In meiner armseligen Fokussierung auf den Mechanismus vergesse ich leider allzu oft die Geschichte hinter einem Spiel und die Welt, in der es spielt. Das soll mir diesmal nicht passieren. Im liebreizenden Tal Everdell ist nämlich alles ganz außerordentlich bezaubernd.
So bezaubernd, dass die Anleitung mit einem wunderschön holprigen Gedicht einleitet. Das lässt alle Herzen höherschlagen, genauso wie die putzige Talbevölkerung, die neue Freundschaften schließen möchte, um fortan gemeinsam im Schatten des mächtigen Immerbaums fantasievolle Bauwerke zu errichten.
Klar, man könnte auch ganz doof sagen, EVERDELL sei ein weiteres Personaleinsatzspiel mit Rohstoffen, aus denen man irgendwas baut. Aber in diesem Fall: Nein! In diesem Fall ist alles anders; es ist nämlich ganz, ganz liebreizend!
Wie geht EVERDELL? Es ist ein weiteres Personaleinsatzspiel mit Rohstoffen, aus denen man irgendwas baut. Wir starten mit zwei Figuren, Runde für Runde werden es automatisch mehr. Die Figuren entsenden wir zu freien Feldern, wo sie Rohstoffe oder Karten bekommen oder später im Spiel auch Punkte, wenn man bestimmte Ziele erreichen konnte.
Unter Verwendung der Rohstoffe spielen wir Karten in unsere Auslage: Bauwerke und Wesen. Wesen sind sogar kostenlos, falls man das zugehörige Bauwerk besitzt. Insgesamt passen nur 15 Karten in die eigene Stadt, und nur unter besonderen Umständen kann man Karten wieder loswerden.
Die Karten bringen entweder: ein regelmäßiges Einkommen, einen Einmal-Effekt, einen permanenten Vorteil, Bonuspunkte am Schluss, oder sie erschaffen zusätzliche Figuren-Einsatzfelder.
Wer keinen Zug mehr ausführen kann oder möchte, wechselt in die nächste Jahreszeit, was bedeutet, alle eingesetzten Figuren zurückzuholen und eventuell ein Einkommen zu erhalten. So sind nicht alle Spieler:innen immer in derselben Jahreszeit, die Einsatzfelder werden nicht alle gleichzeitig geräumt, sondern in Wellen.
Was passiert? Nicht so viel anderes als in anderen Spielen mit Personaleinsatz und Rohstoffen. Aber alles hier ist putziger und bezaubernder. Die Rohstoffe sehen cool aus und fühlen sich gut an, die Karten sind toll illustriert. Und dann ist da noch der beeindruckende Immerbaum aus Pappe…
… dessen einzige Funktion darin besteht, ein paar Dinge auf ihm abzulegen. Ansonsten steht er rum und versperrt die Sicht. Es ist tatsächlich praktischer, ohne ihn zu spielen. Karten, die nicht direkt vor mir liegen, kann ich wegen der gewählten Schriftgröße und -type ohnehin kaum lesen. Wenn sie auf dem Baum liegen, schon gar nicht.
Spielerisch interessant ist die Beschränkung auf 15 Karten. Sie zwingt dazu, die richtige Mischung aus Masse und Klasse zu finden. Bis zum Schluss will ich meine 15 Plätze natürlich ausgenutzt haben, aber eben auch mit möglichst Wertvollem.
Ein schönes (oder für manche auch: ärgerliches) Glücksmoment sind die Synergien. Während der Partie strebe ich an, Kartenpaare zu ergattern, die es mir ermöglichen, einige der Wesen kostenlos auszuspielen. Gelingt das, macht es Freude. Und ich strebe einen sinnvollen Stadtaufbau an, der möglichst früh Spielvorteile für mich freischaltet und im Finale aufs Generieren von Punkten umschwenkt. Auch da bin ich vom Kartenangebot abhängig – wodurch es aber spannender wird.
EVERDELL vereint also Personaleinsatz mit Kartenmanagement. Und sieht dabei gut aus.
Was taugt es? EVERDELL spielt sich angenehm. Man kann optimieren, man kann hoffen, man schnappt einander Dinge vor der Nase weg. Jede:r baut sich eine Maschine auf, man wächst und entwickelt sich weiter. EVERDELL löst überwiegend positive Spielgefühle aus. Negativ fühlt es sich nur dann an, wenn die Konkurrenz ein hohes Einkommen generieren und tolle Kombinationen ergattern kann – und man selbst nicht.
So richtig neu ist allerdings nichts an EVERDELL. Und auch die Mischung der ohnehin schon bekannten Elemente erzeugt kein spezifischeres Spielgefühl oder fordert zu neuartigen Überlegungen hinaus. Absolut ärgerlich finde ich den blöden Baum, der bedeutsam aussieht, aber keine wichtige Funktion hat und ansonsten nur stört.
**** solide
EVERDELL von James A. Wilson für eine:n bis vier Spieler:innen, Starling Games / Pegasus Spiele.
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