Freitag, 1. Dezember 2023

Orichalkum

Platon – das ist wichtig – hat Orichalkum als das Material bezeichnet, das die Bewohnerinnen und Bewohner von Atlantis außer Gold am meisten wertschätzten. Angeblich war mit Orichalkum auch ihre Königsburg verziert.
Das ist sicherlich nicht allen geläufig, deshalb wollte ich eingangs unbedingt darauf hinweisen. Kontinuierlicher Wissenszuwachs meiner Leser:innen ist eines der Hauptanliegen von REZENSIONEN FÜR MILLIONEN. Um für das Verständnis meiner Artikel eine gemeinsame intellektuelle Basis aufzubauen, bin ich gerne bereit, immer wieder kleine Perlen meines umfassenden Kenntnisschatzes weiterzugeben, die ich mir … äh, gerade eben auf Wikipedia angelesen habe.

Wie geht ORICHALKUM? ORICHALKUM ist ein Wettrennen auf fünf Siegpunkte. Als Fundament muss ich aber erst mal einige Landschaftsteile auf meine Insel legen. Die Teile sind bis zu drei Inselfelder groß und zeigen verschiedene Landschaften wie Wald, Gebirge oder Lagune.
Habe ich so gelegt, dass vier verschiedene Landschaften ein Parallelogramm bilden, könnte ich in einer späteren Bauaktion einen Tempel auf diese vier Landschaften setzen. Das zählt einen Punkt. Lege ich drei oder mehr gleiche Landschaften aneinander, gewinne ich die Gunst eines Titans. Der Titan bringt mir einen einmaligen Vorteil, und auch er zählt einen Punkt, solange mir niemand den Titan wieder abjagt. Und schließlich: In der Bauaktion kann ich auch einfach fünf Orichalkum abgeben. Damit erschaffe ich eine Medaille, und auch sie zählt einen Punkt.

In jeder Runde wählt jede:r eine Kombination aus einem Landschaftsteil (und baut es bei sich ein) und einer Aktion (und führt sie aus). Es gibt die schon erwähnte Bauaktion, in der ich auch Gebäude auf meine Landschaften bauen darf, die zwar leider diese Landschaften versiegeln, aber ansonsten Spielvorteile bringen und sehr starke Kombinationen ergeben können (wenn es die zufällige Auslage zulässt, solche Kombinationen zu bilden).
Weitere Aktionen sind: Orichalkum produzieren (je mehr Orichalkum-Minen ich gebaut habe, desto mehr produziere ich), Hopliten rekrutieren (je mehr Trainingslager ich gebaut habe, desto mehr rekrutiere ich), Monster bekämpfen. Monster kommen mit den Landschaftsteilen ins Spiel. Jedes Vulkanfeld liefert ein Monster mit. Solange ich Monster auf meinem Tableau habe, kann ich nicht gewinnen. Aber besiegte Monster bringen eine schöne Belohnung. Und ich besiege Monster mit Hopliten und glücklichen Würfelwürfen.

Was passiert? Weil es ein Wettrennen ist, soll jeder Zug einen erkennbaren Fortschritt bringen. Das Legeteil sollte besser groß statt klein sein und es sollte an der richtigen Stelle die gewünschten Landschaften zeigen. Je nachdem, wie man aufgestellt ist, möchte man Monster auf seinen Landschaften eher vermeiden – oder freut sich sogar auf sie.
Aber zum Landschaftsteil gehört eben noch die Aktion. Bauen ist fast immer beliebt. Ob man aber Hopliten rekrutieren möchte, hängt sehr davon ab, wie viele man bekommt. Und Monster bekämpfen zu dürfen, ist vollkommen sinnlos, wenn keines da ist. Unter Einsatz von Hopliten ist man bei der Wahl der Teil-Aktions-Kombi etwas flexibler. Allerdings kann es passieren, dass sowieso keine Kombination ausliegt, die man dringend haben möchte. Oder dass man zwar eine Bauaktion bekommen könnte, aber das Gebäudeangebot gibt gar nichts her. Oder man kann sein Plättchen so legen, dass man einen Titan bekommt, doch dessen Vorteil passt überhaupt nicht zu dem, was man bislang gebaut und gelegt hat.
Sicher: Man muss sich den Titan ja nicht holen, wenn man ihn gar nicht will. Aber er zählt nun mal einen von fünf Punkten. Es ist in ORICHALKUM ohnehin gar nicht so leicht, eine lupenreine Strategie zu verfolgen, der sich dann alles unterordnet. Vieles hängt von Gegebenheiten, Sitzreihenfolge und Würfelglück ab. ORICHALKUM fühlt sich deshalb etwas wirr und unaufgeräumt an. Statt des großen Plans entscheidet oft eher, ob sich situativ Gelegenheiten bieten, die man nutzen kann.

In meinen Partien wurden die meisten Siegpunkte über Medaillen gewonnen, weshalb das Orichalkum recht schnell als übermächtig in Verruf kam. Das ist meines Erachtens aber eine Frage der Spielerfahrung. Taucht man tiefer ein, wird man feststellen, dass es noch weitere Wege zum Sieg gibt. Ohnehin gewinnt man nie alle fünf Siegpunkte mit derselben Methode. Es ist immer ein bisschen Mischstrategie. Die Frage ist lediglich, welche Beimischung die stärkste ist.
Und die Frage ist ebenso, ob man überhaupt tiefer eintauchen möchte. Viele meiner Mitspieler:innen wollten das nicht, und ich kann es ihnen nicht verübeln. Denn …

Was taugt es? Auf mich wirkt ORICHALKUM sehr konstruiert. Der Spielablauf selbst ist nicht kompliziert. Doch ORICHALKUM verwendet sehr viele Mechanismen gleichzeitig, und ich frage mich, was denn das Zentrum des Spiels ist. Hat es eines?
Am schönsten finde ich die Legespielidee: Gebäude auf Landschaften können mir große Vorteile bringen, aber sie überdecken die Landschaft, und offene Landschaften hätten den Vorteil, dass ich mit drei gleichen einen Titan und mit vier verschiedenen einen Tempel gewinnen könnte. Da man obendrein nicht jedes Gebäude auf jede Landschaft bauen darf, ergibt sich immer mal wieder die verzwickte Abwägung, ob das Bauen von Gebäuden meinen Siegpunkterwerb nicht vielleicht eher bremst statt ihn zu beschleunigen. Oder ob ein paar zerstörte Landschaften nicht einfach der Preis sind, um mir eine Engine aufzubauen, die mich im Schlussspurt an den anderen vorbeipreschen lässt.
Dieser reizvolle Aspekt kommt während der Partie aber gar nicht so auffallend zum Tragen, weil er durch so viele andere Dinge und Mechanismen überlagert wird. ORICHALKUM wirkt auf mich überdimensioniert. Das meint sowohl die vielen im Spiel enthaltenen Details und Nebenmechanismen als auch das Material. Alles ist riesig, wie für Kinderhände gemacht. ORICHALKUM benötigt unnötigerweise sehr viel Platz auf dem Tisch.


*** mäßig

ORICHALKUM von Bruno Cathala und Johannes Goupy für zwei bis vier Spieler:innen, Pegasus Spiele.

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