Montag, 24. August 2015
Evolution
„Weniger pädagogisch wertvoll als gedacht“, lese ich in einer Kundenbewertung auf Amazon. Mehr noch: Die Grundzüge der Evolutionstheorie werden nicht adäquat vermittelt. Statt plastisch ausgeformter Figuren enthält das Spiel nur Karten und Pappe!
Wer auch immer auf die Idee gekommen ist, EVOLUTION einem offenbar größeren Kreis von „Vine-“ und „Top 500-Rezensenten“ zukommen zu lassen: Eine richtig gute Idee war das nicht. Zwar hat EVOLUTION nun bombastisch viele Bewertungen – aber was für welche!
Ich behaupte: Vine- und Top 500-Rezensenten sind die falsche Zielgruppe. EVOLUTION ist ein Kennerspiel.
Wie geht EVOLUTION? Jeder von uns ist ein... tja, sagen wir mal: Evolutionär. Wir entwickeln Tierarten und statten sie mit Eigenschaftskarten aus. Je größer die Population, desto mehr müssen die Tiere zu fressen bekommen. Da jeder verspeiste Fress-Chip einen Punkt zählt, ist eine große Population dennoch erstrebenswert. Fehlt Futter, sinkt die Population wieder.
Fressen ist also das Entscheidende. Deshalb nun ein paar Worte zum Thema Nummer eins: In jeder Runde muss jeder Spieler eine seiner Karten für das allgemeine Nahrungsangebot opfern. Die Karten tragen Zahlen von minus drei bis plus neun. Ihre Gesamtsumme bestimmt, wie viel Nahrung in den Vorrat kommt. Anschließend bedienen sich die Spieler reihum aus diesem Gemeinschafts-Pool. Hat ein Spieler mehrere Tierarten, muss er entscheiden, welche von beiden an die Reihe kommt. Manchmal ist genug für alle da. Manchmal aber auch nicht.
Vor der Nahrungsphase hatten die Spieler die Möglichkeit, ihren Tieren mittels Karten Eigenschaften zuzuweisen oder Population oder Körpergröße zu erhöhen. Eigenschaften können fürs Fressen einige Vorteile bringen. „Gefräßig“ beispielsweise bedeutet, immer gleich zwei Chips statt einem zu vertilgen. Tierarten mit „Kooperation“ füttern ihre Kumpels mit durch.
„Fleischfresser“ bringen die friedliche Mampferei durcheinander. Tiere mit dieser Eigenschaft fressen nicht mehr aus dem Vorrat. Sie müssen andere Arten verspeisen. Und das wiederum klappt nur, wenn der Fleischfresser größer ist als sein Opfer. Aber auch kleine Tiere können sich schützen, beispielsweise durch „Warnruf“, den der Angreifer nur mit „Hinterhalt“ oder „Intelligenz“ knacken kann.
Was passiert? Tja. Evolution halt. Der Kampf der Arten ist gnadenlos. Es gibt Spieler, die sind schon nach zwei (von fünf bis sieben) Durchgängen quasi chancenlos. Spielt man mit Anfängern, passiert das immer wieder. Unbedarft werden neue Tierarten ins Spiel und damit anderen zum Fraß vorgeworfen. EVOLUTION verzeiht solche Fehler nicht. Man muss sich reinfinden; man muss wissen, was man tut. Ein Kennerspiel eben.
Mit wachsender Erfahrung findet man Möglichkeiten, um in bedrängter Situation doch noch etwas ausrichten zu können. Trotzdem bleibt das Problem, dass der Führende davonrennen kann, zum Beispiel auch weil sich andere verzocken. Wer mehr Tierarten hat, bekommt mehr Karten. Also will ich früh weitere Tierarten züchten und riskiere vielleicht, dass sie nicht für jeden erdenklichen Fall gerüstet sind. Denn die Eigenschaften spielen wir zunächst verdeckt. Es kann böse Überraschungen geben.
Spiele ich aber immer nur auf Sicherheit, reicht es wohl zu einer guten Platzierung, aber selten zum Sieg. Insbesondere auf Fleischfresser umzuschulen, macht zwar viel Spaß, kann aber auch gnadenlos in die Hose gehen, wenn andere Tiere in Erdlöcher kriechen, auf Bäumen verharren oder einen Schutzpanzer überstreifen. Oft entsteht ein Ungleichgewicht zwischen Groß und Klein und Stark und Schwach. Aber dadurch wird EVOLUTION für mich nicht uninteressant. Es ist authentisch so, außerdem ist eine Partie schnell gespielt. – Doof gelaufen? Dann noch mal!
Was taugt es? EVOLUTION finde ich thematisch überragend. Die Spielprinzipien folgen dem Thema und sind komplett anschaulich. Bei nur 17 verschiedenen Eigenschaften hat man zwar irgendwann alles gesehen. Aber mehr als zehn Partien braucht es dafür schon. Und unterhaltsam ist EVOLUTION selbst dann noch. Ohnehin ist es mir lieber, mit 17 gut getesteten statt mit 35 halbgaren Eigenschaften zu spielen.
Zur Klärung von Details muss man anfangs viel in der Regel nachlesen, aber dazu sind Regeln unter anderem da. Ich finde EVOLUTION auch grafisch gelungen und verstehe in Summe überhaupt nicht, warum dieses Spiel so vergleichsweise wenig Diskussionsthema in den Foren ist. Für mich eines der besten (und leider unterschätzten) Spiele des Jahrgangs.
EVOLUTION von Dominic Crapuchettes, Dmitry Knorre und Sergey Machin für zwei bis fünf Spieler, Schmidt.
Wer auch immer auf die Idee gekommen ist, EVOLUTION einem offenbar größeren Kreis von „Vine-“ und „Top 500-Rezensenten“ zukommen zu lassen: Eine richtig gute Idee war das nicht. Zwar hat EVOLUTION nun bombastisch viele Bewertungen – aber was für welche!
Ich behaupte: Vine- und Top 500-Rezensenten sind die falsche Zielgruppe. EVOLUTION ist ein Kennerspiel.
Wie geht EVOLUTION? Jeder von uns ist ein... tja, sagen wir mal: Evolutionär. Wir entwickeln Tierarten und statten sie mit Eigenschaftskarten aus. Je größer die Population, desto mehr müssen die Tiere zu fressen bekommen. Da jeder verspeiste Fress-Chip einen Punkt zählt, ist eine große Population dennoch erstrebenswert. Fehlt Futter, sinkt die Population wieder.
Fressen ist also das Entscheidende. Deshalb nun ein paar Worte zum Thema Nummer eins: In jeder Runde muss jeder Spieler eine seiner Karten für das allgemeine Nahrungsangebot opfern. Die Karten tragen Zahlen von minus drei bis plus neun. Ihre Gesamtsumme bestimmt, wie viel Nahrung in den Vorrat kommt. Anschließend bedienen sich die Spieler reihum aus diesem Gemeinschafts-Pool. Hat ein Spieler mehrere Tierarten, muss er entscheiden, welche von beiden an die Reihe kommt. Manchmal ist genug für alle da. Manchmal aber auch nicht.
Vor der Nahrungsphase hatten die Spieler die Möglichkeit, ihren Tieren mittels Karten Eigenschaften zuzuweisen oder Population oder Körpergröße zu erhöhen. Eigenschaften können fürs Fressen einige Vorteile bringen. „Gefräßig“ beispielsweise bedeutet, immer gleich zwei Chips statt einem zu vertilgen. Tierarten mit „Kooperation“ füttern ihre Kumpels mit durch.
„Fleischfresser“ bringen die friedliche Mampferei durcheinander. Tiere mit dieser Eigenschaft fressen nicht mehr aus dem Vorrat. Sie müssen andere Arten verspeisen. Und das wiederum klappt nur, wenn der Fleischfresser größer ist als sein Opfer. Aber auch kleine Tiere können sich schützen, beispielsweise durch „Warnruf“, den der Angreifer nur mit „Hinterhalt“ oder „Intelligenz“ knacken kann.
Was passiert? Tja. Evolution halt. Der Kampf der Arten ist gnadenlos. Es gibt Spieler, die sind schon nach zwei (von fünf bis sieben) Durchgängen quasi chancenlos. Spielt man mit Anfängern, passiert das immer wieder. Unbedarft werden neue Tierarten ins Spiel und damit anderen zum Fraß vorgeworfen. EVOLUTION verzeiht solche Fehler nicht. Man muss sich reinfinden; man muss wissen, was man tut. Ein Kennerspiel eben.
Mit wachsender Erfahrung findet man Möglichkeiten, um in bedrängter Situation doch noch etwas ausrichten zu können. Trotzdem bleibt das Problem, dass der Führende davonrennen kann, zum Beispiel auch weil sich andere verzocken. Wer mehr Tierarten hat, bekommt mehr Karten. Also will ich früh weitere Tierarten züchten und riskiere vielleicht, dass sie nicht für jeden erdenklichen Fall gerüstet sind. Denn die Eigenschaften spielen wir zunächst verdeckt. Es kann böse Überraschungen geben.
Spiele ich aber immer nur auf Sicherheit, reicht es wohl zu einer guten Platzierung, aber selten zum Sieg. Insbesondere auf Fleischfresser umzuschulen, macht zwar viel Spaß, kann aber auch gnadenlos in die Hose gehen, wenn andere Tiere in Erdlöcher kriechen, auf Bäumen verharren oder einen Schutzpanzer überstreifen. Oft entsteht ein Ungleichgewicht zwischen Groß und Klein und Stark und Schwach. Aber dadurch wird EVOLUTION für mich nicht uninteressant. Es ist authentisch so, außerdem ist eine Partie schnell gespielt. – Doof gelaufen? Dann noch mal!
Was taugt es? EVOLUTION finde ich thematisch überragend. Die Spielprinzipien folgen dem Thema und sind komplett anschaulich. Bei nur 17 verschiedenen Eigenschaften hat man zwar irgendwann alles gesehen. Aber mehr als zehn Partien braucht es dafür schon. Und unterhaltsam ist EVOLUTION selbst dann noch. Ohnehin ist es mir lieber, mit 17 gut getesteten statt mit 35 halbgaren Eigenschaften zu spielen.
Zur Klärung von Details muss man anfangs viel in der Regel nachlesen, aber dazu sind Regeln unter anderem da. Ich finde EVOLUTION auch grafisch gelungen und verstehe in Summe überhaupt nicht, warum dieses Spiel so vergleichsweise wenig Diskussionsthema in den Foren ist. Für mich eines der besten (und leider unterschätzten) Spiele des Jahrgangs.
EVOLUTION von Dominic Crapuchettes, Dmitry Knorre und Sergey Machin für zwei bis fünf Spieler, Schmidt.
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***** reizvoll
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5 Kommentare:
Sehe ich genauso! Ich kannte ja bereits das russische Original, aber das ist doch noch einmal deutlich besser.
Wenn die "Szene" es ignoriert, dann weil es von SChmidt Spiele ist. Anders kann ich mir das nicht erklären...
Ja, unter dem hauseigenen Kennerspiel-Label "Hans im Glück" wäre so ein Spiel womöglich besser aufgehoben gewesen.
SpaceTrucker
Das ist vermutlich richtig und wir hatten das auch schon angedacht/in Planung. Jedoch gab es einige Faktoren die dagegen sprachen.
So ging das preislich nicht ohne das Spiel im Gegensatz zur Kick-Starter Kampagne abzuspecken (z.B. weniger Kartenarten). Bei Schmidt geht das, aber bei HiG?
Ausserdem gab es Hindernisse bei den Ausländischen Lizenzen (wichtigster Markt mittlerweile).
Und zu guter Letzt haben die Tests genau das gezeigt was hier im Raum steht. Ein gutes Spiel, aber aus irgendeinem Grund kommt es nur "ok" an.
Ausserdem waren die internen Ressourcen schon an Ihrer Belastungsgrenze.
Also für uns 2 große und ein kleines Hindernis mit einem durchschnittlichen (nicht zwingend die hauseigene Meinung) OK als Rückmeldung, haben die Wagge ins negative kippen lassen...
Interessant eine Rückmeldung zu lesen, danke für den Einblick! (den Weg in meinen Spieleschrank wird das Spiel vermutlich so oder so finden, egal was für ein Verlag darauf steht). :)
SpaceTrucker
Das ist wirklich ein Spiel, dessen Potential man erst nach einigen Spielen richtig erkennt.
Wobei wir erst einmal einige Spiele falsch gespielt haben. Die Spielregel ist ok und bei genauem Lesen auch exakt - aber doch irgendwie schwer verständlich.
Aber schon sehr schnell merkt man: Das ist überhaupt kein niedliches Tierspiel. Das ist wunderschön gemein. Und hat zwar einen hohen Glücksfaktor - der aber überhaupt nicht stört. Weil man sehr schön agieren und ausprobieren kann.
Und immer wieder kann der Spielablauf so komplett anders sein. Wie letztens, als wegen der mäßigen Eigenschaftskarten drei der vier Spieler auf maximale Anzahl neuer Tiere gesetzt hatten. Nur der Startspieler hat sein Tier schön ausgebaut.
Und dann hatten die drei Helden vergessen, daß sie bei der Nahrungsmittelversorgung nicht für eine Expansion vorgesorgt hatten. Nur fünf Nahrungsmittel waren im Pool, völlig ausreichend für den Startspieler - ansonsten ein Massensterben. Und bei der nächsten Partie läuft es wieder völlig anders.
R.A.
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