Mittwoch, 15. Dezember 2021

Cryptid

Ein Kryptozoologe ist immer auch ein Optimist. Wenn von einem fremden Wesen weder Bilder noch Augenzeugenberichte existieren: Was könnte das bedeuten? Das Wesen existiert nicht? Unsinn, natürlich existiert es! Das Wesen ist blutrünstig und zerfleischt alles, was ihm nahekommt? Nein, Wesen tun so etwas nicht! Oder es ist einfach nur entsetzlich schüchtern und wartet auf den Richtigen? Ganz klar, das muss es sein!

Wie geht CRYPTID? Wir suchen ein Wesen. Oder genauer: seinen Aufenthaltsort, ein ganz bestimmtes Feld auf dem 108 Felder großen und immer anders angeordneten Spielplan. Wer dieses Feld zuerst benennen kann, gewinnt.
Zu Beginn hat jede:r einen anderen eingrenzenden Tipp bekommen. Dass der gesuchte Ort zum Beispiel im Sumpf liegt oder maximal ein Feld entfernt. Oder dass er nicht mehr als drei Felder von einem blauen Objekt entfernt ist. Die Informationen sämtlicher Spieler:innen zusammengenommen lassen exakt ein Feld als Möglichkeit übrig. Also gilt es herauszufinden, was die anderen wissen.

Der häufigste Spielzug besteht darin, Erkundigungen einzuziehen. Ich tippe auf ein Feld und frage beispielsweise Spielerin Grün, ob nach ihren Informationen das Wesen dort sein könnte. Als Antwort wird das Feld mit einer grünen Holzscheibe (= ja) oder einem grünen Würfel (= nein) markiert. Jede:r am Tisch zieht Schlüsse daraus.
Zur alternativen Zugmöglichkeit greife ich, wenn ich glaube, das Rätsel gelöst zu haben, oder wenn ich befürchte, die Konkurrenz sei kurz davor, sodass ich schnell noch einen Glücksschuss wage: Ich tippe auf ein Feld und behaupte, dies sei der gesuchte Ort. Ich lege hier zuerst eine Scheibe in meiner Farbe, und reihum müssen die anderen Spieler:innen bekennen: Legen alle ebenfalls Scheiben, habe ich das Wesen gefunden. Legt irgendwer einen Würfel, geht das Spiel weiter.

Was passiert? CRYPTID ist ein denkintensives Spiel. Es gibt 24 verschiedene Hinweise, und ich bin das gesamte Spiel über beschäftigt, diese Liste mit den bisherigen Erkenntnissen abzugleichen. Und das für alle Farben. Manche Spieler:innen brauchen die Hinweis-Listen nach einigen Partien nicht mehr. Ich brauche sie immer. Es gelingt mir nicht, CRYPTID aus dem Bauch zu spielen.
In der Profiversion, wo alle Hinweise auch noch in ihrer Negation vorkommen können, ist es mit Leichtigkeit völlig vorbei. Jetzt muss man höllisch aufpassen, um nicht versehentlich falsche Antworten zu geben. Ich habe keine Spielrunde erlebt, bei der die Profiversion im ersten Anlauf fehlerlos geklappt hätte.


Was taugt es? Ich stehe CRYPTID zwiegespalten gegenüber: Die Spielidee finde ich sehr originell. Ich bewundere, wie es gelingt, mit so wenigen Regeln eine derart komplexe Rätselaufgabe zu stellen. Und mir gefällt, wie alle gemeinsam eingebunden sind, indem jede:r ein Puzzleteil der Lösung besitzt.
Dennoch ist CRYPTID nicht das Spiel, das mich immer wieder an den Tisch lockt. Das versprochene Thema findet nicht statt. CRYPTID ist trockene, systematische Analyse. Auch wenn jedes Mal ein anderes Feld gesucht wird: Die Denkroutinen, die ich dazu durchlaufe, wiederholen sich. Ich bin somit nicht neugierig auf weitere Rätsel, sondern höchstens darauf, ob ich der Schnellste bin.
Optimal für CRYPTID ist eine Gruppe, die gemeinsam mit dem Spiel wächst. Mit Erfahrung arbeitet man wesentlich effizienter; Anfänger:innen haben das Nachsehen. Ist CRYPTID für alle neu, gehen mitunter sogar die Nein-Würfel aus, und es wäre schön, die Anleitung hätte für diesen Fall ein paar beruhigende oder überhaupt irgendwelche Worte parat.
Auch andere Kleinigkeiten sind nicht optimal gelöst. Die Markierungssteine, die ich weiter oben als „Objekte“ bezeichnet habe, heißen in den geheimen Hinweistexten „Strukturen“. Und es gibt die Struktur „Hinkelstein“ und die Struktur „verlassene Hütte“. Damit kann niemand etwas anfangen.
Trotz fehlendem Glücksfaktor herrscht auch nicht zwangsläufig Chancengleichheit: Wer überproportional häufig von den anderen befragt wird, ist klar im Nachteil, denn er gibt mehr Wissen preis und erfährt gleichzeitig weniger. CRYPTID schafft dafür keinen Ausgleich. Man kann es aber als Handicap für Erfahrene interpretieren, dass man sie gehäuft fragt.


**** solide

CRYPTID von Hal Duncan und Ruth Veevers für drei bis fünf Spieler:innen, Skellig Games.

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