Freitag, 30. September 2016

Gern gespielt im September 2016

Langer Urlaub – kurze Liste.

DOMINION EMPIRES: Es gibt wohl kein anderes Spiel, bei dem meine Gewinnquote und der von mir erlebte Spielreiz so sehr im Widerspruch zueinander stehen. Auch EMPIRES ändert daran nichts. In beiderlei Hinsicht.

X NIMMT!: Das kennt man aus Mathe: Eines Tages kommen statt Zahlen Variablen ins Spiel, und dann ist das was für Fortgeschrittene.

ICE COOL: Die Spielkonzepte der Kindheit (in diesem Fall „Fangen“) leuchten letzten Endes doch am meisten ein.

AUTOMANIA: Und irgendwann stört einen nicht mal mehr die Grafik.




Dienstag, 27. September 2016

Was vom Jahrgang übrig bleibt (1):
Spiele für alle

Es ist wieder Herbst. Und wofür steht diese Jahreszeit traditionell? Na klar, die alte Bauernregel sagt es doch schon: „Wirf die Spiele in die Esse, bald kommt Neues von der Messe!“
Da ich keinen Kamin besitze, landen die ausgedienten Spiele notgedrungen im Keller. Und nachdem sie dort ein Jahr lang herumstehen und ich feststelle, dass ich sie tatsächlich nicht mehr benötige, werden sie einem guten Zweck zugeführt.

Also ist der Herbst die Jahreszeit des Abschieds. Die Blätter fallen von den Bäumen, und zu 95 Prozent des Jahrgangs sage ich: „Adieu!“ Spiele behalte ich nur, wenn sie sich aufdrängen. Und da ich vorrangig Neuheiten spiele (muss ich ja), sehen die alten Spiele oft ... na ja, alt aus.
Um nicht aussortiert zu werden, muss mir ein Spiel schon sehr ans Herz wachsen. Noch besser sind die Chancen, wenn es obendrein meinen Mitspielern ans Herz gewachsen ist und / oder sich erwiesenermaßen für die Bespaßung von Spielegruppen eignet. Und perfekt, wenn ich hoffe, dass es Erweiterungen gibt.

Was eigentlich paradox ist. Denn selten sind Erweiterungen wirklich notwendig. Aber: Ich spiele sie guten Gewissens. Im Gegensatz zu älteren Spielen ohne Erweiterung. Denn alte Spiele zu spielen, bringt höchstens Spielspaß, pfui! Und Spielspaß, mal ehrlich, ist voll 90er. Oder etwas für die Rente. Und jedenfalls nichts für jetzt. Denn jetzt geht es beim Spielen vor allem um Verwertbarkeit. Und wer meint, dass das pervers ist, hat wohl irgendwie Recht. Aber ich mache es ja freiwillig so.

Welche Spiele in diesem Jahr übrig bleiben, ist leichter als leicht zu ermitteln. Selten stimmte mein Geschmack so sehr mit dem meinem Mitspieler und mit dem meiner öffentlicher Spielegruppen überein:

1. CODENAMES
Das Über-Spiel. So langsam, nach weit, weit über 100 Partien, merke ich leichte Abnutzungserscheinungen. Die Nachfolgedroge CODENAMES PICTURES kommt genau zur rechten Zeit.

2. KRAZY WORDZ
Der (immer noch) Geheimtipp. Wäre ich Papa Ravensburger, würde ich allerdings schon fragen, warum mein Verlag diese Perle in einer schreiend bunten Allerweltsschachtel und unter dem Dach einer weitgehend unbekannten Marke versteckt.

3. MYSTERIUM
Das Spiel der verpatzten Chance. Trotz aller Kritik (auch von mir): Es macht immer wieder Spaß. Es wird immer wieder hervorgeholt. Es lockt immer wieder Leute an. Es ist etwas Besonderes.

4. ISLE OF SKYE
Das Konsens-Spiel. ISLE OF SKYE passt in öffentlichen Runden ganz exakt für diejenigen, die CARCASSONNE schon kennen und eher taktisch als lustig spielen wollen. Es wird viel Autorenkunst erfordern, die ganz sicher kommende Erweiterung so zu gestalten, dass sie dem Spiel etwas hinzufügt, ohne die relative Leichtigkeit zu zerstören.

Ebenfalls behalten werde ich vorerst AGENT UNDERCOVER, das ich zu originell finde, um es nicht zu behalten. Allerdings ahne ich, dass ich kaum Gelegenheit finden werde, es weiterhin zu spielen. Auch KARUBA als besonders gelungenes klassisches Spiel bleibt da. Und in öffentlichen Runden bewährt haben sich KERALA, DIE FIESEN 7, HAPPY BIRTHDAY.

Es folgt Teil 2: Spiele für einige

Freitag, 23. September 2016

Celestia

In der SPIEL DOCH! 2-2016 (Ohne zu viel Werbung machen zu wollen: Wäre ich mein Leser, ich würd’ sie lesen.) nennt Stefan Gohlisch MYSTERIUM „das Spiel der verpatzten Chance“. Das passt. Und weil mir der Ausdruck gut gefällt und weil er noch woanders, nämlich bei CELESTIA, passt, möchte ich mir die Zeile gerne ausleihen ... was ich hiermit eigentlich auch schon getan habe.

Wie geht CELESTIA? Wir fahren gemeinsam im selben Luftschiff. Je weiter wir kommen, desto mehr Punkte bringt das. Bis das Luftschiff abstürzt. Dann gibt’s für alle an Bord Verbliebenen nichts. Die Kunst besteht deshalb darin, rechtzeitig auszusteigen. Möglichst spät – aber eben nicht zu spät.
Reihum abwechselnd übernimmt in jedem Zug ein anderer Spieler an Bord die Rolle des Kapitäns. Er muss zwei oder mehr Würfel rollen. Die erzielten Symbole stehen für Gefahren, die das Luftschiff bedrohen. Kann der Kapitän die passenden Abwehrkarten spielen, geht es weiter. Kann er es nicht, plumpst das Schiff vom Himmel, alle zuvor Ausgestiegenen freuen sich, und die nächste Fahrt beginnt wieder mit allen an Bord auf Feld eins.
Wer zuerst 50 Punkte sammelt, gewinnt.

Was passiert? Bevor der Kapitän offenbart, ob er den Gefahren trotzen kann, werden reihum alle Passagiere gefragt, ob sie abspringen wollen. Man kann an dieser Stelle rein nach Gefühl entscheiden. Es gäbe aber auch Indizien. Hat der Kapitän Blitze gewürfelt und ist er schon beim letzten Flug am Unwetter gescheitert, wäre das für mich ein Grund, um auszusteigen. Ebenso wenn ich als nächster das Kapitänsamt zu übernehmen hätte und kaum Karten besitze.
Was überhaupt fies ist: Durch ungünstige Würfelergebnisse oder Zufälligkeiten der Sitzreihenfolge kann ich in Kartennot und damit in eine Zwickmühle geraten, aus der ich nur noch durch gutes Würfeln wieder herauskomme: Steige ich wegen Kartenmangel aus, geht die Reise ohne mich womöglich noch sehr lange weiter. Bleibe ich an Bord und würfle dann wieder nicht perfekt, hüpfen alle raus und kassieren Punkte, das Schiff stürzt ab und ich bekomme nichts.
Das ist als Wesen des Spiels aber akzeptabel. CELESTIA ist Würfeln, Zocken und Bluffen. Im Casino gibt es auch keine Auffangnetze. Passt schon. Die Spieldauer entspricht diesem Spielcharakter.
Wirklich ärgerlich ist dagegen die redaktionelle Umsetzung. Anscheinend hat keiner dem Grafiker verraten, dass es neben tollen Bildern auch auf Klarheit, Verständlichkeit und Spielbarkeit ankommt. Dass CELESTIA pikanterweise trotzdem die Auswahlliste 2016 beim Grafikpreis „Graf Ludo“ erklommen hat, werte ich als Indiz, dass dessen Jury ein anderes Verständnis von gelungener Grafik hat als ich.
Selten wurden mir von Mitspielern bei einem Spiel so oft Karten gezeigt: „Was bedeutet das?“ Und (weil CELESTIA auch Übersichten fehlen): „Wann darf ich das spielen?“ Die Regel macht obendrein den Fehler, alle Sonderkarten auf einmal einzuführen und das Grundspiel zur „Variante“ zu erklären. Umgekehrt wäre besser.
Die größte Ironie dabei: Ich finde CELESTIA in der abgespeckten Version ohne all das Brimborium am klarsten und besten. Die Sonderkarten tragen zum Spielspaß nur wenig bei, und der Aufwand, diese Karten einzuführen, steht in einem schlechten Verhältnis zum Nutzen. Als wiederholt spielentscheidend hat sich bei uns übrigens das „Fernglas“ erwiesen. Und die Bedeutung einer Karte wurde komplett falsch übersetzt.

Was taugt es? An sich ist CELESTIA ein gutes Spiel, das Stimmung in eine Runde bringt, die vorrangig Unterhaltung sucht. Spannung, Nervenkitzel, Freude über ein perfektes Würfelergebnis, großes Hallo: Alles ist da. Die besten Partien mit dem besten Spielfluss habe ich immer dann erlebt, wenn ich die meisten Sonderkarten vorab aussortiert habe. Offenbar haben den Verlag ähnliche Rückmeldungen schon häufiger erreicht. Eine Überarbeitung dieses Spiels der verpatzen Chance ist angekündigt.

CELESTIA von Aaron Weissblum für zwei bis sechs Spieler, BLAM! / Heidelberger Spieleverlag.

Donnerstag, 15. September 2016

Böhmische Dörfer

Die Redewendung „Böhmische Dörfer“ bedeutet, etwas nicht zu verstehen. Da der Spruch von Anno dazumal stammt, bin ich unsicher, ob er auch Unverständnis für Layouts abdeckt. Falls ja, kann man sagen: Der Spieltitel trifft!

Wie geht BÖHMISCHE DÖRFER? Wir setzen Figuren in verschiedene Häuser verschiedener Dörfer. Die Figuren bringen Geld. Manche sofort, manche später, manche fortwährend, manche bei Spielende. Wer das meiste Geld besitzt, gewinnt.
Um seine Figuren einzusetzen, würfelt der Spieler am Zug mit vier Würfeln. Mit den Augenzahlen bildet er eine oder zwei Summen, ähnlich wie bei CAN’T STOP, doch mit dem Unterschied, dass nicht immer exakt zwei Würfel eine Summe bilden müssen. Es dürfen auch drei oder alle vier sein. Einzelwürfel verfallen allerdings.
Mit der Summe 6 setze ich eine meiner Figuren irgendwo in ein 6er-Haus, mit der Summe 10 in ein 10er-Haus. Jede Häusernummer steht für andere Modalitäten. Die 8er bringen nur etwas, wenn ich viele 8er habe; die 9er nur, wenn noch mindestens drei weitere Häuser im Ort besetzt sind. Aus einigen Häusern wird häufig herausgeworfen, aus anderen selten, aus manchen nie.

Was passiert? Der Einstieg in BÖHMISCHE DÖRFER ist mühsam. Den nett gemeinten, aber nicht gut gemachten Übersichtskarten fehlen Farbcodierungen oder Symbole, um klar zu zeigen, welches Haus unter welchen Umständen Geld bringt, oder aus welchen Häusern herausgeworfen wird. Auch das Regellayout ist unübersichtlich. Und auf den variablen Spielplänen muss man immer wieder herumsuchen, wo denn nun welcher Gebäudetyp versteckt ist.
Beim Spielen selbst stellen sich zwei Gefühle gleichzeitig ein: 1. Das hat was! Würfeln, auf Glück hoffen, Würfel kombinieren, bestimmte Strategien verfolgen (Spekuliere ich auf die Schlusswertung, regelmäßiges Einkommen, langfristiges Wachstum? Spiele ich friedlich oder aggressiv?). Doch auch: 2. So ganz rund wirkt das nicht. Manche Partien ziehen sich durch gegenseitiges Rauswerfen in die Länge, andere sind zu kurz, ihnen fehlt die Dramaturgie. Manche Elemente zünden gar nicht. Und ... hm, hat man tatsächlich Einfluss oder wird man gespielt? Weil seltener gewürfelt wird als bei einer Partie CAN’T STOP, gleicht sich im Laufe einer Partie auch weniger aus.
Ich vermute, von den 2ern bis zu den 12ern sind zu viele Hausfunktionen im Spiel. Die Konzentration auf gut gegeneinander abgewogene Kernelemente hätte dem Spiel womöglich besser getan. Aber ich bin ja nicht der Redakteur. Mein Metier ist nicht die Ursache, sondern die Wirkung. Und auf mich wirkt BÖHMISCHE DÖRFER wie nicht auf den Punkt gebracht. Das Versprechen auf größeren Spielreiz ist schon da, eingelöst wird es nicht.

Was taugt es? Einigen Mitspielern hat das Spiel gefallen. „Nett!“, ist eine häufige Rückmeldung. Allerdings hat es auch niemand so oft gespielt wie ich. BÖHMISCHE DÖRFER suggeriert, dass es bei besserer Kenntnis toller werden könne. Nur wird es aber gar nicht toller, sondern bleibt weiterhin mittelmäßig.

BÖHMISCHE DÖRFER von Reiner Stockhausen für zwei bis fünf Spieler, dlp games.

Mittwoch, 7. September 2016

German Railroads

Die Klarheit. Sie ist für mich das Besondere und zugleich Herausragende an RUSSIAN RAILROADS. Wobei „Klarheit“ nicht zu verwechseln ist mit „Einfachheit“. Denn einfach ist RRR ganz sicher nicht. Aber eben klar.
Nicht alles Erdenkliche zählt Punkte. Sondern die Fortschritte auf den drei Strecken und bei der Industrie. Meiner Strategie bleibt überlassen, welche der Strecken ich bevorzuge. Im Laufe mehrerer Partien entdecke ich dann, welche Strecken sich gut miteinander kombinieren lassen und wie ich meinen Gleisbau mit dem Freischalten von Plättchen und Karten noch optimiere.
Dass RUSSIAN RAILROADS so rund und geschlossen ist, macht es für Erweiterungen kompliziert: Gefühlt fehlt diesem Spiel nichts. Wozu also was anbasteln?

Was bringt GERMAN RAILROADS? Zwei Module, eine Solo-Variante und etwas Kram.
Das erste Modul („Deutschland“) ersetzt die russischen Tableaus durch deutsche. Die lange der drei Strecken hat nun eine Weiche, an der Weicheier, die den weiteren Weg nach Hamburg nicht mehr schaffen, vorteilhaft nach Berlin abbiegen dürfen. Bedeutender sind die Änderungen an den beiden kürzeren Strecken. Ab Feld 4 bzw. Feld 7 klaffen Lücken. Wer hier ankommt, wählt einen individuellen Streckenteil aus dem Vorrat. Je nach Gestaltung unterstützen die Streckenteile die eine oder andere Strategie. Und wer früh auf den Kurzstrecken voranprescht, darf früh sein Lieblingsteil wählen.
Das zweite Modul („Kohle“) bringt als weitere Währung Kohle ins Spiel. Mit Kohle befeuert man die Gießereien, die Ähnliches leisten wie die Ingenieure. Mit ausgedienten Gießereien kann man ein Lok-Level um 1 erhöhen oder eine Fabrik aufwerten. Die tut bei Aktivierung dann das, was sie normalerweise macht, aber ein Mal mehr. Die aufgewertete Dreier-Fabrik bringt also eine Aktion mehr, die Neuner-Fabrik eine Schlusswertungs-Karte mehr.

Was ändert das? Ohne zu sehr das System zu verändern, gibt es nicht viele Stellschrauben, an denen man bei RUSSIAN RAILROADS drehen könnte. Man kann noch ein paar neue Ingenieure erfinden (und das ist hier auch geschehen; weiter oben von mir als „etwas Kram“ bezeichnet). Und man kann – und das scheint mir am aussichtsreichsten – neue Spielpläne entwickeln. In den 18er-Spielen wird dies genutzt, um landestypische Besonderheiten zu verarbeiten. So etwas klappt bei einem abstrakten Spiel wie RUSSIAN RAILROADS wohl nur sehr begrenzt. Aber vielleicht können landestypische Besonderheiten Inspiration bieten, um Leitmotive für künftige Spielpläne zu entwickeln.
Das Leitmotiv „Wir überlegen uns unterwegs, wie die Strecke aussehen soll“ (ob das typisch deutsch ist, lasse ich mal dahingestellt) ist jedenfalls eine schöne Bereicherung. Es fühlt sich gut an, an dieser Stelle des Spiels noch mal Auswahl zu haben und Entscheidungen treffen zu können.
Die Kohle hingegen hat sich bei mir nicht durchgesetzt. Wird mit Kohle gespielt, verkürzt sich das Spiel um einen Durchgang, und ich habe diesen Durchgang vermisst. Außerdem erlebe ich keinen besonderen spielerischen Mehrwert – mit Ausnahme der Möglichkeit, Fabriken aufzuwerten, was sich für originelle Extremfälle nutzen lässt, beispielsweise um sämtliche Schlusswertungs-Karten aufzusaugen. Aber solche Effekte ließen sich auch anders herstellen, man braucht nicht unbedingt das Element Kohle dafür. Polemisch gesagt, ist das Kohle-Element genau das, was man bei einem Prototypen wohl herausredigieren würde, um das Spiel durch Schlankheit und Kompaktheit zu verbessern.
Und nachdem ich extra das Solo-Spiel gespielt habe, um zwei Sätze darüber schreiben zu können, will ich auch zwei Sätze darüber schreiben. Hier sind sie: Das Solo-Spiel ersetzt natürlich keine Partie mit Mitspielern. Es ist geeignet, um mal Extremstrategien zu testen, und somit nicht völlig uninteressant. Ich werde es aber nicht weiter vertiefen. (Verdammt, jetzt sind es drei Sätze geworden.)

Was taugt es? Hm. Ein Element, das mir gefällt. Und eins, das mir weniger gefällt. Ist das in Summe Mittelmaß? Nein, denn ich würde mir die Erweiterung schon allein wegen der Deutschland-Pläne kaufen. Sie bringen genau die Art von Variation, die ich mir von einer Erweiterung erhoffe und die ich nach über 20 Partien des Grundspiels auch brauche, damit RUSSIAN RAILROADS trotz Neuheitennachschub hin und wieder auf den Tisch gelangt.

GERMAN RAILROADS von Helmut Ohley und Leonhard Orgler für zwei bis vier Spieler, Hans im Glück.