Mein Blog braucht keine eigenen Einleitungen, denn oft bringen die besprochenen Spiele die allerschönsten Einleitungen mit, indem sie versuchen, ihre Themenlosigkeit mit bedeutungsvoll klingenden Phrasen zu übertünchen.
Zum Beispiel BÜCHER DER ZEIT: „Seit Jahrtausenden wird die Geschichte der Menschheit niedergeschrieben. Unsere technologischen Errungenschaften, geografischen Entdeckungen und das Streben nach Fortschritt ziehen sich wie ein roter Faden durch unsere Geschichtsbücher. Nun liegt es an euch, den Lauf dieser Geschichte zu gestalten. In diesem Spiel für 1 - 4 Bücherfans wartet die Menschheitsgeschichte darauf, von euch geschrieben zu werden.“
Ich finde es schön, mir die Menschheitsgeschichte vorzustellen, wie sie da irgendwo sitzt und auf ihre Niederschrift wartet. Und ich klatsche freudig in die Hände, wie „Errungenschaften“ und „Entdeckungen“ hervorgehoben werden, die im Spiel lediglich als austauschbare Illustrationen auftauchen.
Worum es wirklich geht, verrät der nächste Satz: „Füllt im Laufe der Partie eure Bücher mit neuen Seiten und erstellt dabei einzigartige Fähigkeitskombinationen.“ Es geht um Währungen, Symbole, Aufstiege auf Skalen und am Ende um Punkte. Um geschichtliche Ereignisse geht es überhaupt nicht, auch wenn ein sechsseitiger Anhang Hintergrundinformationen zu den Illustrationen gibt.
Und die Bücher, die wir zusammenheften, ergeben keine Geschichte. Wenn ich möchte, kann ich Marie Curie vor Archimedes einheften, ich kann auch zweimal Marie Curie einheften. Damit erzähle ich nichts und erst recht schreibe ich keine Menschheitsgeschichte. Ich sortiere bloß meine Karteneffekte.
Wie geht BÜCHER DER ZEIT? Auffälligstes Spielmaterial sind pro Person drei Hefter mit Buchdeckeln. In den grünen Hefter gehören grüne Seiten, in den gelben gelbe, in den roten rote. In der Schlusswertung kommt es beim gelben Hefter darauf an, dass Seiten mit bestimmten Symbolen in einer vorgegebenen Reihenfolge abgeheftet sind. Bei den anderen beiden Büchern ist die Reihenfolge egal. Dort geht es nur darum, geforderte Symbole zu sammeln.
Die Buch-Schlusswertung ist aber nur ein Teil des Punktekuchens. Wir sammeln auch viele Punkte im Spielverlauf, entweder durch Effekte unserer Buchseiten oder auf den drei Skalen des „Zivilisationsplans“. Und auch dort können wir Schlusswertungen freischalten, welche die bloße Menge der eingehefteten grünen, gelben oder roten Seiten belohnen.
Als Rundenzähler fungiert die „Chronik“. Das ist ein Hefter, der niemandem gehört und schon zu Beginn komplett bestückt ist. Mit welchen Seiten und in welcher Reihenfolge, ist in jeder Partie anders. Pro Runde wird die Chronik um eine Seite weitergeblättert. Die nun offen liegende Doppelseite zeigt zwei mögliche Aktionen. Eine davon führe ich aus sowie zusätzlich eine von sechs Standardaktionen.
Beispielsweise: Ich nehme entweder zwei Seiten aus der Auslage in meinen Vorrat. Oder ich hefte beliebig viele Seiten aus meinem Vorrat in meine Bücher ein. (Das kostet Ressourcen.) Oder ich nutze die in einem meiner Bücher aktuell aufgeblätterten Aktionen und blättere anschließend weiter.
Was passiert? Ich will an die richtigen Seiten herankommen, und ich will sie zumindest teilweise in einer bestimmten Reihenfolge anordnen. Und ich will das in möglichst wenigen Zügen schaffen. Falls ich also abhefte, dann am besten gleich meinen kompletten Vorrat. Um das bezahlen zu können, muss ich zuvor einige Ressourcen horten. Und ich muss eine kluge Abfolge austüfteln, denn jedes Abheften bringt Sofortbelohnungen, teils Ressourcen, teils Seiten. Damit kann ich meinen Kettenzug gezielt verlängern.
Meine Hefter baue ich zu drei Aktions-Maschinen aus. Denn Seiten will ich nicht nur wegen ihrer Symbole und somit wegen ihrer Punkte. Einige der Seiten will ich obendrein für die darauf abgebildeten Aktionen. Und so kann es sinnvoll sein, zwei bestimmte Seiten gezielt hintereinander anzuordnen. Wenn ich nach der Aktion umblättere, kommt dahinter eine Doppelseite, die mit dem soeben erworbenen Material weiterarbeitet.
Oder umgekehrt: Ich war genötigt, eine Seite einzuheften, deren Aktion mich nicht interessiert. Dann werde ich möglichst bald eine Seite draufheften, die verwendbarer erscheint.
Diese gesamten Planungen führen dazu, dass wir alle ständig in unseren Heftern herumblättern, um zu sehen, welche Symbole schon drin sind und welche noch fehlen, welche Aktionen möglich sind und was zwei Seiten später geschehen könnte. Das ist einerseits originell, andererseits aufwendig und unelegant.
Was taugt es? BÜCHER DER ZEIT ist ein weitgehend interaktionsloses Optimierungsspiel, bei dem wir Ressourcen sammeln und tauschen und aus Effizienzgründen möglichst lange Aktionsketten auslösen wollen. Je nach Grübelbedarf der Spielerunde kann sich das Durchrechnen der Möglichkeiten in die Länge ziehen. Die auf der Schachtel versprochenen „45 bis 60 Minuten“ sind bei drei oder vier Spieler:innen illusorisch. Zumal viele Entscheidungen taktisch und situativ geprägt sind. Welche Optionen die Chronik bietet, lässt sich nicht vorhersehen. Welche Seiten im Markt liegen, ändert sich rasch.
Wir nehmen also Ressourcen, wir tauschen und bezahlen sie, wir steigen auf Skalen auf, wir sammeln Karten-Sets. Rein mechanisch ist das wenig spektakulär. Einen coolen Dreh bekommt das herkömmliche Geflecht erst durch das Einheften. Allerdings: Aus dem Buchthema holt BÜCHER DER ZEIT wenig heraus. Thematisch nicht und auch mechanisch nicht. Im Laufe der Partie nutzen wir nur wenige Aktionen zum Umblättern. Die Bücher treten in ihrer Eigenschaft als Bücher wenig in Erscheinung. Überwiegend sind sie eben doch nur Hefter.
BÜCHER DER ZEIT benutzt eine gut verständliche Symbolsprache. Und weil es nur sechs Grundaktionen gibt, die auf einer Übersicht klar dargestellt sind, muss – sofern eine:r die Regeln kennt – nicht allzu viel erklärt werden, bevor es losgehen kann.
Die unterschiedlichen Punktequellen führen dazu, dass es glücklicherweise nicht nur einen Weg zum Ziel gibt. Man kann brav die Buchwertungen befolgen und perfekte Symbolsammlungen zusammenstellen. Ich habe aber auch Strategien als erfolgreich erlebt, die vorrangig auf Masse setzten. Indem ich einfach nur sehr viel einhefte, setze ich die Sammler:innen unter Druck, die dann nicht mehr die erhofften Symbole bekommen. Gerade im Spiel zu viert werden die Buchseiten sehr knapp.
**** solide
BÜCHER DER ZEIT von Filip Glowacz für eine:n bis vier Spieler:innen, Giant Roc.
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