Dienstag, 30. November 2021

Gern gespielt im November 2021

ARCHE NOVA: Im Tierpark Tiere parken.

SCOUT: Ich mag keinen Zirkus, und dass ich SCOUT mag, beweist wohl, dass das Spielthema allenfalls als Clownsnummer taugt.

7 WONDERS ARCHITECTS: Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Den Architekten verdankt 7 WONDERS die Erfindung der wesentlich effizienteren Fertigbauweise.

BAUMKRONEN: Antike, Mittelalter, Renaissance. Dass Eurogames Vergangenes beschwören, sind wir gewohnt. Beunruhigend aber: Neuerdings ist es die Natur.

PALEO – EIN NEUER ANFANG: Das erste Haustier der Menschen war …? Ein Dodo!






UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM NOVEMBER:

TOP TEN:
In diesem Spiel guckt sogar der Kackhaufen fröhlich.





Donnerstag, 25. November 2021

Zwergar

Mag sein, dass ZWERGAR kein Kofferwort aus „Zwerg“ und „Ärger“ ist; das Spiel fühlt sich dennoch so an: Denn man kann andere ganz schön ärgern. Und man ärgert sich ganz schön, wenn man wiiieder laaange waaarten muuuss.

Wie geht ZWERGAR? Auch ZWERGAR ist eins von diesen Personaleinsatzspielen, bei denen wir Rohstoffe abbauen, um damit Dinge zu kaufen (hier: „Projekte“), die Punkte zählen und eventuell auch noch besondere Fähigkeiten mitbringen.
Zwei Mechanismen machen den Unterschied zu anderen Spielen dieser Art aus: 1. Wir agieren mit Figuren in drei verschiedenen Farben. Zwar kann prinzipiell jede jedes Feld aufsuchen, aber die Erträge sind unterschiedlich. Beispielsweise dürfen im „Labor des Alchemisten“ alle Figuren Rohstoffe tauschen, aber eine weiße Figur darf das häufiger tun, während die orangefarbene noch einen Bonus bekommt. Nur die violette kann hier nichts Außergewöhnliches, dafür aber an anderen Orten.

2. Unsere Rohstoffe holen wir aus einer Mine, und sie müssen mit einem Gemeinschaftsaufzug von unten nach oben transportiert werden. Die wertvollen Rohstoffe gibt es nur tief unten in der Mine; sie haben den längsten Weg. Außerdem bewegt sich der Aufzug nicht von selbst. Ihn in Bewegung zu setzen, kostet eine Aktion. Und man transportiert unweigerlich die Rohstoffe aller anderen Spieler:innen mit, was man eigentlich nicht will.
Wer am Zug ist, führt hintereinander drei Aktionen aus. Besetzte Einsatzfelder sind nicht besetzt. Im Gegenteil freue ich mich, dort eine Figur vorzufinden. Denn diese erhalte ich nun im Austausch gegen meine eingesetzte. Ziehe ich auf ein leeres Einsatzfeld, mache ich eine Figur Verlust. Je weniger Figuren ich besitze, desto geringer ist meine Farbauswahl. Und habe ich irgendwann gar keine Figur mehr, kostet es mich eine Aktion, mir wieder einen Notvorrat von zwei Figuren nehmen zu dürfen.


Was passiert? So interessant das Figurenfarben-Management auch ist: Es übt einen großen Optimierungsdruck aus. Es liegt klar auf der Hand, dass eine Aktion, bei der meine eingesetzte Farbe keinen Bonus bringt, nicht optimal sein kann. Also tüftele ich aus, dass ich mit der violetten Figur zuerst nach A gehen muss, mit der dort erhaltenen weißen Figur nach B und mit der dort erhaltenen violetten Figur nach C. Oder doch lieber D? Dann aber sollte die Figur orange sein, also müsste ich sie erst von E holen, aber nach E will ich gar nicht, außer ich hätte zuvor bei C …
Die Tüftelei betrifft aber nicht nur die Figuren: Zusätzlich zu den vier Rohstoffen gibt es noch die Währung Wärme, und weil sie am Ende der drei Aktionen ersatzlos verfällt, will man sie bis dahin möglichst komplett ausgenutzt und ausgegeben haben. Und als Wärmequellen gibt es Öfen. Es ist vorteilhaft, wenn am Zugende noch mindestens einer brennt, aber nicht alle. Das will man also auch hinkriegen.
Es sind somit sehr viele verschiedene Faktoren, die man in seinen drei Aktionen unter einen Hut bekommen will. ZWERGAR setzt Anreize, um neben dem generellen Ziel (mit den passenden Rohstoffkombinationen möglichst wertvolle Projekte zu kaufen) noch viele Nebenpläne miterledigen zu wollen. Weil man nie alles schafft, bleibt oft ein Gefühl der Unzufriedenheit. Und vor allem kann man ewig lange darüber nachdenken, wie man das Beste rausholt. Und wenn man es nicht perfekt hinkriegt, ob nicht wenigstens beinahe. Oder – Moment! – ob es vielleicht sogar doch klappen könnte, wenn man den weißen Zwerg nach D setzt, um dann ...


Was taugt es? Im Finale wird die Rechnerei noch intensiver, denn nun ist der Zeitpunkt, um auch die angesammelten Baustoffe möglichst perfekt in Projekte umzumünzen und im Bestfall nichts übrig zu behalten, das keine Punkte zählt. Dass lange nachgedacht wird, ist auch in vielen anderen Spielen so, und oft ist es eher das Problem der Runde und weniger des Spiels. Im Falle von ZWERGAR aber liegt es auch am Spiel. Die große Abhängigkeit von Details und die Notwendigkeit, immer drei sinnvoll aufeinander aufbauende Aktionen aneinander zu koppeln, verlangsamen das Spiel.
Viele Aspekte an ZWERGAR gefallen mir dennoch gut. Auch wenn wir uns keine Felder wegschnappen und die Interaktion nur indirekt ist, lassen sich einige fiese Zwänge konstruieren. Braucht die Konkurrenz neue Rohstoffe dringender als ich, kann ich darauf spekulieren, dass andere den Aufzug bedienen werden, und ich schaufele vielleicht sogar noch extra was drauf, damit sie sich noch mehr ärgern. Auf Einsatzfeldern darf ich Öfen installieren und profitiere nun jedes Mal, wenn jemand hier hinzieht. Und nicht zuletzt wirke ich durch die Figuren, die ich meinen Mitspieler:innen hinterlasse oder dem Spielplan entziehe, auf die Möglichkeiten der Konkurrenz ein.

Gut gefällt mir auch, dass nicht in jeder Partie dieselben Projekte enthalten sind, sondern verschiedene Sets die Ausrichtung variieren. ZWERGAR ist obendrein thematisch stimmig und hübsch illustriert. Nur die Symbolik könnte in mehreren Fällen klarer sein. Und so außergewöhnlich die kolorierten Natursteine als Rohstoffe auch sind: Wegen ihrer stark unterschiedlichen Größen lässt sich schlecht auf einen Blick erkennen, ob jemand nun vier, fünf oder gar sechs Steine besitzt.
In Summe gibt es an der Mechanik von ZWERGAR wenig zu beanstanden, doch das Spielgefühl ist zu wenig neu, um den Zeitaufwand einer Partie allzu häufig aufbringen zu wollen. In Summe also:


**** solide

ZWERGAR von Jan Madejski für zwei bis vier Spieler:innen, Granna.

Mittwoch, 17. November 2021

Project L


L wie Literaturtipp: „Wörter mit L“ von Tamara Bach.

Wie geht PROJECT L? Es ist ein Puzzle-Spiel mit Polyominos, das originellerweise als Engine-Builder daherkommt: Ich starte mit zwei Puzzleteilchen, einem Einer und einem Zweier, und vermehre mein Baumaterial, indem ich Puzzleraster komplett befülle. Dann nämlich kriege ich alle verwendeten Bauteile zurück. Plus ein weiteres. Plus eventuell Punkte. Je mehr Baumaterial ich besitze, desto größere Puzzles kann ich mir zutrauen.
Wer am Zug ist, führt drei Aktionen aus. Beispielsweise nimmt man sich ein neues Puzzle aus dem Vorrat. Oder man fügt ein eigenes Teil in eins der eigenen Puzzles ein.
Die stärkste Aktion ist die „Meisteraktion“. Sie darf pro Zug nur einmal durchgeführt werden, und man sollte tunlichst nicht darauf verzichten. Meisteraktion bedeutet, in jedes eigene Puzzle einen Stein legen zu dürfen. Arbeite ich gerade an drei Puzzles parallel, lege ich jetzt also drei Steine und spare mir damit zwei reguläre Aktionen.


Was passiert? In PROJECT L kommt es auf Effizienz an. Brav ein Puzzle nach dem anderen zu vervollständigen, wäre zu langsam. Tempogewinn bringt der Meisterzug, und der Tempogewinn wächst mit der Zahl meiner offenen Puzzles.
Allerdings dürfen es nicht zu viele Baustellen werden. Regelmäßig muss ich auch Projekte abschließen, damit ich Material zurückbekomme, das ich gleich wieder anderswo einbaue. Im Bestfall wird natürlich möglichst großes und auch exakt passendes Material frei.
In PROJECT L strebe ich eine Art Polyomino-Flow an. Mein Material sollte oft im Einsatz sein, gleichzeitig muss ich stets handlungsfähig bleiben. L wie liquide. Notfalls darf ich als Aktion auch einen neuen Einer aus dem Vorrat nehmen oder ein Bauteil gegen ein etwas größeres eintauschen, aber all das kostet Tempo.
So sitzt man da und rechnet voraus und legt eventuell auch schon die benötigten Teile der kommenden zwei, drei Züge unter die Puzzles, um ganz exakt planen zu können. Wer Spiele dieser Art beherrscht, wird bei der Puzzlewahl auch zu besseren Entscheidungen kommen, wann der Zeitpunkt für das zweite, dritte oder gar vierte parallele Puzzle gekommen ist und welche der ausliegenden sich mit dem vorhandenen Material möglichst zeitsparend vollenden lassen.


Was taugt es? In meinen Partien hat sich immer recht früh abgezeichnet, wer noch um den Sieg mitspielt und wer hinterherpuzzelt. Je besser ich aus den Startlöchern komme, desto mehr Material habe ich, das mich dann wieder weiterbringt. Es gibt keinen Faktor, der Führende gezielt ausgebremst, allenfalls geschieht dies durch ein nicht den Wünschen entsprechendes Puzzle-Angebot im Markt.
Das wertet das Spiel als solches nicht ab. Man muss sich nur darauf einstellen, dass in heterogenen Runden der Ausgang von PROJECT L nicht für alle gleichermaßen spannend ist. Und immerhin ist PROJECT L so sehr belohnend, dass jede:r einige Puzzles fertigkriegen und Steine hinzugewinnen wird.
Das Material ist beeindruckend gut durchdacht. Die schwarz-weißen Puzzle-Tableaus sehen edel aus. Die Vertiefungen sind sehr praktisch, um die Polyominos rutschfest darin abzulegen. Die Größe der Puzzle-Fläche wird obendrein mit Punkten versinnbildlicht.
PROJECT L ist ein gelungenes Spiel, das sich sehr auf den Wettkampf fokussiert. Es ist wie ein Mathewettbewerb darum, wer besser Polyominos puzzeln kann. Es gibt sicher eine Zielgruppe, die das ganz toll findet und liebt, sich zu messen. Ich spiele gerne mit, fiebere aber nicht auf neue Partien hin. Denn eine Partie ähnelt der anderen, es ergeben sich keine neuen Aspekte oder spannende Fragestellungen. Ich bin nicht neugierig auf mehr, denn ich habe auch nicht den Eindruck, viel ausprobieren oder experimentieren zu können. Zwischen einem guten und einem schlechten Zug existiert hier wenig Grauzone.


**** solide

PROJECT L von Jan Soukal, Michal Mikeš und Adam Španel für eine:n bis vier Spieler:innen, Boardcubator.

Samstag, 13. November 2021

Tulpenfieber

„Beweise deinen grünen Daumen!“, lese ich auf der Schachtel. Und ich frage mich, ob das Spiel noch kurzfristig geändert und der ursprüngliche Schachteltext dabei vergessen wurde. Jedenfalls beweisen wir statt eines grünen Daumens allenfalls ein goldenes Würfelhändchen.

Wie geht TULPENFIEBER? Es ist ein Würfelspiel, bei dem wir wie etwa bei KNIFFEL Kombinationen sammeln. Anders als KNIFFEL ist es ein Wettrennen. Wir füllen nicht unseren kompletten Block aus, sondern es gewinnt, wer zuerst eine der Endbedingungen erreicht.
Übrigens gibt es auch gar keinen Block. Den Spielstand halten wir auf Tableaus fest. 35 Felder zeigen verschiedene Würfelaufgaben. Habe ich eine erledigt, decke ich das Feld mit einem Tulpenplättchen ab. Das Ziel: Drei benachbarte Felder der untersten, also fünften Reihe belegen. Oder vier beliebige. Oder sämtliche der vierten Reihe.
Das Würfeln selbst ist klassisch: dreimal Würfeln mit Rauslegen. Und die Aufgaben sind ebenfalls klassisch: Meistens sammeln wir viele gleiche Zahlen, manchmal Straßen. Von den oberen Reihen zu den unteren werden die Aufgaben immer schwieriger.
Zu Beginn besitzen wir nur vier Würfel. Um fünf, sechs und schließlich sieben Würfel würfeln zu dürfen, muss man drei, vier und schließlich fünf senkrecht oder diagonal benachbarte Felder mit Plättchen belegt haben.


Was passiert? Die Aufgaben der finalen fünften Reihe erfordern Fünferpaschs. Zusätzliche Würfel zu sammeln, ist also alternativlos. Wie schnell sich das ergibt, beruht ein bisschen auf meinen Entscheidungen, hauptsächlich aber ist es Glück.
Natürlich kann ich versuchen, Felder abzudecken, die benachbart zueinander sind, um a) schneller an zusätzliche Würfel zu kommen und b) für den Sieg nur drei Plättchen in der fünften Reihe zu benötigen. Doch am Ende ist das nur ein Versuch. Wenn ich aus taktischen Gründen Dreien sammeln will, im ersten Wurf jedoch keine einzige erscheint, kann ich meinen Plan auf Biegen und Brechen durchziehen. Oder ich knicke ein und sammle die weniger interessanten Einsen, von denen ich immerhin schon zwei gewürfelt habe. Entscheidungen dieser Art sind typisch für TULPENFIEBER.

Was taugt es? TULPENFIEBER bewegt sich vom Grad des Einflusses her etwa auf KNIFFEL-Niveau. Auch dort kann es passieren, dass jemand mehrere Kniffel würfelt, während andere Feld für Feld streichen müssen. Auch dort ist man dem Würfelglück stark ausgeliefert.
Welche Argumente hat da TULPENFIEBER, dass ich nicht gleich KNIFFEL spiele? Am ehesten den Wettrenn-Charakter. Im Finale kann es knapp und somit spannend werden, und man muss zur Ermittlung des Endergebnisses keine Punkte addieren. Allerdings ist der Weg zu diesem Finale gleichförmig und deshalb nicht sonderlich bewegend. Elemente, die taktisch sein könnten, wirken sich wenig aus.
Was TULPENFIEBER gar misslungen statt nur mittelmäßig werden lässt, sind Themenwahl, Material und Aufmachung. Das Spiel hat nichts mit Tulpen oder Tulpenspekulation oder Blumen allgemein zu tun; das Thema trägt auch nichts zum Verständnis der Abläufe bei.
Grafik und Material wirken billig. Spielfortschritte werden auf den Tableaus mit winzigen, rutschigen und phantasielos gestalteten Pappmarkern markiert. Dafür, dass wir hier angeblich prächtige Tulpenfelder erschaffen, sieht das Ergebnis erstaunlich hässlich aus.


** misslungen

TULPENFIEBER von Uwe Rosenberg für eine:n bis vier Spieler:innen, Amigo.

Dienstag, 9. November 2021

Lost Cities Roll & Write

Versprochen: Würfle ich eine Sechs, schreibe ich eine Einleitung! … Ach, schade: nur eine Drei.

Wie geht LOST CITIES ROLL & WRITE? Es ist ein Würfelspiel. Bin ich am Zug, werfe ich alle sechs Würfel: drei Sechsseiter zeigen Farben, drei Zehnseiter Zahlen. Eine der Zahlen trage ich auf meinem Blatt ein und zwar in der Spalte einer der gewürfelten Farben. Die vier von mir nicht gewählten Würfel stehen meinen Mitspieler:innen zur Verfügung.
Erwartungsgemäß gibt es weitere Regeln für das Eintragen, die – ebenfalls erwartungsgemäß – dem Kartenspiel LOST CITIES nachempfunden sind: In jeder Farbe beginne ich mit möglichst kleinen Zahlen, denn meine Zahlenreihe darf aufsteigen, aber niemals absteigen. Schaffe ich in einer Farbe nur wenige Eintragungen, zählt das Minuspunkte. Trage ich viel ein, gibt es Pluspunkte. Und beginne ich eine Reihe gar nicht, zählt das nichts.
Einige Felder zeigen Symbole. Überschreibe ich beispielsweise eine Amphore, darf ich eine Amphore abkreuzen, und mit Amphoren verhält es sich wie gewohnt: wenige sind schlecht, viele sind gut.


Was passiert? LOST CITIES ROLL & WRITE ist ein Wettrennen. In jeder der Reihen gibt es eine „Bonus-Brücke“, und wer sie zuerst überquert, bekommt schöne Extrapunkte. Und nicht nur die Mitspieler:innen üben Druck aus, auch das drohende Spielende. Was schafft man bis dahin? Fängt man gefühlt kurz vor Schluss noch eine Farbreihe an? Darf man brutal hohe Zahlen eintragen, weil es ja sowieso gleich vorbei ist?
Dumm wäre es, wenn das Spiel dann doch nicht so schnell zu Ende geht. Was die Spieler:innen übrigens mitbeeinflussen: Entweder sind alle acht Brücken von irgendwem überschritten (in meinen Partien der weitaus häufigere Fall) oder alle haben ihre Fehlwurf-Skala komplett ausgereizt.
Wichtiges Stichwort: Fehlwürfe. Wer nichts bei sich eintragen möchte oder kann (übrigens auch in der passiven Rolle), kreuzt ein Fehlwurf-Feld ab. Und auch diese Reihe funktioniert wie die anderen. Es gibt eine Bonus-Brücke, und wenige Fehlwürfe zählen negativ, viele zählen positiv. Nur eben nicht zu viele. Wer das erlaubte Maß überschreitet, verspielt alle Punkte dieser Reihe.
Und so beginnt tatsächlich auch ein Zocken um Fehlwürfe. Wer sparsam unterwegs ist, stellt vielleicht irgendwann fest: Oh, bald Spielende, und ich könnte wegen zu weniger Fehlwürfe Minuspunkte kriegen! Oder umgekehrt: Ich habe schon ordentlich Fehlwürfe geschluckt, doch wenigstens kann ich deswegen auf Pluspunkte hoffen. Jetzt muss ich tunlichst verhindern, dass es zu viele Fehlwürfe werden. Also auch schlechte Würfel akzeptieren. Wo ist meine Schmerzgrenze? Und überstehe ich das bis Spielende?

Was taugt es? LOST CITIES ROLL & WRITE ist ein klassisches Roll & Write ohne viel Schnickschnack: Zahlen, Farben, Skalen. Ein Thema ist nicht wirklich vorhanden, angeblich irgendwas mit Dschungel.
Aber auch wenn sich das alles herkömmlich und bekannt anfühlt: Es ist gut und spannend komponiert. Und dank enthaltener Kniffe unterscheidet es sich genügend von anderen Spielen. Vor allem eine Ähnlichkeit zu QWIXX fällt auf. Das scheint mir jedoch verzeihlich, denn das Prinzip, aufsteigend Zahlen zu sammeln, ist nun mal das Prinzip von LOST CITIES – und das ist älter als QWIXX.
Von allen Abkömmlingen der LOST CITIES-Familie finde ich ROLL & WRITE bislang am überzeugendsten. Wesentliche Elemente aus LOST CITIES sind enthalten (auch die Wetten, nebenbei bemerkt), man erkennt das Ur-Spiel also wieder. Gleichzeitig fühlt es sich auch genügend anders an.
Am besten finde ich LOST CITIES ROLL & WRITE zu zweit und auch noch zu dritt. Mehr als in großer Runde lohnt es sich hier zu überlegen, welche Würfel ich auswähle, um sie der Konkurrenz gezielt vorzuenthalten. Das Spiel wird etwas konfrontativer, man spielt weniger solistisch als in vielen anderen Roll-and-Write-Spielen.


***** reizvoll

LOST CITIES ROLL & WRITE von Reiner Knizia für zwei bis fünf Spieler:innen, Kosmos.

Freitag, 5. November 2021

Vor 20 Jahren (107): Puerto Rico

Der große Messehit auf der SPIEL ’01 in Essen war ein Spiel, das man gar nicht kaufen konnte: PUERTO RICO. Ein Vorab-Hype dieses Ausmaßes war ein neues Phänomen.
Üblicherweise konnte man Messespiele kaufen, und die, die man noch nicht kaufen konnte, waren kein großes Thema. Man hörte zu gegebener Zeit von ihnen, und das genügte.

Warum war es bei PUERTO RICO so anders? Drei Gründe fallen mir ein:

1. Man konnte am alea-Stand einen fast finalen Prototypen spielen. Das war, soweit ich weiß, keine geniale Marketingidee, sondern Notlösung: PUERTO RICO war knapp nicht rechtzeitig fertig geworden. Eine andere Neuheit hatte alea nicht – aber einen Messestand, und der musste ja irgendwas präsentieren …
Lustigerweise machten andere Verlage in der Folgezeit eine Masche draus: Auch bei ihnen konnte man ab 2002 fast finale Prototypen spielen, und eine Zeitlang war das dann hip und das Publikum ganz wild darauf.

2. Zum dritten Mal führte die Fairplay ihre Scoutliste, die sich als Trendmesser so langsam etablierte. Und auf der 2001er-Liste belegte PUERTO RICO einen überwältigenden ersten Rang. 33 von 38 Bewerter:innen hatten die Note 1 gegeben.

3. (der offensichtlichste Grund) PUERTO RICO war (und ist) tatsächlich so überragend, wie es sich damals schon abzeichnete.

Ich habe nicht verfolgt, wie die Mechanismen von PUERTO RICO heute klassifiziert werden. Seinerzeit las und hörte ich immer wieder, der Kern von PUERTO RICO sei Rollenwahl. Und ich dachte immer: Nein! Denn für meine Begriffe ist PUERTO RICO ein Phasenwahl-Spiel.

Was ist der Unterschied? In OHNE FURCHT UND ADEL wählen wir Rollen, und zuerst ist der Meuchler an der Reihe, dann der Dieb und so weiter. Es ist jede Runde dasselbe. Und die Reihenfolge ist spielmechanisch motiviert, weniger thematisch.

Anders PUERTO RICO. Hier gibt es für die Aktionen eine thematisch logische Reihenfolge: Erst benötigt man eine Plantage, dann setzt man eine Arbeitskraft darauf, dann wird geerntet, dann die Ware verkauft oder verschifft. Der Clou des Spiels ist nun, dass diese Spielphasen nicht zwangsläufig in der korrekten Reihenfolge durchgeführt werden.
Wer am Zug ist, wählt aus, welche Phase stattfinden soll. So kann es sein, dass Verschiffen gewählt wird, obwohl länger keine Ernte stattgefunden hat und nicht alle Spieler:innen Waren zum Verschiffen haben. Oder man bekommt Arbeitskräfte, ohne genügend Plantagen zu besitzen.
Zugegeben: Der Unterschied zur Rollenwahl ist nicht riesengroß, zumal die Phasen in PUERTO RICO auch nach den Charakteren benannt sind, die die Phase initiieren. In der Plantagenphase ist es der „Siedler“, in der Verschiffungsphase der „Kapitän“. Aber ich wollt’s nach 20 Jahres des Schweigens einfach mal erwähnt haben.

PUERTO RICO etablierte nach meiner Wahrnehmung noch zwei weitere mittlerweile sehr gängige Prinzipien: Wer eine Phase auswählt, wählt sie für alle Spieler:innen aus, bekommt beim Ausführen aber einen Bonus. Und: Phasen, die länger nicht an der Reihe waren, werden attraktiver gemacht, indem man Geld bekommt, wenn man sie endlich initiiert.

Zeitsprung. 20 Jahre später: PUERTO RICO ist als moderner Klassiker noch immer bei alea im Programm. Nach vielen Jahren an Platz 1 im Ranking von boardgamegeek ist es mittlerweile auf Platz 30 abgerutscht. Unvermeidlich. Die Spielewelt bleibt eben nicht stehen.
Aber vieles wiederholt sich doch. Auf der SPIEL ’21 in Essen war schon wieder ein Spiel der Hit, das man (bis auf wenige Vorbesteller:innen) gar nicht kaufen konnte.


Montag, 1. November 2021

Bellum Magica

„Werde zum reichsten aller Hexenfürsten, indem du die wertvollsten Schätze sammelst!“ Das ist das Spielziel von BELLUM MAGICA, und sei es Zufall oder nicht: Es ist Wort für Wort auch Leitbild von REZENSIONEN FÜR MILLIONEN. Kann ich also als trainiert gelten, weil ich schon seit Jahr und Tag an dem Ziel arbeite? Oder als untrainiert? Weil ich seit Jahr und Tag scheitere.

Wie geht BELLUM MAGICA? Es ist ein Würfelspiel, bei dem ein Würfelwurf von eins bis sechs die Erträge aller Spieler:innen bestimmt. Jede Zahl bringt mir aber andere Erträge als den anderen. Das liegt daran, dass wir unsere Burgtableaus unterschiedlich ausbauen.

Wofür wir übrigens angeworbene Kreaturen verwenden. Jede Kreatur kann ich einsetzen, um entweder meine Rohstoffeinkünfte oder meine Kampfkraft zu erhöhen. Sie stärkt den gewählten Bereich nicht für alle Würfelzahlen gleichermaßen, sondern beispielsweise nur für die Eins, Zwei und Vier. Die Addition aller meiner Kreaturenfähigkeiten bei einer bestimmten Augenzahl ergibt mein Einkommen, wenn diese Zahl fällt.
Aber so einfach geht das nicht mit dem Würfeln. Vor der Auswertung werden reihum alle gefragt, ob sie den Wurf akzeptieren. Wer es nicht tut, zahlt einen Fass-Marker („spendiert eine Runde Getränke“), würfelt neu, und nun gilt dieses Ergebnis. Außer jemand zahlt ebenfalls ein Fass und würfelt wieder neu. Und so weiter. Bis alle Fässer ausgetrunken sind oder alle das Ergebnis abnicken.
Jetzt ist Zahltag: Mit den eingenommenen Rohstoffen werben wir weitere Kreaturen an. Und die aktivierte Kampfkraft ist dazu da, um entweder neutrale Orte anzugreifen (um Fässer, Rohstoffe, Siegpunkte zu kassieren) oder Mitspieler:innen (um ihnen Siegpunkt-Chips wegzunehmen).


Was passiert? Man würfelt, man kriegt was, man kauft was dafür. Was ist daran das Besondere? Vielleicht der Ich-bezahle-ein-Fass-und-würfle-neu-Mechanismus. Doch der hat in meinen Runden nicht so richtig gezündet.
Erstens bedeutet Neuwürfeln nicht automatisch, dass der neue Wurf besser ist. Und selbst wenn, könnten andere Spieler:innen auch noch eingreifen und ebenfalls neu würfeln. Im Grunde passiert einfach irgendwas, und vielleicht wäre mehr Stimmung aufgekommen, hätten wir tatsächlich Fässer leergetrunken.
Die Alternative zum Aus-dem-Bauch-Spielen ist die gründliche Analyse. Vor meiner Entscheidung bilanziere ich, wer beim aktuellen Würfelergebnis welches Einkommen hätte (die Symbole sind allerdings von Ferne nicht gut zu erkennen) und wer demzufolge ein noch größeres Interesse an einem Neuwurf haben müsste als ich. So spare ich Fässer, deshalb mache ich das bei der nächsten Würfelzahl wieder so. Machen das alle, wird BELLUM MAGICA taktischer, und man kann dem Spiel nicht mehr vorwerfen, dass einfach irgendwas passiert … jedoch passiert sehr wenig.

Auch die Angriffsphase empfinde ich als unspannend. Sowohl die neutralen Orte als auch die Burgen der Mitspieler:innen werden im Spielverlauf immer stärker, nicht zuletzt die Burgen der reichen Spieler:innen, die man eigentlich am liebsten angreifen würde, es aber nicht kann, weil die dank Reichtum hinzugekauften starken Kreaturen Verteidigungsfähigkeiten mitbringen. Fällt der Würfel ungünstig, habe ich keine Entscheidung zu treffen und muss die Taverne überfallen, das schwächste Haus am Platz, eine Art Trostpreis.
Und nicht mal das Anwerben der Kreaturen bringt Würze. Kann ich mir eines der starken Monster leisten, nehme ich natürlich ein starkes. Und welches ist das beste? Weiß nur der Würfel. Ob wohl künftig Eigenschaften auf der Drei gefragt sein werden oder auf der Vier, ist eine Scheinentscheidung.


Was taugt es? Ich bin mir sicher, dass man sich BELLUM MAGICA schönspielen kann. Wenn ordentlich aufgewiegelt wird, Mitspieler:innen bequatscht werden, Burgen zu überfallen, und die Runde alle Würfe mit Ahs und Ohs begleitet. Aber das ist erstens rein hypothetisch. Zweitens wäre es keine Leistung des Spiels, sondern der Runde.
Und noch eine Spekulation: Ich glaube, dass der Mechanismus des Wiederwürfelns deutlich emotionaler sein könnte, wenn allen Beteiligten am Tisch ganz unmittelbar klar wäre, wie gut oder wie schlecht die Zahl für sie ist. Angesichts der vielen verschiedenen Währungen sind die Ergebnisse oft aber diffus. Vielleicht kriege ich nicht so viele Rohstoffe, dafür sieht es beim Angriff ganz okay aus. Na gut. Passt. Ich opfere ich kein Fass.
BELLUM MAGICA ist in meinen Augen fast schon „misslungen“. Zwar kann ich keine Komponente nennen, die irgendeinen schweren Fehler hat. Doch die Spielidee an sich löst einfach zu wenig Wiederholungsreiz aus. BELLUM MAGICA bleibt nicht in Erinnerung. Es ist nur ein weiteres von ganz vielen Spielen, bei denen man würfelt, etwas kriegt und etwas kauft. Mit hohem Materialaufwand bläst BELLUM MAGICA eine kleine Idee zu einem scheinbar großen Spiel auf.
Allerdings haben sich die meisten meiner Mitspieler:innen nicht so gelangweilt wie ich und konnten der unkomplizierten Würfelei einiges abgewinnen. Und so fällt mir dann doch noch ein Pluspunkt ein: Das Milieu und die Welt von BELLUM MAGICA sind stimmig. Was man im Spiel tut, passt zur Geschichte. Der Zufallsanteil passt zur trashigen Grafik.


*** mäßig

BELLUM MAGICA von Frédéric Guérard für zwei bis fünf Spieler:innen, blue orange.