Freitag, 12. Mai 2017

Räuber der Nordsee

Als Kind habe ich gerne „Wickie und die starken Männer“ geguckt. Das muss als Einleitung genügen.

Wie geht Räuber der Nordsee? Wir plündern Ortschaften. Dafür gibt es Punkte und Beute. Die Beute bringt in der Schlusswertung ebenfalls Punkte. Während des Spiels dient sie obendrein als Tauschwährung für andere Dinge. Und wir können mit Beute-Kombinationen „Darbringungsplättchen“ erwerben, die noch mehr Punkte zählen, als es die Beute einzeln tun würde.
Fürs Plündern gelten Voraussetzungen: Man muss eine bestimmte Menge Proviant und manchmal sogar Beutegold zahlen, man muss mit einer bestimmten Mannschaftsstärke anreisen und die Arbeiterfigur, die fürs Auslösen der Plünderung eingesetzt wird, muss eine bestimmte Farbe haben.
Ich brauche also Karten mit Mannschaftsmitgliedern. Zweitens brauche ich Geld, um diese Karten auszuspielen und somit die Leute anzuheuern. Und drittens brauche ich Proviant. All das gibt es im Dorf, dem unteren Teil des Spielplans. Das Dorf hat acht Einsatzfelder. Ich ziehe auf ein freies Feld und führe dessen Aktion aus, anschließend nehme ich eine Figur von einem anderen besetzen Feld und führe dessen Aktion aus.
Im Dorf habe ich also immer zwei Aktionen; beim Plündern im oberen Teil des Spielplans nur eine: Ich suche mir eins von zunächst 23 Zielen aus, dessen Kosten ich bezahlen kann und dessen Beute mir gefällt. Dann berechne ich meine Kampfstärke: Werte der Mannschaft plus dauerhafte Kampfstärke (die ich als Aktion im Dorf gegen Abgabe von Beuteeisen erhöhe) plus eventuell ein Würfelwurf. Die Beute bekomme ich in jedem Fall. Meine Stärke aber bestimmt darüber, ob und wie viele Siegpunkte ich obendrein erhalte. Weil ich Proviant und eventuell Mannschaft verloren habe, muss ich in den meisten Fällen jetzt erst mal wieder ins Dorf, um wieder aufzurüsten.


Was passiert? RÄUBER DER NORDSEE hat Wettrenn-Charakter. Wer schneller als die Konkurrenz plünderbereit ist, kriegt die bessere Beute. Oft hat der Startspieler den ersten Zugriff.
Was man für die beste Beute hält, ist zum Teil allerdings Interpretationssache. Mit dem Kaufmann in der Hinterhand, der einen fetten Schlussbonus für Vieh abwirft, erscheinen Gold oder Eisen plötzlich gar nicht mehr so wichtig. Mit einer Mannschaft, die Boni beim Plündern von Klöstern bringt, plündert man bevorzugt Klöster, auch wenn die Beute gar nicht so überragend sein sollte. Die in jeder Partie andere Bestückung des Spielplans und die Möglichkeiten der eigenen Kartenhand sollte man natürlich beachten und berücksichtigen.
Tempoverlust jeder Art ist negativ. Stehen im Dorf alle Figuren nur auf Aktions-Feldern, die mich kaum weiterbringen, ist das nachteilig für mich, denn eine dieser Figuren muss ich nun mal nehmen. Solch kleine Zufälligkeiten können im Laufe der Partie jeden treffen. Schließlich hat es ja auch mit Glück zu tun, welche Mannschaftsmitglieder ich auf die Hand bekomme, ob ich Arbeiterfiguren in der passenden Farbe erhalte und wie sehr mich Diebstähle der Mitspieler treffen. Manchmal juckt es mich kaum, manchmal wirft es den geplanten Zug über den Haufen.
Zu den Arbeiterfarben: Es gibt schwarze, graue und weiße Figuren. Alle Spieler beginnen mit Schwarz. Beim Plündern höherwertiger Orte kommen erst die grauen, später die weißen ins Spiel. Diese wiederum benötigt man, um noch stärkere Orte zu überfallen. Gerade im vorletzten Zug kann es spielentscheidend sein, im Dorf die benötigte Farbe vorzufinden, um im letzten Zug noch einen punkteträchtigen Beutezug durchführen zu können.
Wenn alle die Regeln beherrschen und diszipliniert spielen, überträgt sich der Wettlauf-Charakter sehr angenehm aufs Spieltempo: Aktion folgt auf Aktion, kein Vorgang benötigt viel Zeit, einigermaßen gut vorausplanen kann man auch.


Was taugt es? Die Leichtgängigkeit und der schnelle Rhythmus sind starke Pluspunkte für RÄUBER DER NORDSEE. Man muss nicht lange tüfteln oder herumrechnen, man kann wunderbar aus dem Bauch agieren.
Jede Plünderung ist obendrein ein kleines Erfolgserlebnis, der Höhepunkt, auf den man zusteuert. So wie auf das Wochenende nach der Arbeitswoche – auf das allerdings wieder der Montag folgt. Auch in diesem Spiel. Und der Montag bedeutet: Es beginnt von vorn.
Mir macht es nicht so viel Spaß, allzu oft ähnliche Routinen durchlaufen zu müssen. Nach dem Plündern muss ich erst mal wieder über mehrere Züge aufrüsten, nach dem Aufrüsten plündere ich. Und immer so weiter. Ich vermisse in RÄUBER DER NORDSEE Abwechslung. Alternativwege sind im Spiel zwar auch angelegt, könnten nach meinem Empfinden aber besser unterstützt sein und bedürfen günstiger Umstände. Eine etwas originellere Strategie würde ich bei RÄUBER DER NORDSEE nur dann in Betracht ziehen, wenn ich von Anfang an Karten besitze, die eine solche Spielweise fördern.

Grafik und Material sind ordentlich. Die Spielregel ist sinnvoll aufgebaut und könnte lediglich etwas ausführlicher sein. Größter Kritikpunkt im redaktionellen Bereich ist der auf den Karten verwendete Schrifttyp. Etliche Mitspieler hatten Probleme, den Text zu lesen. – Ja, zugegeben, wir sind mittlerweile über 40. Aber wir sind noch nicht tot.



RÄUBER DER NORDSEE von Shem Phillips für zwei bis vier Spieler, Schwerkraft.

2 Kommentare:

pascha64 hat gesagt…

ein klasse Spiel gewinnt bestimmt den Preis Kennerspiel. Absolut verdient!

Anonym hat gesagt…

Ja, das Grundspiel ist "ganz nett" und bietet nicht viel mehr als klassische Workerplacement-Spiele. Bitte spielt es mit den Erweiterungen!!! Erst dann wird es zu einem echten Spielerlebnis. Beide Erweiterungen sind zwar sehr, sehr teuer im Hinblick auf das reine Material. ABER: Das Spiel gewinnt dadurch neue Dimensionen, die es viiiel variabler machen. Dabei bleibt der schöne, flotte Spielfluss des Grundspiels erhalten. Ohne Erweiterung "nett", mit ist es top und gaaanz oben in meiner Bestenliste. Spielerische Grüsse, Markus

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