Das Bratwurmeck kennen natürlich alle, die schon seit 20 Jahren moderne Brett-, Karten- und Würfelspiele spielen. 2005 kam man an HECKMECK AM BRATWURMECK von Reiner Knizia kaum vorbei. Obwohl es weder von der Jury Spiel des Jahres empfohlen worden war noch beim Deutschen Spielepreis unter den ersten Zehn landete, glaube ich, so ziemlich jede:r hat sich mal auf eine feine Portion Würmer ein Päuschen am Bratwurmeck gegönnt. HECKMECK AM BRATWURMECK ist Kult!
Aus heutiger Perspektive (wir sind ja Roll-and-Write- und Push-your-Luck- und sonstwie verwöhnt) ist das vielleicht nicht mehr so ganz nachvollziehbar. Und natürlich kann es auch sein, dass ich HECKMECK AM BRATWURMECK in Verklärung des Vergangen seinen vermeintlichen Kultcharakter auch nur andichte. Aber moderner Journalismus kennt keine Zweifel, moderner Journalismus kennt nur Sensationen. Und weil ich wenigstens einmal modern sein will, sage ich: Kult! Und hier kommen die drei krassesten Gründe, warum.
Es ist erstens die Grafik von Doris Matthäus. Doris Matthäus war seinerzeit die Illustratorin der Herzen. Angefangen mit ZICKE ZACKE HÜHNERKACKE etablierte sie für Zoch die sympathische Hühnerspielewelt. Nicht immer hat bei Zoch thematisch alles gepasst, manches war dann doch arg schräg. Aber dieses eigentlich abstrakte Würfelspiel um Gewinnpunkte in die Tierwelt zu versetzen und statt um Punkte um Würmer zu würfeln, ist genau der Dreh, der einer Mechanik Wärme gibt.
Zweitens: das Material. Die Bratwurmportionen sind robuste Steine aus Kunststoff. Die liegen gut in der Hand, die haben Gewicht, die lassen sich, so wie man das im Spiel wiederholt tun muss, gut stapeln. Unfallfrei. Manchmal wirkt Plastik sogar wertiger als Holz, und ich würde sagen, wie etwa auch AZUL ist dies so ein Fall.
Und schließlich: die Mechanismen. Erst mal scheint es ja nur KNIFFEL zu sein. Ich würfle und lege raus. Aber hinzu kommt dieses verdammte CAN’T STOP: Ich darf immer weiterwürfeln – solange ich einen Wert rauslegen kann, der noch nicht ausliegt. Was von Wurf zu Wurf immer schwieriger wird. Aber wenn man doch so gerne Punkte will …
Dann noch ein Schuss Dramatik: Mindestens einen Wurm muss ich auslegen. Manchmal dauert es, bis ich den endlich würfle. Und falls ich ihn sofort würfle, aber leider nur einen: Genügt mir das oder pokere ich auf mehr in einem späteren Wurf?
Und oben drauf kommt die richtige Dosis Ärgerei: Ich darf Würmerportionen klauen, wenn ich exakt den Wert erreiche, der auf dem Wurmturm einer anderen Person liegt. Was wiederum nicht rein willkürlich geschieht, sondern auch Taktik erfordert. Um etwa genau die 26 zu erreichen und nicht irgendwas darüber, muss ich schon ein bisschen rechnen, was ich überhaupt rauslegen darf und was nicht.
Wenn ich mir vor Augen führe, was alles in HECKMECK AM BRATWURMECK steckt, macht das Spiel auf mich den Eindruck, als hätte man es schon bei 90 Prozent veröffentlichen können, und es wäre akzeptabel gewesen – aber sowohl Autor als auch Verlag haben so lange daran weitergearbeitet, bis es 100 Prozent wurden. Und deshalb ist es (vielleicht) Kult und (definitiv) seit 20 Jahren im Programm.
- Vor 20 Jahren (150): Schatten über Camelot