Mittwoch, 10. April 2019

Architekten des Westfrankenreichs

Nach NEOM erneut ein knackiges Einleitungs-Rätsel: Wofür steht die Abkürzung ADW? Für „Akademie der Wissenschaften“? Für „Analog-Digital-Wandler“? Für „an der Weinstraße“? Oder für etwas ganz anderes? Tipp: möglicherweise für einen Spieletitel. Oder so.

Wie geht ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS? Wir setzen Arbeiter ein. Aber wir holen sie nicht bei Rundenende wieder zurück. Es gibt nämlich kein Rundenende. Es wird immer weiter reihum ein Arbeiter gesetzt, bis das Spielende da ist, weil eine bestimmte Menge Bauaktionen gemacht wurden (zu zweit zwölf, zu fünft 24).
Dass wir die Arbeiter nicht regelmäßig zurückholen, bedeutet, dass sie sich auf den Einsetzfeldern sammeln, und das ist an ADW das Besondere. Je mehr Arbeiter ich irgendwo habe, desto höher ist mein Ertrag, wenn ich eine weitere Figur dazusetze. Mein erster Arbeiter im Wald bringt ein Holz, mein zweiter zwei, mein fünfter fünf.
Weil jeder nur 20 Figuren hat, eine Partie ADW im Regelfall aber etwas länger dauert als nur 20 Runden, braucht man seine Schergen doch irgendwann zurück. Und dazu gibt es den Marktplatz: Wer hier einsetzt, nimmt von irgendeinem Feld alle Arbeiter einer Farbe. Entweder die eigenen, um den Bestand wieder aufzufüllen. Oder fremde als Gefangene.
Gefangene wiederum kann man gegen Kopfgeld im Gefängnis abliefern oder man behält sie einfach, um dem Mitspieler das Material zu entziehen. Der Mitspieler kann seine Leute aus meinem Privatkerker freikaufen oder aus dem Gefängnis kostenlos zurückholen, aber es bereitet ihm Beschwerlichkeiten und kostet Tempo.
Wer bei Zwischenwertungen zu viele Leute im Knast hat, kassiert außerdem einen Schuldschein und / oder Tugendverlust. Tugend ist ein weiterer wichtiger Aspekt in ADW: weil Tugend erstens Punkte zählt, man zweitens nicht mehr an der Kathedrale mitbauen darf, wenn man auf der Tugendskala zu tief sinkt, aber drittens ab genau diesem Punkt nette Rabatte bekommt, die dazu reizen, noch verruchter zu werden.
Das Gerüst des Spiels ist überaus herkömmlich: RohstoffeRohstoffeRohstoffe sammeln, Gebäude oder Kathedralenabschnitte bauen (beides zählt Punkte), Lehrlinge anheuern, die bestimmte unterstützende Eigenschaften mitbringen und / oder auch Punkte zählen. Und das alles möglichst aufeinander aufbauend und mit Synergien.


Was passiert? ADW geht leicht von der Hand und überraschend schnell. Die meisten Züge erfordern keine große Abwicklung, mit entscheidungsfreudigen Spielern nimmt ADW richtig Fahrt auf.
Auch spielerisch hat ADW Wettrenn-Charakter. Je häufiger die Spieler ihre Arbeiter zur Bau-Aktion schicken, desto früher kommt das Spielende. Da das Bauen einen Großteil der Punkte bringt, ist spielverlängernde Bauverweigerung ganz gewiss keine Strategie. Meine Pläne dürfen nicht zu langfristig angelegt, sondern sollten nach 25 oder 30 Zügen verwirklicht sein.
ADW bietet verschiedene Strategien an. Typisch wäre, eine schöne Kombination von Gebäuden zu errichten. Überraschend gut funktioniert es, ganz plump bei jeder Gelegenheit an der Kathedrale weiterzuwerkeln. Und auch eine Anti-Strategie kann klappen, indem man erst mal alles mitnimmt, was Tugend kostet (Stippvisiten zum Schwarzmarkt beispielsweise, die bei geringem Aufwand wertvolle Rohstoffe einbringen), und auf die Bosheits-Rabatte abzielt. All das kann man noch mit geeignetem Lehrlings-Personal unterfüttern und verfeinern.
Aber: Nicht jede Strategie hat in jeder Partie dieselben Erfolgsaussichten. Zunächst einmal ist man sehr davon abhängig, an welche Gebäude- und Lehrlingskarten man herankommt (es gibt bessere und schlechtere und vor allem welche, die sich ergänzen und ins Konzept passen – oder eben auch nicht). Zudem entsteht am Tisch eine Gruppendynamik. Stürzen sich gleich mehrere auf die Kathedrale, beschleunigt dies das Spielende enorm, und ich komme vielleicht gar nicht mehr dazu, meine ausgeklügelt angeworbenen Lehrlinge effektiv einzusetzen.


Was taugt es? Mir gefällt, dass ADW eine starke psychologische Komponente hat. Eigentlich will man sein Ding durchziehen – aber kann man es wirklich mit ansehen, dass ein anderer schon fünf Figuren im Steinbruch hocken hat und beim nächsten Einsatz dort sechs Steine bekäme?! Oder wenn man eigentlich noch ganz viel vorhat, aber dann doch umdisponiert aus Angst, das Spiel könnte zu schnell vorbei sein. Lustigerweise beschleunigt eine aufkommende Massenpanik das Spiel dann so richtig.
Allerdings: Die Möglichkeit, Figuren einzukerkern – also das spielmechanisch gesehen außergewöhnlichste Element von ADW –, wurde in meinen Runden bei zunehmender Spielerfahrung immer später und seltener genutzt. Oft erweist es sich als Zeitverlust.
Manchen Geschädigten kann es ziemlich hart treffen, weil noch exakt eine große Fuhre Stein nötig war, um alle Baupläne zu verwirklichen, und er nun katastrophale drei Züge bräuchte, um dieselbe Menge Steine zu beschaffen, während andere Spieler unbehelligt weiterscheffeln. Vor allem aber profitiert der Aggressor nicht sonderlich und verliert nur Zeit, so dass das allgemeine Interesse an Gefangennahmen erlahmt. Das, was ADW von ähnlichen Spielen abheben könnte, hat sich mehrmals nicht entfaltet.
ADW ist deswegen nicht uninteressant. Falls jemand eine Partie vorschlägt, wäre ich durchaus dabei, weil es nicht so kommen muss, wie geschildert, das Spiel zudem angenehm grübelfrei ist und ich außerdem neugierig bin, was sich aus einem fein arrangierten Zusammenspiel der Lehrlinge noch herausholen ließe. Ein ganz großes Werk ist ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS in meinen Augen nicht; dazu hält es zu selten, was es verspricht.


**** solide

ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS von Shem Phillips und S. J. Macdonald für einen bis fünf Spieler, Schwerkraft.

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