Samstag, 2. April 2022

Freie Fahrt

Voll verrückt. Die Alliteration im Spieltitel entspricht tatsächlich den Initialen des Autors! Bin ich wohl der Erste, dem das auffällt?

Wie geht FREIE FAHRT? Wir verbinden europäische Städte mit Eisenbahnstrecken. Währenddessen fahren wir die Strecken ab mit dem Ziel, schnell und effektiv viele Reiserouten zu erfüllen.
Reiserouten nehme ich aus der Auslage, die stets zwölf Wahlmöglichkeiten bietet (siehe zweites Foto): Ich darf die jeweils oberste Karte einer Reihe als Start- und die zweite als Zielort wählen. Oder ich wähle die zweite Karte als Start- und die dritte als Zielort. Wählte ich also die ganz links liegende Reihe, könnte meine Reise entweder von Amsterdam nach Gdansk oder von Gdansk nach Glasgow gehen.

Aber: Dazu muss meine Eisenbahn nicht irgendwo, sondern in Amsterdam bzw. Gdansk sein. Und: Im ersten Drittel des Spiels muss ich einen Auftrag erledigen, bevor ich den nächsten nehmen darf. Erst später darf ich zwei gleichzeitig bearbeiten.
Die Punktwertung belohnt, viele verschiedene Stadtkarten zu sammeln. Jede ist dreimal im Spiel. Ob eine Stadt in meinen Besitz kommt, weil ich von hier losfahre oder hier ankomme, ist unerheblich. Beides gilt.
Der Alternativzug zum Fahren ist das Bauen. Strecken dürfen nur an das angelegt werden, was schon da ist. Und es kostet Geld, immer wieder Gleisteile nachzukaufen. Weil Geld am Schluss auch Punkte zählt und weil verschwendete Züge sowieso schlecht sind, empfiehlt es sich, Gleise einigermaßen bedarfsgerecht zu verlegen.
Meine Strecken markiere ich mit meiner Farbe. Ich darf hier kostenlos fahren. Wer hier ansonsten lang will, muss mir Geld zahlen, danach ist die Strecke kostenfrei für alle offen.

Was passiert? Alle versuchen, die optimalen Routen auszutüfteln. Wir wollen mit der Lok wenig Leerfahrten machen. Und die Erledigung eines Auftrages sollte möglichst wenige Züge fürs Bauen und Befahren und möglichst keine Gleismaut kosten. Zwangsläufig muss man auch mal Gegenden bereisen, die man nicht selbst erschlossen hat, aber vielleicht lässt es sich hinauszögern, bis jemand anderes die Maut bezahlt und die Strecke damit öffnet.
Eine typische Abwägung könnte so gehen: Soeben habe ich meine Endhaltestelle Roma erreicht und überlege, bis nach Barcelona weiterzufahren, weil ich dort eine Reise nach Athína ergattern könnte. Es ist jedoch ein Risiko. Falls jemand vorher nach Athína kutschiert, und Athína als Startpunkt für die Reise nach Minsk nimmt, geht die Barcelona-Karte aus dem Spiel (siehe dasselbe Foto, dritte Kartenspalte von links).
FREIE FAHRT kann also ziemlich gemein sein. Und es geht sogar noch gemeiner: Hat sich jemand eine Zielstadt, sagen wir Napoli, ohne Streckenanbindung gekrallt, könnte ich die fehlende Strecke schnell bauen, um so die Mauteinnahme zu erzwingen. Noch schöner: Ich fange den Streckenbau nur an und beende ihn nicht. Unvollendete Strecken muss ich zwar weiterbauen, bevor ich etwas Neues beginne. Aber vielleicht brauche ich gerade nichts Neues und kann warten. Und der arme Mensch, der nach Napoli muss, kann nicht warten und auch keinen riesigen Umweg fahren, also muss er meine Strecke erst fertigbauen und dann die Nutzungsgebühr blechen. Schönen Dank!
Mit mehr Erfahrung spielt man natürlich weniger blauäugig und stellt erst mal Verbindungen sicher, bevor man sie auf Gedeih und Verderb einplant. Doch reinfallen kann man immer noch. Man spekuliert auf Karten, die leider verschwinden, bevor man sie nehmen kann. Und dafür hat man dann vielleicht sogar Strecken gebaut, die man später doch nie befährt.


Was taugt es? FREIE FAHRT ist also ein sehr interaktives Spiel. Es ist hier überhaupt nicht egal, was die anderen machen oder was sie machen könnten, und das finde ich gut. Manchmal entwickeln sich Wettläufe, dann wieder gibt es Abwartephasen, weil keine attraktiven Strecken im Markt liegen und alle darauf hoffen, dass irgendwer endlich irgendwas nimmt, damit womöglich Besseres nachgelegt werden kann.
FREIE FAHRT hat obendrein einen angenehmen Rhythmus. Viele Spielzüge sind – weil man nur Dinge abhandelt, die man schon vorher entschieden hatte – schnell abgewickelt. Allerdings stockt das Spiel, falls Mitspieler:innen geografisch weniger sattelfest sind. Die Karten geben keine Information, wo Tiranë oder Kharkiv liegen, und wer das nicht zuordnen kann, ist mit der Auslage und der Planung überfordert.
Auch die Schlussabrechnung ist kompliziert. Dicke Kartenstapel müssen durchforstet und nach gleichen und verschiedenen Städten sortiert werden, was bei 45 Metropolen mitunter recht lange dauert. Die Qualitäten von FREIE FAHRT werden mit einer gewissen Unübersichtlichkeit und Umständlichkeit erkauft.
Und bei allem Planen und Nachdenken hatte ich wiederholt den Eindruck, dass die besten Züge doch die sind, über die man eben nicht nachdenken muss: wenn nämlich der Kartenstapel genau im richtigen Moment genau die richtige Kurzstrecke spendiert. Und ich kann sie einsacken und gewinne billig zwei Stadtkarten, während sich andere genötigt sehen, zu mäßig gut erreichbaren Städten loszutuckern, wo als übernächstes Ziel auch wieder nur eine mäßig gut erreichbare Stadt zu holen ist.


**** solide

FREIE FAHRT von Friedemann Friese für eine:n bis fünf Spieler:innen, 2F-Spiele.

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