Dienstag, 19. September 2017

Vor 20 Jahren (48): Acquire

ACQUIRE besitzt einen eleganten Mechanismus, um eine Startsituation herzustellen und zugleich den Startspieler zu bestimmen. Jeder zieht eine Koordinatenkarte, und auf dem entsprechenden Feld (G4, C11, F9 etc.) wird ein Hochhaus gebaut. Und Startspieler ist, wer …

Tja, da fingen die Probleme an. In meiner Göttinger Spielerunde erhob sich schon bei Spielbeginn regelmäßig Geschrei. Sollte der Spieler mit der niedrigsten Zahl beginnen oder der mit dem im Alphabet vordersten Buchstaben? Natürlich hätte ein Blick in die Spielregel die Streitfrage ein für alle Mal aus der Welt schaffen können. Aber eine derart simplifizierende Lösung wäre der universellen Tragweite des Konflikts niemals gerecht geworden.

Und so krakeelten drei von vier Beteiligten: „A vor 1! A vor 1! A vor 1!“ Und meinten, damit dass vorrangig der Buchstabe entscheiden solle. Und nur eine verzweifelte Stimme hielt dagegen: „1 vor A! 1 vor A! 1 vor A!“
Ehrlich gesagt: Im Grunde war uns anderen die Regelung völlig egal. Dieses Theater veranstalteten wir nur, um unseren Mitspieler zu ärgern. Beweis: Als „Mister 1-vor-A“ einmal die Spielerunde wegen anderer Verpflichtungen vorzeitig verließ, zogen wir ACQUIRE aus dem Regal und skandierten ausnahmsweise: „1 vor A! 1 vor A! 1 vor A!“ Was waren wir doch Witzbolde!

Dem einen oder anderen mag das fies vorkommen. Aber das Geplänkel zu Beginn war die einzige Freude, die uns noch blieb. Denn während der vielen, vielen ACQUIRE-Partien, die wir damals spielten, verging uns das Lachen regelmäßig. Dies lag an einer Zugabfolge, die unser Mitspieler in (gefühlt) 80 Prozent aller Partien spielte und die wir anderen den „Scheißtrick“ nannten.


Der Scheißtrick ging so: Im ersten Schritt zieht man per Sonderaktion fünf zusätzliche Handkarten. Im zweiten Schritt – wieder per Sonderaktion; manchmal im direkten Folgezug, manchmal ein paar Runden später – spielt man mehrere Karten hintereinander, gründet dabei eine neue, maximal teure Hotelkette, schluckt sie noch im selben Zug, kassiert die Prämien als größter und zweitgrößter Aktionär und hat nun so viel Kapitalvorsprung, dass der Sieg nur noch Formsache ist. Obwohl die Partie gerade erst begonnen hat.

Eigentlich ganz simpel. Das Wesen des Scheißtricks hatten wir anderen intellektuell durchaus erfasst. Doch gelang es uns nicht, diese überaus erfolgreiche Spielweise zu verhindern oder sie zu kopieren.

An der Kartenmischung konnte es nicht gelegen haben. Nach etlichen Malen Scheißtrick mischten wir mittlerweile gründlicher als gründlich. Auf Glück allein kann es auch nicht beruht haben, dazu klappte es zu regelmäßig. Und an einen Falschspielertrick glaube ich ebenfalls nicht. So bleibt dann nur die ernüchternde Möglichkeit, dass unser Mitspieler schlichtweg ein besseres Gespür dafür hatte, welche Handkarten es wert waren, behalten zu werden, und welche gespielt werden durften oder mussten, um den Scheißtrick in die Wege zu leiten.

Und wie immer, wenn unterlegene Hirne in der Mehrheit sind, wird die geniale Methode bekämpft und abgeschafft. Weil ACQUIRE mit Scheißtrick ziemlich reizlos wurde, spielten wir bald nur noch mit Regelmodifikation. Und artikulierten wenigstens unseren Volkszorn: „A vor 1! A vor 1! A vor 1!“


5 Kommentare:

Florian hat gesagt…

LoL:
Und wie immer, wenn unterlegene Hirne in der Mehrheit sind...
Ach ja, bald ist Bundestagswahl.

Anonym hat gesagt…

schöne Serie "vor 20 Jahren", manchmal findet man sich da schon ein wenig wieder. Als Sahnehäubchen würde ich mir aber noch eine grobe Bewertung/Einordnung des Spiels im heutigen Spieleumfeld wünschen..z.B. Daumen hoch/runter, ich glaube Acquire wäre danach ein "abstrakt, aber Daumen hoch" Kandidat (auch wenn ich es selbst nicht habe)

Tom hat gesagt…

Acquire ist nur OHNE Karten genial, nur zu fünft oder sechst wirklich toll zu spielen und spielbar nur in der alten Scrabbleartigen Version, bei der die Spielsteine z.B. mit 1-A beschriftet sind :-)

Joachim hat gesagt…

Tom hat recht; mit Karten geht gar nicht.
Ohne (1-A) noch heute genial.

Udo Bartsch hat gesagt…

Wegen Urlaub verspätete Antwort an "Anonym": Eine unvoreingenommene Einordnung der Spiele ins heutige Umfeld werde ich nicht vornehmen können, da viele dieser Spiele mit Erinnerungen verknüpft und deshalb verklärt sind.

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