Ob der Eine Ring wohl die Macht hätte, mich Einleitungen schreiben zu lassen? Na, mal lieber nicht zu viel erwarten.
Wie geht DER HERR DER RINGE – DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT? Wir sind die Guten und spielen kooperativ; das Spiel ist böse. Je nach Schwierigkeitsgrad müssen wir vier oder mehr Ziele erreichen. Eines davon ist in jeder Partie „Zerstört den Einen Ring“. Dazu muss Frodo auf dem Spielplan zum Schicksalsberg laufen (wofür er auf Karten oder Plättchen jede Menge Symbole „Versteck“ benötigt), vor Ort muss er fünf Symbole „Ring“ abwerfen und schließlich noch einen Schicksalswürfelwurf überstehen, der außer vom Glück auch von anwesenden Nazgûl, Orks und dem Stand der Hoffnungs-Skala abhängt.
Andere Ziele haben Titel wie „Fordert Sauron heraus“ oder „Sichert die Furten des Anduin“ und lassen uns Truppen ausheben und zu vorgegebenen Orten bewegen oder Orte erobern oder bestimmte Symbole sammeln, um sie am Zielort einzusetzen. Alle Aufgaben haben eine inhaltliche Verbindung zu Tolkiens Romantrilogie. Ebenso die Spielplan-Geografie. Und die Eigenschaften der Spieler:innen-Charaktere. Pro Person spielen wir nicht einen Charakter, sondern gleich zwei. Mit einem führe ich in meinem Zug vier Aktionen durch, mit dem anderen eine. Haupt- und Nebenrollen können sich während einer Partie abwechseln.
Die Aktionen ähneln denen in PANDEMIE; DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT ist ein weiterer Ableger des erfolgreichen Spielkonzepts: Wir reisen (was manchmal die Abgabe von Symbolen erfordert und für Frodo wegen der Nazgûl obendrein riskant sein kann), wir sammeln Symbole, wir tauschen Karten. Hinzu kommt: Wir rekrutieren Truppen und kämpfen.
Noch mehr an PANDEMIE erinnert die Verwaltung zwischen den Zügen: Ich ziehe zwei neue Handkarten vom Stapel, dann werden vom anderen Stapel anfangs zwei, später mehr Schattenkarten aufgedeckt und ausgeführt. Sie bringen Orks ins Spiel oder sie bewegen Orks. Sie lassen Nazgûl in Frodos Richtung fliegen oder versetzen das Auge Saurons zu Frodo – wo es möglichst nicht lange bleiben sollte, weil sonst immer wieder negative Effekte auftreten. Eine wiederkehrende und ebenfalls buchgetreue Aufgabe der anderen Charaktere ist deshalb, irgendwo Schlachten anzuzetteln. Dadurch wird das Auge von Frodo weggelenkt.
Was passiert? Der Einstieg ist erheblich schwieriger als bei PANDEMIE. Sich auf dem großen und detailbeladenen Spielplan zurechtzufinden und zu erfassen, was die eigenen Charaktere alles können, dauert mindestens eine komplette Partie. Und bis man dann noch draufhat, welche Fähigkeiten die anderen Charaktere besitzen, vergeht mindestens eine weitere.
Die Anforderung an die Gruppe ähnelt PANDEMIE und vielen anderen Koop-Spielen: Anhand unserer Karten knobeln wir die bestmöglichen Züge aus. Weil alle Informationen offen sind, können sich alle am Tisch beteiligen. Es geht um Optimierung und Risikomanagement. Viele Unglücke drohen gleichzeitig. Welchem Brandherd widmen wir uns zuerst? Und wie viel Energie verwenden wir darauf, feindliche Truppen zu entfernen? Präventive Kämpfe verschaffen uns einerseits Luft, bringt andererseits für unsere Ziele gar nichts.
Immer wieder werden wir Karten nachziehen, die das Bedrohungs-Level erhöhen und alle bereits gezogene Schattenkarten gemischt auf den Schattenstapel zurückbefördern. Sie werden dann erneut aufgedeckt. Wir können in etwa erahnen, was uns bevorsteht. Allerdings kennen wir nicht den genauen Zeitpunkt.
Wie auch in PANDEMIE tauchen also einige wenige Schattenkarten immer wieder auf und ein Großteil der Schattenkarten nie. Dadurch verlagern sich die Schwerpunkte von Partie zu Partie. Mal ist besonders Gondor bedroht, mal Thal, dann wieder bewegen sich die Orks nicht so sehr, dafür ist Saurons Auge besonders schnell.
Was taugt es? Hätte DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT keine literarische Vorlage, würde man sicherlich sagen: Was sollen all die Kleinregeln? Warum haben die Orte derart verwirrende Namen? Und wieso fassen manche Mini-Gebiete die vielen Figuren nicht? Dieses Spiel müsste man mal gründlich entschlacken!
Nicht die Mechaniken sind es, die DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT herausragen lassen; die hat Matt Leacock anderswo schon eleganter hinbekommen. Es ist die Weise, wie das Spiel Geschichten kreiert: nämlich immer wieder neue und faszinierende Varianten eines schon oft erzählten Plots. Geschichten, die sich ähnlich stimmig anfühlen und im Gedächtnis bleiben: Da erobern wir Dol Guldur, verlieren es wieder und erobern es erneut, Orks marschieren in Bruchtal ein. Gollum eilt ins Auenland, um den ängstlich verharrenden Frodo dort abzuholen. Weil wir die Filme vor Augen haben, entstehen im Kopf besonders leicht Bilder.
Man staunt, wie gut alles ausbalanciert ist. Das steht die Gruppe nach schwer verpatztem Auftakt schon mit dem Rücken zur Wand – und gewinnt trotzdem noch. Oder die Gruppe glaubt, alles easy im Griff zu haben – und plötzlich überrennen die Orks das Waldlandreich und stehen direkt vor Erebor. Selbst die Vernichtung des Rings verläuft nicht immer identisch. Frodo zieht mit oder ohne Begleitung nach Mordor, mal sogar mit Armeen, ein anderes Mal setzen ihn Adler direkt am Schicksalsberg ab.
Um die Romanvorlage und deren Opulenz und Vielschichtigkeit auch nur annähernd abzubilden, muss das Spiel offenbar genau so sein, wie es ist. Komplex, vieldimensional, überbordend. Episch. PANDEMIE bleibt dagegen abstrakter. Zwar spielen wir auf einer Weltkarte und haben verschiedene Berufe, was für ein Brettspiel eigentlich schon recht konkret ist. Aber ob die Pandemie nun in Asien oder Europa ausbricht, ist ohne große Bedeutung. Die Erzählung bleibt größtenteils dieselbe.
DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT ist sehr variabel. Die 13 Charaktere, 24 Ziele und fünf Schwierigkeitsgrade lassen sich fast beliebig kombinieren. Das Verspechen auf immer mehr ist groß. Das Spiel hat so viel eigenen Charakter und verströmt so viel Atmosphäre und Flair; da fällt überhaupt nicht auf, dass es mal wieder „nur“ eine PANDEMIE-Variante ist.
****** außerordentlich
DER HERR DER RINGE – DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT von Matt Leacock für eine:n bis fünf Spieler:innen, Z-Man Games / Middle-Earth Enterprises.
P.S. Sorry an Sam: Der Doppelcharakter, der nur eine Figur nutzt, heißt eigentlich "Frodo & Sam". Das habe ich im Text oben unterschlagen, um es nicht noch komplizierter zu machen. Wir alle kennen aber Sams überragende Verdienste.





1 Kommentare:
Für mich - dank Abwechslung und Immersion - die beste Pandemie-Variante.
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