
CIVOLUTION verbraucht so viel Platz, da passt keine Einleitung mehr. Beim besten Willen nicht. (Der mir ohnehin fehlte.)
Wie geht CIVOLUTION? Als werdende Gottheiten führen wir Zivilisationen. Die Zivilisation als solche ist uns egal. Es geht uns um die Punkte, die wir mit ihr erzielen. Denn mit vielen Punkten bestehen wir unsere Abschlussprüfung und gewinnen. (So ähnlich also wie in den meisten Spielen, aber hier wird es endlich mal offen ausgesprochen.)
Unsere Methode ist Würfeleinsatz. Mindestens sechs Würfel besitze ich. Ein Spielzug besteht darin, entweder neu zu würfeln oder zwei Würfel für eine Aktion zu nutzen und damit zu verbrauchen. Die wahnwitzige Grundidee von CIVOLUTION ist nun, dass jede Augenzahl-Kombination für eine andere Aktion steht: eine Eins und eine Vier initiieren „Entdeckung“, eine Eins und eine Fünf benötige ich für „Transport“, eine Vier und eine Fünf für „Handel“. Es gibt schlappe 21 Möglichkeiten, von denen sich 15 auch noch aufwerten lassen, wodurch es diese 15 Aktionen auf Level eins, zwei oder drei gibt.

Unsere Figuren erkunden die Welt, finden Rohstoffe, bauen sie ab, vermehren sich, jagen, entdecken besondere Orte, errichten Siedlungen und andere Bauwerke. Gleich mehrere Aktionen drehen sich darum, „Forschungskarten“ zu ziehen oder sie von der Hand auszuspielen, wofür ich teils Bedingungen erfüllen, teils Rohstoffe bezahlen muss. Karten bringen mir dauerhafte Spielvorteile und lassen mich auf Skalen vorrücken. Auf den Skalen wiederum gewinne ich Punkte und beim Überschreiten bestimmter Marken auch schöne Boni.
Ebenso beschäftigen mich „Zielplatinen“. Das sind Zielplättchen, wie man sie auch aus BORA BORA kennt. Die muss ich mir erst besorgen und später erfüllen, wofür ich vielleicht zwei Farmen in bestimmten Gegenden besitzen oder einen vorgegebenen Rohstoff bezahlen muss. Forschungskarten und Zielplatinen geben mir Richtungen vor, was ich erledigen könnte, selbst wenn ich noch keinen großen Plan habe.
CIVOLUTION dauert vier Epochen. In jeder Epoche bringen andere Errungenschaften Punkte, in jeder Epoche tritt ein anderes Ereignis ein und es herrschen andere Wetterbedingungen. So schafft CIVOLUTION Anreize, um nicht immer auf die gleiche Weise zu spielen und dieselben Dinge zu priorisieren. Was ohnehin nicht so leicht möglich wäre, weil man in jeder Partie mit anderen Karten startet, die Landschaften etwas anders angeordnet sind, die Rohstoffe anderswo auftauchen.
Was passiert? Bevor es losgehen kann, gibt es erst mal viel aufzubauen und viel zu erklären. Sehr hilfreich sind dabei die Kompaktübersichten ... die in einem derart monumentalen Spiel dann doch nicht ganz so kompakt sind. Es sind achtseitige Heftchen, fast DIN-A5-groß.

Aber: Einmal erklärt, ergeben sich nur wenige Fragen. Und in der nächsten Partie weiß man das meiste auch noch oder kann es sich herleiten. Das liegt daran, dass alle Mechanismen inhaltlich logisch und zudem schlüssig miteinander verbunden sind. Es liegt ebenso an den Übersichten. Und es liegt an der Grafik. Alles, was man nur irgendwie mit Symbolen auf den Plänen und dem Material hinterlegen kann, wurde hinterlegt. So hat man beim Spielen neben der Text- auch eine Bild-Absicherung.
Thematisch geschieht in CIVOLUTION nichts, was man nicht schon auch in anderen Zivilisationsspielen erlebt hätte. Zivilisation halt. Auch einen speziellen Mechanismus, der dieses Spiel herausragen lässt, könnte ich nicht nennen. Die Besonderheit von CIVOLUTION ist tatsächlich der Umfang des Spiels.
Dass man in komplexeren Spielen nicht gleich bei der ersten Partie alle Karten kennenlernt, ist normal. In CIVOLUTION aber werde ich auch mehrere der Rohstoffsorten nicht bekommen und sogar einige der möglichen Aktionen nicht ausführen, vielleicht auch in der zweiten Partie nicht, und ganz zu schweigen von den aufgewertenen Aktionen.
Was in anderen Spielen ein Bug wäre (Wozu gibt es Aktionsmöglichkeiten, die nicht genutzt werden?), ist hier ein Feature. Dass ich eine Aktion nicht nutze, bedeutet ja nicht, dass niemand sie nutzt. Oder dass ich sie nicht beim nächsten Mal nutze. CIVOLUTION fühlt sich an wie eine große Spielewelt, in der ich zwangsläufig immer nur einen Ausschnitt bespielen werde. Nach jeder Partie bleibt das Gefühl, noch längst nicht alles entdeckt und erspielt zu haben. Das ist ein schönes Gefühl: ein Versprechen auf mehr, auf weniger offensichtliche Strategien und versteckte Power-Kombinationen.

In meiner ersten Partie war ich noch sehr skeptisch. Was insbesondere an den Würfeln lag. Ich erinnere mich an einen Wurf mit acht Würfeln, in dem ich zwei Viererpasche erzielte – und keine einzige der beiden vierfach vorhandenen Zahlen haben wollte. Natürlich gibt es (wie in DIE BURGEN VON BURGUND) Möglichkeiten, Würfelergebnisse zu verändern. Aber gleich acht Würfel zu manipulieren, kann man vergessen. Es fühlt sich schon speziell an, dass der Zufall in einem derart komplexen Spiel so viel Mitsprache hat.
Doch üblicherweise würfelt man ja nicht nur zwei Zahlen. Die Ergebnisse liefern eine Mischung aus Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, mit der man clever umzugehen hat. Wer dabei mehr Kompromisse eingehen muss als andere, ist auf lange Sicht natürlich trotzdem im Nachteil. Der Würfelzufall lässt sich nicht wegreden, aber immerhin sorgt er dafür, dass es nie ganz optimal läuft und dass man wie etwa auch bei DIE BURGEN VON BURGUND selbst aus einer erfolgreichen Partie mit dem Wunsch herausgeht, das Ergebnis noch zu verbessern.
Was taugt es? Sehr gut gefällt mir, wie CIVOLUTION langfristige Pläne und kurzfristige Ziele miteinander verquickt. Ich habe eine klare Leitung, was ich sinnvoll tun könnte. Tragischerweise ist es grundsätzlich mehr, als ich schaffen kann, so dass die Kunst darin besteht, eine realistische Auswahl zu treffen.

Die Aussicht, für die Entdeckung von CIVOLUTION noch viele Partien spielen zu können, gefällt mir. Ich bin gespannt auf Weiteres, an diesem Spiel habe ich mich noch lange nicht abgearbeitet. Tatsächlich mag ich hier auch den Gigantismus, den ich normalerweise nicht mag. Aber in CIVOLUTION kommt er nicht in Form barocker Regelschnörkel daher, die willkürlich angeflanscht wirken. Es passt alles harmonisch zusammen, und deshalb ist es bei allem Gigantismus am Ende auch kompakt.
Wenn ich allein nach dem Spielreiz urteilen würde, wäre ich bei „reizvoll“ gelandet. CIVOLUTION fühlt sich vor allem nach mehr an, weniger nach neu. Zum außerordentlichen Spiel wird CIVOLUTION durch die überragende redaktionelle Leistung. Gerade bei komplexen Spielen hatte ich in jüngster Zeit den Eindruck, dass Verlage ihre Arbeit einfach den Spieler:innen aufladen. Hier nicht. Anleitung, Übersichten, Glossar und Gestaltung von CIVOLUTION sind sowohl fürs Erlernen als auch fürs Nachschlagen herausragend. Ein seltenes Vorbild.
****** außerordentlich
CIVOLUTION von Stefan Feld für eine:n bis vier Spieler:innen, Deep Print Games.