Freitag, 14. März 2014

Die Glasstraße

Manchmal läuft es einfach. Du hast ein Autogramm von einem Fußballer, der neulich noch in der vierten Liga kickte und kaum jemandem ein Begriff war – und plötzlich wird der Typ Nationalspieler und du kannst stolz dein Besitztum vorzeigen: Hier! Ich hab’s ja schon immer gewusst!
Und so ähnlich geht es mir mit WIR SIND SCHWANGER, dem ich über fast zehn Jahre und alle brutalstmöglichen Spieleaussortierungen hinweg die Treue gehalten habe, einfach weil der Kartenmechanismus so schön ist. Und nun greift Uwe Rosenberg diesen Mechanismus abgewandelt tatsächlich wieder auf. – Tja, bin ich cool, oder was?

Wie geht DIE GLASSTRASSE? Wir besitzen einen Spielplan mit Wäldern, Seen und Sandgruben. Darauf schaffen wir uns Platz und bauen aus Lehm, Holz, Ziegel und Glas Häuser. Diese bringen entweder eine Sofortbelohnung (z. B. Nasslager: sofort vier Holz, dazu ein Punkt bei Spielende). Oder sie offerieren uns für den Rest des Spiels einen Tauschkurs (z. B. Pottaschesiederei: jederzeit für ein Wasser und ein Holz vier Kohle, dazu ein Punkt bei Spielende). Oder sie zählen einfach nur Punkte (z. B. Dorfkirche: vier Punkte plus einen weiteren pro angrenzendem freien Feld).
Rohstoffe erhalten wir nicht in Form von Pöppeln oder Plättchen. Wir markieren sie auf zwei Anzeigerädern. Das Besondere dabei: Glas und Ziegel werden automatisch produziert, sobald die erforderlichen Zutaten beisammen sind. Habe ich mindestens eine Kohle, ein Lehm, eine Nahrung, drehe ich das entsprechende Rad weiter. Nun wird mir ein Ziegel mehr angezeigt, von den anderen Materialien jedoch einer weniger. Das kann sogar nachteilig sein, beispielsweise wenn ich die Nahrung eigentlich anderweitig hätte verwenden wollen.
Kern des Spiels ist ein Kartenmechanismus. Jeder Spieler besitzt dieselben 15 Personenkarten und wählt davon fünf für den laufenden Durchgang (z. B. Fischzüchter: Zahle eine Kohle und nimm a) zwei Nahrung und / oder b) eine Nahrung pro See). Von den fünf Karten zückt nun jeder geheim eine, und reihum wird aufgedeckt. Haben andere Spieler dieselbe Karte auf ihrer Hand, müssen sie diese nun ebenfalls spielen. In dem Fall erhält jeder der Beteiligten nur einen der beiden möglichen Karteneffekte (a oder b). Ist jemand mit seiner Karte allein, erhält er a und b.
Nur drei der fünf Karten werden aktiv ausgespielt. Hier hofft man, der einzige Spieler zu sein, um den vollen Effekt zu genießen. Bei den beiden restlichen Handkarten ist man darauf angewiesen, dass sie durch die Mitspieler gezogen werden. So verdirbt man den anderen ihre Aktion und gewinnt selber eine hinzu.

Was passiert? DIE GLASSTRASSE erfordert Eingewöhnung. Einerseits muss man die Wirkung von 15 Karten verinnerlichen, andererseits eine wechselnde Gebäudeauslage im Griff haben. Erst ab der vierten Partie hatte ich das Gefühl, meine Aktionen mit Sinn füllen zu können. Die komplexen Wechselwirkungen sind überdies Fehlerquellen. Immer wieder kommt es vor, dass jemand Personenkarten auswählt, deren Kosten er gar nicht bezahlen kann (entweder aufgrund eines Planungsfehlers oder weil die Karte zu früh aus der Hand gezogen wird).
Gleichwohl ist der Kartenmechanismus absolut reizvoll. Welchen Rohstoff brauchen die anderen? Welchen Charakter werden sie daraufhin wählen? In welcher Reihenfolge spiele ich meine Karten? Zocke ich darauf, dass die allerwichtigste von einem Mitspieler gezogen wird oder spiele ich sie sicherheitshalber selbst?
Beobachte ich, wie jemand seine Strategie auf das Ausbuddeln vieler Sandmulden abstellt, liegt es nahe, jedes Mal den Muldenarbeiter auf die Hand zu nehmen, um mich an die erwartete Aktion zu hängen. Das kann jedoch auch nach hinten losgehen. Sind mir bereits zwei meiner fünf Karten gezogen worden, bin ich plötzlich selber der Depp, der den Muldenarbeiter spielen muss, und liefere dem Kollegen statt zu schmarotzen eine Vorlage.
Die anderen Elemente von DIE GLASSTRASSE besitzen nicht diese Emotionalität. Und sie fühlen sich auch verbrauchter an. Häuser, die dieses gegen jenes tauschen, kennen wir schon. Häuser, die für dieses und jenes Punkte zählen, ebenso. Dass wir uns diesmal bei der Glasherstellung im Bayrischen Wald befinden, ist einfach nur ein anderes Kolorit.
Mehr noch: Der Spielfluss, den das Karten-Element bringt, wird durch das Gebäude-Element wieder ausgebremst. Gruppen, die wissen, was sie wollen, spielen natürlich schneller als Anfängerrunden. Trotzdem ergeben sich auch mit Fortgeschrittenen Situationen, in denen die Planung nicht hingehauen hat und jemand ganz von vorn die Gebäude-Auslage studieren muss, um auszutüfeln, was er überhaupt bauen kann und will.
Obendrein wollen die beiden Spiele-Ebenen nach meinem Gefühl nicht recht zueinander passen. Das Kartenelement besitzt eine starke Ärger-, Zock- und Glückskomponente. In flotteren und lustigeren Spielen wie WIR SIND SCHWANGER oder WIE VERHEXT kommt dieser Reiz unmittelbarer zur Geltung als in einem Entwicklungsspiel mit komplexem Rohstoff- und Gebäudemanagement.
Weil das Karten-Element die Planung erschwert und für ziemliche Schicksalsschläge sorgen kann, ist das Entwicklungs-Element in DIE GLASSTRASSE sehr kurz gehalten: folgerichtig! Denn es wäre ja ätzend, stundenlang hinterherzuhecheln und nicht mehr aufholen zu können. Doch fühlt sich das Entwicklungs-Element dadurch eben auch sehr beschnitten an. An dieser Stelle fehlt DIE GLASSTRASSE die Luft zum Atmen. Die Dramaturgie sackt ab.

Was taugt es? Tolle Ideen – aber vielleicht nicht im perfekt passenden spielerischen Umfeld. Wenn mich jemand zu einer Partie DIE GLASSTRASSE auffordert, sage ich trotzdem nicht nein. Das Karten-Element macht Spaß, und ich bin immer wieder motiviert, die nächste Partie besser zu bestreiten.

DIE GLASSTRASSE von Uwe Rosenberg für zwei bis vier Spieler, Feuerland Spiele.

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