Natürlich gab es auch vor 20 Jahren schon kooperative Spiele. Es ist ja nun nicht so, dass wir damals gar nichts hatten. Doch sie waren deutlich seltener, anders als heute waren sie kein breiter Trend, meist richteten sie sich auch noch an Kinder.
Manche sagen, SCHATTEN ÜBER CAMELOT (Serge Laget und Bruno Cathala, 2005) habe den komplexeren Koop-Spielen auch für Erwachsene den Weg geebnet. Allerdings war da fünf Jahre vorher schon ein anderes: DER HERR DER RINGE von Reiner Knizia.
Nicht in allen Spielerunden fand diese ungewohnte Form des Spielens Anklang. Ich erinnere mich an den Abend im Spieleladen, als DER HERR DER RINGE am Nebentisch seine Premiere hatte und von allen Beteiligten gehasst wurde. Sie spielten, so nahm ich es wahr, das Spiel von Anfang an ironisch und jubelten jedes Mal, wenn wieder irgendetwas passierte, das ihnen nicht gefiel. Die vermeintliche Schlechtigkeit von DER HERR DER RINGE wurde geradezu zelebriert.
Auch meine Fairplay-Kollegen, die oft zu ähnlichen Ergebnissen kamen wie ich, vergaben für DER HERR DER RINGE Schulnoten, die von zweimal 4 über einmal 4- bis hin zu dreimal 5 reichten. Kritisiert wurde, dass vor allem die Mischung des Plättchenstapels über Sieg und Niederlage entscheide. Diesen Befund kann man tatsächlich nicht widerlegen. Aber – und das zeigen zumindest teilweise die spielbox-Noten: fünfmal zwischen 3 und 5 zwar, aber auch dreimal die 8 – man kann den starken Zufallsfaktor anders gewichten.
Die Zauberwörter heißen in dem Falle: Atmosphäre. Spannung. Gestaltung. Und noch mal Atmosphäre. Ich bin kein ausgesprochener Tolkien-Fan, trotzdem kann ich mich der Magie seiner Welt nicht komplett entziehen. Die Illustrationen von John Howe lassen mich diese Magie sogar stärker empfinden, als es die Bücher jemals getan haben. Und das Spiel mit seinen vielen Spielplänen gibt Howes Illustrationen viel Entfaltungsraum. Samt Materialien wirkt es wertig und stimmig; schon bei der Spielvorbereitung hat man das Gefühl: Dies hier ist gewichtiger als die üblichen bunt-lieblichen Familienspielprodukte. Man könnte es vielleicht Kulturgut nennen.
Heute sind wir, was die Darbietung von Spielen angeht, verwöhnter. Und auch die Mechanismen haben sich weiterentwickelt. Vielleicht würde man die bösen Ereignisse im Plättchenstapel (wie zum Beispiel in PANDEMIE) jetzt ein bisschen vorsortieren. Das schmälert für mich aber nicht die Bedeutung von DER HERR DER RINGE. Es ist bemerkenswerterweise kein Spiel, das irgendeinen halb passenden Mechanismus auf das Literaturthema pfropft. Sondern DER HERR DER RINGE transportiert den Geist und die Emotion seiner Vorlage: den Kampf Gut gegen Böse, die scheinbare Übermacht des Gegners, die permanente Bedrohung, den Zusammenhalt, die Hoffnung.
DER HERR DER RINGE ist kooperativ, weil es kooperativ sein muss. Und es ist schicksalhaft, weil es schicksalhaft sein muss. Reiner Knizia, dem man so gerne vorhält, dass er sich selbst wiederhole, hat für mein Empfinden mit DER HERR DER RINGE etwas seinerzeit Neuartiges geschaffen.
- Vor 20 Jahren (96): Halali!
- Vor 20 Jahren (98): Schnee von gestern
2 Kommentare:
Und genau aus den o.g. Gründen spielen wir es auch heute noch sehr, sehr gerne und bringen es immer wieder auf den Tisch.
Wie fast immer teile ich Udos Meinung.
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