Samstag, 11. Januar 2025

Medical Mysteries: New York

Medical Mysteries New York: Cover

Mittlerweile traurige Normalität: Der Wochenend-Notdienst war überlastet und konnte für diese Einleitung nichts mehr tun.

Wie geht MEDICAL MYSTERIES? Wir sind ein Krankenhausteam und behandeln medizinische Notfälle. Zum Beispiel kommt (im Tutorial) die 53-jährige Luana Kapule in unsere Klinik. Sie klagt über starke Schmerzen und gibt an, bei der Gartenarbeit möglicherweise einen Hitzschlag erlitten zu haben.
Wie bei allen anderen Patient:innen auch – in der NEW YORK-Box gibt es vier weitere – ist unsere wichtigste Aufgabe, das Überleben von Luana Kapule zu sichern. Darüber hinaus sollen wir sie möglichst gut erstversorgen, die Ursachen ihrer Schmerzen herausfinden, die nötigen Maßnahmen ergreifen und die idealen Medikamente verabreichen.
Eine „Zustands-Karte“ zeigt uns, welche Aktionen erlaubt sind. Beispielsweise „Gespräch“, „Urinanalyse“, „Großes Blutbild“, „Ultraschall“, „Antibiotika“, Morphin-Infusion“ und so weiter. Jede Maßnahme führt zu einem Buchstaben-Code, unter dem wir in einem 20-seitigen Heftchen und auf Storykarten nachlesen, was wir erfahren oder bewirkt haben.

Medical Mysteries New York: Tutorial

Nach jeweils drei Aktionen sind im Krankenhaus zwei Stunden vergangen, und wir müssen wieder per Buchstabencode nachsehen, ob sich der generelle Zustand der Patientin verändert hat oder ob neue Wendungen eingetreten sind. Eventuell stehen uns nun andere Maßnahmen zur Verfügung. Oder Maßnahmen bringen ein anderes Ergebnis als noch früher am Tag.
Nach zwölf Aktionen sollten wir unsere Behandlung abschließen und schreiben stichpunktartig ein Protokoll über unsere Erkenntnisse und Empfehlungen. Als Rückmeldung erhalten wir einen Punkte-Score. Unabhängig davon gilt eine Partie als gewonnen, wenn die Patient:innen überleben.

Was passiert? Je nach medizinischer Vorbildung der Spieler:innen kann MEDICAL MYSTERIES lese- und damit arbeitsintensiv sein. Das Spiel enthält fünf doppelseitige Informationsbögen zu Themen wie „Medikamente“, „Blut“, „Tests“, „Herzgesundheit“, „Gehirngesundheit“, „Gynäkologie“. Nicht alles braucht man für jede Partie; man muss filtern.

Medical Mysteries New York: Infotexte

Die Texte vereinfachen die Materie für Spielzwecke natürlich sehr, dennoch stecken sie unweigerlich voller Fachbegriffe. Einiges weiß man möglicherweise auch aus eigener Erfahrung; spezielle Nebenwirkungen oder Gegenanzeigen von Medikamenten gehören aber eher nicht zum Allgemeinwissen. Bevor man irgendwelche weitreichenden Entscheidungen trifft, sollte man sich grundlegend informieren oder zumindest absichern.
Obwohl die Spielhandlung nur aus Lesen, Vorlesen und Diskutieren besteht und das Material nur aus Textkarten und Textblättern mit ein paar Bildern, ist die Immersion enorm. Die fiktiven Patient:innen wirken echt, wir denken uns in ihren Alltag und ihre Verhaltensweisen hinein, wir agieren mit dem Spiel wie mit einem realen Menschen.
Entsprechend hoch ist die Spannung, ob wir mit unseren Maßnahmen richtig liegen, ob wir helfen können, ob wir alles entdeckt haben und sich der Zustand unserer Patient:innen verbessert. Obwohl wir (meistens) alle Zeit der Welt haben, um uns zu besprechen und unsere Entscheidungen zu treffen, überträgt sich der Zeitdruck einer Notaufnahme auch auf uns. MEDICAL MYSTERIES fühlt sich an wie ein Kampf gegen die Uhr. Und wie der Kampf um das Leben unserer Patient:innen.

Was taugt es? Was den Grad der Immersion und auch was wesentliche Spielprinzipien angeht, erinnert mich MEDICAL MYSTERIES an DETECTIVE. Nur eben, dass wir keinen Kriminalfall, sondern einen Krankheitsfall lösen.
Kriminalfälle im Spiel haben den Vorteil, intuitiver zu sein. Um als Ermittler:in die richtigen Schlüsse zu ziehen, benötigt man weniger Vorwissen. Was vielleicht auch daran liegt, dass wir durch Krimikonsum gut trainiert sind. (Und was ich, wenn es denn stimmt, gesellschaftlich bemerkenswert finde: Wir wissen tatsächlich mehr über Verbrechen als über Medizin!?)

Medical Mysteries New York: Patient:innen

MEDICAL MYSTERIES ist also allein schon von seinem Thema her ein spezielleres Spiel als Krimi- oder Rätselspiele. Es wirft zudem die Frage auf, ob man das darf: mit Krankheit spielen. Die persönlichen Hemmschwellen sind da gewiss unterschiedlich.
Ich habe keine Bedenken. MEDICAL MYSTERIES behandelt das Thema seriös, respektvoll und – soweit ich das beurteilen kann – fundiert. Zur Angemessenheit gehört auch, dass wir nicht viele Gelegenheiten bekommen, um Fehlentscheidungen auszubügeln, erst recht keine krassen Fehlentscheidungen. Und natürlich: Es sind keine kreativen Lösungen gefragt. Wir folgen einem vorgegebenen Skript.
Zur hohen Immersion kommt die hohe Originalität. Das Terrain ist spielerisch längst nicht so plattgetrampelt wie Krimi oder Escaperoom. Ich habe jeden einzelnen Fall gerne gespielt und möchte auch weitere Fälle unbedingt spielen. Weshalb ich auch MEDICAL MYSTERIES: MIAMI FLATLINE längst abgeschlossen habe … hiervon allerdings etwas weniger begeistert war.
Es ist sicher nicht leicht, alle Fälle so anzulegen, dass sie für jede Spielegruppe genau passen oder speziell Udo Bartsch gefallen. Und es ist mir auch klar, dass MEDICAL MYSTERIES witzlos wäre, kämen die Patient:innen mit allzu simplen und immer gleichen Anliegen. Das Spiel soll ja einen Rätsel-Charakter haben.
Spielerisch haben sich für mich dennoch die etwas normaleren Fälle besser angefühlt als die teilweise arg speziellen, die selbst ein reales Krankenhausteam vermutlich nicht so oft erlebt. Und solche spezielleren Fälle nehmen in der MIAMI-Box noch größeren Raum ein. Deshalb bin ich nun etwas im Zweifel, ob sich die Reihe zum Dauerbrenner entwickeln kann oder ob das Potenzial schon ausgeschöpft ist.


***** reizvoll

MEDICAL MYSTERIES: NEW YORK von Nicholas Cravotta und Rebecca Bleau für eine:n bis vier Spieler:innen, Kosmos.

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