Die journalistische Form, die ich in meiner Fortbildung vor 20 Jahren am schwierigsten fand, war der Kommentar. Problem 1: Man musste sich in dem zu kommentierenden Thema sagenhaft gut auskennen. Und ich hatte das Gefühl, mich in eigentlich keinem relevanten Thema auszukennen. Problem 2: Man musste eine Meinung haben. Und mir war leider das meiste egal. Oder nein, sagen wir so: Es war zu fern von meiner Lebenssituation, um mich in meinem Inneren wirklich zu bewegen.
Als ich es nicht mehr über mich brachte, weiterhin Unausgegorenes über Sterbehilfe oder Kita-Plätze zu fantasieren, schrieb ich in einer Übung einen Kommentar zur Ravensburger-Marke alea, deren Gründung damals gerade bekannt gegeben worden war und in der Spieleszene für Aufsehen sorgte. Und vielleicht weil mich erstmals Eigeninteresse am Thema beflügelte, vielleicht auch nur, weil die Kursleiterin bei Spielen nicht ganz so firm war wie bei all den anderen Dingen: Erstmals hatte sie an meinem Kommentar nichts auszusetzen.
RA, aleas Erstling, kam im Februar 1999 und entwickelte sich in meiner Dienstags-Runde zu einem Dauerbrenner, der über Jahre hinweg immer wieder gespielt wurde. Die Plättchen bekamen Namen und hießen „Sunkist“, „Bücherberg“, „Holsten-Tor“, „real Holsten-Tor“, „Deep Purple in Rock“ und so weiter. Wurde eins aufgedeckt, raunte man seinen Namen. Und weil alle das Spiel im Schlaf beherrschten, war RA der perfekte, schnell gespielte Opener oder Absacker.
Es ist großartig, wenn Spielerunden langfristig ein Lieblingsspiel pflegen können. Man muss nichts mehr erklären, keiner hat einen Wissensvorsprung; man kann ein Spiel komplett ausloten, bis es einem so vorkommt, als würde man darin wohnen. Dieser schöne Luxus ist mir leider – ja, jetzt geht diese Jammerei wieder los – in den vergangenen zehn und noch mehr in den vergangenen fünf Jahren abhandengekommen. Es ist keine Zeit mehr dafür.
Ich muss Neues, Neues, Neues spielen. Und mittlerweile gibt es so viel Neues und auch so viel beachtenswertes Neues, das nicht schon nach zwei, drei Partien abgetan ist, dass meine anderen Spiele, selbst meine Lieblingsspiele, nur noch für das Rentenalter im Regal auf mich warten.
Vor 20 Jahren stand uns das so konkret sicherlich nicht vor Augen, dennoch wüsste ich keine andere Erklärung als prophetische Kräfte, die uns veranlasst haben, eins der Monumente ausgerechnet mit „Kauleiste“ zu betiteln.
Mittwoch, 16. Januar 2019
Vor 20 Jahren (73): Ra
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Vor 20 Jahren
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