Mittwoch, 8. April 2020

Vor 20 Jahren (88): Ohne Furcht und Adel

Abgeschabte Karten? In diesem Fall ein Qualitätsmerkmal. Denn die Schäden besagen: Mein Exemplar OHNE FURCHT UND ADEL wurde sehr häufig gespielt.

OHNE FURCHT UND ADEL gewann 2000 den À-la-carte-Preis, es wurde für die Wahl zum Spiel des Jahres nominiert, beim Deutschen Spielepreis belegte es Platz 6. Namhafte Kritiker waren vollkommen begeistert. Andreas Mutschke bezeichnete OHNE FURCHT UND ADEL (in Fairplay 52, 2000) als „wirklich eine der besten Neuheiten dieses Jahrgangs und vielleicht sogar noch ein bisschen mehr.“ Edwin Ruschitzka sah (in spielbox 3/2000) das Spiel als „Beleg dafür, welch gewaltiger Tiefgang mit einem Päckchen Karten zu erzielen ist“ und vergab von zehn möglichen Punkten zehn.

Es mag sein, dass ich mich falsch erinnere, deshalb sind die folgenden Angaben ohne Gewähr, und man darf mich im Sinne der Wahrheitsfindung gerne korrigieren. Mir jedenfalls kommt es im Rückblick so vor, als hätten kleine Spiele und somit auch Kartenspiele im Jahr 2000 noch einen anderen Status gehabt als heute. Sie waren im Spieler*innenbewusstsein auf das Locker-Leichte abonniert.


Wie man mit Karten ganze Welten komponiert, machten seit einigen Jahren aber Sammelkartenspiele wie MAGIC vor. Und so langsam, um die Jahrtausendwende, kamen vermehrt Kartenspiele wie zum Beispiel VERRÄTER, denen Kritiker bescheinigten, sie fühlten sich an wie vollwertige Brettspiele. Das war als Kompliment gemeint, doch für meine Begriffe schwang da stets mit: Na ja, normalerweise sind diese kleinen Dinger eben nicht vollwertig.

OHNE FURCHT UND ADEL nehme ich in der Rückschau als eines der ersten dieser vermeintlich vollwertigen Kartenspiele wahr. Als Spieldauer gab die spielbox „90 bis 120 Minuten“ an, was der Wahrheit wahrscheinlich näher kam als die auf der Schachtel behaupteten „ca. 60 Minuten“.

Aber was war so besonders? Da waren die Illustrationen aus Frankreich – heute sind wir dran gewöhnt, damals nicht. Da war die Eignung für bis zu sieben Spieler*innen. Und da waren Mechanismen, die frühe Spielarten dessen waren, was später mächtig hip werden sollte. OHNE FURCHT UND ADEL hat diese Mechanismen nicht initiiert, aber auf originelle Weise in einem Spiel zusammengeführt und damit weiterentwickelt.

Trotzdem gilt – so mein Eindruck – OHNE FURCHT UND ADEL eher nicht als großer Klassiker. Gewiss hätte der Titel Spiel des Jahres geholfen. Aber davon abgesehen: Wenn ich in mich hineinhorche, ob ich OHNE FURCHT UND ADEL jetzt und heute spielen wollte, käme ich zum Ergebnis: Muss nicht sein. Klar, das kann natürlich an mir liegen ... oder eben auch daran, dass OHNE FURCHT UND ADEL inzwischen doch nicht mehr ganz auf der Höhe unserer Zeit ist.

Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Das Spiel kombiniert zu vieles. Und vieles ist mittlerweile eleganter und pointierter umgesetzt. Heute draftet man nicht ein Kartenpaket und wartet die meiste Zeit, bis endlich alle nacheinander ihre Rolle auswählen. Man draftet mehrere Kartenpakete parallel.

Auch das Erraten anderer Rollen oder das Verheimlichen der eigenen gibt es mittlerweile dynamischer. Aus Deduktion ist vielfach Social Deduction geworden, ein kommunikatives Gruppenerlebnis, bei dem wir nicht nur mit Pokerface dasitzen, sondern noch direkter interagieren, argumentieren, schauspielern, anschuldigen, lügen.

Trotzdem war und ist OHNE FURCHT UND ADEL ein Glücksfall. Denn neue, bessere Spiele können nur deshalb entstehen, weil alte, gute Spiele vorher da waren. Insofern bedeutet mir OHNE FURCHT UND ADEL auch heute noch einiges und ist stets selbstverständlicher Teil meiner Sammlung geblieben.

4 Kommentare:

Max hat gesagt…

Eigentlich ein super Spiel, ist aber auf meiner Schwarzen Liste, weil ich mal in voller Besetzung gegenüber meiner heutigen Frau, gelinde gesagt, die Contenance verloren habe. Der Abend war sofort zu Ende, Raucher wie Nicht-Raucher standen bei Minusgraden eine Stunde auf dem Balkon. Die Hälfte der damals Anwesenden versteht bis heute nicht, wie wir noch heiraten konnten. Jetzt Udo noch, "kein grosser Klassiker". Das Spiel fliegt endgültig raus. Ich bräuchte insgesamt mehr Hilfe, welche Spiele rausfliegen dürfen.

Anonym hat gesagt…

Aus meiner Sicht konnte oFuA damals schon weg. Das pure, unplanbare (und in großer Besetzung recht zähe) Chaos, das vielen Spielen von Faidutti innewohnt war noch nie mein Fall. In meinen Augen eines der überbewertetsten Spiele der damaligen Zeit.

Micha A.

Unknown hat gesagt…

Ich liebe das Spiel noch heute und habe mir die überarbeitete Neuauflage Citadels zugelegt.

Norman hat gesagt…

Bei uns kommt oFuA noch immer auf den Tisch. Auch nach Jahren ein Dauerbrenner. Meistens in derselben Besetzung - Stichwort Nostalgie. Einigen Freunden kam die Veröffentlichung von Citadels da gerade recht - so konnten sie sich das Spiel selbst noch zulegen.

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