Wie geht PALADINE DES WESTFRANKENREICHS? Es ist ein Personaleinsatzspiel. Ganz zeitgemäß bleiben die Figuren aber zu Hause auf dem eigenen Tableau und rangeln sich nicht um irgendwelche zentralen Einsetzfelder. Bin ich am Zug, löse ich eine von zwölf verschiedenen Aktionen aus, wofür ich eine bis drei Figuren benötige, oft in vorgegeben Farben. Das erinnert an ORLÈANS, wo sehr Ähnliches mit Chips statt Figuren stattfindet.
Die Aktionen bewirken teilweise, dass wir uns dann doch gegenseitig in die Quere kommen. Beispielsweise indem wir Felder des Spielplans besetzen und dafür bestimmte Belohnungen erhalten. Oder indem wir uns Personen-Karten wegschnappen.
Letztendlich geht es bei allen Aktionen darum, Ressourcen oder Siegpunkte zu generieren. Einen Großteil der Siegpunkte steuert der Aufstieg in den Eigenschaften Glaube, Einfluss und Stärke bei. Die erreichten Werte bestimmen außerdem, welche Aktionen mir überhaupt erlaubt sind. Um beispielsweise mein viertes Mauersegment bauen zu dürfen, was mich neben den erforderlichen Figuren auch Proviant kostet, benötige ich mindestens fünf Einfluss. Einfluss wiederum gewönne ich durch die Aktionen „Entsenden“ oder „Angreifen“. Auf solche Weise sind alle Spielelemente sehr eng miteinander verzahnt.
In jeder der sieben Runden bekomme ich sechs Figuren: vier durch eine „Tavernenkarte“, von denen mehrere ausliegen und wir reihum eine wählen, zwei weitere durch meine Paladinkarte. Auch hier wähle ich jede Runde eine, diesmal von dreien aus meinen aktuellen Handkarten. Der Paladin erhöht außerdem temporär bis zu zwei meiner Eigenschaften und gewährt mir für eine Aktionsart einen Bonus.
Bei den läppischen sechs Figuren bleibt es meistens aber nicht, weil ich durch Aktionen weitere hinzugewinne. In den letzten Runden hat das Spiel deshalb zunehmend Kettenzug-Charakter: Ich bekomme das. Und mache damit das. Und damit das. Ach, und jetzt kann ich auch noch das machen … mh, hätte ich das vorher gewusst, dann hätte ich ...
Was passiert? Obwohl bei PALADINE DES WESTFRANKENREICHS jede*r vor sich hintüftelt, kommt es bei den Aktionen auf das richtige Timing an. Einerseits weil ich aufpassen muss, mir in der richtigen Reihenfolge Geld, Proviant, Figuren oder Aufstiege zu holen, damit ich nicht plötzlich feststelle: Oh, für den Zug, mit dem ich Geld machen wollte, fehlt eine blaue Figur, die ich unnötig verbraten habe, wo es auch eine andere Farbe getan hätte. Fehler dieser Art passieren immer wieder, denn PALADINE DES WESTFRANKENREICHS erfordert hohe Konzentration, um alle Details eines Zuges korrekt abzuwickeln und dabei weder Abgaben noch diverse Boni zu vergessen. Wollte man immer optimal spielen, müsste man sehr viel vorausberechnen.
Timing benötige ich zweitens beim Wettstreit um Karten oder Platzierungsfelder. Hier muss ich abschätzen, worum ich mich sofort zu kümmern habe, damit ich den anderen zuvorkomme, oder welche Projekte ich wegen Aussichtslosigkeit lieber aufgebe.
Zudem muss ich eine gewisse Balance halten. Für die Punktwertung wäre es top, eine oder noch besser zwei Eigenschaften auf ihren Maximalwert zu bringen. Würde bedeuten: Wenn ich schon Mauern baue, dann aber volle Pulle. Das gäbe viel Stärke – erfordert aber dummerweise zunehmend Einfluss. Einfluss wiederum kriege ich entweder durch „Angreifen“, kostet dann aber viel Geld, das ich nicht auch noch beschaffen will. Oder ich gewinne Einfluss durch „Entsenden“ und damit über den Glauben. Aber wenn ich jetzt auch noch Glauben sammle, sammle ich alles und spezialisiere mich doch nicht.
Womit ich bei der dritten Timing-Herausforderung angelangt bin: die Paladine. Ich muss im richtigen Moment den spielen, der temporär die gerade benötigte Eigenschaft anhebt. Was entweder Glück verlangt, genau diesen richtigen im passenden Moment nachzuziehen. Oder die Voraussicht, ihn zielgerichtet über Runden aufzusparen. Auch der Aktionsbonus des Paladins kann meinem Spiel einen starken Schub verleihen. Unter gewissen Umständen ist es möglich, eine Aktion pro Runde mehrfach auszuführen. Wenn es mir gelingt, das dann zu tun, wenn der Paladin diese Aktion verstärkt, dann … yeah!
Die dichte Verzahnung des Spiels produziert aber auch immer wieder unglückliche Verlierer*innen. Im Laufe jeder Partie offenbaren sich nach und nach Aufträge für alle (beispielsweise: „entsende“ mindestens fünfmal) und weil das Erfüllen dieser Aufträge viele Punkte zählt, will jede*r gerne dabei sein. Sind zwei Aufträge im Spiel, die auf dasselbe zielen, provoziert das Engpässe. „Entsenden“ und „Besetzen“ beispielsweise benötigen dieselben Spielplanfelder. Irgendwann wird irgendwem das entscheidende Stärke-oder Glaube-Pünktchen fehlen, um noch ein Feld zu besetzen, und dann ist nicht nur der Auftrag futsch, sondern auch die gesamte investierte Vorarbeit. In solchen Fällen habe ich schon viel Frust am Tisch wahrgenommen.
Was taugt es? Mir gefallen solche Total-Optimierspiele, bei denen alles auf knappe Kante genäht ist. Vor allem, wenn das Regelwerk nicht ausufert und es wie hier auch Glücksfaktoren gibt (die aufzuzählen ich mir erspare). Dass man überwiegend mit sich selbst beschäftigt ist, empfinde ich nicht als Nachteil, solange man schon sinnvoll planen kann, während andere am Zug sind.
PALADINE DES WESTFRANKENREICHS weckt meinen Ehrgeiz. Ich will immer wieder neu probieren, was ich im Laufe der Partie alles unter einen Hut bekommen kann. Trotz ähnlicher Schemata wird jede Partie etwas anders sein. Weil die Aufträge dazu zwingen, die Schwerpunkte jedes Mal anders zu setzen. Weil ich meine Paladine in zufälliger Reihenfolge auf die Hand bekomme. Weil ich von Partie zu Partie verschiedene Stadtbewohner-Karten erwerbe, die bestimmte Aktionen unterstützen. Und so weiter.
Aber klar: Dass man taktisch und strategisch handeln kann, dass man viel auszutüfteln hat, bewirkt für sich genommen noch keinen Spielreiz. Dass ich ihn hier als so hoch empfinde, liegt an der Eleganz des Spiels. Trotz zahlreicher Details durchzieht ein einziges Grundmuster alles, nämlich: Eine Aktion wird durch x Figuren in bestimmten Farben ausgelöst. Dieses Muster wird mit Extrakosten wie Proviant oder Geld oder durch Belohnungen und auch durch Schuldschein-Management variiert, trägt aber das gesamte Spiel von Anfang bis Ende.
Hinzu kommt als kleine Innovation die ständige Abhängigkeit von der Eigenschaften-Skala. Und hinzu kommt der perfekt bemessene Spannungsbogen. Denkt man anfangs, überhaupt nicht voranzukommen, erhöht die langsam wachsende Maschinerie nach und nach die Möglichkeiten. Und kaum glaubt man, sich etwas zurücklehnen zu dürfen, weil es ja doch ganz gut laufe, versetzt einen das Bewusstsein des nahenden Spielendes in Torschlusspanik: Noch so viel zu tun! Und kaum noch Zeit, kaum Figuren!
****** außerordentlich
PALADINE DES WESTFRANKENREICHS von Shem Phillips und S. J. Macdonald für 1 bis 4 Spieler*innen, Schwerkraft.
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Aufklärung über den Datenschutz
Wenn Sie einen Kommentar abgeben, werden Ihre eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie beispielsweise Ihre IP-Adresse) an den Google-Server übermittelt. Mit dem Absenden Ihres Kommentars erklären Sie sich mit der Aufzeichnung Ihrer angegebenen Daten einverstanden. Auf Wunsch können Sie Ihre Kommentare wieder löschen lassen. Bitte beachten Sie unsere darüber hinaus geltenden Datenschutzbestimmungen sowie die Datenschutzerklärung von Google.