Freitag, 5. November 2021

Vor 20 Jahren (107): Puerto Rico

Der große Messehit auf der SPIEL ’01 in Essen war ein Spiel, das man gar nicht kaufen konnte: PUERTO RICO. Ein Vorab-Hype dieses Ausmaßes war ein neues Phänomen.
Üblicherweise konnte man Messespiele kaufen, und die, die man noch nicht kaufen konnte, waren kein großes Thema. Man hörte zu gegebener Zeit von ihnen, und das genügte.

Warum war es bei PUERTO RICO so anders? Drei Gründe fallen mir ein:

1. Man konnte am alea-Stand einen fast finalen Prototypen spielen. Das war, soweit ich weiß, keine geniale Marketingidee, sondern Notlösung: PUERTO RICO war knapp nicht rechtzeitig fertig geworden. Eine andere Neuheit hatte alea nicht – aber einen Messestand, und der musste ja irgendwas präsentieren …
Lustigerweise machten andere Verlage in der Folgezeit eine Masche draus: Auch bei ihnen konnte man ab 2002 fast finale Prototypen spielen, und eine Zeitlang war das dann hip und das Publikum ganz wild darauf.

2. Zum dritten Mal führte die Fairplay ihre Scoutliste, die sich als Trendmesser so langsam etablierte. Und auf der 2001er-Liste belegte PUERTO RICO einen überwältigenden ersten Rang. 33 von 38 Bewerter:innen hatten die Note 1 gegeben.

3. (der offensichtlichste Grund) PUERTO RICO war (und ist) tatsächlich so überragend, wie es sich damals schon abzeichnete.

Ich habe nicht verfolgt, wie die Mechanismen von PUERTO RICO heute klassifiziert werden. Seinerzeit las und hörte ich immer wieder, der Kern von PUERTO RICO sei Rollenwahl. Und ich dachte immer: Nein! Denn für meine Begriffe ist PUERTO RICO ein Phasenwahl-Spiel.

Was ist der Unterschied? In OHNE FURCHT UND ADEL wählen wir Rollen, und zuerst ist der Meuchler an der Reihe, dann der Dieb und so weiter. Es ist jede Runde dasselbe. Und die Reihenfolge ist spielmechanisch motiviert, weniger thematisch.

Anders PUERTO RICO. Hier gibt es für die Aktionen eine thematisch logische Reihenfolge: Erst benötigt man eine Plantage, dann setzt man eine Arbeitskraft darauf, dann wird geerntet, dann die Ware verkauft oder verschifft. Der Clou des Spiels ist nun, dass diese Spielphasen nicht zwangsläufig in der korrekten Reihenfolge durchgeführt werden.
Wer am Zug ist, wählt aus, welche Phase stattfinden soll. So kann es sein, dass Verschiffen gewählt wird, obwohl länger keine Ernte stattgefunden hat und nicht alle Spieler:innen Waren zum Verschiffen haben. Oder man bekommt Arbeitskräfte, ohne genügend Plantagen zu besitzen.
Zugegeben: Der Unterschied zur Rollenwahl ist nicht riesengroß, zumal die Phasen in PUERTO RICO auch nach den Charakteren benannt sind, die die Phase initiieren. In der Plantagenphase ist es der „Siedler“, in der Verschiffungsphase der „Kapitän“. Aber ich wollt’s nach 20 Jahres des Schweigens einfach mal erwähnt haben.

PUERTO RICO etablierte nach meiner Wahrnehmung noch zwei weitere mittlerweile sehr gängige Prinzipien: Wer eine Phase auswählt, wählt sie für alle Spieler:innen aus, bekommt beim Ausführen aber einen Bonus. Und: Phasen, die länger nicht an der Reihe waren, werden attraktiver gemacht, indem man Geld bekommt, wenn man sie endlich initiiert.

Zeitsprung. 20 Jahre später: PUERTO RICO ist als moderner Klassiker noch immer bei alea im Programm. Nach vielen Jahren an Platz 1 im Ranking von boardgamegeek ist es mittlerweile auf Platz 30 abgerutscht. Unvermeidlich. Die Spielewelt bleibt eben nicht stehen.
Aber vieles wiederholt sich doch. Auf der SPIEL ’21 in Essen war schon wieder ein Spiel der Hit, das man (bis auf wenige Vorbesteller:innen) gar nicht kaufen konnte.


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