Montag, 20. Januar 2025

Kathmandu

Kathmandu: Cover

Ich werde oft gefragt: Wer spielte die Flöte in Cat Stevens Song „Katmandu“? Weil ich es weiß.

Wie geht KATHMANDU? Wir machen ein Wettrennen mit Yaks. Entscheidend ist nicht allein der Zieleinlauf, sondern eine Punktwertung.
Das Rennen führt durch verschiedene Landschaften. Wir punkten (unter anderem), indem wir schnell vorankommen. Und wertvolle Waren erwerben (wofür wir Münzen brauchen, und das Yak muss in einer Stadt zum Stehen kommen). Und in Klöstern vorbeischauen (Halt im Kloster erforderlich). Und die Landschaftsarten in einer bestimmten Reihenfolge abklappern: Jede:r mischt zu Beginn einen Stapel Landschaftsplättchen und dreht das oberste um, das beispielsweise Steppe zeigt. Sobald das Yak in einer Steppe stehenbleibt, ist dieser Teilauftrag abgearbeitet, und das nächste Plättchen kommt an die Reihe.

Kathmandu: Parcours

Voran geht’s mit Würfeln. Sechs verschiedenfarbige stehen mir pro Runde zur Verfügung, drei davon setze ich für drei Yak-Bewegungen ein. Bin ich mit meiner Würfelauswahl unzufrieden, darf ich einen Würfel beiseitelegen und den Rest noch einmal würfeln. Was Chance und Risiko zugleich ist. Chance: Mein neuer Wurf könnte besser sein. Risiko: Je weniger Würfel mir verbleiben, desto geringer meine Möglichkeiten.
Der Würfel sollte mit Zahl und Farbe passen. Die Zahl bestimmt die Zugweite meines Yaks. Ich will nicht zu früh stoppen, nicht an meinem angepeilten Zielort vorbeilaufen, nicht gegen ein Gebirge oder den Spielplanrand prallen (gibt Strafe). Und ich will mir einen guten Ausgangspunkt für den nächsten Zug sichern. Denn während eines Zuges biegen die störrischen Yaks nicht ab. Das Manövrieren ist anspruchsvoll.

Kathmandu: Tableau

Die Würfelfarbe bestimmt, welche Ressource ich bekomme. Zum Beispiel bringt mir ein orangefarbener Würfel eine Münze, ein grauer Würfel einen Kompass. Alles kann man gebrauchen, manches häufiger, manches dringender.
Und als hätte man nicht genug zu tun, will man unterwegs auch noch Ausrüstungskarten (für hilfreiche Sondereffekte) und Tierkarten (zählen Punkte) erwerben. Beide kosten jeweils eine vorgegebene Ressource, und es gibt sie nur in bestimmten (stets wechselnden) Gebietsarten. Und auch ihr Erwerb ist ein Wettlauf: Was weg ist, ist weg.

Was passiert? Während meines Zuges muss ich also Diverses unter einen Hut bringen. Will ich in zwei Schritten in einem Kloster landen und muss dafür abbiegen, ist klar, welche Augenzahlen ich brauche. Hoffentlich würfle ich die, und im Bestfall taugen sogar noch die Würfelfarben, und ich sacke hilfreiche Ressourcen ein.

Kathmandu: Ausrüstung

Aber auch die rasch wechselnden Gegebenheiten kann ich nicht außer Acht lassen. Ich will durchaus einige der bei Rundenbeginn neu ausgelegten Karten abgreifen. Schon allein, damit die anderen sie nicht bekommen. Und wenn die Karten nicht gerade dort angeboten werden, wo ich sowieso hinmöchte, verleitet mich das zu Umwegen.
Und ich muss mit meinen Ressourcen haushalten. Laufe ich gegen die Windrichtung, muss ich einen Kompass abgeben. Kann ich das nicht, setzt es eine Strafe. Also will ich schnell aus dem Gegenwind wieder heraus. Und so weiter und so fort.

Was taugt es? KATHMANDU enthält ganz sicher nicht zu wenige Dilemmata. Die sehr vielen Elemente machen KATHMANDU allerdings auch hakelig. Immer wieder muss ich während einer Partie Spieler:innen an Kleinigkeiten erinnern. Man vergisst, für den Gegenwind zu bezahlen. Oder für die Überquerung eines Grenzstreifens. Oder beides. Man vergisst auch, die Ressource der Würfelfarbe zu nehmen oder übersieht, dass man irgendwo hingezogen ist, wo es eine Karte zu kaufen gäbe.
Der an sich simple Zug, das Yak entsprechend der Augenzahl in eine Richtung zu versetzen, zieht manchmal einiges an Verwaltung nach sich. Und man vergisst Dinge, weil das Spiel rein mechanisch und nicht etwa thematisch zusammenhängt. Und weil die Gestaltung das Spiel nicht immer gut unterstützt.
Insbesondere der Gegenwind, der offiziell auch gar nicht so heißt (sondern „Richtung der roten Kompassnadel“), wird oft übersehen, weil es antiintuitiv ist, zahlen zu müssen, während man in die hervorgehobene Himmelsrichtung läuft. Eher würde man eine Strafe erwarten, sobald man gegen die Pfeilrichtung unterwegs ist.
KATHMANDU benötigt viel Tischfläche. Das Spiel ist sehr wertig produziert, es enthält Ablagetafeln aus dicker Pappe für Materialien, die meiner Meinung nach gar keine Ablagetafeln benötigen, sowie Double-Layer-Boards für Dinge, die normalerweise nicht zu verrutschen drohen. Mir soll das egal sein, wenn die Kundschaft es so liebt. Nur wirkt dieser Luxus unverhältnismäßig, wenn gleichzeitig spielrelevante Elemente wie die Grenzstreifen den Praxistest nicht bestehen. Angeblich sollen sie sich prima zwischen die Tableaus klemmen lassen, tatsächlich verrutschen sie aber während der Partie und kippen um.

Kathmandu: Tiere

Auch jenseits der Umsetzung wirkt KATHMANDU auf mich nicht ganz ausgereift. Für mein Empfinden sind Mechaniken enthalten, die das Spiel nur umfangreicher, nicht aber besser machen. Die Sturmfront, die die Spieler:innen verfolgt, kann ein belangloses laues Lüftchen sein. Bei Tierkarten und Landkarten, die wir unterwegs sammeln sollen, erschließt sich mir nicht der spielerische Mehrwert.
Zu einer Partie würde ich dennoch nie nein sagen. Denn vieles ist auch gut: Der Würfelmechanismus und der Nachwürfelmechanismus und die schwerfällige Yakbewegung sind pfiffig. Nicht zuletzt durch das Würfeln wird KATHMANDU nie langweilig. Man hat immer Ziele und Nöte, man hat immer was zu tun. Unterhaltsam ist es definitiv.


**** solide

KATHMANDU von Stefan Feld für zwei bis vier Spieler:innen, Queen Games.

Samstag, 11. Januar 2025

Medical Mysteries: New York

Medical Mysteries New York: Cover

Mittlerweile traurige Normalität: Der Wochenend-Notdienst war überlastet und konnte für diese Einleitung nichts mehr tun.

Wie geht MEDICAL MYSTERIES? Wir sind ein Krankenhausteam und behandeln medizinische Notfälle. Zum Beispiel kommt (im Tutorial) die 53-jährige Luana Kapule in unsere Klinik. Sie klagt über starke Schmerzen und gibt an, bei der Gartenarbeit möglicherweise einen Hitzschlag erlitten zu haben.
Wie bei allen anderen Patient:innen auch – in der NEW YORK-Box gibt es vier weitere – ist unsere wichtigste Aufgabe, das Überleben von Luana Kapule zu sichern. Darüber hinaus sollen wir sie möglichst gut erstversorgen, die Ursachen ihrer Schmerzen herausfinden, die nötigen Maßnahmen ergreifen und die idealen Medikamente verabreichen.
Eine „Zustands-Karte“ zeigt uns, welche Aktionen erlaubt sind. Beispielsweise „Gespräch“, „Urinanalyse“, „Großes Blutbild“, „Ultraschall“, „Antibiotika“, Morphin-Infusion“ und so weiter. Jede Maßnahme führt zu einem Buchstaben-Code, unter dem wir in einem 20-seitigen Heftchen und auf Storykarten nachlesen, was wir erfahren oder bewirkt haben.

Medical Mysteries New York: Tutorial

Nach jeweils drei Aktionen sind im Krankenhaus zwei Stunden vergangen, und wir müssen wieder per Buchstabencode nachsehen, ob sich der generelle Zustand der Patientin verändert hat oder ob neue Wendungen eingetreten sind. Eventuell stehen uns nun andere Maßnahmen zur Verfügung. Oder Maßnahmen bringen ein anderes Ergebnis als noch früher am Tag.
Nach zwölf Aktionen sollten wir unsere Behandlung abschließen und schreiben stichpunktartig ein Protokoll über unsere Erkenntnisse und Empfehlungen. Als Rückmeldung erhalten wir einen Punkte-Score. Unabhängig davon gilt eine Partie als gewonnen, wenn die Patient:innen überleben.

Was passiert? Je nach medizinischer Vorbildung der Spieler:innen kann MEDICAL MYSTERIES lese- und damit arbeitsintensiv sein. Das Spiel enthält fünf doppelseitige Informationsbögen zu Themen wie „Medikamente“, „Blut“, „Tests“, „Herzgesundheit“, „Gehirngesundheit“, „Gynäkologie“. Nicht alles braucht man für jede Partie; man muss filtern.

Medical Mysteries New York: Infotexte

Die Texte vereinfachen die Materie für Spielzwecke natürlich sehr, dennoch stecken sie unweigerlich voller Fachbegriffe. Einiges weiß man möglicherweise auch aus eigener Erfahrung; spezielle Nebenwirkungen oder Gegenanzeigen von Medikamenten gehören aber eher nicht zum Allgemeinwissen. Bevor man irgendwelche weitreichenden Entscheidungen trifft, sollte man sich grundlegend informieren oder zumindest absichern.
Obwohl die Spielhandlung nur aus Lesen, Vorlesen und Diskutieren besteht und das Material nur aus Textkarten und Textblättern mit ein paar Bildern, ist die Immersion enorm. Die fiktiven Patient:innen wirken echt, wir denken uns in ihren Alltag und ihre Verhaltensweisen hinein, wir agieren mit dem Spiel wie mit einem realen Menschen.
Entsprechend hoch ist die Spannung, ob wir mit unseren Maßnahmen richtig liegen, ob wir helfen können, ob wir alles entdeckt haben und sich der Zustand unserer Patient:innen verbessert. Obwohl wir (meistens) alle Zeit der Welt haben, um uns zu besprechen und unsere Entscheidungen zu treffen, überträgt sich der Zeitdruck einer Notaufnahme auch auf uns. MEDICAL MYSTERIES fühlt sich an wie ein Kampf gegen die Uhr. Und wie der Kampf um das Leben unserer Patient:innen.

Was taugt es? Was den Grad der Immersion und auch was wesentliche Spielprinzipien angeht, erinnert mich MEDICAL MYSTERIES an DETECTIVE. Nur eben, dass wir keinen Kriminalfall, sondern einen Krankheitsfall lösen.
Kriminalfälle im Spiel haben den Vorteil, intuitiver zu sein. Um als Ermittler:in die richtigen Schlüsse zu ziehen, benötigt man weniger Vorwissen. Was vielleicht auch daran liegt, dass wir durch Krimikonsum gut trainiert sind. (Und was ich, wenn es denn stimmt, gesellschaftlich bemerkenswert finde: Wir wissen tatsächlich mehr über Verbrechen als über Medizin!?)

Medical Mysteries New York: Patient:innen

MEDICAL MYSTERIES ist also allein schon von seinem Thema her ein spezielleres Spiel als Krimi- oder Rätselspiele. Es wirft zudem die Frage auf, ob man das darf: mit Krankheit spielen. Die persönlichen Hemmschwellen sind da gewiss unterschiedlich.
Ich habe keine Bedenken. MEDICAL MYSTERIES behandelt das Thema seriös, respektvoll und – soweit ich das beurteilen kann – fundiert. Zur Angemessenheit gehört auch, dass wir nicht viele Gelegenheiten bekommen, um Fehlentscheidungen auszubügeln, erst recht keine krassen Fehlentscheidungen. Und natürlich: Es sind keine kreativen Lösungen gefragt. Wir folgen einem vorgegebenen Skript.
Zur hohen Immersion kommt die hohe Originalität. Das Terrain ist spielerisch längst nicht so plattgetrampelt wie Krimi oder Escaperoom. Ich habe jeden einzelnen Fall gerne gespielt und möchte auch weitere Fälle unbedingt spielen. Weshalb ich auch MEDICAL MYSTERIES: MIAMI FLATLINE längst abgeschlossen habe … hiervon allerdings etwas weniger begeistert war.
Es ist sicher nicht leicht, alle Fälle so anzulegen, dass sie für jede Spielegruppe genau passen oder speziell Udo Bartsch gefallen. Und es ist mir auch klar, dass MEDICAL MYSTERIES witzlos wäre, kämen die Patient:innen mit allzu simplen und immer gleichen Anliegen. Das Spiel soll ja einen Rätsel-Charakter haben.
Spielerisch haben sich für mich dennoch die etwas normaleren Fälle besser angefühlt als die teilweise arg speziellen, die selbst ein reales Krankenhausteam vermutlich nicht so oft erlebt. Und solche spezielleren Fälle nehmen in der MIAMI-Box noch größeren Raum ein. Deshalb bin ich nun etwas im Zweifel, ob sich die Reihe zum Dauerbrenner entwickeln kann oder ob das Potenzial schon ausgeschöpft ist.


***** reizvoll

MEDICAL MYSTERIES: NEW YORK von Nicholas Cravotta und Rebecca Bleau für eine:n bis vier Spieler:innen, Kosmos.

Mittwoch, 8. Januar 2025

Vor 20 Jahren (145): Louis XIV

Louis XIV: Cover

Folgendes Fax erreichte im Januar 2006 die Stuttgarter Zeitung und in Weiterleitung kurz darauf auch mich:

„Aufgrund einer überschwänglichen Empfehlung in Ihrer Zeitung habe ich das Spiel „Louis Quatorze“ [sic] gekauft. (…) Zu viert haben wir’s kürzlich angepackt und saßen eines langen Abends zunehmend ratlos vor einer schwer verständlichen, äußerst umfangreichen, umständlichen Gebrauchsanweisung. Keine Ränke, durch Bestechung kaum wenig zu erreichen [sic], irgendwann ging das Spielgeld aus, dann die Wappen, die man zum Gewinnen braucht. Zäh schleppte sich das Spiel voran, zu einem mühsamen Ende. Wir kamen zu dem Ergebnis, daß derjenige, der den Artikel geschrieben hat, niemals das Spiel ausprobiert und lediglich die Herstellerinformationen abgeschrieben hat. Und es ist keine Ränke, wenn ich der Redaktion vorschlage, dass dieser Journalist dazu verdonnert werden sollte, selbst einmal den Louis IX [sic] auszuprobieren.“

Wer schon mal Texte von mir gelesen hat, erkennt den offensichtlichsten Fehler des Schreibens sofort: Es ist „überschwänglich“. – Okay, tatsächlich hielt ich LOUIS XIV (Rüdiger Dorn bei alea) für ein gutes Spiel. Allerdings finde ich in meinem Artikel nach 14 Zeilen gröbster Spielbeschreibung an Wertung nur Folgendes: „Die Raffinesse dieses Ränkespiels überzeugte auch die Juroren des Deutschen Spielepreises: „Louis XIV“ ist der aktuelle Titelträger.“

Die Empfehlung ergab sich im Wesentlichen daraus, dass ich LOUIS XIV für diesen Artikel mit Spieletipps zu Weihnachten 2005 überhaupt ausgewählt hatte: als eines von sieben Spielen und bezeichnet als „Spiel für Experten“. Die Viererrunde, die an LOUIS XIV gescheitert war, bestand offenbar nicht aus Expert:innen. Dass ihnen Spielgeld und Wappen ausgingen, deutete stark auf Regelfehler hin.

Meine Antwort ist nicht archiviert. Vermutlich habe ich noch mal auf die Wahl zum Deutschen Spielepreis hingewiesen, die immerhin zeigt, dass nicht nur ich das Spiel für besonders gut hielt. Möglicherweise habe ich sogar angeboten, mich bei Regelfragen zu kontaktieren. Und ganz sicher habe ich die Unterstellung zurückgewiesen, LOUIS XIV gar nicht aus eigener Erfahrung zu kennen. Es war damals eines meiner meistgespielten Spiele.

Eine Antwort erhielt ich nie. Vom Redakteur der Stuttgarter Zeitung bekam ich immerhin das Lob, ich hätte die Angelegenheit mit viel Fingerspitzengefühl geregelt. Bei mir blieb trotzdem ein schlechter Beigeschmack. Obwohl ich der Meinung gewesen war, mich in Tageszeitungen mit Freakspielen betont zurückzuhalten, hielt ich mich fortan noch mehr zurück. Erst recht in Artikeln, die vor Weihnachten erschienen.

Klar, man kann argumentieren: Wenn wir den Menschen immer nur das ans Herz legen, was ihren Erwartungen und Einstellungen entspricht, erweitern wir nicht ihren Horizont und verfestigen das Vorurteil, Spielen sei Gurkenkram.

Und tatsächlich bin ich nicht Kritiker geworden, um den Menschen die siebzehnte MONOPOLY-Variante zu empfehlen. Aber eben auch nicht, um sie an LOUIS XIV scheitern zu lassen. Das Problem: Die Besonderheiten eines rein mechanisch interessanten Spiels wie LOUIS XIV lassen sich für ein Tageszeitungspublikum schwerlich in 14 Zeilen erklären. Deshalb bin ich in meiner Beschreibung stärker aufs Thema ausgewichen und habe offenbar falsche Erwartungen geweckt.

Ich bin durchaus dafür, in Tageszeitungen Spiele wie PANDEMIC LEGACY oder E-MISSION oder WEIMAR vorzustellen (allesamt komplexer und regelintensiver, aber eben auch thematischer als LOUIS XIV). Um zu zeigen: Das kann Brettspiel! Aber so etwas funktioniert nicht als 14-zeiliger Spiele-Tipp. Sondern nur mit genügend Raum für eine gründliche Einordnung.

Wie sehr mich die Zuschrift damals aufschreckte, erkenne ich daran, dass bis heute meine erste Assoziation zu LOUIS XIV genau dieser Vorfall ist, während ich die Mechanismen des Spiels nur noch schemenhaft in Erinnerung habe. Ich sollte mich wohl selbst dazu verdonnern, LOUIS XIV mal wieder auszuprobieren.


  • Vor 20 Jahren (144): Akaba

Samstag, 4. Januar 2025

Astrobienen

Astrobienen: Cover

Ach, im Weltall kann mich sowieso niemand hören.

Wie geht ASTROBIENEN? Wir sind Bienen im Weltraum und machen das, was Bienen dort typischerweise tun: Rohstoffe sammeln und damit Waben bauen. Die Waben sind sechseckförmige Plättchen, die ich angrenzend an mein Startteil lege. Rote Waben bringen einen Sofort-, blaue einen Dauer- und gelbe einen Endwertungseffekt, grüne Waben bringen mir ein gelegentliches Einkommen.
Ist mein Starttableau voll bebaut, erhalte ich eine Punktebelohnung. Ich kann weitere Anbauten installieren, und für jeden, den ich komplett befülle, gewinne ich ebenfalls Punkte. Jedes Bienenvolk hat etwas andere Voraussetzungen und Gegebenheiten.
ASTROBIENEN ist ein Figuren-Einsetzspiel. Ungewöhnlicherweise sind besetzte Felder aber nicht besetzt. Ich schubse die anwesende Biene einfach beiseite. Die rutscht dann auf ein anderes Feld oder fliegt nach Hause zurück und kann erneut eingesetzt werden. Und: Sie wird dabei um eine Stufe stärker. Bienen der höchsten Stufe 4 bekommen bei allen Aktionen einen erheblichen Bonus. Insbesondere sind sie die einzigen Bienen, mit denen ich überhaupt eine gelbe Wabe erwerben darf.

Astrobienen: Spielplan

Allerdings kehren die Vierer-Bienen nicht mehr zurück. Wird eine verdrängt, erhält sie noch eine kleine Belohnung und nimmt bei Spielende an einer Mehrheitenwertung teil. Ansonsten aber scheidet sie aus.
In ASTROBIENEN gibt es fünf Bereiche, um meine Bienen einzusetzen: Entweder fliege ich mit dem gemeinsamen Raumschiff, erforsche Planeten und gewinne Rohstoffe. Oder ich kaufe und baue eine Wabe. Oder ich ziehe Aktionskarten und suche mir eine davon aus. Oder ich hole mir neue Bienen aus dem Vorrat und / oder kaufe einen Anbau. Oder ich tausche Rohstoffe gegen andere Rohstoffe. Das ist nötig, um an die raren höherwertigen Rohstoffe Wachs und Honig heranzukommen, die ich zwingend für rote und gelbe Waben benötige. Überall gilt: Je stärker meine Biene, desto stärker ist ihre Aktion.


Astrobienen: Spielplan

Was passiert? ASTROBIENEN spielt sich sehr flüssig. Das liegt an der Klarheit der Elemente und sicherlich auch an ihrem Bekanntheitsgrad, denn so richtig neu ist das alles nicht. Dass wir uns schnell zurechtfinden, liegt zudem am gut gemachten Spielplan, auf dem alle Aktionen noch einmal beschrieben sind. Und daran, dass es keine Blockaden gibt. Aus Verdrängung erwächst hier etwas Positives.
Originellerweise werde ich sogar dann noch belohnt, wenn ich meine Rohstoffe nicht einlagern kann. Für jeden Baustoff, den ich wegen Platzmangel wegwerfen muss, gewinne ich einen Schritt auf einer Skala (die langfristig Punkte abwirft).
Allenfalls zwei Dinge in ASTROBIENEN sind hakelig: 1. Bei der Aktionskartenwahl bekommen Spieler:innen öfter mal drei oder gar vier Karten und dürfen nur eine behalten. Sich da für die beste zu entscheiden, kann eine Weile dauern, zumal alle Karten zweigeteilt sind und entweder eine besondere Aktion gewähren oder eine Punktewertung am Spielende (um die auszulösen, wird dann wieder eine Vierer-Biene gebraucht).
2. Meine Bienen werden zunächst immer stärker, meine Aktionen bringen immer mehr. Haben sich jedoch die ersten Vierer-Bienen verabschiedet, kann es sein, dass ich abrupt arg limitiert bin. Das sehe ich aber nicht als Problem des Spiels an, sondern als selbst eingebrocktes Dilemma, falls ich mich nicht rechtzeitig um Nachwuchs gekümmert habe.


Astrobienen: Tableau

Was taugt es? Die spannendsten Momente in ASTROBIENEN betreffen die Vierer-Bienen. Weil sie sehr mächtig sind, aber nach ihrem Einsatz verschwinden, kommt es darauf an, einen wirklich guten Zug für sie auf Lager zu haben. Das könnte zum Beispiel der Kauf einer gelben Endwertungs-Wabe sein. Was aber nur klappt, wenn ich mir als Zahlungsmittel rechtzeitig Honig besorgt habe.
Weil es ein Wettrennen auf die attraktivsten gelben Waben gibt, hoffe ich, im richtigen Moment mit einer Vierer-Biene losfliegen zu können. Wofür ich natürlich eine solche Biene haben muss. Generell möchte ich viele Vierer-Bienen generieren, deshalb freue ich mich, wenn ich in rascher Folge verdrängt werde. Das ist allerdings nicht so leicht zu bewerkstelligen. Ich muss mich dort hinstellen, wo sich die anderen kurz danach hinstellen werden. Nur kenne ich deren Pläne nicht so genau, und außerdem will ich nicht nur immer bloß im Weg rumstehen, sondern dort auch noch eine sinnvolle Aktion ausführen.
Habe ich mit einer Biene eine Aktion gewählt, die andere Spieler:innen aktuell nicht reizt, steht meine Figur da erst mal rum. ASTROBIENEN ist so konstruktiv, dass es auch hierfür eine Lösung gibt: Ich kann meine Bienen statt eines Einsetzzuges einfach zurückrufen; dann werden sie aufgewertet, und ich erhalte sogar ein Einkommen.

Astrobienen: Waben

Mir gefällt in ASTROBIENEN der elegante und spannende Spielablauf. Mechanisch originell finde ich ASTROBIENEN nicht, auch wenn der Figureneinsatz hier auf besonders konstruktive Art umgesetzt ist. Das Thema unterstützt das Spiel nicht; es rangiert irgendwo zwischen Gag und Trash.
Am wenigsten gefällt mir die für ein Spiel dieser Komplexität doch große Unwucht bei den Völkern, den Waben und den Karten. Die verschiedenen Bienenvölker empfinde ich nicht als ausgewogen, nicht einmal die Startvölker. Je nachdem, welche gelben Waben ausliegen, können sich für manche Spieler:innen tolle Synergien anbieten, für andere nicht. Manche roten Waben sind megastark, andere unattraktiv.
Und während die roten Waben immerhin nach und nach ins Spiel kommen und die nachrückende und potenziell supertolle Wabe vorübergehend erst mal besonders teuer ist, sind die Karten wie eine Lotterie. Ich habe erlebt, dass eine Aktionskarte dank günstiger Umstände einfach so fünf Punkte brachte (was grob vier bis fünf Prozent der Gesamtpunkte bei Spielende ausmacht; und ich könnte sogar einen Extremfall mit noch deutlich mehr Punkten konstruieren, den ich allerdings nicht erlebt habe). Andere Aktionskarten hingegen schmeißt man ab, um zum Trost einen Rohstoff der billigsten Sorte zu erhalten. So gut ASTROBIENEN auch fließt: Wenn zunehmend ein Beigeschmack bleibt, ebbt die Neugierde auf weitere Partien ab.


**** solide

ASTROBIENEN von Connie Vogelmann für eine:n bis fünf Spieler:innen, Feuerland.

Dienstag, 31. Dezember 2024

Gern gespielt im Dezember 2024

DER HERR DER RINGE – DUELL UM MITTELERDE: Gut und Böse spielen sich kein bisschen asymmetrisch. Könnte philosophisch gemeint sein.

AGENT AVENUE: Wo die Kuchenregel zur Hundekuchenregel wird.

NEULAND: „Wir saufen den Met / Bis keiner mehr steht“, sangen Torfrock. Deswegen müssen Wikingerfiguren auch umfallen.

BOMB BUSTERS: Dass es so viele Verrückte gibt, die die Welt bedrohen, münzt BOMB BUSTERS in einen tollen Vorteil um: 66 verschiedene Missionen!

DUNGEON DESIGNER: Hach, befreiend, mal selber einer dieser Verrückten zu sein!







UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM DEZEMBER:

SETI: Wenn wir intelligente Lebensformen finden wollen, halte ich es für einen vielversprechenden Ansatz, nicht auf der Erde zu suchen.



Freitag, 27. Dezember 2024

Wunder der Welt

Wunder der Welt: Cover

Nachdem in WUNDER DER WELT bereits 21 Wunder verbraten wurden, wäre eine Einleitung zu viel des Unfassbaren gewesen.

Wie geht WUNDER DER WELT? WUNDER DER WELT ist ein Legespiel. Wir platzieren Monumente. Und wir platzieren unterschiedlich geformte Stadtteile: weiße Wohnviertel, blaue Bildungsviertel, orangefarbene Handelsviertel und so weiter. Jeder Stadtteil führt (wegen seiner Symbole) zu Fortschritten auf einer oder mehrerer meiner Skalen. Auf lange Sicht bedeutet das: Punkte. Insbesondere, wenn ich alle Bereiche gleichmäßig entwickle.
Pro Runde liegt ein Teilevorrat aus. Alle Teile kosten Geld; je größer die Grundfläche, desto teurer. Bin ich am Zug, wähle ich ein Teil und baue es entweder angrenzend an ein farblich identisches Legeteil oder angrenzend an eine Straße ein.
Alternativ darf ich eines der ausliegenden Monumente kaufen. Jedes hat unterschiedliche Bedingungen, wie es platziert werden muss. Machu Picchu soll an grüne Stadtteile angrenzen, das Trojanische Pferd an einen weißen und eine Straße. Wunder kosten grundsätzlich mein restliches vorhandenes Geld. Für Wunder will ich also nicht nur einen passenden Bauplatz vorbereiten. Ich will obendrein erst dann kaufen, wenn ich nahezu pleite bin.

Wunder der Welt: Tableau

Eine Runde endet, wenn alle ihr Geld ausgegeben haben. Wir spielen maximal zehn. Am Ende punkten die Skalen, die Monumente, alle Stadtteile, die komplett umschlossen sind, sowie obendrein bestimmte Felder (die seltsamerweise „Rohstoffe“ heißen), sofern man sie nicht überbaut hat.

Was passiert? Wie in vielen anderen Legespielen auch will ich also kompakt bauen. Obwohl Straßen manchmal die Voraussetzungen für Monumente sind und obwohl sie hilfreich sind, um Lücken zu schließen, will ich mit Straßen eher geizen, denn Geld, das ich für Straßen ausgebe, fehlt mir für Stadtteile. Und schließlich sollen die Stadtteile nicht nur von ihrer Form her gut passen, sie sollen auch die gewünschten Symbole mitbringen, damit ich auf den Skalen gleichmäßig vorankomme.

Wunder der Welt: Wunder

Ob das alles so funktionieren kann, hängt von der Auslage ab. Von jeder Form kommt pro Runde ein Teil ins Spiel; welche Farben und Symbole es mitbringt, ist aber Zufall. Noch mehr Zufall herrscht bei den Monumenten. Sie haben sehr unterschiedliche Grundrisse und Baubedingungen. Für manche:n passt es, für andere nicht. Oft entsteht gar kein wirklicher Wettlauf auf diese Bauten, weil klar ist, wer sie überhaupt nehmen kann und wer nicht.

Was taugt es? Die Puzzleaufgabe in WUNDER DER WELT ist durchaus knifflig, wenn auch unspektakulär. Am außergewöhnlichsten sind die Miniaturen aus Holz. Jedes Monument kommt als modellierte 3D-Figur daher. Die Gestaltung des Pappmaterials fällt dagegen sehr ab.
Die originelle Kostenregel für Monumente könnte der Kniff des Spiels sein – wären die Monumente planbarer und wertvoller. Meiner Erfahrung nach lohnt es sich nicht, den Monumenten hinterherzujagen und für ihre Errichtung große Umstände zu machen. Besser baut man sein Territorium solide auf und wartet auf dazu passende Monumente, die (hoffentlich) kommen werden.

Wunder der Welt: Modelle

Außer den Holzmodellen könnte ich kein Alleinstellungsmerkmal des Spiels nennen. Offenbar geht es schlichtweg um die Optik der Figuren, nicht um ihre Geschichte, Bedeutung oder Funktion. Ein thematisch überzeugender Grund, warum wir eine Stadt mit zig Monumenten aus verschiedenen Zeitaltern bauen, hat sich mir nicht erschlossen. Die meisten Platzierungsregeln der Monumente sind komplett aus der Luft gegriffen. Mal halt neben Lila, mal halt neben Grün. WUNDER DER WELT wirkt wie um die Holzmodelle herumkonstruiert.



*** mäßg

WUNDER DER WELT von Zé Mendes für eine:n bis fünf Spieler:innen, Kobold Spieleverlag / meeplebr / Mundus.

Donnerstag, 19. Dezember 2024

Endeavor – Die Tiefsee

Endeavor - Die Tiefsee: Cover

Stille Einleitungen sind tief.

Wie geht ENDEAVOR – DIE TIEFSEE? Wir erforschen das Meer. Ein paar Zonen der oberen Ebenen sind von Beginn an bekannt. Die tieferen Ebenen sind komplett unbekannt.
Ich kann nur in den Zonen agieren, in dem sich aktuell eins meiner U-Boote befindet. Am Anfang habe ich nur ein Boot, es können bis zu drei werden.
Vier Skalen auf meinem Tableau geben meine Fähigkeiten an. In jeder der sechs Runden rekrutiere ich zuerst ein zusätzliches Crew-Mitglied, und meine Skala „Ansehen“ bestimmt, ob ich (wie bei Spielbeginn) nur ein Mitglied der Stufe 1 oder (später) auch eines der Stufen 2 bis 5 wählen darf, die stärker sind.

Endeavor - Die Tiefsee: Crew

Die meisten Crewmitglieder bringen ein Figuren-Einsetzfeld mit. In der Aktionsphase setze ich Scheiben auf diese Felder, um die zugehörigen Aktionen zu aktivieren. Wie viele Scheiben ich pro Runde neu bekomme und wie viele ich von den Crewmitgliedern zurückholen darf (um damit auch das Feld wieder freizuräumen) hängt von meinen Skalen „Motivation“ und „Organisation“ ab. Die vierte Skala schließlich („Genialität“) besagt, wie weit mein U-Boot fahren und wie tief es tauchen darf.
Es gibt nur fünf mögliche Aktionen. Eine lässt mich mein U-Boot bewegen, eine ein neues Spielplanteil entdecken, und allen Aktionen ist gemeinsam, dass sie mir Ressourcen wie etwa zusätzliche Scheiben und / oder Fortschritte auf den Skalen bringen.
Für viele Aktionen muss ich Scheiben in den Ozean einsetzen, was einerseits nachteilig ist, weil ich sie von dort nie mehr zurückbekomme, andererseits und überwiegend aber vorteilhaft, denn diese Scheiben können später noch ein Einkommen bringen und vor allem zählen sie bei der Schlusswertung oft Punkte.

Was passiert? ENDEAVOR – DIE TIEFSEE fängt recht unspektakulär an. In der ersten Runde besitze ich nur drei Scheiben; damit komme ich nicht weit. Die erste Runde ist also schnell vorbei. Zumal alle Aktionen schnell abgewickelt sind.

Endeavor - Die Tiefsee: Tableau

Bald aber besitze ich mehr Scheiben und mehr Crewmitglieder und somit mehr Einsetzfelder. Meine Möglichkeiten wachsen, es kommt zunehmend auf das Timing und auf die Reihenfolge an, in der ich meine Aktionen abwickle. Weil es Wettrennen um Schätze („Tauchplättchen“) und ein Gerangel um Mehrheiten der Ozeanscheiben gibt, reagiere ich auf die Aktionen meiner Mitspieler:innen.
Falls ich reagieren kann. Das hängt natürlich davon ab, ob meine Crewmitglieder mir die Aktionen ermöglichen, auf die es nun ankommt. Weil man das vielleicht nicht im Voraus durchblickt, kann sich herausstellen, dass man eine unpassende Crew ausgewählt oder die falschen Einsetzfelder freigeräumt hat.

Endeavor - Die Tiefsee: Spielplan

ENDEAVOR – DIE TIEFSEE ist ein Spiel ohne große Zufallsfaktoren. Obwohl das Spiel konstruktiv angelegt ist und jede:r sich eine Engine aufbaut, die irgendwie ins Laufen kommt, gibt es eben doch bedeutsame Unterschiede, wie gut und wie schnell das funktioniert. Ich habe es mehr als nur einmal erlebt, dass sich eine Schere zwischen Arm und Reich auftat und auch absehbar war, dass sie sich nicht mehr schließen würde.
Also muss ich mich korrigieren: ENDEAVOR – DIE TIEFSEE fängt nur scheinbar unspektakulär an. Tatsächlich zählt jede Entscheidung. Es gilt, die passende Crew auszuwählen, das Meer und seine Möglichkeiten im Blick zu behalten, schneller zu sein und anderen Spieler:innen Dinge wegzuschnappen und Aktionen so zu optimieren, dass es auf den Skalen effektiv vorangeht. Dort verbessere ich mich nicht mit jedem Schritt, sondern abschnittsweise beim Überschreiten bestimmter Marken. Also will ich nicht wahllos irgendwo vorwärtslaufen, sondern gezielt dort, wo ich realistischerweise noch in derselben Runde etwas freizuschalten hoffe.


Endeavor - Die Tiefsee: Szenario

Was taugt es? ENDEAVOR – DIE TIEFSEE beruht auf MAGISTER NAVIS. Die Grundstruktur beider Spiele ist gleich. ENDEAVOR – DIE TIEFSEE hat das deutlich schönere Thema (Meeresforschung statt Kolonialismus), alle aggressiven Elemente des Originals wurden entfernt. ENDEAVOR – DIE TIEFSEE legt mehr Fokus auf Entdeckungen und auf Variabilität. Viele Meereszonen bringen kleine Mini-Regeln mit, das Spiel enthält acht unterschiedliche Szenarios mit Varianten für Aufbau und Endwertung. Alles lässt sich als Alternative auch kooperativ spielen.
Die Szenarios ändern das Spiel nicht von Grund auf, müssen sie aber auch nicht. Für den Wiederspielreiz macht es tatsächlich einen Unterschied, zu wissen: Da ist noch was, das wir noch nicht ausprobiert haben.
Redaktionell finde ich das Spiel sehr gut gemacht. Es entstehen keine Fragen, die Anleitung und die Symbolsprache sind klar, alles sieht ansprechend aus und ist trotzdem funktionell.
In Relation zur Spieltiefe kommt ENDEAVOR – DIE TIEFSEE mit relativ wenigen Regeln und Spielprinzipien aus. Es ist komplex, ohne kompliziert zu sein. Dadurch fühlt es sich sehr elegant an.
Es ist also ein rundum gelungenes Spiel, und ich habe über die Vergabe des Labels „außerordentlich“ nachgedacht, mich aber, wie man sieht, dagegen entschieden. Dafür empfinde ich beim Spielen dann doch nicht genug Spannung oder Reibung. Das Spiel fließt, alles ist schön und stimmig und klar. Aber eben auch gut berechenbar und erwartbar. Bei mir weckt das nicht die ganz besondere Emotion, auf deren Wiedererleben ich ständig hinfiebere.


***** reizvoll

ENDEAVOR – DIE TIEFSEE von Carl de Visser und Jarratt Gray für eine:n bis vier Spieler:innen, Frosted Games / Board Game Circus.

Montag, 16. Dezember 2024

Kronologic – Paris 1920

Kronologic: Cover

Mord ohne Aussicht. (Ohne Aussicht auf Einleitung.)

Wie geht KRONOLOGIC? Ein Mord ist geschehen. Wer ihn zuerst aufklärt, gewinnt.
KRONOLOGIC – PARIS 1920 spielt auf dem „Grundriss der Pariser Oper“. Die Oper hat sechs Räume. Jeder ist durch Türen mit mindestens zwei anderen Räumen verbunden. Auf diesem Grundriss bewegen sich die sechs möglichen Täter:innen. Es gibt keine Spielfiguren. Die Bewegungen geschehen in unserer Vorstellung.
Wir kennen die Standorte der sechs Verdächtigen zum Zeitpunkt 1, dem Spielstart. Für weitere fünf Zeitpunkte, die einfach nur von 2 bis 6 durchnummeriert sind, müssen wir die Laufwege der Personen rekonstruieren. Wir wissen: Niemand bleibt stehen. Jede Person bewegt sich von einem Zeitpunkt zum nächsten von ihrem Ort weg zu einem verbundenen Nachbarort.
In Szenario 1 (es gibt drei Szenarios mit je fünf Fällen) wurde eine der sechs Personen vergiftet, nämlich der Detektiv. Täter:in ist, wer zu irgendeinem Zeitpunkt mit dem Detektiv allein in einem Raum war.

Kronologic: Lochpappen

Bin ich am Zug, frage ich eine Information ab, indem ich eine Raumkarte und eine Zeitpunkt-Lochpappe übereinanderlege. So erfahre ich, wie viele Charaktere sich zu diesem Zeitpunkt in diesem Raum aufgehalten haben. Oder ich kombiniere Raumkarte und Personen-Lochpappe und erfahre, wie häufig diese Person diesen Raum aufgesucht hat.
Das Ergebnis teile ich auch den anderen Spieler:innen mit. Aber ich bekomme noch eine geheime Zusatzinformation: Beispielsweise muss ich bekannt geben, dass zum Zeitpunkt 4 zwei Personen im Tanzsaal waren. Dass eine davon die Abenteurerin war, darf ich für mich behalten.
Wer meint, die Lösung gefunden zu haben (Täter:in, Ort, Zeitpunkt), darf im Lösungsheft nachschlagen und hat nun entweder gewonnen oder scheidet aus.

Was passiert? Anfangs tappen wir völlig im Dunklen und kombinieren mehr oder weniger auf gut Glück irgendwelche Lochpappen mit irgendwelchen Karten. Nach ein paar Runden verdichten sich hier und da Informationen, Möglichkeiten scheiden aus, andere werden wahrscheinlicher.

Kronologic: Notizen

Weiß ich, dass die Baronin zum Zeitpunkt 1 auf der Großen Treppe und zum Zeitpunkt 4 im Musiksaal war, kenne ich auch ihre Aufenthaltsorte dazwischen, denn es gibt nur einen möglichen Laufweg. Weiß ich, dass der Chauffeur insgesamt dreimal auf der Bühne war, scheiden die mehrere Schritte entfernten Räume für ihn aus. An den anderen drei Zeitpunkten kann er nur direkte Nachbarorte der Bühne aufgesucht haben.
Ich mache also Notizen. Ich versuche, aus den gesamten Informationen schlau zu werden. Ich versuche, Rückschlüsse zu ziehen, um mir Abfragen zu ersparen. Und natürlich beachte ich, welche Fährten die Konkurrenz verfolgt. Auch aus dem Verhalten der anderen lassen sich Dinge ableiten.

Was taugt es? KRONOLOGIC bricht das klassische Deduktionsspiel auf seinen Kern herunter. Wir müssen nicht mit Figuren durch die Gegend laufen oder lange Kartentexte lesen: Jeder Spielzug ist schnell abgewickelt – und beteiligt alle Spieler:innen an den Informationen. Das ist ein schlauer Dreh. So wird Leerlauf vermieden. Nicht jede:r muss jede Information noch mal abfragen.
Aber so einfach KRONOLOGIC von den Regeln her auch ist: Die Fälle zu lösen, erfordert Kombinationsgabe. (Und sicherlich auch Glück, entscheidende Informationen zu bekommen.)
Ein typischer Stolperstein in meinen Runden war immer wieder die Benennung der Räume. Auf dem Spielplan sind sie nur mit Symbolen gekennzeichnet. Und nicht alle Symbole sind eindeutig. Wenn nun jemand sagt: „Ich untersuche das Große Foyer zum Zeitpunkt 4“, ist die klassische Erwiderung: „Welcher Raum ist noch mal das Große Foyer?“ (Ja, alle Symbole werden auf den Sichtschirmen erläutert. Aber die Erfahrung zeigt: Man guckt nicht auf den Sichtschirm, sondern auf den Spielplan.)

Kronologic: Lochpappen

Dass immer alle Spieler:innen an den Informationen partizipieren, führt dazu, dass auch unsere Wissensstände nicht allzu weit auseinanderliegen. Im Finale muss ich befürchten, dass andere auch unmittelbar vor der Lösung stehen. Das ist spannend, hat aber – insbesondere in Runden zu viert – in meinen Partien dazu geführt, dass lieber auf Grundlage von 80-prozentigem Wissen geraten wurde, als den Fall absolut wasserdicht aufzuklären. Klar, man kann ausscheiden und verliert dann. Aber man verliert ja auch, wenn andere schneller sind.
Manchmal hat auch jemand geraten, ohne sich dessen bewusst zu sein. Jemand dachte, die Ermittlungen seien wasserdicht. Bei der Nachbesprechung zeigte sich dann: mitnichten. Trotzdem wird oft richtig geraten. Denn anders als in irgendwelchen Detektivromanen werden wir nicht auf falsche Spuren gelenkt. Sondern wir werden auf richtige Spuren gelenkt; das Gruppenwissen tendiert mehr und mehr in eine identische Richtung.
Oder jemand rät, weil der Überblick über die Notizen verloren gegangen ist. Werden Informationen und Schlussfolgerungen auf dieselbe Weise notiert, und sind die Schlussfolgerungen falsch, kann man die Fehlerkette nachträglich nicht mehr auflösen.
Geheimnisse zu haben, macht Spaß. Ich freue mich, wenn ich etwas herausfinde, was die anderen vielleicht noch nicht wissen. Allerdings ähneln sich die Fälle und ihre Lösungswege systembedingt. In KRONOLOGIC geht es um Logik und Struktur, nicht um eine Geschichte dahinter. Deswegen bin ich inhaltlich auch nicht neugierig auf weitere Fälle. Ich weiß ja recht genau, was mich erwartet. Der Wiederspielreiz entsteht durch den Wettlaufcharakter. Ich hoffe, bei diesem Logikrätsel den einen Schritt schneller zu sein.


**** solide

KRONOLOGIC – PARIS 1920 von Fabien Gridel und Yoann Levet für eine:n bis vier Spieler:innen, Pegasus Spiele.

Mittwoch, 11. Dezember 2024

Black Forest

Black Forest: Cover

Wie sagt man? Die Einleitung vor lauter Bäumen nicht sehen?

Wie geht BLACK FOREST? Wir bauen mit Rohstoffen Gebäude und erhalten Punkte dafür. Und meistens auch Sofort- oder Dauereffekte. Punkte bekommen wir zusätzlich auch für andere Dinge, für Tiere etwa oder für Vorräte.
Auch wenn Uwe Rosenberg nicht der alleinige Autor von BLACK FOREST ist (Tido Lorenz ist der andere): Vielen typischen Rosenberg-Elementen begegnen wir hier wieder: einer großen Auslage von rund 40 verschiedenen Gebäuden; Gutshof-Tableaus, auf denen sich die Gebäude den Platz mit Wäldern, Äckern, Teichen und Weiden teilen müssen; Erweiterungs-Tableaus für den bald zu eng werdenden Hof. Und am auffälligsten: den Ressourcenrädern aus DIE GLASSTRASSE.

Black Forest: Rad

Eins der beiden Räder zeigt meinen Bestand an Sand, Wasser, Holz und Kohle. Sobald ich von jedem dieser Rohstoffe mindestens einen besitze, dreht sich das Rad weiter. Von jedem Rohstoff wird nun einer weniger angezeigt, dafür jedoch zusätzlich ein Glas. Mit anderen Worten: Ich habe aus den vier Bestandteilen Glas produziert. Diese Produktion geschieht – sofern die Voraussetzungen erfüllt sind – automatisch, ob es mir gerade passt oder nicht.
Neues Material erhalte ich durch meine Züge auf dem Spielplan. Der zeigt fünf Dörfer mit jeweils drei bis vier Feldern. Zu jedem Feld sind zwei Aktionsplättchen („Handwerker“) benachbart. Bin ich am Zug, muss ich meine Figur auf ein freies Feld versetzen, dann darf ich beide benachbarten Aktionsplättchen ausführen: Ich zahle eine Kohle und erhalte vier Ziegel. Ich rode ein Waldstück und erhalte vier Holz. Ich erhalte pro eigenen Teich ein Wasser. Ich lege einen Acker an. Ich erhalte eine Kuh ... Drei der 17 Aktionsplättchen erlauben mir, ein Gebäude zu bauen.

Was passiert? BLACK FOREST ist erst mal sehr überwältigend. Man muss sich auf dem eigenen Gutshof-Tableau und mit den Ressourcenrädern zurechtfinden. Zweitens muss man die Optionen und die Positionen der 17 Aktionsplättchen auf dem Spielplan abchecken. Und drittens liegen von Beginn an sehr viele Bauvorhaben mit Texten und Symbolen aus (wenn auch gruppiert nach einem sinnvollen Ordnungssystem). Man kann nur hoffen, in einer Gruppe zu sein, die einfach losspielt und schaut, was sich so ergibt.

Black Forest: Spielplan

Aber selbst Spieler:innen, die schnell spielen wollen, geraten immer wieder ins Stocken. Etwa ist das angepeilte Ortsfeld besetzt. Oder jemand hat zwei Aktionsplättchen miteinander vertauscht. Oder jemand hat genau das Gebäude gebaut, auf das man hingearbeitet hat. Oder den angepeilten Auftrag weggeschnappt. Oder droht es im nächsten Zug zu tun und man kann nicht mehr kontern. In solchen Situationen überlegt man ganz von vorn. Und weil es in BLACK FOREST viel zu optimieren gibt und immer mal wieder was verfällt oder nicht den besten Nutzen bringt, wenn man nicht gründlich genug plant, ist ein befriedigender Alternativzug selten schnell gefunden.
Eine Quelle für viele Planungsfehler, die dann ebenfalls den gedachten Zug verhindern und zum Neuüberlegen zwingen, ist das Ressourcenrad. Da produziert das Rad mal wieder Glas, was man grundsätzlich ja toll findet, aber prompt hat man nur noch eins von zwei Holz, die man für das Gebäude ebenfalls bezahlen müsste. Es kann mehrere Partien dauern, bis man das Rad in den Griff kriegt. Bis dahin heißt es: „Oh, äh … geht gar nicht. Sorry, ich fange mit meinem Zug noch mal neu an.“
Die Herausforderung ist von den Autoren so gewollt. BLACK FOREST ist ein anspruchsvolles Spiel. Und Planungsfehler sind nun mal keine unglücklichen Zufälle, sondern es sind Fehler. Man brockt es sich selbst ein. Im Extremfall sogar durch Annahme eines Rohstoff-Geschenks, das man hätte ablehnen dürfen – aber wer lehnt schon Geschenke ab? Tja, und der neue Rohstoff führt nun dazu, dass sich das Rad weiterdreht. Und dass das nachteilig war, kapiert man einen oder zwei Züge später.
BLACK FOREST empfinde ich an dieser Stelle als streng und restriktiv. Gut dagegen gefällt mir, welche Freiheiten die Gebäude eröffnen. Da kann man sich schöne Kombinationen aufbauen. Niemand muss die Strategie der anderen nachspielen, es sind genügend verschiedene Wege angelegt. Zumal in jeder Partie immer andere Gebäude mitspielen.


Black Forest: Gutshof

Was taugt es? BLACK FOREST ist ein Strategiespiel. Aus dem Gebäudeangebot kann ich mehrere Marschrouten für die Partie ableiten. Der Weg zum Ziel ist dann allerdings sehr taktisch, da ich viel zu optimieren habe und öfter umplanen muss; und weil ich zudem gut haushalten muss, denn Bewegungen von Dorf zu Dorf kosten Proviant, und ist der verbraucht, muss ich einen Zug aussetzen und betteln.
Das Spiel ist redaktionell sehr gut gemacht. Mir gefällt auch die gesamte Anmutung; BLACK FOREST sieht toll aus. Mir gefällt, wie ich mein Gut entwickle und konstruktiv etwas aufbaue. Und mir gefällt, wie thematisch alles auf sehr einleuchtende Weise zusammenhängt.
Allerdings finde ich diese Vorzüge auch in anderen Spielen, die leichter von der Hand gehen. Das Alleinstellungsmerkmal von BLACK FOREST ist das Ressourcenrad. Und zum zweiten Mal nach DIE GLASSTRASSE (das mechanisch und vom Spielgefühl her ein deutlich anderes Spiel ist) hadere ich mit der Art, wie dieses Rad ins Spiel integriert ist. Der Zusatzreiz, den das Rad offenbar bringen soll, erschließt sich mir nicht.
Wegen der tollen Ausstattung und Optik und weil ich auch neugierig wäre, welche Möglichkeiten sich noch in BLACK FOREST verbergen, wäre mein Interesse an weiteren Partien durchaus vorhanden. Allerdings möchte ich nicht mehr zu viert spielen und selbst zu dritt lieber nur mit Bauchspieler:innen. Und sogar dann wäre die Frage, warum wir nicht einfach eins der vielen ähnlich gelagerten Spiele mit besserem Flow spielen.


**** solide

BLACK FOREST von Uwe Rosenberg und Tido Lorenz für eine:n bis vier Spieler:innen, Feuerland.

Freitag, 6. Dezember 2024

Vor 20 Jahren (144): Akaba

Akaba Cover

Vor 20 Jahren stellte ich hin und wieder auch Kinderspiele in meinen diversen Printmedien vor. Weshalb ich hin und wieder auch Kinderspiele spielte. Mit Kindern logischerweise. Mangels eigener war das aber gar nicht so einfach zu bewerkstelligen. Ich musste die Kinder von Freunden rekrutieren, während ich so tat, als würde ich jene Freunde besuchen.

Insgeheim hatte ich natürlich nur die spielerische Verwertbarkeit des Treffens im Sinn. Aber ich brauchte gar kein allzu schlechtes Gewissen zu haben. Denn die Kinder fanden das toll. Und die Eltern fanden das auch toll. Und dann noch ich. Es stimmt schon, wenn man sagt: Beim Spielen gewinnen alle.

Einer unserer absoluten Favoriten damals war AKABA von Guido Hoffmann, ein Spiel mit Blasebalg. Den setzte man unter der eigenen Flugfigur an und pustete sie Stück für Stück weiter, um am Markt verschiedene Stände anzufliegen und dort Besorgungen zu machen. Man musste sich ganz schön geschickt anstellen mit dem Pusteding, denn die fliegenden Teppiche waren sehr leicht. Schnell flog man zu weit oder legte eine Bruchlandung hin.

Ich war dann reichlich überrascht, AKABA nicht wenigstens auf der sehr, sehr, sehr langen 2005er Empfehlungsliste „Kinderspiel des Jahres“ zu finden. Eigentlich hatte ich sogar mit einer Nominierung gerechnet.

Die mögliche Erklärung, so würde ich aus heutiger Sicht vermuten, steht schon in meinem Text. Hier noch mal: „Man musste sich ganz schön geschickt anstellen mit dem Pusteding, denn die fliegenden Teppiche waren sehr leicht. Schnell flog man zu weit oder legte eine Bruchlandung hin.“

Zweifellos verschiebt es die Ansprüche und Wahrnehmungen, wenn man – wie ich – in einer gemischten Runde mit Kindern und Erwachsenen spielt. Zudem mit Kindern, die für ihr Alter schon sehr geübt waren. In AKABA ging es auch nicht bloß um Geschicklichkeit. Das Spiel hatte zudem eine erhebliche Hektikkomponente und obendrein ein Memory-Element.

Im Nachhinein wundere ich mich also gar nicht mehr so sehr, dass AKABA von der Kinderspiel-Jury nicht empfohlen wurde. Und ich schreibe bewusst nicht „dass es übersehen wurde“ oder „dass es ignoriert wurde“. Ich bin mir sehr sicher, ein Spiel von dieser Originalität und mit diesem Aufforderungscharakter wurde weder übersehen noch ignoriert. Sondern lediglich nicht gewählt.

Dass ich auf der richtigen Fährte sein könnte, zeigt mir der Titelträger 2006. Das war DER SCHWARZE PIRAT. Ebenfalls ein Spiel von Guido Hoffmann, ebenfalls mit Blasebalg. Aber einfacher. Und für Kinder noch längst nicht leicht. Noch immer musste man sich mit dem Pusteding geschickt anstellen. Und gar nicht mal alle Kinder kriegten das gut hin.

Trotzdem war es zu spät, um mich in dieses Spiel zu verlieben. All die grandiosen Erlebnisse hatte ich mit AKABA gehabt, DER SCHWARZE PIRAT war da wie ein zweiter Aufguss. Und obwohl ich heute gar nicht mehr mit Kindern spiele, besitze ich AKABA noch immer. Wegen damals.


Dienstag, 3. Dezember 2024

Faraway

Faraway Cover

Ende.

Wie geht FARAWAY? Wir legen nacheinander acht Karten ab. Der Prozess ist immer gleich: Drei Karten haben wir auf der Hand, eine legen wir. Wer die niedrigste Zahl gelegt hat, wählt zuerst eine neue Karte aus einem kleinen Vorrat. Dann die anderen. So haben wir wieder drei Karten, legen wieder eine und so fort.
Am Ende des Spiels soll die Auslage viele Punkte zählen. Abgerechnet wird aber in einer vorgegebenen Reihenfolge, nämlich von hinten nach vorn: Wir verdecken die ersten sieben Karten wieder und werten zunächst die achte.

Faraway Karten

Die ersten sieben Karten sind – obwohl sie bereits feststehen – für die Wertung der achten noch nicht existent. Das ist aus zweierlei Gründen ein Problem: 1. Viele Karten haben Bedingungen, um überhaupt gewertet zu werden, beispielsweise sollen dafür in meiner Auslage zwei Symbole „Chimäre“ und ein Symbol „Distel“ vorhanden sein. Und je weniger Karten offenliegen, desto weniger Symbole liegen offen. 2. Die meisten Karten zählen einen variablen Punktwert, zum Beispiel drei Punkte für jede gelbe oder grüne Karte. Und solange sieben Karten zugedeckt sind, habe ich sicherlich nicht ganz so viele sichtbare gelbe oder grüne.

Faraway Wertung

Nach Wertung der achten Karte decken wir zusätzlich die siebte Karte auf, werten auch sie, dann die sechste … und so weiter bis zur ersten.

Was passiert? Da die hohen Karten üblicherweise fette Wertungen mit schwierigen Bedingungen verknüpfen, während niedrige Karten Symbole mitbringen, jedoch gar keine oder mickrige Wertungen, wäre es ziemlich logisch, die Karten in absteigender Reihenfolge zu legen, um im Finale erst die Symbole und dann die Wertungen aufzudecken. Bei nur drei Handkarten habe ich jedoch nicht immer die tollste Auswahl und vor allem …
Ich werde belohnt, wenn ich aufsteigend lege! Immer wenn meine aktuell gelegte Karte höher ist als meine Karte davor, erhalte ich eine Bonuskarte („Heiligtum“). Diese Kartensorte wird bei der Wertung niemals zugedeckt und zählt immer mit. Bonuskarten liefern Symbole, Bonuskarten können farbig sein und punkten dann bei Farbwertungen, Bonuskarten können selbst kleine Wertungen auslösen. Bonuskarten ziehe ich einfach vom Stapel. Je mehr Symbole „Hinweis“ in meiner Auslage sind, desto mehr Bonuskarten bekomme ich pro Ziehvorgang zur Auswahl.
Die Logik von FARAWAY ist ohnehin verkehrt herum, die Bonuskarten stellen die Sache nochmals auf den Kopf. Weil Bonuskarten sehr wertvoll sind, versuche ich, möglichst oft aufsteigend zu legen. Damit wächst das Risiko, dass Karten ihre Wertungsbedingungen nicht erfüllen. Was ich aber wiederum durch die Bonuskarten auszugleichen hoffe.
FARAWAY ist ein Zockspiel. Jede Karte, die ich nur deshalb lege, damit sie andere Karten unterstützt, ist eine Karte, die nicht wertet. Ich will aber viele Karten, die werten. Wenn ich noch zwei Symbole „Stein“ benötige, lege ich meistens trotzdem etwas anderes und hoffe darauf, die beiden Steine über Bonuskarten hereinzubekommen. Das kann klappen – oder auch nicht. Entsprechend krass können Spiele durch die Decke oder in die Hose gehen.


Faraway Heiligtümer

Was taugt es? Vielen Mitspieler:innen gefällt FARAWAY. Mir auch. Ich sehe es als schnell runtergespieltes Zwischendurchspiel, dessen Reiz darin besteht, aus wenigen Karten eine kleine Maschine aufzubauen, die einerseits Punkte abwirft und andererseits auch alle dafür nötigen Voraussetzungen mitbringt. Die Schicksalshaftigkeit ist aus meiner Sicht kein Problem, zumal FARAWAY in einer geübten Runde nur 20 Minuten dauert.
Wer die Zielgruppe für FARAWAY sein könnte, kann ich jedoch nicht so klar definieren. Spieldauer und Zufallsanteil sprächen eher für ein Spiel für alle. Die Originalität von FARAWAY baut allerdings Hürden auf. Ich habe Mitspieler:innen beobachtet, denen selbst nach einer vollen Partie inklusive Wertung noch kein Licht aufgegangen war, was in FARAWAY sinnvollerweise zu tun wäre was daran auch nur annähernd Spaß machen könnte.
Zweifellos nutzt sich die Originalität auch ab. Hat man sich eingefunden und die Fallen und auch die Chancen kennengelernt, spielt man schematischer. Man hat erfahren, was geht und was nicht geht, und macht natürlich das, was geht. Und hofft, dass es wieder funktioniert.
Im Rahmen eines derart kurzen Spiels empfinde ich dieses gewohnheitsmäßige Runterdreschen aber nicht als Manko. Denn trotz allem bringt jede Partie Ungewissheit und deshalb immer wieder Spannung: Welche Karten bekomme ich? Kriege ich die nötigen Symbole zusammen? Schaffe ich einen guten Score, womöglich einen neuen Highscore?


***** reizvoll

FARAWAY von Johannes Goupy und Corentin Lebrat für zwei bis sechs Spieler:innen, Kosmos.