Als notorischer Pessimist möchte ich für 2024 keine allzu großen Hoffnungen verbreiten, womöglich indem ich aus heiterem Himmel Einleitungen schreibe.
Wie geht KARVI? Wir sind Wikinger:innen und segeln mit unserem Schiff umher: An manchen Orten errichten wir Gebäude. Die zählen Punkte und bringen ein Einkommen. An anderen Orten sammeln wir Plättchen ein, um sie später auf unser Spieltableau zu legen, wo sie bestimmte Fähigkeiten freischalten.
Gelbe Plättchen stehen für Handel. Um sie auf mein Tableau legen zu dürfen, muss ich eine Warenkombination abgeben, erhalte zur Belohnung dann aber bessere Waren. Rote Plättchen stehen für Plünderungen. Um sie legen zu dürfen, muss die Crew an Bord meines Schiffes eine bestimmte Kriegsstärke erreicht haben. Einige Crewmitglieder werden beim Legen des Plättchens verwundet oder ich muss sie gar abgeben. Ich gewinne aber Punkte und auch Waren.
Mein Schiff darf in jedem meiner Züge weitersegeln, sofern ich die Kosten bezahlen kann (Währung: Brot), was übrigens bald zum Problem wird, weil das Startbrot schnell weggefuttert ist. Was ich sonst noch in meinem Zug mache, entscheidet sich auf einem Rundkurs mit Aktionsfeldern. Auf diesem Parcours ziehen wir mit je zwei Figuren (im Spiel zu viert hat man nur eine). Wer ganz hinten steht, ist dran und darf beliebig weit auf ein freies Feld nach vorne springen – aber nicht wieder rückwärts.
Der Mechanismus ähnelt beispielsweise EGIZIA, beinhaltet aber eine Neuerung: Die meisten Felder kosten Bier. Meine Figur ist ein Würfel und kann null bis fünf Bier anzeigen. Setze ich den Würfel auf ein Feld mit Bierkosten, ziehe ich mir die entsprechenden Biere ab. Ist der Würfel bei Null angekommen, bleiben mir nicht mehr viele mögliche Felder, ich muss viele Aktionen auslassen.
Aktionen sind beispielsweise: Ich darf ein gelbes Plättchen, das mein Schiff zuvor eingesammelt hat, auf meinem Tableau platzieren. Oder ein rotes Plättchen. Oder ich erhöhe meine Kampfstärke. Oder ich erhalte Waren. Oder Brot. Oder Bier. Oder ich rüste mein Schiff aus.
Dafür habe ich Ausrüstungsplättchen, die zu Beginn der Partie entweder zufällig zugeteilt oder gedraftet wurden. Manche bringen mir permanente Effekte. Andere zählen Punkte. Gemeinsam ist ihnen, dass ich nicht nur Waren abgeben, sondern auch noch verschiedene Bedingungen erfüllen muss, um das Plättchen legen zu dürfen. Beispielsweise könnte eins der Teile verlangen, dass ich schon vier rote Plättchen auf meinem Tableau habe. Punkte zählt es dann aber für etwas ganz anderes.
Was passiert? Der Mechanismus, um Aktionen auszulösen, packt sofort: Spiele ich biersparend, um flexibel zu bleiben? Lohnt sich ein weiter Satz, um ganz sicher die favorisierte Aktion zu bekommen? Welche Aktion hat überhaupt ein gutes Bier-Leistungs-Verhältnis?
Je näher das Finale rückt, desto dringender bin ich auf ganz bestimmte Aktionen angewiesen: Ich habe vielleicht rote Plättchen neben meinem Tableau liegen. Die will ich natürlich noch einsetzen. Allerdings brauche ich dafür zuerst eine stärkere Bordbesatzung. Dringend will ich auch noch ein Ausrüstungsteil spielen, das viele Punkte zählt ... Man fiebert mit, was man noch schaffen kann und welche Felder die Mitspieler:innen freilassen. Man pokert und traut sich einen lukrativen Zwischenschritt auf die Gefahr hin, dass das dringend ersehnte Aktionsfeld dann besetzt sein könnte.
Ein sehr wichtiges Element von KARVI sind „Ausrüstungskarten“. Die bekomme ich auf verschiedene Art und Weise. Alle funktionieren nach demselben Prinzip: Ich muss eine bestimmte Warenkombination zahlen, um die Karte auszuspielen, dann erhalte ich eine Belohnung. Eine der Kartensorten dreht sich um Schifffahrt und bringt mir Brot oder Schritte mit dem Schiff, die zweite konzentriert sich auf Kampfstärke und Heilung von verwundeten Einheiten, die dritte Sorte bringt Bier oder erlaubt spezielle Züge auf dem Aktionsrondell.
Die Karten sind nicht nur wegen ihrer direkten Effekte wertvoll. Oft ist eine bestimmte Menge ausgespielter Karten die Voraussetzung, um Schiffsausrüstung spielen zu dürfen oder um für gespielte Schiffsausrüstung Punkte zu gewinnen. Auf diese Weise sind alle Elemente in KARVI eng miteinander verwoben.
Wegen der Karten kann ein Spielzug recht umfangreich werden: Ich fahre mit dem Schiff, ich mache meine eigentliche Aktion, und ich hantiere mit meinen Karten, rechne die Ressourcenkosten aus, überlege, ob sich das Ausspielen aktuell lohnt, und möglicherweise hat das Ausspielen Folgewirkungen, die meinen Zug noch mehr in die Länge ziehen. Oder ich erhalte neue Karten, die ich auch erst mal analysieren und in meine Planungen einbeziehen muss.
Mit gründlich denkenden Spieler:innen kann KARVI sehr lange dauern. Die angegebenen „120 Minuten“ wurden in meinen Partien zu dritt und zu viert üblicherweise überboten, teils deutlich. Gemeinerweise verteilt sich die Wartezeit auch nicht auf alle gleich. Sondern oft müssen die, die schlechter dastehen und weniger Handlungsoptionen haben, länger warten. In manchen Partien (vor allem mit Anfänger:innen) tut sich eine Schere auf. Hat jemand den Bierbedarf unterschätzt und ist nun auf dem Parcours zu weiten Sprüngen gezwungen, bedeutet das eben auch, eine ganze Weile nicht mehr dran zu sein.
Was taugt es? KARVI ist ein dichtes, spannendes und gut verwobenes Spiel. Ich verfolge viele Ziele gleichzeitig (mit dem Schiff bestimmte Orte erreichen, gelbe und rote Plättchen aktivieren, Voraussetzungen erfüllen, um Ausrüstung ins Spiel zu bringen, und Voraussetzungen erfüllen, um zu punkten). Ich muss Prioritäten setzen.
Insbesondere muss ich auch meine Ausgangsposition lesen: Welche Plättchen habe ich? Was davon harmoniert? Was kann ich realistischerweise schaffen und wie muss ich dann spielen? Immer wieder wird es auch nötig sein, Ziele neu zu justieren und flexibel darauf zu reagieren, wenn Mitspieler:innen meine Wunschfelder blockieren oder mich mit ihren Schiffen behindern. Ich empfinde jeden Zug als spannend, und die Spannungskurve steigt zum Finale immer weiter an, wenn Pläne gerade noch so aufgehen oder doch irgendwas dazwischenkommt.
Außer der langen Wartezeiten gibt es für mich allerdings eine zweite bittere Pille. Während sich die Ausrüstungskarten rund um Schifffahrt und Kampfstärke für mein Empfinden harmonisch ins Gesamtsystem einfügen, fremdle ich mit den Bier- / Würfelkarten, die mir manchmal schon solch starke Vorteile gebracht haben, dass es mir unangenehm war. Beispielsweise darf ich meinen Würfel rückwärts ziehen, was im geeigneten Moment sehr mächtig sein kann.
Natürlich steht es jede:r frei, sich diese Karten zu besorgen, wenn man sie denn für so wertvoll hält (wobei man natürlich immer noch das Glück braucht, die richtigen zu erwischen). Dennoch löst dies nicht das von mir empfundene Problem, dass diese Karten den sehr reizvollen Zugmechanismus etwas entwerten. Ich finde es toll, wenn ich um jeden einzelnen Bierpunkt und jeden einzelnen Würfelschritt mit mir ringen muss. Deswegen bedaure ich es, wenn Karten mit dominanten Effekten ins Spiel kommen, die in dieses sehr taktische Gefüge chaotisieren.
***** reizvoll
KARVI von Torgeir Tjong für zwei bis vier Spieler:innen, Hans im Glück.
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