Freitag, 23. September 2016

Celestia

In der SPIEL DOCH! 2-2016 (Ohne zu viel Werbung machen zu wollen: Wäre ich mein Leser, ich würd’ sie lesen.) nennt Stefan Gohlisch MYSTERIUM „das Spiel der verpatzten Chance“. Das passt. Und weil mir der Ausdruck gut gefällt und weil er noch woanders, nämlich bei CELESTIA, passt, möchte ich mir die Zeile gerne ausleihen ... was ich hiermit eigentlich auch schon getan habe.

Wie geht CELESTIA? Wir fahren gemeinsam im selben Luftschiff. Je weiter wir kommen, desto mehr Punkte bringt das. Bis das Luftschiff abstürzt. Dann gibt’s für alle an Bord Verbliebenen nichts. Die Kunst besteht deshalb darin, rechtzeitig auszusteigen. Möglichst spät – aber eben nicht zu spät.
Reihum abwechselnd übernimmt in jedem Zug ein anderer Spieler an Bord die Rolle des Kapitäns. Er muss zwei oder mehr Würfel rollen. Die erzielten Symbole stehen für Gefahren, die das Luftschiff bedrohen. Kann der Kapitän die passenden Abwehrkarten spielen, geht es weiter. Kann er es nicht, plumpst das Schiff vom Himmel, alle zuvor Ausgestiegenen freuen sich, und die nächste Fahrt beginnt wieder mit allen an Bord auf Feld eins.
Wer zuerst 50 Punkte sammelt, gewinnt.

Was passiert? Bevor der Kapitän offenbart, ob er den Gefahren trotzen kann, werden reihum alle Passagiere gefragt, ob sie abspringen wollen. Man kann an dieser Stelle rein nach Gefühl entscheiden. Es gäbe aber auch Indizien. Hat der Kapitän Blitze gewürfelt und ist er schon beim letzten Flug am Unwetter gescheitert, wäre das für mich ein Grund, um auszusteigen. Ebenso wenn ich als nächster das Kapitänsamt zu übernehmen hätte und kaum Karten besitze.
Was überhaupt fies ist: Durch ungünstige Würfelergebnisse oder Zufälligkeiten der Sitzreihenfolge kann ich in Kartennot und damit in eine Zwickmühle geraten, aus der ich nur noch durch gutes Würfeln wieder herauskomme: Steige ich wegen Kartenmangel aus, geht die Reise ohne mich womöglich noch sehr lange weiter. Bleibe ich an Bord und würfle dann wieder nicht perfekt, hüpfen alle raus und kassieren Punkte, das Schiff stürzt ab und ich bekomme nichts.
Das ist als Wesen des Spiels aber akzeptabel. CELESTIA ist Würfeln, Zocken und Bluffen. Im Casino gibt es auch keine Auffangnetze. Passt schon. Die Spieldauer entspricht diesem Spielcharakter.
Wirklich ärgerlich ist dagegen die redaktionelle Umsetzung. Anscheinend hat keiner dem Grafiker verraten, dass es neben tollen Bildern auch auf Klarheit, Verständlichkeit und Spielbarkeit ankommt. Dass CELESTIA pikanterweise trotzdem die Auswahlliste 2016 beim Grafikpreis „Graf Ludo“ erklommen hat, werte ich als Indiz, dass dessen Jury ein anderes Verständnis von gelungener Grafik hat als ich.
Selten wurden mir von Mitspielern bei einem Spiel so oft Karten gezeigt: „Was bedeutet das?“ Und (weil CELESTIA auch Übersichten fehlen): „Wann darf ich das spielen?“ Die Regel macht obendrein den Fehler, alle Sonderkarten auf einmal einzuführen und das Grundspiel zur „Variante“ zu erklären. Umgekehrt wäre besser.
Die größte Ironie dabei: Ich finde CELESTIA in der abgespeckten Version ohne all das Brimborium am klarsten und besten. Die Sonderkarten tragen zum Spielspaß nur wenig bei, und der Aufwand, diese Karten einzuführen, steht in einem schlechten Verhältnis zum Nutzen. Als wiederholt spielentscheidend hat sich bei uns übrigens das „Fernglas“ erwiesen. Und die Bedeutung einer Karte wurde komplett falsch übersetzt.

Was taugt es? An sich ist CELESTIA ein gutes Spiel, das Stimmung in eine Runde bringt, die vorrangig Unterhaltung sucht. Spannung, Nervenkitzel, Freude über ein perfektes Würfelergebnis, großes Hallo: Alles ist da. Die besten Partien mit dem besten Spielfluss habe ich immer dann erlebt, wenn ich die meisten Sonderkarten vorab aussortiert habe. Offenbar haben den Verlag ähnliche Rückmeldungen schon häufiger erreicht. Eine Überarbeitung dieses Spiels der verpatzen Chance ist angekündigt.

CELESTIA von Aaron Weissblum für zwei bis sechs Spieler, BLAM! / Heidelberger Spieleverlag.

1 Kommentare:

Peer hat gesagt…

Triffts recht gut. Zudem konnte ich keinen Mehrwert gegenüber Diamant/Incan Gold erkennen.

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