Donnerstag, 20. April 2017

Tempel des Schreckens

Höhle des Grauens, Landeplatz der Versager, TEMPEL DES SCHRECKENS: Bei Schmidt lieben sie offenbar dramatische Schauplätze ebenso wie den Genitiv … womit ich zugleich an goldene Zeiten zurückdenke, als REZENSIONEN FÜR MILLIONEN noch cool und kreativ war. Zugegeben, die kreativen Einlagen stammten schon damals nicht von mir.

Wie geht TEMPEL DES SCHRECKENS? Wir sind Abenteurer oder Wächterin. Jeder zieht eine geheime Identitätskarte. Die Abenteurer sind in der Überzahl und wollen (abhängig von der Zahl der Mitspieler) eine bestimmte Menge Schätze finden. Die Wächterinnen wollen die Abenteurer in Feuerfallen locken oder die Schatzsuche zumindest verzögern. Sind nach vier Durchgängen die nötigen Schätze nicht aufgedeckt, gewinnen die Wächterinnen auch ohne ausgelöste Fallen.
Im ersten Durchgang bekommt jeder fünf Karten. Sie zeigen Schätze, Feuerfallen oder (meist) leere Kammern. Jeder schaut sich seine Karten an, mischt sie und legt sie in einer Reihe vor sich aus. Man weiß also, was man hat, kennt aber nicht die genaue Position.
Der Startspieler muss irgendeine Karte bei einem anderen Spieler aufdecken. Danach ist dieser Spieler am Zug und deckt ebenfalls eine fremde Karte auf. Das geht hin und her, bis mitspielerzahlviele Karten offen liegen. Alle verbliebenen Karten werden gemischt, jeder bekommt nun vier, wieder wird aufgedeckt. Dann dasselbe noch mal mit drei, schließlich mit zwei Karten pro Spieler. Spätestens danach ist Schluss.


Was passiert? Das Spiel dreht sich um Vertrauen, Lüge und Bluff. Jeder darf beliebige Aussagen über seine Karten treffen, um den Spieler am Zug zu beeinflussen. Bin ich Abenteurer und habe Schätze, preise ich meine Karten natürlich an. Bin ich Wächterin und habe Schätze, halte ich wohl lieber die Klappe.
Blöd wäre es allerdings, wenn jemand bei mir aufdeckt, einen Schatz findet, und nun der Verdacht im Raum steht, ich hätte den Schatz verbergen wollen. Lernerfolg: Eventuell sage ich als Wächterin meine Schätze doch an, erfinde aber zur Abschreckung eine Feuerfalle hinzu. Oder: Ich gebe offen und ehrlich meine Schätze bekannt und arbeite vermeintlich im Team der Abenteurer mit. Und warte insgeheim darauf, später (hoffentlich) eine Falle zu bekommen und einen vertrauensseligen Abenteurer hineintappen zu lassen.
Das Schöne an TEMPEL DES SCHRECKENS: Man muss zwar gelegentlich lügen, aber man muss nicht schauspielern. Das senkt Hemm- und Einstiegsschwelle enorm. Das weniger Schöne: Nicht jede Partie ist gleichermaßen spannend. In kleinen Runden ist schneller klar, wer wer ist. Die besten Erfahrungen habe ich ab sechs Spielern gemacht.
Aber selbst dann ist TEMPEL DES SCHRECKENS kein Selbstläufer. Wenn die Kartenverteilung den Wächterinnen kaum Einflussmöglichkeiten bietet oder die Wächterinnen nicht recht wissen, wie sie es anstellen sollen, verlaufen die Partien eher mau. In sehr großen Runden passiert es auch immer wieder, dass einige Spieler fast nur zuschauen, weil niemand ihre Karten aufdeckt und sie somit auch nie selber aufdecken dürfen.
Andererseits haben auch solch große Runden ihren Reiz. Man kriegt nicht alle Ansagen so genau mit, vergisst Informationen wieder. Man macht Fehler, die man in kleinerer Runde nicht machen würde, und dadurch wiederum entstehen neue Verdachtsmomente …


Was taugt es? Schon mehrere Spieleabende sollten mit „nur noch einmal“ TEMPEL DES SCHRECKENS enden, und dann wurden wieder fünf, zehn oder 15 Partien daraus. Wenn das noch zweimal passiert (und sehr wahrscheinlich passiert es noch zweimal), ist meine Partienzahl dreistellig – und ich habe immer noch Lust auf mehr und bin immer noch neugierig, was passiert. Diesen Langzeitreiz finde ich außerordentlich, auch wenn ganz bestimmt nicht jede Partie und erst recht nicht jede Partie mit jeder Mitspielerzahl ein Volltreffer war.
TEMPEL DES SCHRECKENS kreiert überraschende, unterhaltsame, lustige Momente: Wenn Mitspieler so kryptisch kommunizieren, dass man nie weiß, was sie eigentlich sagen wollen. Wenn jemand so tut, als hätte er das Spiel noch nicht so ganz verstanden, einen in Wahrheit aber ausgebufft abzockt. Wenn sich die Wächterinnen gegenseitig ausbluffen, weil sie nichts voneinander ahnen. Wenn Mitspieler mit Unschuldsgesicht lügen, dass sich die Balken biegen. Wenn man in Fifty-Fifty-Situationen beim Aufdecken genau die richtige Karte erwischt … oder genau die falsche.
Das Spielen in zwei Teams gibt dem Spiel seinen Extrakick. Es im Team geschafft zu haben, fühlt sich besonders belohnend an. Man atmet gemeinsam auf, wenn es gerade noch einmal gut gegangen ist. Man klopft sich auf die Schultern, wenn man den Richtigen vertraut hat. Man triumphiert, wenn man die anderen hereinlegt.


TEMPEL DES SCHRECKENS von Yusuke Sato für drei bis zehn Spieler, Schmidt.

1 Kommentare:

Kai Frederic hat gesagt…

Momentan eines meiner Lieblingsspiele. Die letzte Runde war so ein Erlebnis wie beschrieben. Ich war Wächterin und irgendwie war am Ende allen klar, dass bei mir sowohl die letzte Falle als auch der letzte Schatz lagen (welch Fügung!) obwohl ich gesagt hab, dass bei mir 2 leere Räume liegen. Also decken die Abenteurer die ganze Zeit leere Räume auf bis sie sich beim letzten Zug dafür entscheiden welche der beiden Karten sie nun aufdecken. War zum Glück die Falle :D

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