Zu Autorennen fällt mir ein: Ich finde sie bekloppt! Doch wenn ich weiterdenke: Eigentlich würde ich fast nichts, womit ich mich in Spielen beschäftige, auch in der Realität tun wollen. Ich möchte nicht Pyramiden bauen, nicht mit Geistern kommunizieren, nicht Drachen hüten, nicht auf Kaperfahrt fahren, nicht in Dungeons gegen Monster kämpfen, nicht Rinderherden treiben, nicht Königreiche verwalten, nicht den Mars terraformen und so weiter.
Spielwelten, sagt man, seien eine Flucht aus der Realität. Bei mir scheint es umgekehrt zu sein: Meine deutlich unspektakulärere Realität ist die Flucht aus diesen Spielwelten.
Wie geht HEAT? Wir fahren ein Autorennen. Vier verschiedene Kurse stehen zur Wahl. Wer das Rennen gewinnt, gewinnt HEAT.
Unsere Wagen bewegen wir mit Karten voran. Sieben Karten habe ich auf der Hand. Der eingeschaltete Gang bestimmt, ob ich eine, zwei, drei oder vier davon (zunächst verdeckt) spiele. Die Wagen ziehen dann, beginnend beim vordersten, Felder entsprechend der Zahlensumme der gelegten Karten.
Genutzte Karten kommen auf meinen Ablagestapel. Vom Ziehstapel ziehe ich wieder auf sieben Karten hoch. Geht das nicht, mische ich meinen Ablagestapel und mache ihn zum Ziehstapel. Es ist das klassische Prinzip eines Deckbauspiels.
In HEAT allerdings verändert sich das Deck während eines Rennens nur insofern, dass negative Hitzekarten ins Deck gelangen oder ich sie wieder herauskühle. Hitzekarten bekomme ich, wenn ich um gleich zwei Gänge hoch- oder runterschalte. Und vor allem, wenn ich zu schnell durch Kurven rase. Jede Kurve zeigt einen Richtwert. Pro Differenz zwischen meiner Geschwindigkeit und diesem Wert muss ich eine Hitze nehmen. Presche ich also mit 7 durch eine Vierer-Kurve, macht das drei Hitze.
Muss ich Hitzekarten ins Deck nehmen und habe keine mehr in meinem Vorrat, gerät mein Wagen ins Schleudern. Er wird vor die Kurve zurückgesetzt, und ich erhalte obendrein eine Stresskarte in mein Deck.
Stresskarten sind, wie ihr Name erahnen lässt, unerfreulich. Spiele ich eine, addiert sie einen zufälligen Wert zu meiner Geschwindigkeit: Ich decke Karten von meinem Ziehstapel auf, bis ich eine Zahl finde. Sie gilt nun.
Warum spielt man Stresskarten überhaupt? Man kommt irgendwann nicht darum herum. Drei hat man von Beginn an, sie sammeln sich mit Hitze in der Hand und schränken die Möglichkeiten ein. Um sie von der Hand zu kriegen, spielt man sie.
Hitze wird man nur durch Kühlen los. Fahre ich maximal im zweiten Gang, darf ich Hitze von meiner Hand in meinen Vorrat zurücklegen. Bin ich an letzter Position (ab fünf Personen reicht auch die vorletzte), darf ich ohnehin einmal pro Zug kühlen.
Was passiert? HEAT erfordert Handmanagement. Auf einer langen Geraden kann ich Stresskarten meist gefahrloser spielen als in scharfen Kurven. Und wenn ich nicht gerade kurz vorm Nachmischen bin, kann ich obendrein ganz gut einschätzen, ob ich wahrscheinlich eher hohe oder eher niedrige Werte aufdecken werde. Auch wenn man hereinfallen kann: Es ist kein reines Glück.
Auch der Umgang mit Hitzekarten erfordert Taktik. Mit allzu konservativer Fahrweise gewinnt man bei HEAT nicht, Hitze sammelt sich zwangsläufig. Aber es ist eine Abwägung: Wann lohnt es sich, Hitze in Kauf zu nehmen? Wann kann ich sie wieder runterkühlen, ohne im Rennen zurückzufallen?
Entscheidend sind die Kurven: Komme ich durch eine scharfe Dreier-Kurve gerade so durch, kann ich ab dem nächsten Zug wieder beschleunigen, während die Konkurrenz, die vielleicht auf dem letzten Feld vor der Kurve hängengeblieben ist, nur mit Geschwindigkeit drei weiterfahren kann oder sich ordentlich Hitze auflädt. Wie perfekt ich durch die Kurve komme, hat teilweise natürlich auch mit dem Glück zu tun, im entscheidenden Moment das Passende auf der Hand zu haben. Es hat aber auch damit zu tun, wie man sich positioniert und wie man an eine Kurve heranfährt.
Womit ein zweiter wichtiger Faktor ins Spiel kommt: Windschatten. Wessen Zug direkt hinter oder direkt neben einem anderen Auto endet, darf zwei Schritte mehr gehen. Das will man möglichst oft erreichen, also dreht es sich beim Ausspielen der Karten auch immer um die Frage, wie weit die Fahrzeuge vor mir ziehen werden. Und bin ich selber führend: ob und wie ich so fahren kann, dass niemand von meinem Windschatten profitiert.
Was taugt es? Mit relativ einfachen Prinzipien und cleveren Mechanismen erzeugt HEAT spannende Rennatmosphäre. Die Rennen können sich insbesondere in Vollbesetzung aber etwas in die Länge ziehen. Auch systembedingt. Denn der Hitze-Mechanismus trägt erst, wenn das Blatt mehrere Male durchgespielt wird. Außerdem hat ein Autorennen nun mal eine andere Dramaturgie als ein Hundertmeterlauf.
Für meinen Geschmack ist der Faktor Windschatten zu dominant. Zu vieles dreht sich darum, ob man sich zwei Extraschritte erschnorren kann oder nicht. Wegen des Windschattens kann sich früh im Rennen niemand entscheidend absetzen. Die anderen holen durch gegenseitige Windschattenunterstützung meist wieder auf. Umgekehrt hat man es schwer, sobald man vom Pulk abreißt. Zwar darf das Auto an letzter Position immer einen zusätzlichen Schritt fahren. Dennoch fährt man ohne die Chance auf hin und wieder zwei Gratisschritte durch Windschatten lange hinterher.
Toll finde ich, was die Box außer den Grundregeln noch alles mitliefert. Insbesondere sind dies Upgrade-Karten, die Teile unseres Standard-Decks ersetzen. Jede:r fährt nun mit einem individuellen Karten-Set, das Strategieanpassungen erfordert. Im Modul „Meisterschaft“, das über mehrere Rennen ausgetragen wird, wird der Wagen von Rennen zu Rennen immer stärker und komplexer. Man kann sich obendrein durch besondere Fahrmanöver „Sponsorenkarten“ verdienen, die ebenfalls das Deck verbessern, aber nach ihrer Verwendung wieder abgegeben werden müssen.
Um das Feld aufzufüllen, kann man Autos mitfahren lassen, die (sogar einigermaßen sinnvoll) vom Spiel gesteuert werden. Man kann die Streckenbedingungen verändern, man kann mit Wettereffekten spielen. Auch wenn dies eine ganze Menge mehr Regeln ins Spiel bringt und sich nur an Menschen richtet, die häufig HEAT spielen: All das rundet das Spiel als Gesamtpaket gelungen ab. Und natürlich finde es gut, wenn Autoren und Verlag einplanen, dass ihr Spiel häufig gespielt wird. Das sollte der Anspruch sein.
***** reizvoll
HEAT von Asger Harding Granerud und Daniel Skjold Pedersen für eine:n bis sechs Spieler:innen, Days of Wonder.
1 Kommentare:
Das ist doch mal eine richtig gelungene Einleitung die mir auch aus der Seele spricht. Danke für die schöne Rezi.
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