Montag, 26. November 2018

Holding On

HOLDING ON wird zur Gruppe der „Serious Games“ gezählt. Und wenn man sich vor dem Spielen klarmacht, dass Unterhaltsamkeit definitionsgemäß nicht das Hauptanliegen von Serious Games ist, wird man nicht so sehr enttäuscht.

Wie geht HOLDING ON? Wir sind Pflegekräfte einer Palliativstation. Ein Patient namens Billy Kerr wurde eingeliefert. Wir sollen ihm seine letzten Tage so angenehm wie möglich machen. Das bedeutet in diesem Falle: Billy kennenlernen und ihn zum Erzählen bringen, dass er sich bestimmte Dinge von der Seele reden kann.
Das Spiel findet auf zwei Ebenen statt. Erstens: Arbeitsorganisation. Vom Stapel wird dreimal pro gespieltem Tag eine Karte aufgedeckt, die anzeigt, wie es um Billy steht. Wir müssen mehr oder weniger Personal und bei Notfällen Versorgungsmarker einsetzen.
HOLDING ON ist so angelegt, dass es immer wieder Tage geben wird, an denen das Personal Doppelschichten fahren muss. Das bedeutet Stress. Nach zu viel Stress fällt eine Figur aus und steht einen gesamten Tag nicht zur Verfügung.
Billys Zustand wird trotz temporärer Erholungen immer schlechter werden. Stirbt Billy, haben wir verloren. Trotzdem müssen wir mit unseren Markern gut haushalten, denn wir benötigen sie für die zweite Spielebene: das Erinnern.
Wenn Billy nicht gerade akut versorgt werden muss, dürfen wir Marker einsetzen, um zufällige Erinnerungskarten aus dem Stapel zu erhalten. Dies sind zunächst nur „vage Erinnerungen“. Der Text der Karte wird vorgelesen. Ein verschwommenes Bild deutet an, worum es gehen könnte. Für das Ziel eines Szenarios benötigen wir aber „klare Erinnerungen“, meistens sogar ganz bestimmte.
Um an sie heranzukommen, ziehen wir aus einem anderen Stapel. Auf diese Weise erhaltene Karten dürfen wir nur dann behalten, wenn wir bereits die zugehörige vage Erinnerung besitzen. Wir brauchen also erst mal einen Vorrat an vagen Erinnerungen, um mit gewisser Erfolgsaussicht klare Erinnerungen gewinnen zu können.
Die Kampagne läuft über zehn Szenarien, in denen die Anforderungen immer ein wenig variieren.


Was passiert? Zunächst passiert nicht sehr viel, weil die Anleitung es verhindert. Aufgrund einiger Ungereimtheiten der deutschen Version habe ich mir zusätzlich die englische heruntergeladen und siehe da: Dort steht es in Details anders.
Aber eine gute Anleitung ist auch die englische nicht. Das Regelheft krankt daran, dass über den kompletten Ablauf eines Krankenhaustages nur überblicksweise Auskunft gegeben wird und man sich die Einzelheiten an mehreren Stellen zusammensuchen muss. Manche Dinge werden überhaupt nicht erklärt und stattdessen auf die Symbolübersicht verwiesen, die wiederum nicht selbsterklärend ist.
Und lohnt sich die Mühe mit der Anleitung wenigstens? Ähm, äh ... Der Reiz, die Figuren einzusetzen, um die Arbeit klug zu organisieren, flacht schnell ab. Tag für Tag wiederholen sich dieselben Schemata. Eine echte Wahl haben wir selten. Wir müssen Billys Zustand nehmen, wie er kommt, und darauf reagieren. Man kann beim Personaleinsatz ein bisschen zocken, man kann sich auch verzocken, aber dadurch wird es nicht reizvoller. Letztendlich ist es sogar egal, wie man spielt. Geht das Szenario verloren, beginnt man es einfach wieder von vorn.
Die Erinnerungen wirken anfangs sehr interessant. Man liest die Texte aufmerksam und versucht, sich einen Reim auf die Bilder zu machen. Doch für das Spiel ist es unerheblich, was man hier entdeckt oder interpretiert. Vor dem nächsten Szenario werden alle Karten wieder eingemischt, so als hätte das Krankenhauspersonal komplett vergessen, was Billy ihm erzählt hat.
Billys Geschichte wird nur durch den Stapel der Szenariokarten weitererzählt. Und das eigentliche Spiel ist nur dazu da, dass wir uns durch einen Sieg die Qualifikation erwerben, zum nächsten Szenario überzugehen und dadurch im Szenariostapel voranzukommen. Alles, was kommen wird, steht unabhängig vom Spielverlauf fest. Unsere einzige Einwirkung besteht darin, ob wir fürs Abarbeiten dieses vorgegebenen Skriptes mehr oder weniger Partien benötigen.


Was taugt es? HOLDING ON fühlt sich sehr schnell repetitiv an. Gestaltung und Inhalte der Erinnerungskarten rücken in den Hintergrund, weil die Erinnerungen durch die Spielmechanik zum bloßen Mittel degradiert werden, um ins nächste Level aufzusteigen.
Wenn man wegen Kartenpech ein Szenario verliert, ist die Motivation gering, es noch einmal anzugehen und den gesamten Ablauf erneut zu durchlaufen. Es ist wie Nachsitzen: ein rein formaler Akt ohne Erkenntnis- oder Erfahrungsgewinn.
Wer bis zum Finale durchhält, wird mit einem interessanten Story-Twist belohnt. Ohnehin ist die erzählte Geschichte als solche respektabel, denn über den fiktiven Anteil hinaus erzählt sie reale Zeit- und Sozialgeschichte. Doch die Erzählmöglichkeiten eines Spiels reichen nun mal nicht an die eines Buches oder Filmes heran, und wenn dann noch die Spielmechanik langweilt, ist das ambitionierte und grafisch bemerkenswerte HOLDING ON am Ende gescheitert.


** misslungen

HOLDING ON von Michael Fox und Rory O’Connor für zwei bis vier Spieler, Hub Games.

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