Donnerstag, 31. Dezember 2020

Gern gespielt im Dezember 2020

PANDEMIC LEGACY – SEASON 0: Ich bin schon ganz gespannt herauszufinden, ob hinter all dem wirklich nur Bill Gates steckt.


WASSERKRAFT: Und jetzt auch noch Verteilungskämpfe ums Wasser. Dass Spiele die Realität ausblenden, kann langsam wirklich niemand mehr behaupten.


CLEVER HOCH DREI: Wahrscheinlich ist es nicht clever hoch drei, bis nachts um drei (und noch später) immer weiter rumzuwürfeln. Aber ohne neuen Highscore hätte ich sowieso nicht schlafen können.


HARRY POTTER – KAMPF UM HOGWARTS – DIE MONSTERBOX DER MONSTER-ERWEITERUNG: Hilfe, diese Monster! Sie fressen! Meine Zeit!


MY FARM SHOP: … aber an den Widerspruch, dass jetzt auch Bio-Bauernhöfe „made in China“ sind, muss ich mich erst noch gewöhnen.






UND IM DEZEMBER AM LIEBSTEN GESPIELT:

HALLERTAU: Nach HEAVEN & ALE kommt ein weiteres tolles Spiel zu unserem Nationalgetränk. Und genau wie bei HEAVEN & ALE habe ich aus dem Spiel heraus immer noch nicht vollständig verstanden, wie das mit dem Bierbrauen nun eigentlich funktionieren soll.
Die vorbildliche Anleitung ist daran komplett unschuldig. Sie erklärt wirklich alles und auch jede einzelne der zig Karten, die Uwe Rosenberg hier mal wieder aus dem Ärmel geschüttelt hat. Dass es verschiedene Kartenpakete gibt, war schon in AGRICOLA wie ein Geschenk. Und auch in HALLERTAU hätte ich mit nur einem Paket nicht das Gefühl gehabt, dass dem Spiel etwas Entscheidendes fehlt. Was andere gestreckt hätten, um Goodies oder Kickstarter-Ziele daraus zu machen, ist hier schon von Anfang an dabei.
Manche sagen, die Karten machten HALLERTAU sehr zufallsabhängig. Klar, mich würde es auch nerven, mit Udo B. zu spielen, der frisch gezogene Karten gleich auf den Tisch klatscht, weil er mal wieder zufällig die Bedingungen erfüllt, ohne etwas dafür getan zu haben. Aber erstens spiele ich nicht mit Udo B. und zweitens: Auch schon in AGRICOLA konnte man passende oder weniger passende Karten haben. Eine wohldosierte Portion Ungerechtigkeit kann einem Spiel guttun, weil dies auch denjenigen Chancen eröffnet, die nicht alles von vorne bis hinten durchrechnen wollen. [Meine Kritik zum Spiel: spielbox 1-2021.]


Donnerstag, 24. Dezember 2020

Mysterium Park

An Heiligabend habe ich mir die Einleitung mal geschenkt.

Wie geht MYSTERIUM PARK? MYSTERIUM PARK ist wie MYSTERIUM ohne das ganze Drumherum: Wir klären kooperativ einen Mord auf. Eine*r ist Geist und gibt den anderen Spieler*innen eine oder mehrere von sieben traumbildartigen Handkarten, um sie (in der ersten Runde) zu einer von neun Personen und (in der zweiten Runde) zu einem von neun Orten hinzuführen. Um welche Personen / Orte es geht, zeigt dem Geist eine Rasterkarte.
Haben binnen sechs Runden alle ihre Personen / Orte gefunden, entscheidet eine Finalrunde mit etwas anderen Regeln über den Sieg der Gesamtgruppe inklusive Geist.


Was passiert? MYSTERIUM PARK lässt weg, was MYSTERIUM so unnötig kompliziert gemacht hat: Der Spielaufbau ist nun zweckmäßig und klar, und viele Gruppen kennen das zugrundeliegende Prinzip mittlerweile aus CODENAMES. Auch die individuelle Punktwertung mit Wetten und Gegenwetten auf andere Spieler*innen ist zum Glück Vergangenheit.
Und so konzentrieren wir uns auf den Kern des Spiels. Wir erhalten Bilder und deuten sie: Ist die Zahnbürste ein Hinweis auf den Vampir oder auf den Weihnachtsmann mit all seinen Leckereien? Zielen die Karten auf Farben ab, auf Lichtstimmung, auf Perspektiven oder geht es um Bilddetails? Wie auch MYSTERIUM setzt MYSTERIUM PARK intensive Kommunikation und Interpretation in Gang.
Die Spielgeschichte allerdings wird trotz der Weglassungen nicht plausibler. Der Geist gibt rundenlang Hinweise auf unschuldige Menschen und belanglose Orte – um sie nach und nach auszuschließen. Spieldramaturgisch verstehe ich das. Fürs Finale sollen exakt drei Möglichkeiten offenbleiben. Aber effizient ist dieses Einkreisen nicht. Noch bin ich kein Geist und weiß deshalb nicht, wie sie ticken. Statt diverse Male zu sagen, wer es nicht ist, käme es mir zielführender vor, gleich zum Thema zu kommen, wer ist ist.


Was taugt es? So kompliziert der Aufbau von MYSTERIUM auch war: Das Setting schuf Atmosphäre, die das Nachfolgespiel nicht besitzt. MYSTERIUM PARK wirkt wesentlich nüchterner, obwohl es sogar in einer speziellen Themenwelt spielt. Alle Berufe und Orte drehen sich hier um Jahrmarkt. Dadurch ähneln sich die Orte ziemlich: viele Buden, viel Dunkelheit, viele Glühlampen. Oft tut sich der Geist mit den Hinweisen schwer.
Trotzdem liegt es wohl nur teilweise an diesen Ähnlichkeiten, dass ich MYSTERIUM PARK als schwieriger empfinde. Die Bildauslage umfasst jetzt grundsätzlich neun Karten. Auf diese Zahl kam MYSTERIUM nur in der höchsten Schwierigkeitsstufe und in Vollbesetzung. In MYSTERIUM konnten Spieler*innen auch schon in eine andere Runde aufsteigen und beispielsweise Orte ermitteln, während andere noch mit Verdächtigen beschäftigt waren. So haben die Voraneilenden für die Nachrückenden schon mal das Feld gelichtet.
Schwieriger muss natürlich nicht generell schlechter sein. Doch die Regelung, dass das Spiel wartet, bis alle erst ihr erstes und später ihr zweites Rätsel gelöst haben, führt zu stockendem Kartendurchlauf beim Geist – und das ausgerechnet in Situationen, in denen es ohnehin gerade hakt. Durch diesen systembedingten Engpass kann das Interpretieren in ermüdende Raterei umschlagen. Es mag sein, dass sich das in großer Runde etwas leichter auflöst. Coronabedingt werde ich das vorläufig nicht herausfinden können.
MYSTERIUM PARK hat tolle Grafiken, das Spielprinzip ist weiterhin reizvoll und herausfordernd. Aber die Lösungen für Probleme des Originals und vermeintliche Abrundungen einiger Kanten verursachen neue Probleme. Das Spiel passt sich weniger gut an die Gruppengröße an. MYSTERIUM PARK ist eine Alternative zu MYSTERIUM – aber nur eine Vereinfachung, keine Verbesserung.


**** solide

MYSTERIUM PARK von Oleksandr Nevskiy und Oleg Sidorenko für zwei bis sechs Spieler*innen, Libellud.

Mittwoch, 16. Dezember 2020

Yukon Airways

2020 ist kein gutes Jahr. Auch für Einleitungen nicht.

Wie geht YUKON AIRWAYS? Wir besitzen ein Charterflugzeug und fliegen Reisende durch den Nordwesten Kanadas. Jeder Flug kostet uns Karten, die (unter anderem) die Zielorte bestimmen, und Benzin. Der Lohn: Geld plus farbige Marker, die wir an den Reisezielen einsammeln. Optimalerweise steuere ich Orte mit einem Marker in der Farbe meines Reisenden an. Ein solcher Marker lässt sich nämlich noch weiterverwenden, um diverse Vergünstigungen und Verbesserungen freizuschalten, also um mein Unternehmen auszubauen.
Geld zählt bei Spielende Punkte. Im Regelfall machen die Flugeinnahmen hierbei den größten Anteil aus, viele verschiedene Städte erreicht zu haben, bringt auch noch einiges. Kleinere Beträge kann ich über Ausbauten gewinnen und wenn ich viele Marker derselben Farbe ergattere.

Motor des Spiels ist ein Würfelpool. Würfel in fünf Farben werden geworfen; reihum bedienen wir uns. Die Augenzahl bestimmt über Spielreihenfolge und Boni. Starke Boni bewirken, dass man beim Losfliegen spät an die Reihe kommt. Angepeilte Marker hat dann eventuell schon jemand weggeschnappt.
Die Würfel stellen zugleich die Reisenden dar. Ihre Farbe interessiert also wegen der Marker auf dem Spielplan. In der Auswahl-Phase muss ich so einiges gedanklich verknüpfen: Welche Reiseziele und Sonderaktionen erlauben meine Handkarten und wo könnte ich demzufolge hinfliegen, um möglichst a) Städte zu erreichen, in denen ich noch nicht war, und b) bunte Marker abzugreifen?


Was passiert? YUKON AIRWAYS spielt sich dezent thematisch. Je mehr Reisende ich an Bord nehme, desto schwerer wird meine Maschine. Je weiter ich fliege, desto kniffliger gestaltet sich das Treibstoff-Management. Abgelegene Orte zu erreichen, ist mühsam.
Sehr motivierend sind die Verbesserungen, die man dank der Marker vornehmen darf: Es gibt zwölf Bereiche, die sich ausbauen lassen. Beispielsweise um mehr Benzin zu tanken, mehr Karten nachzuziehen, mehr Reisende gleichzeitig zu transportieren. Nicht alles davon kann man in einer Partie ausschöpfen. Während der Partie orientiert man sich an den situativen Bedürfnissen, über mehrere Partien probiert man verschiedene Kombinationen aus.
Während der ersten Runden spielt sich YUKON AIRWAYS noch relativ flott. Stockender wird es im Finale. Natürlich will man weiterhin Orte erreichen, in denen man noch nicht war. Und oft genug sind leider die weniger trivialen Reiseziele offengeblieben. Die Rechnung, wie man den Flug mit Handkarten und Benzin hinbekommt, ist durchaus komplex, da Symbolkombinationen auf den gespielten Karten Vergünstigungen bringen und man unter bestimmten Umständen Karten als Benzin-Ersatz abwerfen darf. Und was man da in welcher Reihenfolge auslegen, nutzen, abwerfen wird, muss man komplett durchrechnen, schon während man die Augenwürfel nimmt.
Im schlimmsten Fall hat man nicht die passende Zielkarte auf der Hand. Zwar darf man drei beliebige Karten spielen, um eine andere zu ersetzen. Aber gleich drei Karten zu verlieren, verkompliziert die Rechnung zusätzlich. Mehrfach habe ich erlebt, dass sich Spieler*innen hier regelrecht einen abgebrochen haben. Und das Problem sehe ich in diesem Fall weniger bei den Langrechner*innen als beim Spiel.
Einerseits engt es durch ein schmerzliches Handkartenlimit ein, zugleich erfordert die Wertung striktes Optimieren und schließlich gelangt beim Kartennachziehen auch noch jede Menge Zufall ins Spiel. Obendrauf kommt nun noch die Problematik, den gesamten Flug im Voraus durchorganisieren zu müssen. Der Flug selbst ist dann meistens nur noch die Abwicklung. Selten kann man hier noch flexibel auf Aktionen der Mitspieler*innen reagieren und etwas anderes machen als ursprünglich geplant.


Was taugt es? YUKON AIRWAYS ist ein rundes und gelungenes Spiel. Es ist thematisch stimmig und reizt wegen der zahlreichen Entwicklungsoptionen zum Wiederspielen. Den ganz großen Durchbruch hat es bei mir dennoch nicht geschafft. Ich hätte mir etwas mehr Handlung und etwas weniger Rechnerei gewünscht.
Wie bei vielen Spielen wirkt es sich auch bei YUKON AIRWAYS negativ aus, dass eine Phase dazu zwingt, einen komplexen Spielzug im Voraus zu planen, ohne ihn aber schon durchführen zu dürfen. Die Denkpausen können sich sogar verlängern, falls sich später herausstellt, dass Marker weggeschnappt werden und der ausgetüftelte Flugweg gar nicht mehr so erstrebenswert wäre, wie gedacht.
So etwas passiert zum Glück nicht so oft, weil YUKON AIRWAYS überwiegend solistisch abläuft und sich anhand der gewählten Würfelfarben auch erahnen lässt, was die Mitspieler*innen vorhaben.


**** solide

YUKON AIRWAYS von Al Leduc für eine*n bis vier Spieler*innen, Ludo Nova.

Samstag, 12. Dezember 2020

Contact

2020 hätte das Jahr werden sollen, in dem wir CONTACT aufnehmen. Doch es kam anders. Wegen der Kontaktsperren. Aber auch wegen CONTACT.

Wie geht CONTACT? Wir sind kooperativ im All. Zu Beginn des Spiels kreieren wir eine zufällige Planetenauslage. Darin bewegen wir uns während des Spiels. Bin ich am Zug, sagt mir eine geheim gezogene Karte, auf welchem Planeten ich mich befinde. Die anderen müssen meinen Aufenthalt erraten und von ihrem Standort zu mir fliegen. Damit sie mich finden, gebe ich Handsignale. Kurzes Anheben von der Tischplatte bedeutet kurzer Flug, langes Anheben bedeutet langer Flug.
Die Ziele liegen recht eng beieinander, weshalb sich die Distanzen nicht so genau darstellen und demzufolge auch nicht leicht raten lassen. Doch man darf unterwegs Zwischenstopps auf Planeten einlegen und im Regelfall sollte man das auch, weil es das Nachvollziehen der Route erleichtert.
Ein komplexes Signal wie „kurze Distanz – kurze Distanz – lange Distanz – mittlere Distanz“ lässt sich mitunter eindeutig entschlüsseln, weil es vom aktuellen Startort nur eine Route gibt, die mit zwei Kurzdistanzen einleitet.
Ich tüftle also eine Route aus, gebe Handsignale und meine Mitspieler*innen raten reihum, wo ich bin, bis jemand trifft. Im Bestfall gewinnen wir Punkte. Wird zu oft falsch geraten, endet das Spiel.
CONTACT lässt sich in verschiedenen Schwierigkeitsstufen spielen. Aber selbst niedrige Schwierigkeiten sind kein Spaziergang, weil das ungewöhnliche Spielsystem ein spezielles Begreifen erfordert.

Was passiert? CONTACT spielt man nicht intuitiv los. Oder wenn man es versucht, wird man überrascht feststellen, dass CONTACT anders ist als THE MIND. Es geht hier nicht bloß darum, Zeitspannen abzuschätzen – das ist lediglich Mittel zum Zweck. Und dieser Zweck ist: Distanzen (und damit Zeitspannen) zu nutzen, um einen eindeutigen Code zu kreieren, der nachvollzogen und erraten werden kann.
Dass mehrere Mitspieler*innen schon nach einer ersten missglückten Partie aufgegeben und sich ausgeklinkt haben, mag ich CONTACT nicht anlasten. Die haben sich eben nicht auf das Spielsystem einlassen wollen. Festzuhalten bleibt trotzdem: CONTACT ist ein spezielles Spiel und nicht so breitentauglich wie andere Werke von Steffen Benndorf.
Doch auch abseits der früh Aufgebenden hat sich keine Spielerunde in CONTACT dauerhaft wohlgefühlt. CONTACT hat nicht die „Noch mal!“-Gier ausgelöst, die wir von vielen anderen Spielen des Nürnberger-Spielkarten-Verlages kennen.


Was taugt es? CONTACT liegt eine abstrakt-intellektuelle Idee zugrunde. Es ist ein Rätselspiel, wir knacken Codes. Die Art, den Code zu gestalten, ist ungewöhnlich und erfordert Lernen.
Zugleich ist CONTACT ein auf mehrere Weise strenges Spiel. Die Lerngruppe wird reihum abgefragt, welches der richtige Zielplanet ist. Sie agiert nicht als Team, darf sich nicht gegenseitig helfen oder beraten.
Aber auch der Signalgebende hat keinen Wohlfühlpart. Denn Signale können objektiv schlecht oder falsch sein. Es kann passieren, dass ich glaube, „lang – kurz – lang“ führe zu nur einer möglichen Lösung, und hinterher weist man mir nach: Von wegen, ein oder zwei weitere Lösungen sind mindestens genauso plausibel!
Das führt dazu, dass ich als Codegeber Denkpausen benötige, um meinen Code gründlich zu prüfen, ob er auch wirklich wasserdicht ist. Und auch meine Mitspieler*innen benötigen Denkpausen, um beim Raten keine logischen Möglichkeiten zu übersehen. Die Strenge zeigt sich auch in der Gedächtniskomponente. Ein guter Code bezieht das Wissen mit ein, welche Planten schon besucht worden sind und nicht mehr das geheime Ziel sein können. Gutes CONTACT-Spiel verlangt also von allen am Tisch, dieses Wissen abzuspeichern.
Natürlich kann man CONTACT auch lockerer spielen. Einfach Codes geben, einfach raten. Aber so kommt man nicht weit und bleibt in Beliebigkeit stecken. Fürs Vorankommen muss die Gruppe intensiv einsteigen, CONTACT wird statt spannend lang und grüblerisch.


*** mäßig

CONTACT von Steffen Benndorf für zwei bis fünf Spieler*innen, Nürnberger-Spielkarten-Verlag.

Montag, 7. Dezember 2020

Pocket Detective

Du bist bei REZENSIONEN FÜR MILLIONEN gelandet. Du kannst die komplette Rezension zu POCKET DETECTIVE lesen (weiter bei R2), du kannst eine Zusammenfassung lesen (R1) oder direkt zur Wertung springen (R3).

[R1] Diese Rezension zum Spiel POCKET DETECTIVE enthält nichts Besonderes. Das Spiel auch nicht. Du kannst trotzdem die komplette Rezension lesen (R2) oder direkt zur Wertung springen (R3).

[R2] Wie geht POCKET DETECTIVE? Trotz Namensähnlichkeit ist POCKET DETECTIVE offenbar nicht als Geschwisterspiel zu DETECTIVE gedacht. Autor und Verlag sind nicht identisch. Allerdings funktioniert POCKET DETECTIVE trotzdem wie DETECTIVE – nur deutlich kompakter. Was das heißt, wie DETECTIVE zu sein, habe ich zwar gerade erst vor acht Tagen beschrieben. Ich mache es aber gerne noch einmal, nicht zuletzt wegen des üppigen Zeilengeldes.
Wir ermitteln in einem Verbrechen. Eine Einleitungsgeschichte stellt uns an ihrem Ende mehrere Optionen zur Wahl: mit X sprechen, Ort Y untersuchen, Akte Z studieren. Wir dürfen jeder Option nachgehen, aber das kostet Zeitpunkte. Je mehr Zeit wir verbrauchen, desto schlechter wird unsere Punktwertung ausfallen. Den Fall gelöst zu haben, macht aber natürlich trotzdem den größten Teil des Kuchens aus.
Einer Option nachzugehen, bedeutet üblicherweise, eine Karte zu lesen und neue Informationen zu erhalten. Oft tun sich nun auch neue Spuren auf, denen man ebenfalls nachgehen kann. Eine Regelbesonderheit des ersten Falles sind Stresspunkte, die man sich einhandelt, wenn man etwas eher Heikles tut, im zweiten Fall können Entscheidungen den örtlichen Sheriff verärgern. Wie man sich denken kann, wirken sich zu viel Stress und zu viel Ärger negativ aus. Allerdings – und das ist gewieft – kommt man weniger gut voran, wenn man immer nur den konfliktfreien Weg wählt.


Was passiert? Aufgrund von Intuition und / oder Ermittlungsergebnissen folgen wir – genau wie bei DETECTIVE – den Spuren, klopfen diese und jene Fährte ab. Vom Spiel selbst geht kaum Zeitdruck aus, wir könnten, wenn wir wollten, noch lange weiterermitteln. Aber wir wissen ja: Die Wertung verschlechtert sich. Außerdem – zumindest war es bei uns so – fühlt man sich irgendwann auf der sicheren Seite und löst auf.
Im Gegensatz zu DETECTIVE sind die Informationen hier gradliniger. Weil alles auf eine Spielkarte passen muss, kommen die Texte schnell auf den Punkt und nehmen unsere Bewertungen teilweise vorweg. Formulierungen wie „In Dr. Crows Unterlagen findest du nichts Nützliches“ oder „Augenscheinlich verheimlicht sie etwas“ beantworten Fragen, bevor man sie sich überhaupt stellen kann.


Was taugt es? Die Fälle sind ohne große Schwierigkeiten lösbar, aber trotzdem nicht banal. Der Autor hat verschiedene Spuren gelegt. Mit Glück befindet man sich früh auf der richtigen und verliert deshalb weniger Zeit.
Ich habe mich durch beide Fälle POCKET DETECTIVE angenehm beschäftigt gefühlt. Obwohl weder die Geschichten noch das Spielsystem etwas Spektakuläres oder Originelles parat haben, ist mir dies immer noch lieber als künstliche Verkomplizierung durch verschwurbelte Auflösungen, die am Ende nicht überzeugen.
Den generellen Spielspaß möchte ich POCKET DETECTIVE also nicht absprechen. Die Auflösung finde ich in beiden Fällen befriedigend. Den Grad meiner geistigen und emotionalen Involviertheit habe ich jedoch als niedrig erlebt. Das Spiel lässt mich unberührt.
Technisch-handwerklich ist POCKET DETECTIVE einwandfrei, deswegen wäre auch die Bewertung „solide“ vertretbar. Ich habe mich dennoch für das kritischere „mäßig“ entschieden. Natürlich – aber das durchschauen wieder nur die Querdenker*innen – wegen der geheimen Nörgelquote, die ich erreichen möchte. Offiziell jedoch weil ich in POCKET DETECTIVE keine Bereicherung für das Genre sehe. So okay das Spiel auch ist: Es bietet mehr desselben, was wir schon kennen, in einer Form, wie wir sie schon kennen.


[R3] *** mäßig

POCKET DETECTIVE: MORD AUF DEM CAMPUS / GEFÄHRLICHE MACHENSCHAFTEN von Yuri Yamshchikov für eine*n bis sechs Spieler*innen, Schmidt.

Freitag, 4. Dezember 2020

Vor 20 Jahren (96): Halali!

Der Verlag, der meine Kindheitsträume wahr werden lässt, ist offenbar Kosmos. Zwar mit einer Frequenz von rund 20 Jahren, aber ich will mal nicht meckern. Mit SWITCH & SIGNAL bekomme ich, wie neulich beschrieben, endlich meine Modelleisenbahn. Mit HALALI bekam ich 2000 völlig unverhofft mein geliebtes JAG UND SCHLAG.

JAG UND SCHLAG lernte ich als Grundschüler kennen, als mein Lehrer es zu Vorführungszwecken mit meinem Mitschüler Harald spielte. Die Klasse stand derweil in einer Traube um den Tisch herum und war elektrisiert. Das wollten wir jetzt alle spielen!

JAG UND SCHLAG ist ein asymmetrisches Spiel mit zwei Parteien. Auf der einen Seite Jäger und Holzfäller, auf der anderen Bär und Fuchs. Es ist ein Schlagspiel: Jäger schießt Tiere, Bär frisst Menschen. Wer dran ist, deckt entweder ein verdecktes Plättchen auf oder zieht eine Figur. Die eigenen Protagonisten zu finden, ist erst mal Glückssache. Doch je weiter die Partie fortschreitet, desto taktischer wird sie.


Als Kind liebte ich vor allem die konkrete Spielgeschichte. Ein Wald mit Tieren. Ein Holzfäller, der Bäume umhaut. Fressen und gefressen werden. Weil ich JAG UND SCHLAG nicht oft genug spielen konnte, bastelte ich mir mein Exemplar für zu Hause, wobei ich mich als eher pragmatisch orientiertes Kind mit der künstlerischen Ausgestaltung nicht lange aufhielt: Bären kriegte ich noch halbwegs erkennbar hin. Aber statt mühsam Füchse zu malen, schrieb ich ein „F“ auf die Kärtchen. Der Jäger war ein Strichmännchen mit Pfeil.

Bald baute ich sogar noch eine zweite Version. Eine viel bessere. Wenn man etwas supertoll findet, will man nämlich mehr davon. Heutzutage gibt es für diesen Zweck Erweiterungen. In den tristen 70ern musste man selbst erweitern. Mein zweites Spiel war statt 49 gleich 81 Felder groß, und es gab zusätzliche Waldtiere, die Autor Rudi Hoffmann offenbar durch die Lappen gegangen waren.

Nur leider spielte das niemand mit mir. Ab und zu konnte ich meine Schwester überreden. Als fünf Jahre Älterer zog ich sie dann ab und kam mir schlau vor – aber ich war nicht schlau. Nach einer Partie wollte sie erst mal nicht mehr, und so musste ich mein JAG UND SCHLAG meistens alleine spielen. Und da kommen wir zum zweiten Manko der 70er: keine Solo-Varianten.

Nun aber zu HALALI. Das brachte vor 20 Jahren in modernisierter Optik und mit leicht geglätteten Regeln das verhinderte Lieblingsspiel meiner Kindheit zurück. Jetzt konnte uns niemand mehr trennen!

Selbst wenn ich jahrzehntelangen Nachholbedarf und eine gewisse subjektive Verklärung einrechne: HALALI fühlt sich trotz seines Alters von 47 Jahren für mich nicht alt an. Um es mit etwa Zehnjährigen zu spielen, wäre es für mich immer noch erste Wahl.


Dienstag, 1. Dezember 2020

Detective – Erste Fälle

Detektive spekulieren. Und das mache ich jetzt auch mal. Ich spekuliere, dass das Segment der Rätsel-, Krimi- und Exit-Spiele noch mehr boomt, als ich es mir bislang ausgemalt hatte. Dass es derzeit kaum Hipperes gibt. Dass man als Verlag unbedingt dabei sein will. Möglichst schnell, möglichst oft. – Kombiniere: Das könnte in diesem Fall das Tatmotiv gewesen sein!

Wie geht DETECTIVE – ERSTE FÄLLE? Im Großen und Ganzen wie DETECTIVE: Wir ermitteln kooperativ, uns stehen eine Datenbank und eine bestimmte Menge Zeiteinheiten zur Verfügung. Aufgrund von Intuition und / oder Ermittlungsergebnissen folgen wir einer von mehreren möglichen Spuren, indem wir uns beispielsweise entscheiden, zunächst Karte A zu lesen. Das verbraucht Zeit. Ist es mit einem Ortswechsel verbunden (wir befinden uns im Polizeirevier, Karte A darf aber nur im Labor gelesen werden), kommt eine Strafstunde hinzu.
Häufig führt ein Lesetext zu weiteren Spuren, beispielsweise erhalten wir die Optionen, ebenfalls im Labor Karte B lesen oder C und D an einem anderen Ort. Unter Einsatz von Fertigkeitsplättchen dürfen wir manche Karten auf ihre Rückseite drehen („tiefer recherchieren“) und erfahren dort womöglich spannende Ergänzungen. Der Plättchenvorrat ist allerdings begrenzt. Und unsere Spielzeit ist auch irgendwann verbraucht. Nun geht es zum Abschlussbericht. Wir müssen am Computer Multiple-Choice-Fragen beantworten und erfahren, wie gut wir den Fall gelöst haben.
DETECTIVE – ERSTE FÄLLE vereinfacht DETECTIVE in zweierlei Hinsicht: 1. abgespeckte Regeln: Die Ermittler*innen besitzen keine Spezialeigenschaften mehr, es gibt nur noch eine Sorte Chips, der Zeitvorrat ist nicht mehr in verschiedene Tage unterteilt. 2. abgespeckte Story: Die Box enthält drei Einzelfälle statt eines fünfteiligen Gesamtfalls, die Fälle haben keine Verknüpfung zur Realität, Internetrecherchen entfallen.


Was passiert? Wir folgen den Spuren, genau wie bei DETECTIVE. Und geraten bald an Videos, was erst mal cool ist, weil Videos gegenüber Vorlesetexten mehr Atmosphäre schaffen … könnten. Ein sehr textlastiges Video ist auf Englisch, was zwar authentisch ist (der Fall spielt in den USA), in einem deutschen Spiel aber doch ziemlich stört.
Andere Videos sollen die Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen. Jedoch stellt eine Szene etwas anderes dar als das, was in den Zeugenaussagen behauptet wurde. Und man fragt sich: Ist das einfach nur schlecht geschauspielert? Oder ist das ein absichtlicher Widerspruch, gar ein wichtiges Indiz?
Die Personen im Video sehen auch nicht so aus, wie es ihrer Beschreibung entspricht. Und sie sehen obendrein anders aus als die Porträts, die wir hin und wieder infolge einer Spielanweisung für unsere Mindmaps bekommen. Diese Porträts wiederum sind nicht identisch mit Beschreibungen und Fotos aus der Datenbank. Manchmal weiß man nicht mal sicher, wen das Porträt überhaupt darstellen soll.
Und so setzt es sich fort: In der Datenbank sind einige Textteile auf Englisch, hier und da finden sich kleine Rechtschreibfehler, in Fall 2 auch ein dickeres Ding, vermutlich eine falsche Datumsübersetzung. Die Datenbank zeigt die aus DETECTIVE bekannte prozentuale „Übereinstimmung“ von Beweismitteln – mit dem Unterschied, dass deren Bedeutung in der Anleitung von ERSTE FÄLLE unerklärt bleibt und ich mir im zweiten und dritten Fall auch keinen Reim auf die Werte machen kann. Im Fall 3 schließlich kommen gelbe Marker ins Spiel, über die in der Anleitung zu lesen ist, ihre Verwendung sei an entsprechender Stelle beschrieben. Stimmt aber nicht, man muss sich die Regeln dann selber herleiten.
Wir haben es trotzdem geschafft, uns durchzuwurschteln, und haben sogar gute Bewertungen für unsere Arbeit bekommen. Doch von Anfang bis Ende war der Eindruck: ERSTE FÄLLE ist schludrig gemacht.


Was taugt es? Mir ist völlig klar, dass DETECTIVE ein außergewöhnlich aufwendiges Spiel ist. Es lebt von der Tiefe und Authentizität seiner Fälle (und da steckt sicher sauviel Arbeit drin), von seiner Datenbank (da auch) und den gut geschriebenen Texten (da ebenso und obendrein in deren Übersetzungen).
Mir ist auch klar, dass man für eine Einstiegsversion Abstriche macht. Wir bekommen hier deshalb nicht den großen verwobenen Komplex, der uns über viele, viele Stunden hinweg unterhält, sondern drei kleinere abgeschlossene Fälle, die zwangsläufig nicht so tief sein können.
Allerdings fand ich keinen der drei Fälle überdurchschnittlich und den zweiten am schwächsten. Er wirkt wie ein Krimi von Agatha Christie und passt nicht in die moderne DETECTIVE-Welt, zumal in diesem Fall nahezu alles wegfällt, was das DETECTIVE-System so außergewöhnlich macht.
Ohnehin wird die Datenbank in ERSTE FÄLLE weniger raffiniert eingesetzt, als man es aus DETECTIVE kennt. Überwiegend liefert sie Texte und Materialien jenseits der Spielkarten. Aber das allein ist kein Mehrwert. Ein Mehrwert wären Datenabgleiche und Datenverknüpfungen. Doch die gibt es zu selten. Ein Mehrwert könnten auch die Videos sein. Doch dafür reicht ihre Qualität nicht aus.
DETECTIVE – ERSTE FÄLLE wirkt wie ein Schnellschuss und nicht wie das von der Anleitung versprochene „Produkt von höchster Qualität“. Wer DETECTIVE kennt, kommt wohl zurecht. Doch soll sich das Spiel ja an Neulinge richten und hätte gerade deshalb besondere Sorgfalt erfordert.


** misslungen

DETECTIVE – ERSTE FÄLLE von Ignacy Trzewiczek, Marzena Nowak-Trzewiczek und Weronika Spyra für eine*n bis fünf Spieler*innen, Pegasus Spiele.

Montag, 30. November 2020

Gern gespielt im November 2020

HALLERTAU: Wenn ich bei mir durchs Fenster schaue: lauter parkende Autos. Wenn ich in HALLERTAU durchs Fenster schaue: lauter Siegpunkte. So wird man Spieler.


THE KEY – SABOTAGE IM LUCKY LAMA LAND: Wer Lamas was antun will, kriegt es mit mir zu tun!


MICROMACRO: In meiner näheren Wohnumgebung gab es auch schon mal Schusswechsel und Tote, deshalb dachte ich immer, in einer einigermaßen taffen Gegend zu wohnen. Crime City hat meine Sicht verändert.


CLEVER HOCH DREI: Und wieder hat mich dieses Spiel am Haken! Die CLEVER-Reihe ist einfach cleverer als ich.


PALEO: Es ist alles gesagt. Nur noch nicht zweimal. Deshalb: außerordentlich.







UND IM NOVEMBER AM LIEBSTEN GESPIELT:

SWITCH & SIGNAL: Ich kann mich wirklich nicht beklagen, als Kind zu wenig Spielsachen bekommen zu haben. Aber ein Wunsch wurde mir dann doch verwehrt: Ich bekam nie eine Modelleisenbahn! Mehrere meiner Freunde hatten eine und fachsimpelten über Spurgröße HO und eine Elektrolokomotive namens Krokodil.
Und da hätte ich natürlich auch gern mitgeredet. Aber es hieß: Du hast doch schon Lego, du hast doch schon Playmobil, du hast eine Ritterburg mit Rittern. Na gut, das stimmte auch alles. Aber ich hatte eben keine Modelleisenbahn.
Vielleicht weil ich in dieser Hinsicht einfach noch was zu kompensieren habe, spiele ich gerne SWITCH & SIGNAL. Mehrere Züge gleichzeitig verkehren zu lassen, clever die Weichen managen, dass alle aneinander vorbeisausen, aber nicht ineinander hinein, war mein Kindheitstraum. Genau das tun wir hier. Kooperativ. Und nicht nur immer im Kreis, sondern mit Zielen: Waren sollen von hier nach da.
In jedem Spielzug gibt eine Karte vom Stapel irgendwas vor. Das kann hilfreich sein oder auch bedrohlich: Neue Loks kommen ins Spiel, vorhandene fahren würfelgesteuert weiter. Wer nun am Zug ist, wirkt mit seinen Handkarten möglichst sinnvoll auf das System ein, stellt Weichen, schaltet Signale frei. Nicht immer reichen die Karten aus, um alles zu regeln. Dann muss man eben auf die Gnade des Stapels hoffen.
SWITCH & SIGNAL hat (aus Vielspieler*innensicht) zweifellos sehr viel mit Glück zu tun. Wenn die Würfel es so verlangen, kommen Züge an absurdesten Orten ins Spiel oder geben genau dann Gas, wenn das Signal noch nicht gestellt ist. Ich fürchte, das simuliert ganz gut, wie ich als Kind mit meiner Wunsch-Eisenbahn klargekommen wäre.


Dienstag, 24. November 2020

Paleo

Gleich zu Beginn eine Corona-Warnung: Ich habe PALEO zwar sehr häufig, bislang aber nie zu viert gespielt. Normalerweise würde ich mit meiner Rezension warten, um auch Erfahrungen mit vier Personen einfließen zu lassen. Angesichts derzeitiger Kontaktbeschränkungen befürchte ich jedoch, dass ich diese Erfahrungen erst in mehreren Monaten sammeln werde.
Vermutlich ist das Spiel zu viert herausfordernder. Die Anleitung jedenfalls empfiehlt, die erste Partie „unter keinen Umständen“ zu viert anzugehen. Gerade deswegen wäre ich auf eine Viererpartie neugierig, aber … siehe oben.
Doch selbst wenn sich – rein hypothetisch gesprochen – zu viert eines Tages ungeahnte Schwächen herausstellen sollten, wird dies nichts daran ändern, dass ich PALEO zu zweit und zu dritt hervorragend finde. Weil ich außerdem davon ausgehe, dass aktuell sowieso kaum jemand zu viert spielt, erteile ich mir hiermit höchstpersönlich den goldenen Freibrief, PALEO mit Mut zur Lücke zu rezensieren. (Und fühle mich geehrt, diesen tollen Freibrief erhalten zu haben. Vielen, vielen Dank!)


Wie geht PALEO? Wir sind ein Steinzeit-Team. Jede*r agiert und entscheidet für eine Gruppe von Menschen. Am Ende des Tages müssen wir Nahrung und meist auch andere Abgaben leisten. Zusätzlich sollen wir über mehrere Tage hinweg Missionen erfüllen.
Wir gewinnen, sobald wir fünf Siegpunkte erreichen. Und verlieren, sobald wir fünf Totenkopfplättchen kassieren. Totenköpfe fallen an, wenn ein Mensch stirbt oder wir unseren Abgabepflichten nicht nachkommen. Menschen wiederum sterben, wenn sie zu viel Schaden nehmen. Und Schaden droht in der Steinzeit dummerweise überall.
Ein Tag ist beendet, wenn alle ihren Kartenstapel durchgespielt haben. Das Deck (missionsabhängig von Partie zu Partie ein anderes) wird zu Beginn unter allen aufgeteilt und jeweils gestapelt. Anhand der Grafiken auf den Kartenrückseiten entscheiden wir uns für eine unserer obersten drei Karten, die wir aufdecken. Und nun erfahren wir, was wir erleben.
Im Wald finden wir üblicherweise Holz oder Nahrung, am Fluss gibt es Jagdtiere, im Lager kann man sich vermehren oder mit Rohstoffen Werkzeuge bauen. Andere Kartenrückseiten lassen nur erahnen, was passieren könnte. Und es gibt Überraschungen. Überall. Auch im Wald stoßen wir nicht bloß auf Holz oder Nahrung.
Oft erfordern die Ereignisse bestimmte Fähigkeiten. Um erfolgreich einen Steinbock zu jagen, benötigt man drei Stärkepunkte. Und eine*r allein ist meistens nicht so stark. Deshalb erlauben viele Karten, unter Verzicht auf die eigentliche Aktion anderen zu helfen: Man addiert die Fähigkeiten und besteht ein Abenteuer gemeinsam.


Was passiert? Kommunikation und Kooperation ergeben sich in PALEO ganz organisch von selbst. Wenn ich Stein sammeln könnte, aber allein nicht genügend Geschick besitze und ein anderes Stammesmitglied mit seiner Karte auch nichts anfangen kann, wird man sich wohl zusammentun.
Neben den wechselnden Missionen beschäftigen uns wiederkehrende Gefahren. Einige erkennt man an der roten Kartenrückseite, andere kommen unerwartet. Für viele Aktionen müssen (um den Zeitverbrauch zu symbolisieren) Karten vom Stapel unbesehen abgeworfen werden. Wirft man rote Karten ab, nimmt man Schaden. Dass man sieht, welche Karten kommen, fließt in die Entscheidung ein, ob man Aktionen angeht oder nicht. Verzichtet man, sind die roten Karten allerdings immer noch da. Was irgendwann zu der Frage führt, ob man sich nicht mal einer stellen, also die Karte aufdecken sollte. Mit Glück zeigt sich nun: Ach, die vermeintliche Gefahr war gar nicht so schlimm. Man kann sie gemeinschaftlich aus dem Deck befördern. Mit weniger Glück stellt sich heraus: Argh, ein Stammesmitgl ...
Tendenziell verlaufen die Szenarien so, dass wir schwach starten und sehr ums Überleben bangen, nach und nach aber Speere, Faustkeile und andere Dinge (die wir erst noch erfinden müssen) anfertigen, immer stärker werden und Siegpunkte generieren. Wir holen auf und vielleicht reicht es dann noch zum Sieg.
Wiederholt man ein Szenario, weiß man schon mehr als beim ersten Mal, kann sich auf Gefahren besser einstellen, hat einen Plan. Die Erfolgs-Chancen steigen. Trotzdem ist wegen der vielen verdeckt abgeworfenen Karten noch nicht alles bekannt und vorhersehbar.


Was taugt es? Das Entdecken ist in PALEO das zentrale, überall wiederkehrende Element: Wir wählen Karten aufgrund ihrer Rückseiten und lassen uns überraschen. Jedes der sieben Szenarien wartet mit Unerforschtem auf. Die Stapel „Ideen“ und „Träume“ bringen missionsunabhängig neue Karten ins Deck.
Vieles in PALEO erklärt sich thematisch. Einem erlegten Tier begegnen wir – logischerweise – nie wieder. Es verschwindet aus dem Deck. Für die Erfolgschancen macht es einen Unterschied, ob jemand mit guter oder schlechter Wahrnehmung in Gefahr gerät. Und warum Feuer so verdammt wichtig ist, leuchtet uns auch bald ein. PALEO merkt man das Bemühen an, alles stimmig und authentisch zu halten – ohne verkomplizierende Sonderregeln.
Je mehr Vorerfahrung wir mitbringen, desto besser können wir vorausplanen. PALEO ist durchaus ein taktisches Spiel. Vieles beruht trotzdem auf Schicksal und Glück: In welcher Reihenfolge die Karten kommen; wie schnell wir Gesuchtes finden; ob wir geforderte Materialien besitzen. Manchmal ergibt sich nach dem Aufdecken komplett von selbst, was zu tun ist. Man führt es dann einfach nur noch durch.
Aber das Besondere an PALEO ist eben, dass das Spielerlebnis über Taktik und Mechanik hinausgeht. Spielen ist hier mehr als das Abhandeln von Karten. Schon bevor wir Karten aufdecken, wägen wir ab und treffen Entscheidungen. Was wollen wir erreichen? Was könnte passieren? Wir spielen eng miteinander, nicht nebeneinander. Wir spielen gleichzeitig, nicht hintereinander. Die Aktionen selbst sind rasch abgehandelt. Wir spielen fast ununterbrochen und bleiben in der Immersion.
PALEO transportiert Geschichten, jedes Szenario hat einen anderen Erzählfaden. Dass wir nicht jede Partie gewinnen, schafft atmosphärisch dichte Gruppenerlebnisse. Der Entdecker-Charakter des Spiels hält die Neugierde auf kommende Partien und Szenarien hoch.

Die Steinzeitwelt passt perfekt zum Spielerlebnis. Erstens weil es eine reale Welt mit Menschen ist, wie auch wir Menschen sind. Das erhöht die Identifikation. Zweitens weil wir bereits gewisse Vorstellungen und Fantasien mitbringen, das Thema aber noch nicht mit ausgelutscht ist. Und drittens weil es eine Welt mit beschränkten Möglichkeiten und Entbehrungen ist. Weil es Abenteuer gibt, weil es ums Überleben geht.
Ich wollte PALEO rundum bejubeln – wären da nicht der wacklige Werkzeugaufsteller und vor allem die Anleitung. Schon der Einstieg bereitet Probleme, weil unter „Spielaufbau“ nur ein Teil der Vorbereitungen beschrieben wird. Weitere Details – auch zum Aufbau des ersten Szenarios – findet man erst auf dem Beiblatt.
Mehrfach gerieten wir während des Spielens an Karten oder in Situationen, deren Auslegung nicht ganz eindeutig erschien. Nachträgliche Recherchen ergaben zwar, dass wir offenbar jedes Mal so entschieden hatten, wie es gedacht war. Die Symbolik hat also funktioniert und den richtigen Weg gewiesen. Aber noch besser wäre es natürlich, solche Zweifelsfälle tauchten gar nicht erst auf.


****** außerordentlich

PALEO von Peter Rustemeyer für zwei bis vier Spieler*innen, Hans im Glück.

Mittwoch, 18. November 2020

Color Brain

Juhu, Bonusrezension! Also geschenkter als ohnehin schon, weil auf die geschenkten Rezensionen noch obendrauf geschenkt. Ein Super-Sonderangebot!
Und was gibt’s im Spieleladen im Super-Sonderangebot? Genau: Nicht das Neueste vom Neusten. Sondern das, was noch so da ist und immer älter wird, wenn man nichts unternimmt.
Ich habe noch so einige Spiele in petto, die genau das betrifft, und solange Corona mich hindert, in dem Umfang zu spielen, wie ich spielen wollte, bin ich direkt froh, einige Titel des vergangenen Jahrgangs noch nicht verbraten zu haben. Oder anders gesagt: Es wird weitere Bonusrezensionen geben!


Wie geht COLOR BRAIN? Wir spielen Quiz. Und antworten mit Farbkarten. Jede*r hat dieselben. Fragen lauten beispielsweise „Flaggen beim Formel-1-Rennen“ oder „Superman: Anzug und Symbol“. Zusätzlich ist angegeben, wie viele Farbkarten für die Antwort erforderlich sind. Im ersten Fall sechs, im zweiten drei.
Wir legen gleichzeitig unsere Karten und decken auf. Punkte gewinnen wir nur, wenn nicht alle die korrekte Antwort gelegt haben. Pro Partei, die falsch lag, gibt es einen Punkt. Liegen alle richtig, kommt für die nächste Frage ein Bonuspunkt in den Jackpot. Raten alle falsch, leert sich der Jackpot wieder.


Was passiert? Gutes und auch weniger Gutes. Erfrischend finde ich, dass COLOR BRAIN nicht den üblichen Wissenskanon abfragt, bei dem Erwachsene gegenüber Kindern im Vorteil sind und meist schon vorher klar ist, wer gewinnt. In COLOR BRAIN drehen sich viele Fragen um Computerspiele, Musik, Internet, Popkultur. Altersgemischte Teams ergänzen sich prima.
Weil wir nicht der Reihe nach spielen, sondern gleichzeitig, hat COLOR BRAIN keinen langweiligen Leerlauf. Auf eine Frage folgt gleich die nächste. In manchen Partien heizt man die Karten nur so durch. Und da zeigt sich der erste Nachteil des Spiels: Es enthält nur 300 Fragen. Allzu weit kommt man damit nicht.
Nachteil zwei: Die Wertung schwächelt. Dass man nur was aufs Konto bekommt, wenn irgendwer einen Fehler macht, führt dazu, dass schwächere Teams fast gar nicht punkten. Oft landen Karten, die sie richtig beantworten, im Jackpot. Und wenn der Jackpot später verteilt wird, sind sie nicht dabei.
Manchmal folgt auf eine lange Phase leichter Fragen mit aufgeblähtem Jackpot eine Frage, die durch pures Rateglück entschieden wird. Man kann das als dramaturgisches Highlight auffassen, die meisten nehmen es aber gegenteilig wahr.

Was taugt es? In Summe ist mir COLOR BRAIN lieber als ein weiteres Quiz, das auch nur wieder so ist wie andere Quizze. Dass Mitspieler*innen mit ganz verschiedenen Wissenshintergründen etwas zu den Antworten beitragen können, macht COLOR BRAIN zu einem gelungenen Teamspiel, das allerdings nicht rundum gelungen ist.


**** solide

COLOR BRAIN von Tristan Williams für zwei bis vier Spieler*innen oder Teams, Game Factory.

Samstag, 14. November 2020

Sebastian Fitzek - Killercruise

Wie geht KILLERCRUISE? In einer der Kabinen des Schiffes versteckt sich ein böser Psychopath. Ihn müssen wir finden. Gut ist: Wir wissen, er befindet sich in einem der zwölf Räume des Unterdecks. Weniger gut: Unsere Figuren starten auf dem Oberdeck. Um in tiefere Räume zu gelangen, müssen wir die Schichten des Spielplans abtragen. Befindet sich eine unserer Figuren beispielsweise in der Snackbar, müsste jemand zwei Karten mit gelbem und schwarzem Schlüssel spielen. Das Snackbar-Puzzleteil wird nun aus dem Spielplan entfernt, die darunter liegende Kabine des Mitteldecks wird sicht- und betretbar.
Die schlechten Nachrichten reißen jedoch nicht ab: Damit wir nicht ungestört graben können, patrouilliert ein Killer durch die Räume. Die Art, wie er in Bewegung gesetzt wird, erinnert an wahlweise PANDEMIE oder SAFEHOUSE: In den Stapel, von dem wir nach jedem Spielzug unsere Kartenhand auffüllen, sind auch Killerkarten eingemischt. Jede, die gezogen wird, bewegt den Schergen um ein oder zwei Felder. Erreicht er eine unserer Figuren, verpasst er ihr einen Hieb. Beim zweiten Treffer ist die Figur hinüber.
Mit Karten machen wir unseren Leuten rechtzeitig Beine, dass sie dem Killer nicht unnötig im Weg herumstehen. Damit ich eine Figur bewegen darf, muss sie auf meiner gespielten Karte abgebildet sein. Nach welchen Regeln ich sie ziehe, erinnert dann wieder an PANDEMIE.
Schwieriger ist es jedoch, die Passagiere in Sicherheit zu bringen, die als kleine Kärtchen auf dem Spielplan herumliegen. Ihnen haut der Killer bei der Erstbegegnung nicht nur eins auf die Rübe, er murkst sie gleich ab. Gibt es fünf Opfer, haben wir verloren. Um Passagiere lebendig aus dem Spiel zu befördern, gelten unterschiedliche Bedingungen. Manche Passagiere möchten, dass sich zwei unserer Figuren bei ihnen versammeln. Andere möchten in sechs Felder entfernte Räume transportiert werden. Theoretisch ist das machbar, denn jede unserer Figuren darf sich bei einer Bewegung eine Passagierkarte unter den Arm klemmen.


Was passiert? Praktisch ist es ebenfalls machbar und führt zu lebhaften Diskussionen, wer welche Karten auf der Hand hält, was sich im nächsten Zug damit anstellen ließe, ob eine Karte besser als Schlüssel oder zur Bewegung gespielt wäre und welches der vielen Vorhaben Priorität haben sollte. Während man schwerstens beschäftigt ist, all die ahnungslosen Passagiere zu retten, ist man glatt froh, wenigstens ab und zu mal auch graben zu können.
Im Unterdeck angekommen, erfährt man nun aber nicht einfach: „Hier ist er“ oder „Hier ist er nicht“. Man muss den Ort selbst ermitteln. Dies gelingt anhand von Hinweisen. In jedem Raum des Unterdecks liegt einer und besagt etwa: „Der Psychopath ist nicht auf der rechten Schiffsseite“ oder „Der Psychopath ist maximal zwei Schiffsräume von diesem entfernt“.
Obwohl die Hinweise nicht ausgelost, sondern nach der Vorgabe eines der 24 Szenarien verteilt werden, kann es sein, dass erst der zwölfte und letzte Hinweis die gesuchte Kabine eindeutig bestimmt. Diesen Zeitpunkt werden wir aber nicht erleben, denn wir verlieren auch, sobald alle Passagierkarten durchgespielt sind. Also müssen wir in solch einem Fall raten und hoffen.
Hätten wir die Hinweise in der optimalen Reihenfolge gefunden, wäre vielleicht schon nach dem dritten Tipp alles klar gewesen. Das ist einfach Pech. Was ich dem Spiel dennoch ankreide: Es gibt keine Indizien, wo wir suchen müssen, damit es vorangeht. Selbst wenn wir den Aufenthaltsort des Psychopathen auf wenige mögliche Räume eingegrenzt haben, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass wir in irgendeinem dieser Räume die Auflösung finden werden.
So sind mehrere Partien nach spannendem Beginn mit lebhaften Debatten und heiklen, gerade noch gemeisterten Situationen in ein langatmiges, mühsames Abarbeiten mit Leerlaufphasen ohne Erkenntnisgewinn gemündet. KILLERCRUISE ging öfter mal die Puste aus.


Was taugt es? Der 3D-Schiffsaufbau von KILLERCRUISE ist sehr ausgeklügelt und noch spektakulärer als das Spielplanbuch in SAFEHOUSE. Wer KILLERCRUISE auf dem Tisch liegen sieht, ist sofort fasziniert und will es spielen.
Und KILLERCRUISE löst auch vieles ein, was es verspricht: Es ist spannend, es ist bedrohlich, es ist sehr kommunikativ. Wir müssen unsere Züge gut planen und optimieren, um ans Ziel zu kommen. Dass wir auch Glück benötigen, um mit den passenden Handkarten bedrohliche Situationen zu bereinigen, gehört dazu.
Allerdings gibt es noch eine zweite Stelle, an der mich die Schicksalhaftigkeit auf Dauer stört: Nach jeder Killerbewegung werden neue Passagiere nachgelegt. Weil der Ablagestapel nie gemischt, sondern bei Bedarf einfach umgedreht und als neuer Nachziehstapel hingelegt wird, ergeben sich systembedingt Klumpungen: Zwei Killerkarten folgen direkt aufeinander. Immer mal wieder geschieht es, dass nach der ersten Killerbewegung die neue Passagierkarte dem Killer direkt vor die Füße gelegt werden muss und wir keine Chance haben, sie noch zu retten, weil die unmittelbar folgende zweite Killerbewegung das leichte Opfer gleich wegnascht.
Obwohl KILLERCRUISE durch seine faszinierende Gestaltung und interessante Aufgabenstellung zunächst sehr motiviert, stößt man dann doch auf versteckte und letztendlich ernüchternde Problemstellen.


**** solide

SEBASTIAN FITZEK – KILLERCRUISE von Marco Teubner für zwei bis vier Spieler*innen, moses.