Mittwoch, 25. Juni 2025

Brilliant

Brilliant: Cover

Eins vorweg: Dieses Spiel ist auf jeden Fall brillanter als diese Einleitung.

Wie geht BRILLIANT? Irgendwer würfelt, alle schreiben. „Roll & Write“ nennt man das. Unsere Blätter zeigen ein siebenmal sieben Felder großes Raster. Gleichfarbige Felder bilden ein Gebiet. In Level 1 etwa gibt es zwei rote Gebiete mit je sechs Feldern und zwei blaue mit je vier Feldern. Mein Ziel ist es, solche Gebiete komplett zu befüllen – und das auch noch schneller als die Konkurrenz. Dafür gibt es Punkte.
Gefüllt werden die Felder mit Zahlen. Zwei Würfel geben vor, welche Zahl ich eintragen darf. Sind Eins und Drei geworfen, bedeutet das: Ich darf entweder eine Drei auf einem Feld neben einer bereits vorhandenen Eins eintragen. Oder eine Eins neben einer bereits vorhandenen Drei. Auch die Feldfarbe nimmt Einfluss: Alle Zahlen in einem roten Gebiet müssen verschieden sein, alle in einem blauen Gebiet gleich. Und so weiter.
Obwohl die Würfel zwölfseitig sind, gibt es nur Zahlen von Eins bis Sechs. Die Würfel sollen offenbar an grüne Brillanten erinnern.


Brilliant: Zettel

Was passiert? Irgendwer würfelt, alle schreiben. Aber vorher suchen wir noch. Zu Beginn, wenn unser Raster nur einmal die Zahlen von Eins bis Sechs enthält, ist noch viel Platz. Jede Zahl hat freie Nachbarfelder. Dass man einen Wurf nicht verwenden kann, kommt noch nicht vor.
Aber natürlich wird es immer enger. Die Farbvorgaben schränken mich zunehmend ein. Wenn im roten Gebiet nur noch ein Feld frei ist, muss dort eine ganz bestimmte Zahl hin. Nämlich die einzige, die noch fehlt. Und die muss dann erst mal gewürfelt werden, und dann auch noch (damit ich sie dort eintragen darf) zusammen mit einer anderen Zahl, die sich neben diesem leeren Feld befindet.
Trage ich eine bestimmte Zahl (sagen wir: die Vier) nur selten ein, etwa weil die Vier nicht so oft gewürfelt wird oder weil, wenn doch, ich überwiegend die andere Zahl wähle, engt mich auch das ein, weil ich immer weniger freie Felder neben Vieren haben werde.
Und deshalb suche ich, bevor ich schreibe. Um überhaupt Möglichkeiten fürs Eintragen zu finden. Und wenn es mehrere gibt, um abzuwägen, welches die beste ist. Einerseits geht es um Raumgewinn. Je mehr ich mich in meinem Raster ausbreite, desto bessere Möglichkeiten schaffe ich mir für die Zukunft. Zweitens geht es um Tempo. Weil ich Gebiete möglichst als Erster abschließen will, hängen meine Entscheidungen auch davon ab, wie weit die Konkurrenz gekommen ist und in welchen Gebieten ich mir demzufolge die besten Chancen ausrechne. Und drittens geht es um Effizienz. Es bringt nichts, alle Gebiete befüllen zu wollen. Das Spiel ist vorher vorbei. Optimalerweise konzentriere ich mich auf nur einige Gebiete, um sie zu komplettieren.
Wofür – wenig überraschend – auch das Glück mitspielen muss. BRILLIANT ist nun mal ein Würfelspiel.


Brilliant: Zettel 2

Was taugt es? BRILLIANT bringt eine neue Eintrage-Regel ins Genre der „Roll & Write“-Spiele – die allerdings ein bisschen um die Ecke gedacht ist. Einige Mitspieler:innen hatten Schwierigkeiten, regelkonform zu spielen. Ich musste ziemlich oft helfend oder korrigierend eingreifen, was mir zeigt, dass diese Regel nicht so intuitiv ist.
Vier Level (also vier verschieden gestaltete Raster), in denen BRILLIANT gespielt werden kann, variieren das Spiel. Am Spielgefühl ändern sie aber wenig. In den höheren Levels sind die Gebiete größer, das Spiel dauert länger. Mir gefällt das etwas besser, weil es mir das Gefühl gibt, mehr gestalten zu können (was auch Einbildung sein kann). Mit Anfänger:innen würde ich trotzdem auf Level 1 oder 2 einsteigen.
Man ist gefordert, man sucht, man puzzelt: Ich spiele BRILLIANT gern, aber an die besten Roll & Writes kommt es dann doch nicht ganz heran, auch nicht an Ralf zur Lindes leider unterschätztes DIZZLE.
Die Spannungskurve und die emotionale Involviertheit sind nicht so hoch wie bei manch anderen Roll & Writes, die mir mehr das Gefühl geben, mit anderen zu konkurrieren, beispielsweise indem wir uns in irgendeiner Form einen gemeinsamen Würfelpool teilen (und gegenseitig wegnehmen).
Auch die Hin- und Hergerissenheit zwischen ähnlich guten Optionen empfinde ich in BRILLIANT als nicht ganz so ausgeprägt. Hier geht es mehr darum, gute Optionen nicht zu übersehen. Und oft habe ich sowieso einen klaren Plan A und warte, bis endlich die passende Würfelkombination auftaucht. Bei aller Originalität ist BRILLIANT dann doch wiederholend. Nach Level 1 bis 4 bin ich nicht überzeugt, dass potenzielle Level 5 und höher da noch mal mehr herauskitzeln könnten.


**** solide

BRILLIANT von Ralf zur Linde für eine:n bis sechs Spieler:innen, Ravensburger.

Samstag, 21. Juni 2025

Castle Combo

Castle Combo: Cover

Die Klimakatastrophe bedeutet unweigerlich Verlust: Verlust von Sicherheit, Verlust von Wohlstand, Verlust von Lebensqualität, Verlust von Lebensräumen. Was wiegt da der Verlust von Einleitungen?

Wie geht CASTLE COMBO? Jede Runde kaufe ich eine Karte und lege sie in mein Raster, das am Schluss die Größe dreimal drei hat. Die Karten kosten zwischen null und sieben Münzen, haben Sofort- (ich bekomme Geld oder Schlüssel) oder Dauereffekte (Rabatte für weitere Karten) und zählen Punkte, sofern die Bedingungen dafür erfüllt sind.
Der Kanonier zählt zwei Punkte pro rotes Wappen in seiner Spalte (er selbst bringt auch ein rotes Wappen mit), die Goldschmiedin bringt sechs Punkte, falls sie in der linken Spalte meines Rasters liegt, der Templer zählt einen Punkt pro Schlüssel in meinem Besitz und die Bildhauerin je zwei Punkte für bis zu sieben Münzen, die ich bei Spielende noch habe. Insgesamt gibt es 78 Karten, alle verschieden.

Castle Combo: Auslage

Als Angebot liegen je drei Karten in zwei Reihen aus: in der oberen Reihe die tendenziell teureren „Schlosskarten“, in der unteren die „Dorfkarten“. Jede Karte bringt mindestens ein Wappen: die Schlosskarten überwiegend blaue, violette und grüne, die Dorfkarten überwiegend die restlichen Farben.
Meine Auswahl ist ziemlich eingeschränkt. Ich darf nur aus der Reihe kaufen, neben der die Heroldfigur steht. Die wechselt ihre Position, sobald jemand eine Karte mit Heroldsymbol kauft (fast die Hälfte aller Karten hat eins). Oder wenn ich einen Schlüssel bezahle. Einen Schlüssel kostet es auch, die drei Karten der Heroldreihe abzuwerfen und neue vom Nachziehstapel hinzulegen. Allerdings darf ich pro Zug nur einen Schlüssel einsetzen.

Was passiert? Ich bin nicht so leicht in das Spiel reingekommen, denn man bekommt so einige Symbole um die Ohren gehauen, die man erst mal verstehen muss, und man hat überhaupt keine Einschätzung, was eine gute oder eine schlechte Karte sein könnte, wie viel Punkte man so macht, wie die Wahrscheinlichkeiten sind. Man muss sich vorwärtstasten, und das Punkteergebnis der ersten Partie wird wahrscheinlich nicht so brillant werden.

Castle Combo: Karten

Auch spätere Ergebnisse müssen nicht zwangsläufig toller ausfallen, denn CASTLE COMBO hat einen hohen Glücksfaktor. Manchmal passt mir gar nichts von dem, was ich kaufen muss. Manchmal zerrinnt viel zu schnell mein Startkapital, weil keine Karte angeboten wird, die auch mal wieder ein paar Münzen zurückbringt. Manchmal experimentiere ich – und das Experiment geht irgendwie schief.
Dass man experimentieren kann, gehört zu den Pluspunkten von CASTLE COMBO. Es macht Spaß, herauszufinden, was erfolgsversprechend ist und was weniger. Weil ich auf das Spiel der anderen nur wenig Einfluss habe, spiele ich auch immer gegen meinen eigenen Highscore.

Was taugt es? Den relativ geringen Entscheidungsspielraum empfinde ich als dem Spiel angemessen. Ich muss zwischen drei Karten wählen. Der Einsatz eines Schlüssels bewirkt, dass es noch mal drei andere Karten sind. Das beschleunigt die Abläufe. Und Tempo halte ich in einem Spiel, in dem wir nacheinander an die Reihe kommen und zwischendurch wenig planen können, für entscheidend, um die Spannung hochzuhalten.
Und spannend ist CASTLE COMBO. Ich fiebere mit, welche Karten für meinen Zug in den Markt rutschen. Und wenn schon vor meinem Zug passende ausliegen: dass sie liegen bleiben. Gelegentlich zocke ich auch: Eine Karte, die ich haben möchte, ist schon da – aber der Herold steht in der anderen Reihe. Vielleicht kann ich die Karte noch eine Runde liegen lassen, und beim nächsten Mal steht der Herold richtig. Das Risiko würde ich aber allenfalls im Zweier- oder Dreierspiel eingehen. Zu mehreren ist der Durchlauf zu groß für solche Spekulationen.

Castle Combo: Raster

Ich finde es erstaunlich, mit welch einfachen Mitteln CASTLE COMBO Spielreiz erzeugt. Im Grunde ist es ja nur: Hier liegen ein paar Karten, wähle die beste. Aber hinzukommt: a) die Verlockung: Setze ich einen Schlüssel ein, wird es vielleicht noch besser. b) das Haushalten. Welche Karte die stärkste ist, ließe sich vielleicht ohne großes Nachdenken ermitteln. Aber das Geld reicht nicht aus, um jedes Mal die stärkste Karte zu kaufen. Das macht die Entscheidungen selten trivial.
Und schließlich c) die Abwechslung. Weil ich nur zwischen wenigen Karten wählen kann, bin ich gezwungen, in jeder Partie ein bisschen anders zu spielen, andere Dinge zu sammeln, mein Raster anders zu bauen. So bleibt die Neugierde auf weitere Partien erhalten.
Dass es tatsächlich Können ist, die richtigen Entscheidungen zu treffen, lässt mich glauben, mein Schicksal selbst in der Hand zu haben. Ohne dieses Gefühl würde mich das Spiel irgendwann langweilen. Wegen der vielen Unwägbarkeiten habe ich es größtenteils aber doch nicht in der Hand. Jede Partie bedeutet Abstriche und Kompromisse, und ich will es gerne wieder versuchen.


***** reizvoll

CASTLE COMBO von Grégory Grard und Mathieu Roussel für zwei bis fünf Spieler:innen, Kosmos.

Freitag, 13. Juni 2025

Sherlocks Spürnasen

Sherlocks Spürnasen: Cover

Was meine Einleitungen angeht, muss ich wohl als Serientäter gelten. Oder als Serienuntäter?

Wie geht SHERLOCKS SPÜRNASEN? Wir sind Sherlocks Spürnasen, ein Ermittlerteam bestehend aus Maus, Meise, Vogelspinne und Frosch. Kooperativ lösen wir sechs Kriminalfälle plus Tutorial.
Pro Fall steht uns eine gewisse Menge an Zeitmarkern zur Verfügung. Jeder Besuch eines Ortes kostet einen davon. Sind die Zeitmarker aufgebraucht, haben wir – Überraschung – nur so halb verloren, denn wir dürfen trotzdem weiter ermitteln, bis wir am Ziel sind.

Sherlocks Spürnasen: Spielplan

Der Spielplan (er hat eine Tag- und eine Nachtseite) zeigt die möglichen Zielorte. Fast immer interagieren wir dort mit anderen Tieren. Wir beobachten Dinge, erhalten Gegenstände, bekommen Informationen. Karten mit Gegenständen oder Informationen und auch unsere Charakterkarten haben Strichcodes, die wir mit den Strichcodes anderer Karten kombinieren können. Zum Beispiel den stets diplomatischen Frosch mit schwierigen Gesprächspartnern oder einen potenziell hilfreichen Gegenstand mit einem Ort. Zeigt sich eine gültige Verbindung, schalten wir weitere Informationen oder Dinge frei.


Sherlocks Spürnasen: Charaktere

Was passiert? Nicht die Auflösungen und erst recht nicht die Mechanismen sind das Besondere an SHERLOCKS SPÜRNASEN. Es ist die Geschichte. Sie wird konsequent aus Tiersicht erzählt. Auch wenn sie vermenschlicht sind, behalten sowohl die vier Held:innen als auch alle Nebencharaktere etliche ihrer tierischen Eigenschaften. Die Welt der Tiere ist eine Parallelwelt zur Menschenwelt. Dadurch ergeben sich schöne Kontraste. Immer wieder kommt es auch zu Überschneidungen, und SHERLOCKS SPÜRNASEN erzählt mit viel Augenzwinkern, wie die Tiere uns wahrnehmen und beurteilen.
Die Geschichte ist witzig, Dialoge und Pointen sitzen. Die Zeichnung der Nebencharaktere ist besonders gelungen. Häsin Beatrix, Eichhörnchen Rosetti, Rabe Nevermore und einige andere begegnen uns immer wieder und nerven oder erfreuen uns mit ihren Marotten. SHERLOCKS SPÜRNASEN erschafft einen charmanten eigenen Kosmos. Jeder Fall ist Teil der übergeordneten Gesamterzählung. Alles entwickelt sich weiter, auch unsere Charaktere wachsen im Laufe der Geschichte an ihren Aufgaben und Erfolgen.

Was taugt es? SHERLOCKS SPÜRNASEN lebt davon, dass jemand in der Gruppe Lust und im Bestfall auch das Talent hat, um laut vorzulesen. Die Texte fesseln, aber sie sind lang. Das Spiel erfordert Zeit und Muße.

Sherlocks Spürnasen: Strichcode

Ich denke nicht, dass ich SHERLOCKS SPÜRNASEN Unrecht tue, wenn ich sage, es ist in erster Linie ein Lese- und Vorlesespiel. Mechanisch gab es das alles schon und auch weitaus raffinierter und mit mehr Rätseln und Knobeleien. In SHERLOCKS SPÜRNASEN sollen wir uns wohlfühlen, wir sollen Erfolg haben. Deshalb sind die naheliegenden Lösungsansätze oft auch die richtigen. Deshalb befinden sich in den Texten sogar Unterstreichungen, damit man das Wichtigste auf keinen Fall überliest. Und deshalb kann man sich während der Fälle auch noch zusätzliche Tipps holen. Trotzdem wären wir im zweiten Fall beinahe ins Straucheln gekommen. Von einer nicht so gelungenen Ortskartenanweisung wurden wir zwischenzeitlich in die Irre geführt.
Im Laufe der Kampagne werden die Fälle immer umfangreicher – und verlieren für mein Empfinden ihre Leichtigkeit. Was mit der niedlichen Mission beginnt, Sherlocks Lieblingsmütze wiederzufinden, bekommt zunehmend ernste und düstere Untertöne und mündet in einen großen Finalkampf gegen einen unheimlichen Endboss. Die einfallsreiche Detektivgeschichte wandelt sich in ein typisches Abenteuer, in dem sich Gut und Böse duellieren.
Nicht die Ernsthaftigkeit als solche stört mich. Es muss ja nicht immer von der heilen Welt erzählt werden. Aber große Finalkämpfe empfinde ich als so herkömmlich und ausgelutscht, dass ich dieses Ende der Kampagne gar nicht als ihren Höhepunkt begreifen kann. Das Originelle, Besondere und Interessante spielt sich für mein Empfinden mehr in den vorderen Teilen der Geschichte ab als im Finale.


**** solide

SHERLOCKS SPÜRNASEN von Dave Neale und Clémentine Beauvais für eine:n bis vier Spieler:innen, Mirakulus.

Montag, 9. Juni 2025

Vor 20 Jahren (150): Schatten über Camelot

Zeitungsausschnitte

Schon vor etwa 20 Jahren deutete sich an, dass Spielkritik in Tageszeitungen einen zunehmend schwereren Stand haben würde. Zeitungen kämpften mit Auflagen- und Anzeigenverlust und wollten sparen, sparen, sparen. Prominentester Beleg des Niedergangs war die sang- und klanglose Einstellung der traditionsreichen Spielerubrik in der Süddeutschen Zeitung.

Die Entwicklung hat sich fortgesetzt und dazu geführt, dass ich immer weniger Lust hatte, für Tageszeitungen zu schreiben. Wochenendteile und Beilagen wurden gestrichen oder mit denen anderen Zeitungen zusammengelegt. In den Redaktionen gab es viele Personalwechsel und geänderte Zuständigkeiten; statt Redakteur:innen wurden Volontär:innen oder gar Praktikant:innen meine Ansprechpartner:innen, durften aber nichts allein entscheiden, was Absprachen kompliziert machte und in die Länge zog. Statt Kritiken waren immer häufiger nur Spiele-Tipps gefragt. Und selbst um die unterzubringen, musste man mehr kämpfen. Falsch fühlte es sich ohnehin an; Spiele wurden zu „Geschenkideen“ degradiert.

Vor ein paar Tagen habe ich meine Zeitungsbelege des Jahres 2005 ins Altpapier geworfen und vorher (auf Inspirationssuche für diese Rubrik) noch einmal durchgeblättert und war doch ziemlich überrascht, wie wenig mich der Negativtrend damals noch betraf. Meine Erinnerung wäre anders gewesen. 2004 hatte ich in der Fairplay einen größeren Bericht über das Kolumnensterben geschrieben, und ich hätte gedacht, das sei aus einer größeren persönlichen Betroffenheit heraus geschehen. Tatsächlich hatte auch ich 2004 zum ersten Mal eine Kolumne verloren. Aber so schwer wog das offenbar nicht. Ich hatte noch viele Veröffentlichungsmöglichkeiten. MANILA, ein gutes, aber sicher nicht das Top-Spiel des Jahres, hatte ich in immerhin vier Zeitungen besprochen und in drei Zeitungen SCHATTEN ÜBER CAMELOT. Damals konnte ich die Spiele noch nach meinen eigenen Kriterien auswählen und darüber schreiben, was ich wollte. Es musste keine Empfehlung sein.

Von SCHATTEN ÜBER CAMELOT (Bruno Cathala und Serge Lalet bei Days of Wonder) war ich nämlich gar nicht so sehr begeistert. Ich bemängelte die Anleitung, ich nörgelte, trotz atmosphärischer Grafik und exzellentem Spielmaterial blieben die Abläufe überraschend abstrakt, und das Spiel sei schlecht ausbalanciert. Der Verrat-Mechanismus funktioniere nur in großer Runde gut.

Ich besitze SCHATTEN ÜBER CAMELOT schon lange nicht mehr, deshalb habe ich mein Urteil seit schätzungsweise 19,5 Jahren nicht mehr überprüft. Kooperative Spiele waren vor 20 Jahren noch ungewöhnlich; möglicherweise hatte ich einfach nicht die richtigen Runden dafür. Mich erstaunte dann, dass SCHATTEN ÜBER CAMELOT in der allgemeinen Wahrnehmung deutlich besser abschnitt als in meinen Gruppen. Das Spiel heimste Nominierungen und Auszeichnungen ein und bekam sogar einen Sonderpreis „Fantastisches Spiel“ der Spiel-des-Jahres-Jury.

Heute weiß man vom überragenden Siegeszug der kooperativen (Euro-)Spiele für Erwachsene. PANDEMIE (Matt Leacock, 2008) war der entscheidende Durchbruch. Wenn man nach Wegbereitern fragt, also älteren, vergleichbaren Spielen, die dank weltweiter Verbreitung Inspiration und Vorbild sein konnten, wäre meine erste Antwort Reiner Knizias DER HERR DER RINGE (2000). Und die zweite: SCHATTEN ÜBER CAMELOT.

Im englisch- und französischsprachigen Raum dürfte SCHATTEN ÜBER CAMELOT sogar das bedeutendere Spiel gewesen sein. Auf Boardgamegeek hat es mehr Bewertungen und steht einige Plätze höher als DER HERR DER RINGE. Sicher liegt das auch daran, dass DER HERR DER RINGE „zu früh“ da war, noch kurz bevor das Spielen international boomte. Aber ganz unabhängig von der Frage, welches der beiden Spiele nun wichtiger war: Die Besonderheit von SCHATTEN ÜBER CAMELOT habe ich 2005 klar unterschätzt. Ich hätte nie geahnt, dass sich hier ein mächtiges Genre entwickeln könnte, für das dieses Spiel mitbegründend wäre.

Ich glaube, meine Vorstellung von einem guten Spiel war damals noch enger. Aber zum Glück erweitert Spielen ja Horizonte. Auch spielerische Horizonte. Die Spiele sind in den vergangenen 20 Jahren gewachsen, man selbst wächst – hoffentlich – mit.


Donnerstag, 5. Juni 2025

Foxy

Foxy: Cover

Null.

Wie geht FOXY? FOXY ist ein Gedächtnisspiel. Es enthält 48 großformatige Landschaftskarten. Die zeigen jeweils eine von vier Landschaften: Bauernhof, Wald, Savanne oder Ozean. Und darin eins, zwei oder drei Tiere. Auf dem Bauernhof könnten dies Schwein, Huhn und Katze sein, im Wald Bär, Hase und wieder Katze. Alle Tiere sind einem bestimmten Lebensraum zugeordnet – mit Ausnahme der Katze, die überall sein kann.
Zufällige 19 dieser Karten mischen wir unbesehen zusammen, hinzu kommt die Sonderkarte „Foxy“. Sie bilden einen Stapel, von dem wir nacheinander Karte für Karte aufdecken (und die bisherigen überdecken).
Meine Aufgabe nach jeder Karte: Ich soll notieren, wie viele Tiere der abgebildeten Sorten bislang insgesamt vorkamen. Bei den ersten Karten ist das noch leicht: Wenn es mit Bär, Hase und Katze losgeht, notiere ich eine Drei. Dann kommt der Ozean mit einem Delfin. Eins. Jetzt ein Hase allein im Wald. Zwei. (Denn da war ja schon mal einer.) Savanne mit Giraffe und Katze: wieder die Drei.

Foxy: Karten

Je mehr Karten im Spiel sind, desto unsicherer wird man. Beim vierten Wald weiß ich schon nicht mehr genau, ob jedes Mal ein Hase dabei war. Und wie viele Katzen es gab. Ich fange an zu schätzen – aber ich sollte nicht überschätzen. Meine notierte Zahl bekomme ich als Punkte, falls sie richtig oder zu niedrig ist. Ich gehe leer aus, ist meine Angabe zu hoch.

Was passiert? FOXY ist neben der Merkaufgabe also auch ein bisschen Zock. Ein gutes Bauchgefühl kann Wissenslücken ausbügeln. Wobei Wissen letztlich natürlich besser ist. Wer gewinnen will, muss vollkonzentriert sein und FOXY von der ersten Karte an ernst nehmen. Jede Unaufmerksamkeit bringt mich raus. Ich schwimme, ich rate, ich verliere Punkte.
Am Schluss werten wir alle 20 Karten der Reihe nach aus. Verglichen mit der Gesamtspielzeit ist diese Phase recht lang. Aber das stört bei FOXY gar nicht – denn jetzt ist es spannend: Entsetzen hier („Waaas?! Das war die erste Giraffe?“), Triumph dort („Volltreffer! Fette 18 Punkte!“).

Was taugt es? Die Dramaturgie ist gelungen. Den Auftakt kriegt noch fast jede:r hin, wir starten mit Erfolgserlebnissen. Und während dann bei zunehmender Kartenzahl die Unsicherheit steigt, gehen die immer fetteren Punkte über den Tisch. Man kann im Finale viel gewinnen – und viel verlieren.
Tauchten die Tiere völlig beliebig auf allen Karten auf, wäre es schnell nur noch ein knallharter Inselbegabungstest. Der Trumpf von FOXY ist die Gruppierung der Tiere nach Lebensraum. Dies ist genau die nötige Merkhilfe, um die Tiermengen gedanklich strukturieren zu können und gleichzeitig ein Gefühl für die Mengen zu behalten. (Und die Katze ist das genau richtig dosierte Chaoselement, um das Muster wieder zu durchbrechen.)

Foxy: Auswertung

Wie bei Merkspielen üblich, gibt es Personen, denen das liegt, und andere, denen das weniger liegt. In festen Gruppen weiß man meist vorher, wer überhaupt Siegchancen hat und wer nur um die weiteren Plätze mitspielt. Immer wieder erlebe ich auch, dass Menschen Merkspiele generell ablehnen. Auch FOXY, so sympathisch es daherkommt, lockt solche Spieler:innen nicht zweimal an den Tisch. Was schade ist. Aber nicht der Fehler des Spiels.
Mit 15 Minuten Spieldauer wäre FOXY genau richtig als kleines Spiel, das man überall mitnehmen kann, um es bei Gelegenheit schnell mal auszupacken. Jedoch hat der Verlag (vermutlich weil abwischbare Tableaus und Stifte drin sind und damit es in eine Reihe mit BIRDIE passt) dem Spiel eine übergroße Schachtel gegönnt, die leider so gar nicht in jede Tasche passt.
Viel Neues bietet FOXY von Partie zu Partie nicht, man ist bald nicht mehr so überrascht, es gibt eine Lernkurve. Kinder stören sich an Wiederholungen üblicherweise weniger. Bei Familien mit Kindern könnte ich mir FOXY im Dauereinsatz vorstellen. In Erwachsenenrunden verfliegt der Anfangsreiz von FOXY etwas. Und ausgerechnet die Sonderregeln, die ein bisschen Variation bringen, finde ich nicht ganz so gelungen.
Die „Foxy“-Karte kann auf dreierlei Weise gewertet werden. Ihre Hauptvariante unterläuft die Regel „Doppelt oder nichts“: Einmal pro Partie darf ich eine Zahl einkreisen, und stimmt sie exakt, werden deren Punkte verdoppelt. Mit der „Foxy“-Wertung kann das bisweilen zu einfach werden und dem „Doppelt oder nichts“ seinen Reiz nehmen.
Um aber nicht mit Nörgelei zu enden: FOXY ist ein sehr sympathisches Spiel, das von der Klarheit der Aufgabe und seiner attraktiven Aufmachung lebt. Wenn jemand eine Runde FOXY einschieben möchte, sage ich bestimmt nicht nein.


**** solide

FOXY von David Spada für eine:n bis fünf Spieler:innen, Game Gactory.