*innen, Feuerland.

Samstag, 22. August 2020

Minecraft – Builders & Biomes

Das habe ich mir selbst eingebrockt: Mittlerweile denke ich schon genauso lange über Begründungen nach, warum es leider keine Einleitung gibt, wie ich früher über die Einleitung nachgedacht habe. Und mit identischem Ergebnis: keinem!

Wie geht MINECRAFT – BUILDERS & BIOMES? Wir bauen Gebäude. Das kostet Rohstoffe in vorgegebenen Kombinationen und zählt – wenn man es geschickt anstellt – Punkte. Jede*r baut auf seinem eigenen Tableau. Es macht sich bezahlt, Gebäude mit gleichen Merkmalen benachbart zu bauen. In Wertung 1 punktet meine beste zusammenhängende Gruppe mit identischem Bauuntergrund, in Wertung 2 meine beste Gruppe derselben Gebäudefarbe, in Wertung 3 schließlich meine beste Gruppe derselben Gebäudeart.
Wie man sieht, empfiehlt sich die Konzentration auf eine Gruppe pro Wertung. Die hohe Kunst besteht darin, mehrere Gebäude mit gleich zwei oder drei identischen Merkmalen benachbart zu setzen, sodass sie in allen Wertungen dabei sind.

Rohstoffe zu nehmen, ist einer von mehreren möglichen Spielzügen. Man bekommt genau zwei und entnimmt sie einem zu Spielbeginn aufgeschichteten Turm. Dazu müssen sie frei liegen.
Jede*r besitzt außerdem eine Figur. Ein alternativer Spielzug wäre, mit ihr bis zu zwei Schritte durch eine verdeckte Gebäudeauslage zu laufen, um die erreichten Plättchen wenden zu dürfen. Später könnte man eines dieser Plättchen bauen.
Manche Plättchen zeigen aber gar keine Gebäude, sondern Monster. Sie zu bekämpfen, wäre ein weiterer Spielzug. Und am Rand des Spielfelds eine Waffe aufzunehmen, ist die letzte Zugmöglichkeit.


Was passiert? MINECRAFT – BUILDERS & BIOMES lässt sich wegen seiner wenigen und zudem klaren Regeln schnell erklären. Trotzdem steckt einiges drin: gerade die Optimierung des Gebäudearrangements und damit verbunden die Rohstoffplanung sind gehaltvoll.
Ein ganz anderes Charakteristikum bringen die Monster ins Spiel. Kämpfe sind Glückssache. Waffen verbessern die Chancen, dennoch bleibt es ein Risiko. Gleichwohl zählen einige der Monster, sobald sie besiegt sind, Punkte für bestimmte Errungenschaften bei Spielende – wodurch wiederum eine weitere Planungsebene ins Spiel kommt.
Und drittens: Die Wertungen werden ausgelöst, sobald dem Turm eine komplette Rohstoffschicht entnommen wurde. Wenn sich die Spieler*innen schon in untere Schichten vorgearbeitet haben, können Wertungen schnell aufeinander folgen. Man sollte vorbereitet sein. Und man kann das Tempo mitbeeinflussen.


Was taugt es? Unter den Spielen, in denen man Rohstoffe sammelt, um Gebäude zu bauen, ist MINECRAFT – BUILDERS & BIOMES eins der originelleren. Die Mechanismenkombination ist unkonventionell – aber sie trägt. Und sie ist elegant verdichtet, alles ergibt sich sehr schlüssig.
Stark gewöhnungsbedürftig ist die Grafik. Für MINECRAFT-Fans muss das vermutlich so sein. Für alle andere sieht es schrill aus. Die Spielbarkeit finde ich, was Wertungs- und Waffen-Icons angeht, nicht optimal. Mit gutem Willen findet man sich aber hinein.
Zu viert ist MINECRAFT – BUILDERS & BIOMES für mein Empfinden am schwächsten. In allen Besetzungen ist dieselbe Anzahl Rohstoffe im Turm, weshalb die Wertungstaktung bei vier Leuten besonders hoch ist und weniger Gestaltungsfreiraum bleibt.
Wenn MINECRAFT–Fans das Spiel spielen wollten, wäre ich gerne mit dabei. Aus eigenem Antrieb spiele ich es (wie 90 bis 95 Prozent aller Spiele eines Jahrgangs) aber nicht mehr. Wenn ich in mich hineinhorche: Gründe, um Spiele mit diesen Elementen häufiger zu spielen, wären der Wunsch nach Vertiefung oder aber auch der reine Fun-Faktor.
In MINECRAFT ähnelt sich die Bauplanung von Partie zu Partie. Es mag mal besser, mal schlechter laufen, je nachdem, auf welche Plättchen ich Zugriff bekomme. Dass sich noch wesentliche Tiefe offenbaren wird, glaube ich jedoch nicht. Und so verhält es sich auch mit dem Fun. Die spaßigeren Kämpfe bieten auf Dauer zu wenig Abwechslung, um mich immer wieder anzulocken.
Trotzdem: Weil hier die MINECRAFT–Fans nicht mit Mumpitz abgespeist werden, sondern ein interessantes und gut komponiertes Spiel geboten bekommen, rechne ich MINECRAFT – BUILDERS & BIOMES zu den positiven Erscheinungen des Jahrgangs.


**** solide

MINECRAFT – BUILDERS & BIOMES von Ulrich Blum für zwei bis vier Spieler*innen, Ravensburger.

Dienstag, 18. August 2020

Watergate

Die Einleitung wurde per Dekret des Präsidenten zur geheimen Verschlusssache erklärt.

Wie geht WATERGATE? Nixon gegen die Presse, ein asymmetrisches Spiel. Die Presse gewinnt, indem sie Informanten an den Spielplanrändern platziert und zwei von ihnen durch Farbplättchen mit der Mitte des Spielfeldes verbindet. Das nennt sich dann „Indizienkette“. Nixon spielt auf Zeit. Sobald er fünf rote Marker gesammelt hat, endet seine Amtszeit, Nixon sagt ätsch und alle Akten werden leider geschreddert. Versehentlich.
Jede Runde kämpfen wir um fünf Elemente: den roten Stein, einen weißen Stein, der bestimmt, wer in der kommenden Runde Startspieler*in ist und mit fünf statt vier Handkarten spielt, sowie drei zufällige Farbplättchen. Zu Rundenbeginn liegt all dies auf der Mitte einer Skala zwischen Nixon und Presse. Alle Materialien, die sich nach dem Ausspielen unserer neun Handkarten auf meiner Hälfe befinden, gehören mir. Als Presse lege ich dann die Farbplättchen auf entsprechende Farbfelder, als Präsident lege ich sie als Blockade.
Die Karten steuern also das Spiel. Beide Parteien haben unterschiedliche Decks, wir spielen abwechselnd aus und wählen eine von zwei Kartenfunktion. Entweder nutzt man den Zahlenwert, um einen Marker oder ein Plättchen in die eigene Richtung zu ziehen. Oder man folgt den Anweisungen im Textteil. Besonders starke Karten sind nach einmaligem Gebrauch des Textteils futsch. Das Deck dünnt sich also aus, vor allem wenn man die besten Karten gleich beim ersten Einsatz verballert.


Was passiert? Eine Partie WATERGATE ist ein gewisses Abtasten. Als Presse muss ich alsbald zu Ergebnissen kommen, bevor das Spiel vorbei ist. Weil aber Nixon gefährliche Karten besitzt (ich weiß bloß nicht, ob aktuell auf der Hand), will ich mich auch nicht zu sehr aus der Deckung wagen. Skalen-Fortschritte könnten auf einen Schlag wieder verloren gehen.
Beim abwechselnden Ausspielen belauern wir uns gegenseitig. Manche Karten hauen besonders rein, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Darf ich zum Beispiel als Nixon ein Plättchen auf das Feld 0 bewegen und den roten Marker auf mein Feld 1, wäre es wunderschön, hätte die Presse Plättchen und Marker zuvor schon unter Mühen ein gutes Stück in ihre Richtung gezogen. Das warte ich, wenn möglich, ab.
Anderes Beispiel: Manche Karten negieren den Effekt der gegnerischen Karte. Und weil man weiß, dass es sie gibt, stellt sich die Frage, ob man erst mal ein mittelbedrohliches Ereignis spielt in der Hoffnung, dass es geblockt wird, und sich das noch bedrohlichere Ereignis für den Folgezug aufbewahrt.
Weil man nicht weiß, welche Möglichkeiten das Gegenüber gerade hat, und weil manche Ereignisse auch dem Zufall unterliegen, gibt es immer wieder Überraschungen. Trotzdem ist WATERGATE klar taktisch geprägt. Man schätzt Risiken ab, legt Köder aus, versucht die Gegenseite zu lesen und so zu agieren, dass es möglichst nicht gekontert werden kann. Die Partien können sehr spannend verlaufen.


Was taugt es? Ich sehe die Stärken des Spiels; trotzdem kommt es für mich nicht über „solide“ hinaus. Das Spielthema finde ich deutlich spannender als die verwendeten Mechanismen. Was natürlich umgekehrt für die gelungene Themenwahl spricht: Es wurde nicht einfach was aufgepfropft. Man kann sich beim Spielen durchaus vorstellen, in einer politischen Welt mit Geheimhaltung, Vertuschung, Zeugen und Beweisen zu sein.
Doch bin ich eher der Mechanismen-Spieler. Um mich in den Bann zu ziehen, genügt ein Thema allein eher selten. In WATERGATE reduzieren sich unsere Handlungen schlussendlich darauf, Marker auf Skalen zu verschieben – letztlich ein klassischer Mehrheiten-Mechanismus. Und die Art, wie wir das in Gang setzen, ist auch nicht gerade ungewöhnlich. Das habe ich alles so ähnlich schon häufiger erlebt, nur dass es nicht um Nixon und Journalisten ging. Um WATERGATE häufiger spielen zu wollen, fehlt mir der besondere Dreh, der ganz spezielle Dilemmata oder ein unverwechselbares Spielgefühl erzeugt und den ich deshalb immer wieder erleben möchte.
Redaktionell finde ich WATERGATE sehr gut gemacht. Grafik, Material, Anleitung, Übersichten: alles top. Als krönenden Bonus enthält das Spiel ausführliche historische Hintergrundinformationen.


**** solide

WATERGATE von Matthias Cramer für zwei Spieler*innen, Frosted Games / Pegasus Spiele.

Montag, 10. August 2020

Freshwater Fly

Vielleicht ist Friedemann Friese ein bisschen neidisch auf diesen Spieletitel. Aber sicher niemand ist neidisch auf diese Einleitung.

Wie geht FRESHWATER FLY? Wir angeln. Und was macht man da? Angel auswerfen, hoffen, dass einer anbeißt und dann den Fisch an Land bringen. Tatsächlich setzt FRESHWATER FLY genau diese Handlungsabfolge in vergleichbare Spielmechaniken um.
Alle Aktionen werden von einem Würfelpool gesteuert. Bin ich am Zug, wähle ich einen der Würfel und nutze seine Augenzahl. Habe ich keinen Fisch an der Angel, ist mein typischer Spielzug das Auswerfen. Die Würfelaugen bestimmen, in welcher der sechs Flussreihen mein Haken landet. Ob dieser Ort aussichtsreich ist, hängt von meinem Köder und den Fressgelüsten der Fische ab. Fische beißen nur in solchen Reihen, wo auch ein „Larvenstein“ derselben Farbe wie mein Köder liegt. Die Position der Steine ist veränderlich, denn der Fluss fließt.
Mein Anliegen wäre also, dass mein Angelhaken bei passenden Steinen landet. Ob der angepeilte Fisch beißt, ist dann Glückssache. Tut er es nicht, treibt mein Köder um eine Reihe in Fließrichtung weiter und falls dort ein passender Larvenstein liegt, habe ich erneut die Chance auf einen Biss. Und wenn es wieder nicht klappt, treibt mein Köder ein letztes Mal weiter und ich habe eine letzte Chance.

Der Zufallsanteil lässt sich nicht leugnen, doch ich habe nur selten erlebt, dass jemand seinen Spielzug erfolglos beendete. Mit taktischer Reihenwahl, realistischem Risikomanagement und dem Einsatz bestimmter Sonderfähigkeiten hat man schlussendlich fast immer was am Haken – wenn auch nicht zwangsläufig genau den Fisch, den man am liebsten gefangen hätte.
Nun folgt das Einholen, wieder mittels Augenzahl. Je nach Fischart muss ich meine Kurbel ein- bis dreimal herumdrehen, um den Fang zu bergen. Eine Umdrehung dauert fünf Schritte. Jedes Würfelauge bringt einen Schritt, allerdings abzüglich der Widerstandskraft des Fisches. Hohe Zahlen sind demnach meistens zu bevorzugen, aber nicht immer, da das exakte Erreichen bestimmter Zwischenschritte interessante Boni freischaltet.
Diese Abfolge spielen wir, bis irgendjemand sieben Fische geangelt hat. Die Fische zählen nun Punkte, es geht außerdem um Sets und Mehrheiten, und jede*r Spieler*in hat noch einige individuelle Ziele, die bei ihrer Erfüllung ordentlich Zusatzpunkte bringen.


Was passiert? FRESHWATER FLY zu gewinnen, erfordert eine Kombination aus glücklichen Umständen (für die Aktionen passende Würfelaugen, für die Wertungen passende Fische) und klugem Einsatz diverser Zusatzaktionen. Immer wieder lassen sich Würfel doch besser nutzen, als zunächst ersichtlich, es lassen sich Tempovorteile oder Boni herausholen.
Die taktischen Möglichkeiten sind ein bisschen versteckt und drängen sich nicht auf, ja, sie gehen sogar etwas unter in dem dominierenden Gefühl, rundenlang immer dieselbe Tätigkeit zu wiederholen. Auf Fisch folgt Fisch folgt Fisch. Mal läuft ein Fang glatter, mal mühevoller. Doch es wird nicht spannender, FRESHWATER FLY hat keinen ausgeprägten Höhepunkt und kein packendes Finale.

Was taugt es? Wie sich das Thema in den Mechaniken wiederfindet, ist sehr auffallend und in dieser Art auch ungewöhnlich. Allerdings überträgt sich diese Realitätstreue nicht auf das Spielgefühl und statt Angelerlebnis ist FRESHWATER FLY ein mechanisches Optimierspiel.
Und gerade, wenn ein Spiel thematisch sein will, finde ich es schade, wenn die Wertung dies überhaupt nicht abbildet. Das Spielziel müsste sich für meine Begriffe aus der Sache selbst ergeben. FRESHWATER FLY dagegen endet im berühmten Punktesalat.


*** mäßig

FRESHWATER FLY von Brian Suhre für einen bis vier Spieler*innen, Spielfaible.

Donnerstag, 6. August 2020

Vor 20 Jahren (92): Vinci

VINCI lernte ich in einer Spielerunde kennen, die heute nicht mehr existiert. (Oder sie spielen mittlerweile ohne mich und mir wurde das nur nicht mitgeteilt…?) Eine Besonderheit der Runde war, dass viele der Beteiligten konfrontatives, konfliktreiches Spielen mochten. Wenn man anderen ordentlich einen überbrezeln konnte, galt das als gelungene Interaktion. Natürlich möchte niemand der Gebrezelte sein, deshalb gehörte es zu den Gruppengepflogenheiten, lautstark zu argumentieren, wer sich aus welchen Gründen als Ziel des nächsten Angriffs besonders qualifiziere.

Ich habe dies schon öfter geschrieben, aber wiederhole es gerne noch einmal: Manipulieren beim Spielen finde ich nach Schummeln so ziemlich am verabscheuungswürdigsten. Ich mag es nicht, wenn man anderen aus unlauteren Absichten reinquatscht – soll doch jede*r ihr / sein eigenes Spiel spielen! Und so halte ich die Argumentation, dass man jetzt unbedingt etwas unternehmen müsse, nur damit nicht X gewinnt, meistens für nicht so stichhaltig. Vielleicht hat X einfach besser gespielt und den Sieg verdient. Oder X bin ich.

Wenig überraschend war VINCI in dieser Spielerunde ein Hit. VINCI hatte alles, was ein gutes Spiel brauchte: Man konnte sich gegenseitig verkloppen, man konnte sich gegenseitig aufhetzen. Allerdings: Auch ich war von dem Spiel sehr angetan. Denn VINCI beinhaltete so viel Taktik, dass das Ergebnis eben nicht bloß davon abhing, dass eine*r sich zwischen zwei potenziellen Opfern zufällig so oder anders entschieden hatte.


Man konnte seine Völker durchaus so wählen und so positionieren, dass es für andere Spieler*innen in ihrer aktuellen Situation sehr aufwändig oder unattraktiv oder sogar unmöglich war, dagegen vorzugehen. Und welche Interessen und Fähigkeiten die anderen mit kommenden Völkern haben würden, konnte man anhand des Marktes ganz gut abschätzen. Apropos: Dem Marktmechanismus (was neu reinkommt, ist am teuersten; was länger liegt, wird schrittweise verbilligt), der heute gewöhnlicher Standard ist, widmete ich in meiner Rezension in Fairplay 51/2000 recht viele Worte, so dass ich annehme, er war damals noch kein Standard. Zumindest war ich ihm wohl noch nicht so oft begegnet.

VINCI hatte lediglich ein Problem, dies aber war enorm: Eurogames hatte das Spiel mit einer lieblosen Spielplangrafik, einer grauenhaften Anleitung und fehlerhaften Kurzübersichten fast vollständig verhunzt. VINCI hatte es verdient, noch einmal in verbesserter Version an den Start gehen zu dürfen. Und so kam es auch. 2009. Die neue Version hieß SMALL WORLD und machte ihren Weg. – Jedoch an mir vorbei. Vielleicht hatten meine späteren Mitspieler*innen nicht mehr so viel Lust auf Hauereien. Vielleicht war die Zeit eine andere. Oder vielleicht war doch nicht alles in SMALL WORLD besser. Tatsächlich lernte ich die nüchterne Gestaltung von VINCI im Nachhinein zu schätzen. In der schreienden Buntheit von SMALL WORLD fühlte ich mich nie zu Hause.


Sonntag, 2. August 2020

Detective – Doppelter Boden

Fehler 404.

Was bringt DOPPELTER BODEN? Einen neuen DETECTIVE-Fall. Der spielt 1977, was bedeutet, dass diesmal kein Internet und nur eine sehr rudimentäre Computeroberfläche zur Verfügung stehen. Informationen beziehen wir hauptsächlich aus der Bibliothek, wofür ein „Anruf“ genügt. Allerdings muss man drei Stunden warten, bevor Ergebnisse vorliegen, und muss vor Ort sein, um sie abzuholen.
Neu ist die Möglichkeit, Zeugen oder Verdächtige frei zu verhören. Dazu gibt man Stichworte in den Computer ein und hofft, eine relevante Antwort zu bekommen. Nach maximal drei Antworten oder alternativ drei Nicht-Antworten ist das Verhör beendet und nicht mehr wiederholbar.
Sowohl die Bibliothek als auch die Verhöre erfordern ein gewisses Timing. Denn es fragt sich besser und gezielter, wenn man schon mehr weiß. Andererseits können Antworten, die man früh im Spiel bekommt, hilfreicher sein als späte.


Was passiert? Auch DOPPELTER BODEN beruht auf realer Geschichte mit realen Personen und Orten. Allerdings liegen viele Ereignisse schon drei Jahrhunderte zurück und fühlen sich deshalb fiktionaler an. Dieselbe scheinbare Echtheit, wie wir sie aus dem Grundspiel kennen, transportiert dieser Fall nicht. Und natürlich dringt er auch nicht so tief, schließlich ist es nur ein einziger Fall statt fünf aufeinander aufbauende.
Die auf billigste Weise schnell hingeworfen wirkende Computeroberfläche ist in ihrer Handhabung sehr umständlich, redundant und fehleranfällig und das Gegenteil von komfortablem Spiel. Ich nehme aber an, dies ist gewollt und soll das Flair zeitgenössischer Technik transportieren.
Ganz sicher ungewollt mischen sich allerdings immer wieder englische und deutsche Textpassagen. Die Dialoge finde ich zudem uneindeutig. Schreibt man beim Bibliothekar einen Namen falsch, antwortet er mit „Ich weiß nicht, wie das helfen soll“, was keinerlei Hinweise liefert, wo nun das Problem liegen könnte. Einen Namen einer durchaus wichtigen Figur hat der Bibliothekar in überhaupt keiner von vielen erdenklichen Schreibweisen akzeptiert. Auch zum Verhör konnte eine Figur nicht geladen werden und produzierte eine Fehlermeldung. Gab man nur ihren Vornamen ein, ging es plötzlich.
Vom Verhör-Mechanismus haben wir kaum Gebrauch gemacht. Er ist zwar spannend, hat aber auch seine Tücken: Die Programmierung erscheint mir zu oberflächlich, denn man ist darauf angewiesen, die richtigen Stichwörter zu erraten. In einem Verhör erbrachte die Eingabe eines konkreten Namens: „Darüber weiß ich nichts“. Gab man dagegen den Verwandtschaftsgrad derselben Figur ein, kam die gewünschte Antwort.


Was taugt es? Trotz auftauchender Probleme fiel uns DOPPELTER BODEN leichter als das Grundspiel. Wir haben am Ende sämtliche Fragen richtig beantwortet und hätten dies auch vor Ablauf der Zeit gekonnt. Nur erschien uns nicht alles schlüssig (und dieser Eindruck hat sich auch nachträglich nicht aufgelöst), so dass wir bis zum letzten Augenblick weiterermittelt haben, ob nicht vielleicht doch noch eine Wendung eintritt.
Was die Geschichte und die Mechanismen angeht, hätte ich den Fall als „solide“ eingestuft. Denn er hat zumindest teilweise das gute, alte DETECTIVE-Gefühl zurückgebracht und uns erneut intensiv in die Ermittlungen eintauchen lassen. Technisch ist hier aber so einiges misslungen.
Die Idee, verschiedene Autor*innen DETECTIVE weiterentwickeln zu lassen, finde ich toll. Allerdings frage ich mich, ob tatsächlich Spieleautor*innen diejenigen sind, die das Spiel am meisten bereichern können, oder nicht eher Krimiautor*innen. Von einer DETECTIVE-Erweiterung erwarte ich allenfalls leichte Veränderungen des Grundmechanismus, schließlich möchte ich ja DETECTIVE spielen und nicht irgendein anderes Spiel unter demselben Titel. Wichtiger als neue Mechanismen wären mir neue coole Geschichten.


*** mäßig

DETECTIVE – DOPPELTER BODEN von Rob Daviau, Pegasus Spiele.