„Oniria ist die Heimat einer uralten Drachen-Zivilisation: ein idyllisches Paradies, von Drachen geschaffene Wunderwerke, eingebettet in eine üppige Landschaft. Einst mag dies wahr gewesen sein. Aber Oniria verändert sich und die gesamte Welt wird in ihren Grundfesten erschüttert. Doch es gibt auch noch eine Legende, die besagt, dass einst ein Mensch dem Land in einem schweren Konflikt den Frieden brachte. Jahrhunderte sind seitdem vergangen und Oniria benötigt erneut Hilfe.“
So beginnt die Anleitung von WONDER BOOK, und ich vermute, der Spielspaß korreliert ziemlich stark mit der Einschätzung, ob die Geschichte vielversprechend losgeht oder nicht. Für mein Empfinden beginnt die Geschichte schlecht: Abgesehen von der abgedroschenen Story (Ach, schau, eine Fantasy-Welt benötigt Hilfe aus der realen Welt!) irritiert mich die Sprunghaftigkeit: Erst ist es ein Paradies, dann ist es doch kein Paradies mehr, dann ist es ein Paradies in Veränderung. Die Veränderung erschüttert die Welt, und man fragt sich: Unsere? Dann kommt eine Legende ins Spiel. Sie handelt zwar von der Vergangenheit, doch offenbar wird vorausgesetzt, dass Geschichte sich wiederholt und wegen dieser Legende Hoffnung für die Gegenwart besteht.
Wie geht WONDER BOOK? WONDER BOOK nennt sich selbst „Pop-Up-Spiel“, und tatsächlich: In der Mitte des Spielplans steht ein großer Pop-Up-Baum. Gespielt wird größtenteils auf der Fläche um den Baum herum, teilweise auch im Baum selbst, teilweise auf oder mit Objekten, die erst später zum Vorschein kommen.
Sechs Kartenstapel leiten durch die sechs Spiel-Kapitel. Wir beginnen bei der obersten Karte, lesen und bekommen nach und nach neue Regeln mitgeteilt oder die Geschichte wird weitererzählt oder wir werden angewiesen, bestimmte Karten oder Edelsteine an verschiedenen Stellen des Spielplans auszulegen.
Immer wieder müssen wir uns zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden: Wollen wir jemandem trauen oder sind wir vorsichtig? Wollen wir Schätze an uns nehmen oder eine uralte Schrift lesen? Entsprechend unserer Entscheidungen müssen wir bestimmte Schlagworte aufschreiben, und später in der Geschichte hängen die weitere Handlung sowie Strafen oder Belohnungen davon ab, was wir notiert haben.
Spielmechanisch im Vordergrund stehen die Würfelkämpfe gegen unsere Feinde, die Wyrms. Hier kann man etwas taktieren, wo man sich positioniert und wie man seine Held:inneneigenschaft einsetzt; ansonsten entscheidet der Zufall.
Ebenfalls wiederkehrend ist die Anforderung, bestimmte Felder zu erkunden, also hinzulaufen und die oberste Karte von einem Stapel zu ziehen, um Informationen oder Boni zu erhalten oder das Spiel voranzutreiben. Oft stören dabei die Wyrms und müssen erst mal wieder weggekämpft werden.
WONDER BOOK bindet das Pop-Up und dessen Illustration ins Geschehen ein. Man muss nach Objekten suchen, grafische Details beachten, man darf geheime Mechanismen öffnen, man muss geschickt sein.
Nach sechs gewonnen Partien ist WONDER BOOK vorbei. Man kann es aber noch mal spielen, und es wird nicht komplett identisch verlaufen, sofern man an den Story-Weichen andere Entscheidungen trifft.
Was passiert? Trotz unserer Wahlmöglichkeiten fühlt sich WONDER BOOK gradlinig und stark gescriptet an. Denn natürlich steht schon vorab fest, wann welche Pop-Up-Elemente zum Einsatz kommen. Das Drehbuch ist längst für uns geschrieben.
Zu keiner Zeit habe ich mich in die Erzählung hineinfinden können. Sie wirkt aus Fantasy-Versatzstücken zusammengeklöppelt, wie man es gerade brauchte. Figuren ploppen auf und heißen „Hüter des Baums der Träume“ oder „König Eidolons Berater“. Doch weder diese schönen Titel noch die Figuren selbst werden mit Leben gefüllt. Sie sind nicht im Spiel enthalten, weil es die Geschichte verlangt. Sondern sie sind in der Geschichte enthalten, weil es das Pop-Up verlangt. Davon fühle ich mich als Rezipient nicht erst genommen.
Dauernd werden viele Worte gemacht, beispielsweise um zu erklären, warum fünf Edelsteine auf dem Spielfeld platziert werden und aus welchem magisch-mystischen Grund wir sie einsammeln sollen. Aber am Ende: würfeln wir gegen die Wyrms.
Was taugt es? Spielerisch finde ich WONDER BOOK herkömmlich. Raufen, raffen, rennen. Es ist wie ein Dungeon Crawler. Nur mit langatmigen Textpassagen. Hin und wieder sind auch Regelanweisungen nicht ganz klar, und die Gruppe muss interpretieren, wie es gemeint sein könnte. Und wiederholt reicht die Bemessung der Spielfelder nicht aus, um im Schlachtgetümmel alle erforderlichen Figuren zu platzieren.
Bei allem, was mir nicht gefällt, hat WONDER BOOK aber einen ganz großen Trumpf: die sehr erstaunlichen Pop-Up-Elemente. Was WONDER BOOK da alles hervorzaubert, überrascht. Das Objekt kann mehr, als man denkt. Und auch wenn vieles eher dekorativ bleibt, ist das Bemühen der Autoren spürbar, das Pop-Up auf vielfältige Weise ins Spiel einzubeziehen. WONDER BOOK beschert uns spielerische Momente, die wir so noch nicht hatten. Es ist ein auf seine Weise einzigartiges Spiel, von dem man sich verzaubern lassen kann. Mich hat es wegen zu viel schlechtem Beigeschmack allerdings nicht verzaubert.
*** mäßig
WONDER BOOK von Martino Chiacchiera und Michele Piccolini für eine:n bis vier Spieler:innen, Abacusspiele / dV Games.
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