Dienstag, 9. September 2025

Vor 20 Jahren (153): Die Insel

Hier war schon lange keiner mehr: Die Insel

Mit etwas mehr journalistischer Sorgfalt hätte ich DIE INSEL gewiss wenigstens einmal spielen können, bevor ich jetzt darüber losfantasiere. Aber letztendlich gefällt es mir besser, zu erzählen, wie DIE INSEL in meiner möglicherweise verklärten Erinnerung ist, als zu recherchieren, was davon stimmt. Nebenbei: Ich habe kürzlich ein Spielesachbuch gelesen, dessen Autor beim Schreiben offenbar derselben Devise gefolgt ist, und so etwas inspiriert natürlich.

DIE INSEL ist ein Spiel von Reiner Knizia, es ist das Nachfolgespiel von KING ARTHUR (2003). Nachfolge insofern, dass es ebenfalls ein Spiel mit Elektronik und Leiterbahnen auf dem Spielplan ist. „Touch and play“ nannte Ravensburger diese Technologie. Die Spiele fanden damals große Beachtung. Sie waren ein innovativer Versuch, Brettspiele an die digitale Welt heranzuführen. Vielleicht machte das manchen Analogpurist:innen Angst. Die Szene-internen Kritiken zu KING ARTHUR und auch zu DIE INSEL waren jedenfalls nicht so umwerfend (auch wegen technischer Probleme der beiden Spiele). Im Rückblick glaube ich, KING ARTHUR und DIE INSEL seien zu schlecht weggekommen.

DIE INSEL beispielsweise kassierte in der Spielbox 5-2005 7 Punkte, 6 Punkte, 4 Punkte, 5 Punkte und 7 Punkte. Die Rezension in der Fairplay 73 (2005) stammte von mir, und ich habe DIE INSEL auch nicht ausschließlich bejubelt. Zwar stellte ich immerhin fest: „Selbst nach etlichen Partien verbleibt noch genügend Reiz, um mitzuspielen.“ Und das war ja fast so etwas wie ein mitteldickes Lob. Allerdings schränkte ich es auch gleich wieder ein: „Anschaffen würde ich mir DIE INSEL nicht.“

Konsequenterweise hätte ich das Spiel dann auch gar nicht behalten dürfen, zumal ich nur noch insgesamt zehn Spiele aus dem Jahr 2005 besitze. Aber – hoppla – DIE INSEL steht noch immer hier! Irgendwas muss also doch dran gewesen sein.

Dass ich DIE INSEL noch habe, hat sicherlich damit zu tun, dass es ein Spiel ist, das es so nicht mehr geben wird. DIE INSEL sticht hervor und hat dadurch einen gewissen Sammelwert. Oder sagen wir: Aufbewahrungsreiz. Denn offiziell bin ich ja gar kein Sammler. Ich besitze Spiele nur für den täglichen Bedarf. Mein täglicher Bedarf ist eben recht hoch.

Über den Originalitätsbonus hinaus: Ich erinnere mich an zwei Mechanismen, die ich in DIE INSEL schon immer gut fand; Mechanismen, die ohne die Elektronik so nicht möglich wären. Was auch zeigt: Die Elektronik ist nicht nur Firlefanz, sie bringt einen spielerischen Mehrwert.

In DIE INSEL laufen wir auf der Insel herum und kassieren auf manchen Feldern Rohstoffe. Das Spiel speichert, welche Felder wie oft besucht werden. Auf länger nicht betretenen Feldern gibt es mehr zu holen. Einer der Charaktere (ich glaube, der „Einsiedler“) jammert zu solchen Anlässen: „Hier war schon lange niemand mehr!“ (Und fast kommt es mir so vor, das Spiel auf meinem Foto oben sagte dasselbe.)

Natürlich will man Reichtum und sollte sich deshalb merken, wo länger nichts los war. Weil aber noch so viel anderes im Spiel passiert, das ein systematisches Ablaufen der Insel verhindert, ist die Routenplanung eine schöne Herausforderung. Und die Handhabung bleibt trotzdem supereinfach, weil wir beim Spielen nichts markieren oder nachfüllen müssen.

Zudem ist DIE INSEL ein tadellos funktionierendes semikooperatives Spiel. So üppig bestückt ist dieses Genre ohnehin nicht, und bei manchen der Spiele habe ich erlebt, dass Spieler:innen, weil sie selber nicht mehr gewinnen konnten, darauf umgeschwenkt sind, lieber alle gemeinsam verlieren zu lassen. Das kann sehr unbefriedigend sein.

DIE INSEL löst das Problem, indem erstens der Spielstand sowieso nicht jederzeit transparent ist. Zweitens gibt es, selbst wenn das kooperative Spielziel verfehlt wird, eine Sieger:in. Und es leitet sich logisch her, warum diese Person gewinnt: Weil sie (durch das Bekämpfen von Monstern) am meisten dazu beigetragen hat, den Sieg des Spiels und die Niederlage aller zu verhindern.

Die große Pointe ist: Je mehr ich durch heroische Kampfeinsätze auf meinen Einzelsieg hinspiele, desto mehr trage ich dazu bei, dass wir als Gruppe gewinnen. Und wenn wir als Gruppe gewinnen, gilt eine andere Wertung, und meine Kämpfe sind gar nicht mehr so bedeutend. So hält das Spiel eine raffinierte und spannende Balance zwischen Eigen- und Gruppeninteresse. Es verlangt ein Gespür dafür, welches dieser beiden Interessen ich aktuell mehr verfolgen sollte. Und auch während dieses recht komplexen Vorgangs wird uns die Spielverwaltung komplett abgenommen. Wir müssen nur spielen.


0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Aufklärung über den Datenschutz
Wenn Sie einen Kommentar abgeben, werden Ihre eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie beispielsweise Ihre IP-Adresse) an den Google-Server übermittelt. Mit dem Absenden Ihres Kommentars erklären Sie sich mit der Aufzeichnung Ihrer angegebenen Daten einverstanden. Auf Wunsch können Sie Ihre Kommentare wieder löschen lassen. Bitte beachten Sie unsere darüber hinaus geltenden Datenschutzbestimmungen sowie die Datenschutzerklärung von Google.

Freischaltung von Kommentaren
Ich behalte mir vor, Kommentare nicht freizuschalten, insbesondere Kommentare, die Schmähungen oder Werbung enthalten. An Wochenenden dauert es meist länger, bis ich Kommentare prüfe. Vollkommen anonyme Kommentare haben schlechtere Chancen, von mir freigeschaltet zu werden.