Montag, 10. Juli 2023

Mantis

Zunehmend gibt es Spiele, die uns mit Tierabbildungen die Schönheit der Natur ins Bewusstsein rufen. Und MANTIS gibt es auch.

Wie geht MANTIS? Fangschreckenkrebse – wer will sie nicht? Zehn dieser niedlichen Kreaturen muss ich besitzen, dann gewinne ich. „Besitzen“ meint in diesem Fall: Ich muss die Karten gesichert haben. Was offen vor mir liegt, ist noch nicht sicher, sondern nur die Vorstufe davon.
Bin ich am Zug, entscheide ich, was mit der obersten Karte des verdeckten Stapels geschehen soll: Spiele ich sie zu mir und habe schon Krebse dieser Farbe vor mir liegen, dann sichere ich all diese Karten (und drehe sie um). Habe keinen weiteren Krebs dieser Art, muss der Neuankömmling vorerst offen vor mir liegenbleiben.
Spiele ich die Karte zu dir und du hast weitere dieser Farbe, dann nehme ich dir diese Krebse ab und lege sie zu mir. Hast du die Farbe nicht, ist meine Karte ein schönes Geschenk für dich. Gern geschehen. (Grummel.)
Wohin ich spiele, muss ich entscheiden, bevor ich die Karte aufdecke und ihre Farbe sehe. Was geschieht, ist also Zufall. Allerdings gibt es Wahrscheinlichkeiten: Jede Karte zeigt auf ihrer Rückseite drei Farben. Und wie durch Magie wird sich herausstellen, dass der Krebs auf der Vorderseite garantiert eine dieser Farben hat. Nur welche?


Was passiert? MANTIS ist ein Zock- und Ärgerspiel. Zeigt die oberste Karte die Möglichkeiten rot, gelb oder grün, und irgendwer hat eine schöne Sammlung roter Krebse vor sich liegen, verlockt es mich schon sehr, die Karte dorthin zu spielen. Allerdings: Gelbe und grüne Krebse kann ich dort nicht einfangen. Versuche ich also doch lieber, mein jämmerliches gelbes Tierchen zu sichern? Punkte sind Punkte. Zumal: Wenn ich die vielen roten Karten habe, mache ich mich zum Angriffsziel. Alles, was ungesichert herumliegt, kann mir wieder weggenommen werden.
Und so deckt man auf und es kommt … manchmal das, was man hofft. (Juhu!) Oft genug das, was gerade gar nicht passt. (Grrr!) Bei MANTIS wird viel geflucht, viel gestöhnt, viel gejubelt und gelacht. Aufatmen, Triumph, Schadenfreude: Alles ist dabei.
MANTIS ist höchst interaktiv und kommunikativ. Denn natürlich gibt man gerne gute Tipps, was die anderen tun oder lassen sollen: XY liegt in Führung, dort musst du hinspielen! Und auf keinen Fall zu mir. Denn ich bin nur ein armes Würstchen.

Was taugt es? MANTIS ist das Partyspiel unter den Absackern und hat auf jeden Fall seine Qualitäten, zumal man es altersübergreifend und barrierefrei in so ziemlich jeder Gruppe spielen kann und höchstwahrscheinlich keinen Flop erlebt. Hier sind wirklich alle gleich. Kinder können gegen Eltern gewinnen. Und wer fies oder vermeintlich taktisch spielt, fällt oft genug selbst herein.
Ich würde MANTIS jederzeit mitspielen, wenn es vorgeschlagen wird. Allerdings bin ich auch nicht hingerissen. Der Reiz ist immer derselbe: Karte aufdecken und hoffen, dass sie die gewünschte Farbe zeigt. Ärgern, wenn nicht. Im Grunde ist das banal, und es hängt von der Runde ab, wie sehr sie das zelebriert.
Warum nach meinem Verständnis viele MANTIS so lieben: Es spielt mit „mein“ und „dein“. Zwar ergibt man sich Karte für Karte dem Schicksal; es ist wie ein Münzwurf. Aber der emotionale Bezug zu diesem Münzwurf besteht eben darin, dass mir etwas weggenommen wird oder ich etwas ergaunere. Dadurch erhält der Zufall gröBere Bedeutung, viele in der Runde nehmen den Zufall deshalb persönlich. Ich, wie gesagt, bin da etwas abgestumpfter.


**** solide

MANTIS von Ken Gruhl und Jeremy Posner für zwei bis sechs Spieler:innen, Exploding Kittens.

10 Kommentare:

Peter hat gesagt…

Es erscheinen nicht deshalb mehr Spiele mit niedlichen Natur- und Tierthemen, weil man uns die Natur näher bringen will, sondern weil die Verlage ausweichen. Sie weichen Darstellungen von Menschen aus. Das ist mittlerweile seit zwei Jahren zu beobachten. Es gibt nahezu keine menschlichen Gestalten mehr auf den Schachteln von Neuerscheinungen. Das ist das Ergebnis einer aus dem Ruder gelaufenen politisch korrekten Diskussion über Diversität und Darstellung aller möglichen menschlichen Lebensformen - samt überzogener kollektiver Abstrafung bei „Fehlverhalten“ durch Teile der Community . War auch bei der Spiel 22 in Essen eines der Themen: Fantasy, Natur, Drachen die Kuchen backen, Tiere, die Dinge im Wald sammeln, oder überhaupt gleich Garten, Pflanzen, Äpfel, Science-Fiction… ob damit jenen, die eigentlich für mehr Sichtbarkeit eintreten, geholfen ist, sei dahingestellt. Das Ergebnis ist halt, dass viele Verlage der Diskussion ausweichen.
Mit einher geht eine Infantilisierung des Hobbys. Schade.

Anonym hat gesagt…

Ja, kann man so behaupten. Eine kurze Recherche bei BGH ergibt hier allerdings ein deutlich weniger dramatisches Bild.
Eine kollektive Abstrafung durch den PC Teil der Szene habe ich so auch nicht mitbekommen. Wenn die eigene politische Orientierung einem Wahrnehmungsstreiche spielt.

Der Siedler hat gesagt…

Bitte um Erläuterungen zur "Kurzen Rechereche auf BGH[?]".
Und im Zuge des Konflikts um Daniele Tascini - den ich hier gewiss nicht neu aufrollen möchte - hat man durchaus Aufrufe zur kollektiven Abstrafung vernehmen können.

Anonym hat gesagt…

Sorry. BGG.
Autokorrektur

Peter hat gesagt…

Was wollen Sie insinuieren?
Mit „abstrafen“ meine ich die umfangreichen Diskussionen auf zB BGG über „falsche“ und/oder „unsensible“ Spiel-Cover oder sonstige Illustrationen, die selten verständnisvoll und konziliant enden. Aus Sicht eines Verlags will man da nicht anstreifen. Ist ja auch nicht nötig. Mehrere Gespräche über diese Entwicklung mit Verlagen in Essen haben das bestätigt, es war sogar Thema in der Spielbox.
Tenor: man weicht aus. Niedliche Tiere und Pflanzen statt möglicher Diskussionen und schlechter PR.
Die anonyme Internet-Masse ist da schnell gnadenlos mit Zuschreibungen und Punzierungen.
Wie Ihr Kommentar ja eindrucksvoll zeigt.
So gesehen hat die vorherrschende Aufgeregtheit der Sache einen Bärendienst erwiesen. Weniger Sichtbarkeit gabs noch nie.

Anonym hat gesagt…

Die Beobachtung von Peter, dass immer mehr Spiele mit recht blödsinnigen Tierthemen erscheinen (z.B. "Café del gatto" - kaffeezubereitende Katzen???) oder von "menschlichen" Themen auf alberne Tierthemen umdesigned werden (Beispiel: "Libertalia"), ist absolut korrekt. Und warum? Weil die Verlage befürchten, dass durch eine irgendwem missliebige Einkleidung eines Spiels sich ein woker nicht-Betroffener stellvertretend für jemand potentiell Betroffenen sich echauffiert und einen Shit-Storm zum Schaden des entsprechenden Spiels bzw. Verlags anzettelt. Die Konsequenz ist, dass man sich gar nicht mehr sicher sein kann, ob Thema X oder Ausprägung Y nicht irgendjemandem doch missfällt, denn den ganzen politischen Korrektheitskram mit den entsprechenden Verboten und potentiellen Fallstricken kann man ja kaum mehr überblicken. Also geht man halt auf Nummer sicher und weicht auf Tiere oder irgendwelchen Fantasykram aus. Wenn ich zum Beispiel lese (bzw. gelesen habe), dass im Zuge des Konflikts um Tascini sogar die schwarzen Würfel in Marco Polo angeprangert wurden (und der Verlag sich dafür sogar noch entschuldigt hat), dann kann ich mir nur an den Kopf fassen. So sehr ich die Rezensionen auf dieser Seite auch inhaltlich schätze – der Urheber dieses Blogs fällt für mich aufgrund der penetrant durchgezogenen Genderschreibweise in gewisser Weise ebenfalls darunter. Da soll eine „inklusive Sprache“ etabliert werden, die Männlein, Weiblein und alle, die sich gerade weiß Gott wie fühlen inkludiert. Und dann kommen so Worte heraus wie z.B. „Bäuer:Innen“, die überhaupt gar niemanden inkludieren, außer eben Bäuerinnen (denn die männliche Form kann ich darin in keinster Weise entdecken).
Würde die ganze Wokeness nicht so derart übertrieben aufgeblasen und penetrant oberlehrerhaft durchgezogen werden, dann könnte man ja den eigentlichen Kern der Sache richtig gut und unterstützenswert finden. So aber nerven die erhobenen Zeigefinger und dieses Hinwegsetzen über das Mehrheitsempfinden nur noch, und die im Grunde gute Sache gerät dadurch total in den Hintergrund. Bärendienst, wie von Peter beschrieben.

Micha A.

Udo Bartsch hat gesagt…

Ich möchte die Diskussion an dieser Stelle beenden, weil sie mit Mantis und der Rezension zu Mantis meiner Meinung nach wenig zu tun hat. Hier kurz meine Meinung zu den aufgeworfenen Themen: 1. Ich sehe ebenfalls einen Trend, dass Spiele in möglichst unverfängliche Welten verlegt werden. Das habe ich an anderer Stelle auch schon mehrfach geschrieben. 2. Die Ursache sehe ich nicht so negativ. Fehler in Spielen vermeiden zu wollen und eine verantwortungsvolle Geschichtsdarstellung finde ich grundsätzlich begrüßenswert. Der Königsweg wäre aus meiner Sicht allerdings, nicht in fiktive Welten auszuweichen, sondern Spielthemen ernster zu nehmen und sich fundiert damit auseinanderzusetzen. 3. Ich weiß von mehreren Autorinnen und Autoren, dass ihnen Umweltthemen sehr am Herzen liegen. Deshalb glaube ich durchaus, dass manche Spiele uns die Schönheit der Natur ins Bewusstsein rufen sollen. 4. Das ist aber nicht auf Mantis gemünzt. Bei einem themenlosen Spiel wie Mantis scheint es mir relativ egal zu sein, ob Tiere oder Menschen auf den Karten zu sehen sind.

Anonym hat gesagt…

Ich möchte doch noch was zu Punkt 4 und 3 sagen (und so wieder den Bogen zurück zu Mantis schlagen - zumindest ein klein wenig): Bei 4. stimme ich absolut zu. Und auch bei 3 - nichts spricht per se gegen Umweltthemen, Natur, Pflanzen, Tiere, etcetera. Aber nur dann, wenn es entweder themenlos ist wie bei Mantis, oder - noch besser - wenn es passt, wie z.B. bei "Photosynthese". Nicht aber dann, wenn es partout nicht passt, weil es nämlich schon einen thematischen Kontext gibt, der aber anders ist, wie beispielsweise beim von mir erwähnten Libertalia. Das ist auch jetzt noch ein Piratenspiel, nur dass eben keine menschlichen Piraten abgebildet sind, sondern irgendwelche Tiere. Das ist genauso sinnlos wie wenn umgekehrt in Photosynthese nicht Bäume, sondern ein Wald aus Menschen wachsen würden. Da stimmt es halt nicht mehr und im Grunde arbeitet das konkrete Setting dann gegen das eigentliche Thema. Gleiches gilt für Café del Gatto. Und dies ist schon eine Folge dessen, dass Verlage keinesfalls irgendwo anecken wollen und in meinen Augen eine recht seltsame Entwicklung, denn im Grunde machen die Verlage die Spiele schlechter als wenn Thema und Setting übereinstimmen würden.

Micha A.

Oliver Gumbrich hat gesagt…

Einen Mantis gibt es auch in King of Bew York.

Thomas Bornheim hat gesagt…

Bei diesen Kommentaren klingelt mein Bananentelefon. Gern gebe ich den Kontext zum Spiele-Namen Mantis.

Matthew Inman ist der Grafikdesigner des Spiels. Er hat einen - in den USA - sehr bekannten Comic "Why the Mantis is my new favourite animal" in seinem Blog "The Oatmeal" veröffentlicht. Dieser Comic liegt dem Spiel in der US Version auch bei.

Dasselbe Team hat auch Exploding Kittens entwickelt. Hier kamen bereits viele Oatmeal-Insider vor.

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