Freitag, 30. Juni 2023

Gern gespielt im Juni 2023

TIPPERARY: Irland kompakt.

DUOS – DINGE & TIERE: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Das weiß doch jede:r. Wie ich allerdings feststellen muss, bestehen fatale Fehleinschätzungen in der Frage, was denn nun „gleich“ ist.

APPLEJACK: An applejack a day keeps the doctor away.

HEAT: Bei Hitze sucht man den Schatten, bei HEAT den Windschatten.

WASSERKRAFT: Klar, es ist nur ein Spiel und somit Fiktion. In der Realität gibt es selbstverständlich keine überzeugende Alternative zur Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen.





UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM JUNI:

DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER: Das Spiel, bei dem man jeden Pfennig doppelt umdrehen muss.





Samstag, 24. Juni 2023

Café del Gatto

„Spielkritik ist entspannend wie eine kurze Kaffeepause, anregend wie ein ordentlicher Schuss Koffein.“ (Aus China)

Wie geht CAFÉ DEL GATTO? Wir bereiten Kaffee-Spezialitäten zu. Etwas abstrahiert natürlich. Soll bedeuten: Im Laufe der Partie will ich sechs milchweiße und sechs kaffeebraune Legesteine erwerben, um damit die Felder meiner fünf Kaffeetassen-Tableaus so zu belegen, dass es viele Punkte zählt. Jedes Getränk hat seinen eigenen Bauplan. Der Cappuccino beispielsweise verlangt erst einen braunen und darüber zwei weiße Steine, die natürlich von unten nach oben platziert werden müssen.
Die Steine kaufe ich von einer Papprutsche. In ihrer linken Spalte stecken die weißen, in der rechten die braunen Teile. Sie tragen Zahlen von eins bis vier. Das ist einerseits der Wert des Steins, gleichzeitig der Kaufpreis des Nachbarsteins. Sobald ein Teil entnommen wird, rutschen andere nach und die Preiskombinationen ändern sich.
Ein Spielzug besteht darin, entweder einen Stein zu kaufen oder zwei Geldmünzen zu nehmen oder einen oder mehrere fertige Kaffees zu werten. Dann addiere ich die darauf abgelegten Werte und tausche die Steine gegen das bestmögliche Punkteplättchen aus. Habe ich einen Cappuccino im Wert von neun gebraut, werde ich feststellen, dass es gar kein Neuner-Plättchen gibt. Ich erhalte also nur das Achter-Plättchen – außer das hat schon jemand weggeschnappt. Dann muss ich das Sechser- oder, wenn auch das weg ist, im schlimmsten Fall das Dreier-Plättchen nehmen.
Außerdem erhalte ich jetzt Geld. Neben Punktwerten tragen die Steine auch Symbole. Je sortenreiner mein Kaffee, desto mehr Geld kassiere ich. CAFÉ DEL GATTO endet, sobald jemand alle fünf Getränke serviert hat.


Was passiert? Natürlich will ich billig einkaufen, insbesondere zu Beginn, wenn die Geldbestände noch niedrig sind. Und so lauere ich darauf, einen Vierer oder wenigstens einen Dreier für eine Münze zu ergattern und gleichzeitig den Rutschvorgang so auszulösen, dass ich keine gar zu schöne Vorlage liefere.
Doch ich sollte nicht allzu lange lauern, denn CAFÉ DEL GATTO ist ein Wettrennen: Je später ich serviere, desto mehr Punkte-Plättchen hat man mir schon weggeschnappt. Und wenn ich insgesamt zu langsam bin, kriege ich bis Spielende nicht alle Kaffees fertig.
Im Rahmen dessen, was die zufällige Bestückung der Rutsche und Aktionen meiner Vorderleute zulassen, sollte ich beim Befüllen der Kaffeetassen taktisch vorgehen. Gut wäre es zum Beispiel, wenn ich antizyklisch agiere und nicht dasselbe sammle wie meine Vorderleute. Wenn ich flexibel bin und jederzeit weiße und braune Steine gebrauchen kann. Und wenn ich beizeiten eine Tasse serviere, die ordentlich Geld in die Kasse bringt.


Was taugt es? CAFÉ DEL GATTO hat ein für meine Begriffe tolles Thema, das vom Spielmaterial außerdem ganz hervorragend in Szene gesetzt wird. Die dicken weiß-braunen Steine sehen richtig lecker aus und schmeicheln der Hand; man spielt gerne damit. Nur warum ausgerechnet Katzen den Kaffee servieren, erschließt sich nicht so ganz. Und tatsächlich haben einige Spieler:innen, die ich für die Zielgruppe gehalten hätte, das Spiel schon allein wegen seines Covers abgelehnt.
CAFÉ DEL GATTO war mir von Beginn an sympathisch. Hoher Aufforderungscharakter, überschaubare Spieldauer, etwas Tiefgang, aber nicht zu viel: Ich hätte gedacht, das wird viele begeistern. Doch mit wachsender Spielerfahrung zeigten sich auch Schwächen und Probleme.
Das Spiel durchläuft Zyklen. Phasenweise findet jede:r etwas Attraktives im Markt, phasenweise stockt es. Jetzt kann das Spiel hängen, weil niemand einen überteuerten Stein kaufen oder Geld aufwenden möchte, um eine Marktspalte zufällig neu zu bestücken. Oder jemand löst die Situation notgedrungen auf, worüber sich dann oft die direkt folgende Person freut, die ohne Zutun eine viel bessere Marktsituation vorfindet.
Man kann argumentieren, kleine Blockaden gehören eben zum Wesen von CAFÉ DEL GATTO. Allerdings gab es in meinen Partien auch schwerwiegende Blockaden, die durch das Material entstanden sind. Wenn es niemand eilig hat, Kaffee zu servieren, bleiben – insbesondere in Partien zu fünft – viele Steine auf den Kaffeetassen liegen und fehlen im Vorrat. Und irgendwann lässt sich die Steinrutsche nicht mehr befüllen.
Viele Partien sind nicht bis zum Ende spannend. Schon Runden vorher kann klar sein, wer gewinnt und wer vor halbvollen Tassen sitzen bleibt. Teilweise mag das an ungeschicktem Spiel liegen, teilweise ergibt es sich aber einfach so, weil man einmal häufiger Geld nehmen musste oder einmal häufiger servieren musste. Wer erst mal im Temponachteil ist, kann nur noch hoffen, dass bei denen im Tempovorteil doch noch irgendwas schiefgeht. CAFÉ DEL GATTO ist ein hartes und mitunter bestrafendes Wettrennen, das optisch etwas ganz anderes verspricht.


**** solide

CAFÉ DEL GATTO von Lena Burkhardt und Julia Wagner für zwei bis fünf Spieler:innen, Schmidt.

Dienstag, 20. Juni 2023

First Empires

Auf Schachtelrückseiten findet man sehr viel Inspirierendes. Im Falle von FIRST EMPIRES ist es das dem römischen Geschichtsschreiber Livius zugeschriebene Zitat: „In der Geschichte ist die unendliche Vielfalt menschlicher Erfahrungen festgehalten.“
Das kann alles und nichts bedeuten, und streng genommen steht da nicht mal, der Gedanke habe irgendwas mit FIRST EMPIRES zu tun. Kurzum: Das ist endlich die perfekte Dauerlösung für meine Einleitungen.

Wie wäre es zum Auftakt hiermit? „Die Spielkritik ist die Cousine der Porzellankiste.“ (Herkunft unbekannt)


Wie geht FIRST EMPIRES? In FIRST EMPIRES entwickeln wir unsere Zivilisationen. Sie gewinnen dadurch bessere Fähigkeiten, alle Entwicklungsschritte zählen obendrein Punkte. FIRST EMPIRES könnte man dem Genre der „Engine Builder“ zurechnen; ungewöhnlich allerdings ist, wie wir die Entwicklung vorantreiben.
In fünf Fähigkeits-Skalen kann meine Zivilisation aufsteigen. Damit sie es tut, muss ich erstens die Farbe der Skala erwürfeln und zweitens auf der Weltkarte ein Gebiet der entsprechenden Farbe besitzen. FIRST EMPIRES ist also ein Ausbreitungsspiel, und obendrein – weil ich schwächere Zivilisationen aus Gebieten vertreiben darf – ein kriegerisches.
Wie oft ich in meinem Zug würfeln darf, mit wie vielen Würfeln, wie viele Felder meine Armeen anschließend ziehen dürfen und wie viele Armeen ich überhaupt besitze, hängt von meiner Entwicklung ab. Anfangs sind wir natürlich alle vergleichsweise schwach, beispielsweise besitze ich nur zwei oder drei Würfel. Später können es bis zu fünf sein.
Ich hoffe darauf, Farben derjenigen Gebiete zu würfeln, in denen ich schon stehe, oder zumindest solcher, die ich im Laufe meines Zuges noch erobern kann, wozu ich mit einer Übermacht einmarschieren muss.
Die Punktwertung legt nahe, einige meiner Fähigkeiten möglichst bis zum Maximum auszubilden. Andererseits führt völlige Spezialisierung irgendwann in eine Sackgasse. Es nützt nichts, viele Würfel zu haben, aber völlig immobile Truppen.


Was passiert? Trotz einfacher Regeln sind die Spielzüge relativ komplex. Nach jedem Wurf muss ich erst mal ausrechnen, welche Aufstiege mir das Ergebnis bringen könnte und wie ich dazu meine Armeen bewegen müsste. Falls das Ergebnis nicht optimal ist und ich nachwürfeln möchte, geht die nächste Überlegung los: Was ließe sich aus dem Zug noch herausholen? Welche Würfel lasse ich liegen, welche würfle ich? Und auch das neue Ergebnis erfordert dann wieder eine Analyse. Speziell mit fünf Spieler:innen kann sich FIRST EMPIRES sehr ziehen. Während die anderen am Zug sind, habe ich nichts zu tun.
Natürlich hat FIRST EMPIRES mit Glück zu tun, schließlich ist es ein Würfelspiel. Auch ob Auftragskarten, die ich durch Fortschritte auf einer der Skalen erwerben kann, gut oder schlecht passen, ist Zufall. Vermutlich entscheiden diese Zufälle am Ende; trotzdem kommt nicht das Gefühl auf, dem Spiel ausgeliefert zu sein. Unzufrieden waren meine Mitspieler:innen eher mit den vermeintlich schwachen Starteigenschaften oder der vermeintlich nachteiligen Startposition ihres Volkes.
Tatsächlich ist ein guter Start vorentscheidendend. Wer eingekesselt wird und sich erst mal befreien muss oder nicht alsbald mindestens drei Würfel werfen darf, läuft hinterher. Durch gute Würfe kann sich das durchaus noch ändern, zumal man als schwächste Partei bei Angriffen auch manchmal verschont wird, trotzdem habe ich mehrere Partien erlebt, die sich nicht für alle bis zum Schluss spannend anfühlten. Wer gewinnt, ließ sich bald vorhersehen.


Was taugt es? FIRST EMPIRES kombiniert Eroberungs- und Entwicklungsspiel mit einem Würfelmechanismus. Das ist neuartig. Positiv finde ich auch, dass alles in FIRST EMPIRES auf klaren Prinzipien beruht und ohne irgendwelche Sonderregeln auskommt. Was man daran merkt, wie schnell sich das Spiel erklären lässt.
Auf der Landkarte herrscht mehr Bewegung als in vielen anderen Eroberungsspielen. Denn um auch mal in anderen Skalen aufzusteigen, will man in andere Gebiete. Gleichzeitig reichen die Figuren aber nicht aus, um alle Territorien permanent halten zu können.
Obwohl also eigentlich die Grundlage für ein sehr interaktives Spiel mit vielen Besitzwechseln gelegt wäre, fühlt sich FIRST EMPIRES nur wenig interaktiv an. Und solange andere am Zug sind, passiert für mich wenig Spannendes. Was im Laufe der Partie sogar eher schlechter als besser wird. Die Möglichkeiten wachsen: mehr Würfel, mehr Armeen, mehr Nachwürfelversuche. Man muss noch mehr analysieren, wodurch die Spannung weiter abflacht.


**** solide

FIRST EMPIRES von Eric B. Vogel für zwei bis fünf Spieler:innen, Sand Castle Games.

Freitag, 16. Juni 2023

That’s Not a Hat

„Hätt’ ich einen Hut, würd’ ich ihn ziehen.“ (Olaf)

Wie geht THAT’S NOT A HAT? Wir versuchen, uns ein paar läppische Bildkarten zu merken – und scheitern. Bei Spielbeginn hat jede:r eine Bildkarte offen vor sich liegen. Das Spiel startet, indem jemand eine zusätzliche Karte vom Stapel nimmt (einen Rucksack vielleicht), diese Karte auf ihre Rückseite dreht und sie in der dort angegebenen Pfeilrichtung weitergibt mit den Worten: „Hier hast du einen schönen Rucksack.“
Wer beschenkt wurde, hat nun zwei Karten, und gibt, weil man nur eine Karte haben darf, seine vorherige weiter. Sagen wir, es ist ein Apfel. Dazu wird auch diese Karte auf ihre Rückseite gedreht, wieder gibt der Pfeil die Richtung für die Weitergabe vor: „Hier habe ich einen schönen Apfel für dich“.
Und immer so weiter. Nach ein paar Spielzügen sind alle Karten verdeckt, und die ersten Spieler:innen kommen durcheinander, zumal manche Karten linksherum und andere rechtsherum weitergegeben werden. Wer glaubt, ein falsch deklariertes Geschenk erhalten zu haben, darf die Ansage anzweifeln. Die Karte wird überprüft. Wer falsch angesagt oder falsch angezweifelt hat, bekommt die Karte als Strafkarte. Mit einer neuen Karte vom Stapel geht der Geschenkereigen weiter. Alles, was verdeckt ist, bleibt weiterhin verdeckt.


Was passiert? THAT’S NOT A HAT wird üblicherweise unterschätzt. Man denkt, so schwer kann das nicht sein, und irrt grandios. Die Überforderung führt zu vielen lustigen Situationen, insbesondere wenn alle auch über sich selbst lachen können.
In meiner ersten Partie konnte sich niemand auch nur drei Karten merken, und eine Mitspielerin weigerte sich, ihr Geschenk zu benennen, mit der wunderbaren Begründung, es solle ja „eine Überraschung sein“. Mit Übung kaschiert man Gedächtnislücken ausgebuffter und behauptet dann einfach irgendwas. Der Klassiker: Man sagt ausgerechnet eins von den Geschenken an, die bereits ausgeschieden sind und als Strafkarte offen sichtbar für alle da liegen. Und ebenfalls ein Klassiker: Man kommt trotzdem damit durch.
Noch besser als Gedächtnislücken zu kaschieren, ist es natürlich, möglichst lange keine Gedächtnislücken zu haben. Wer ehrgeizig ist, betreibt THAT’S NOT A HAT als knallhartes Konzentrationsspiel, rekapituliert im Geiste immer wieder, was als nächstes von links oder von rechts kommen wird und lässt sich durch nichts ablenken.


Was taugt es? THAT’S NOT A HAT ist bei aller Lustigkeit ein anstrengendes Spiel. Nach einer, zwei oder spätestens drei Partien in Folge hatten meine Gruppen immer genug. Das spricht aber nicht gegen das Spiel, solange die Lust besteht, es bei anderer Gelegenheit wieder hervorzuholen. Und meistens ist das so.
Obwohl in allen Partien gelacht wird, ist THAT’S NOT A HAT kein Partyspiel im üblichen Sinn. Zum Spielgefühl gehört ein gewisses Unwohlsein wie in der Schule, wenn man Angst hat, beim Abfragen an die Reihe zu kommen. THAT’S NOT A HAT macht nervös. Für mich erhöht das den Thrill. Allerdings gibt es Spieler:innen, denen ihre Unzulänglichkeiten so peinlich sind, dass sie am liebsten gar nicht mehr mitspielen möchten. Es ist also kein Spiel für wirklich alle. Für mich aber definitiv.
Mir imponiert, mit welch geringem Aufwand (ganz wenige Regeln und nur eine Sorte Material) THAT’S NOT A HAT sehr viel Spiel kreiert: Es unterhält, es erzeugt starke Emotionen und es fordert obendrein heraus.


***** reizvoll

THAT’S NOT A HAT von Kasper Lapp für drei bis acht Spieler:innen, Ravensburger.

Montag, 12. Juni 2023

Vor 20 Jahren (126): Amun-Re

Mit „Hurra, hurra, der große neue Knizia!“ in Dauerschleife versuchte ich in meinem Artikel in der Fairplay 65, die Leser:innen zum Mitsingen zu animieren. Bitte nach der Pumuckl-Melodie, falls es jemand nachträglich noch probieren möchte. Ich fürchte jedoch, niemand möchte. Und ich fürchte, damals mochte auch niemand.

Anscheinend kam der Artikel insgesamt nicht so gut an. Aus zweiter Hand erhielt ich die Rückmeldung, irgendwer habe geschworen, nie wieder einen Artikel von mir zu lesen, denn die Selbstherrlichkeit des Rezensenten sei nicht zu ertragen. Selbstverständlich bin ich kein bisschen selbstherrlich. Trotzdem halte ich es für einen Riesenfehler, meine Artikel nicht zu lesen, schließlich lässt man sich dadurch tollste Gelegenheiten zum Mitsingen entgehen.

Zu dem Knizia-Liedchen hatte mich die Werbung von Hans im Glück inspiriert: „Der große neue Knizia!“ betitelte der Verlag seine damaligen Anzeigen für AMUN-RE. Mein künstlerischer Beitrag war es, „Hurra, hurra“ hinzuzudichten, mitnichten beliebige Füllwörter, sondern die poetische Subsummierung meiner Spielerfahrungen. Mit anderen Worten: Ich schrieb eine klassische Jubelrezension, in der ich mich sogar zu der Behauptung verstieg, AMUN-RE fortan zu meinen Lieblingsspielen zu zählen.

Damals war das auch so. Gleich mehrere meiner Runden hatten ein Faible für Versteigerungsspiele. Und in mehreren meiner Runden spielten wir zu fünft – für AMUN-RE die günstigste Personenkonstellation. Ich war begeistert! 40 Partien spielte ich allein im Jahr 2003, 20 weitere 2004, noch mal zehn im Jahr 2005, und … na ja, meine übrigen zehn Partien verteilen sich auf die Jahre 2006 bis 2009.

Heute wüsste ich nicht mal mehr genau, wie AMUN-RE geht. Irgendwas mit Ägypten. Provinzen, die versteigert werden. Pyramiden, die ihre Erbauer:innen überdauern. Und der sehr reizvolle Versteigerungsmechanismus: Wer überboten wird, muss auf eine andere Provinz bieten.

Ach, Details interessieren nicht. AMUN-RE ist ohne jeden Zweifel total superduper. Denn ein selbstherrlicher Rezensent hat dem Spiel extra ein Lied gedichtet und beinahe auch eigenhändig komponiert.


Donnerstag, 8. Juni 2023

Die Gilde der Fahrenden Händler

Gewiss gibt es Gründe, warum DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER so heißt, wie es heißt. Allerdings wüsste ich schon gern, welche. Denn: Im Spiel fahren wir nicht, wir handeln nicht, und als Gilde empfinde ich uns auch nicht, weil jede:r solitär vor sich hinmuckelt.

Wie geht DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER? Wir breiten uns auf unseren Landschafts-Tableaus aus. Dazu setzen wir kleine Holzwürfel auf sechseckige Landschaftsfelder. Zufällig gezogene Karten bestimmen, was jede:r angrenzend besetzen darf, zum Beispiel zwei Felder auf Grasland oder drei Felder in gerader Linie auf Wasser.
Sind alle Karten gezogen, endet die Ära. Alle Würfel werden abgeräumt. In der nächsten Ära startet man wieder auf dem zentralen Feld und muss wieder dieselben Distanzen überbrücken – außer man hat Dörfer gegründet. Dörfer werden nicht wieder entfernt und sind fortan mögliche Startpunkte. Also sind Dörfer gut. Und man gründet eins, indem man ein komplettes Landschaftsgebiet mit Würfeln befüllt. Einen der Würfel ersetzt man dann durch ein Dorf.

Das zählt sogar ein paar Punkte. Die ganz dicken Punkte aber macht man auf andere Weise: indem man Handelsposten miteinander verbindet; indem man Türme am Rand des Spielplans erschließt; indem man Aufträge erfüllt, möglichst schneller als die anderen Spieler:innen.
Damit wir uns nicht alle auf dieselbe Weise ausbreiten, befinden sich im Stapel Platzhalter-Karten, die für jede:n am Tisch etwas anderes bedeuten. Taucht ein Platzhalter erstmals in der Partie auf, ziehe ich zwei „Erforschungskarten“. Eine davon suche ich mir aus, und sie definiert für den Rest der Partie, was ich tun darf, wenn der entsprechende Platzhalter wieder aktiviert wird. Beispielsweise darf ich dann ein Bergfeld und die fünf angrenzenden Felder auf einmal bebauen. Oder vier Wüsten und ein Gewässer in beliebiger Reihenfolge. Die Effekte sind deutlich stärker als die Effekte der Standardkarten.


Was passiert? Die Platzhalter erweisen sich als der große Clou des Spiels. Sie bestimmen die weitere Strategie und führen zu unterschiedlichen Spielweisen. Es ist sehr spannend, wenn ich mal wieder zwei alternative Erforschungskarten ziehen darf. Meistens ist die Wahl knifflig. Und jede Partie wird durch meine unterschiedlichen Fähigkeiten ein bisschen anders.
Ansonsten dominiert die Taktik: Ich weiß, welche Karten in der laufenden Ära noch kommen werden. Doch deren Reihenfolge kenne ich nicht. Ich versuche, mich für verschiedene Möglichkeiten zu wappnen. Oder ich zocke, weil die optimale Variante einfach zu lukrativ wäre, um sie sich entgehen zu lassen.
Gelegentlich gibt es zwar auch Züge, die mir fast gar nichts bringen. Meistens aber schwanke ich zwischen Ausbreitung und Beute: Will ich noch ein Dorf bauen und in der nächsten Ära von dort aus weitermachen? Oder versuche ich, mich direkt zum Turm durchzuschlagen und breite mich in kommenden Ären lieber ganz woanders aus?
Natürlich ist auch Glück dabei. Ob Karten in der gewünschten oder in einer unpassenden Reihenfolge kommen, kann einen riesigen Unterschied bedeuten. Aber gerade das macht DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER so spannend: Jede Karte bringt eine Überraschung, jeder Karte wird entgegengefiebert.


Was taugt es? DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER hat das Potenzial für ein Spitzenspiel – falls man Mehrpersonen-Solitärspiele nicht grundsätzlich ablehnt. Selbst das Wettrennen um die Aufträge bringt kaum Interaktion.
Andere Qualitäten aber machen das wett: DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER hat keinen Durchhänger. Von Beginn an ist jeder Zug ein wichtiger Zug. Indem ich die gewonnen Punkte direkt einkassiere und die Schlusswertung klein ausfällt, erhalte ich eine direkte Rückmeldung auf mein Tun. DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER ist konstruktiv. Fast alles fühlt sich nach Fortschritt und Wachstum an. Und ich bin es, der den Fortschritt steuert. Selbst wenn es nicht optimal läuft, bleibt stets die Hoffnung, mit einem Alternativplan auch noch ganz gut zu Punkten zu kommen.
Es gibt eine Lernkurve, trotzdem gibt es nicht die perfekte Partie. Man kann sich vornehmen, beim nächsten Mal noch ein wenig besser abzuschneiden. Vier verschiedene Spielpläne bringen Variation und verändern die Wertigkeiten der Erforschungskarten.
Kurzum: Ich hätte „außerordentlich“ unter diese Rezension geschrieben, wäre die Handhabung nicht so mies. Die Spielfelder sind winzig. Kleine Klötzchen und kleine Pappen liegen eng an eng. Es erfordert Konzentration und Geschick, um beim Abräumen am Ende der Ären keine Unfälle zu produzieren. Wenn Pappen und Dörfer verrutschen, lässt sich nicht immer nachträglich ermitteln, wo sie hingehören.
Noch störender finde ich die Punkte-Münzen, die, wohl aus Geheimhaltungsgründen, nur einseitig mit Zahlen bedruckt sind. Meiner Meinung nach gibt es allerdings kaum Gründe, um den Punktestand zu verbergen; andere Spieler:innen haben sowieso keinen Einfluss darauf. Und so nerven die Münzen. Ständig müssen Einer zu Zehnern und Zehner zu Fünfzigern gewechselt werden, und dazu muss man im Vorrat erst mal alles auf die richtige Seite drehen. Einige Spieler:innen sammeln ihre Münzen dann tatsächlich verdeckt und brauchen deswegen beim Wechseln doppelt so lange, legen die Münzen verkehrt herum in den Vorrat zurück und so weiter … grr!
Und ich bin noch nicht fertig: Die Tableaus reflektieren sehr. Auch die kontrastarmen Farben behindern die Spielbarkeit. Und je häufiger ich DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER spiele, desto mehr Zweifelsfälle tauchen bei der Auslegung von Karten auf. Redaktionell ist das in Summe schon auffallend schlecht.


***** reizvoll

DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER von Matthew Dunstan und Brett J. Gilbert für eine:n bis vier Spieler:innen, Skellig Games / AEG.

Donnerstag, 1. Juni 2023

Kunterpunkt



Wie geht KUNTERPUNKT? „Roll & Dot“ nennt der Verlag das Spielprinzip: Irgendwer würfelt, und alle dürfen mindestens einen der Würfel nutzen, um Punkte auf ihre Marienkäfer in der Farbe des Würfels zu malen.
Mit einer blauen Fünf male ich logischerweise fünf Punkte. Diese fünf Punkte darf ich auch auf mehrere blaue Käfer verteilen, wenn – und das ist das Besondere – ich dabei die klassische Anordnung der Würfelaugen beibehalte. Aus der Fünf kann ich so beispielsweise eine Vier und eine Eins machen. Denn die Würfelaugenmuster von Vier und Eins ergeben übereinander projiziert das Muster der Fünf. Eine Drei und zwei Einsen kann ich demzufolge nicht bilden.
Ich darf Käfer auch nachträglich mit weiteren Augen aufrüsten. Ein Zweier-Käfer kann mit einer Drei zu einer Fünf werden. Aber ein Einer-Käfer nicht mit einer Drei zur Vier.

Die Reihen zählen erst dann Punkte, wenn ich ihnen eine Wertung zuweise. Beispielsweise: In dieser Reihe zählen alle Dreien. Dann ist jeder Käfer mit exakt drei Augen einen Punkt wert.
Die Wertungen darf ich mir aber nicht ausdenken, sondern ich muss sie freischalten. Das geschieht auf einem Areal des Aufschreibzettels, das sich „Wiese“ nennt. Auf der Wiese befinden sich abzweigende Pfade mit Feldern. Statt Würfelaugen auf meine Käfer zu malen, darf ich sie auch nutzen, um Felder auf der Weise abzustreichen. Über die Felder gelange ich zu den Wertungen. Die attraktiveren Wertungen sind vom Startpunkt weiter entfernt.
Ein weiterer Pfad befindet sich unten auf dem Aufschreibblatt. Hier gehe ich vorwärts, wenn ich einen Würfel mit Kleeblattsymbol wähle. Oder wenn ich auf der Wiese Felder mit Kleeblatt erreiche. Oder wenn ich allen fünf Käfern einer Farbe Tupfer gemalt habe, egal wie viele. Fortschritte auf dem Kleeblatt-Pfad sind sehr erstrebenswert. Sie schalten die Verdopplung oder gar Verdreifachung der von mir gewählten Wertungen frei.


Was passiert? Das Konzept von KUNTERPUNKT ist sperrig und muss gut erklärt werden, damit es alle verstehen. Viele Spieler:innen schneiden in ihren ersten Partien auch nicht sonderlich gut ab, weil sie für ihre Reihen die leicht verständlichen Wertungen auswählen, etwa „nur Fünfen zählen“.
Wer häufiger spielt, wird herausfinden, dass solche Mono-Wertungen schwierig sind, weil man immer wieder dieselbe Zahl in derselben Farbe braucht. Leichter sind Wertungen wie „symmetrisches Muster“ (Einsen, Vieren und Fünfen), die mehr Flexibilität erlauben. Und vorteilhaft sind ebenso Wertungen, die kleine Zahlen erfordern wie „diagonales Muster“ (Zweien und Dreien), weil sich kleine Zahlen sowohl direkt erwürfeln als auch durch die Zerlegung einer großen Zahl erreichen lassen. Eine in Zwei und Zwei zerlegte Vier füllt gleich zwei Käfer – und führt (nächster Vorteil) dazu, dass schneller alle Käfer Tupfer bekommen und so einen Kleeblatt-Schritt aktivieren.
Es gibt also eine Lernkurve. Was gut ist. In meinen Runden gab es aber auch bald eine Einheits-Spielweise. Was nicht so gut ist.

Was taugt es? Durch die originelle Regel, wie Würfelaugen eingetragen werden, fügt KUNTERPUNKT dem Genre etwas Neues hinzu. Und zunächst fasziniert das. Doch der Reiz lässt nach, weil die Partien gleichförmig verlaufen.
Und schon vorher stören redaktionelle Mängel: Für die verschiedenen Wertungsmöglichkeiten fehlen Übersichten. Die Wertungen sind unintuitiv, deshalb muss selbst nach mehreren Partien noch die Tabelle auf der Rückseite der Anleitung herumgereicht werden. Auf dem Block fehlen für manche Wertungen Felder, um Punkte einzutragen. Die Anleitung ist nicht lückenlos und die unklare Gestaltung des Wiesenpfads führt zu der Irritation, ob die Kleeblätter ein separates Feld sind oder nicht.


*** mäßig

KUNTERPUNKT von Julia Thiemann und Christoph Waage für eine:n bis sechs Spieler:innen, Topp.