Jetzt lüfte ich das große Geheimnis: Meine immer rarer gesäten Einleitungen stehen symbolisch für das Waldsterben.
Wie geht EVERGREEN? Wir lassen Wälder wachsen. Am Ende aller vier Runden punktet meine größte zusammenhängende Waldfläche. Außerdem scheint in jeder Runde die Sonne von einer anderen Richtung auf mein Tableau. Und es kommt eine Zählweise zur Anwendung, die man schon aus PHOTOSYNTHESE kennen könnte: Bäume, die von der Sonne beschienen werden, bringen Punkte. Große Bäume sogar doppelt. Allerdings nehmen Bäume anderen Bäumen das Licht weg. Was im Schatten steht, punktet nicht.
Die Wertung kreiert also einen doppelten Widerspruch: Wegen der Flächenwertung will ich meine Bepflanzung eng halten – allerdings verursacht die Enge viel Schatten. Und weil sie mehr Punkte bringen, will ich ausgewachsene Bäume – jedoch nehmen die den anderen besonders viel Licht weg. Und auch für die Schlusswertung will ich große Bäume. Denn dann können sie noch Extrapunkte bringen, abhängig vom Gebiet, in dem sie stehen.
Für jeden Zug liegen Karten aus. Reihum wählen wir eine und nutzen sie. Eine Karte bleibt übrig. Sie wird für die Schlusswertung beiseitegelegt. Ihre Farbe und Symbole geben an, in welcher Region große Bäume am Ende wie viele Punkte zählen. Karten mit Totenkopfsymbol allerdings zerstören gleichfarbige Karten, die bereits für die Schlusswertung auserkoren waren.
Mit der gewählten Karte führe ich zwei Aktionen aus: Eine (ich wähle frei zwischen mehreren Möglichkeiten) muss in dem Gebiet stattfinden, dessen Kartenfarbe ich genommen habe. Bei der anderen Aktion ist es umgekehrt: In der Ortswahl bin ich frei, aber die Aktion wird vom Symbol der Karte vorgegeben.
Aktionen könnten sein: Ich pflanze einen neuen Spross, ich lasse einen Spross zum kleinen Baum oder einen kleinen Baum zum großen Baum wachsen, ich lege einen See an und ringsum werden automatisch zwei Gehölze größer, ich pflanze einen Busch, der keine Punkte durch Sonnenbestrahlung bringt und auch nie wächst, aber bei der Flächenwertung mitzählt. Je häufiger ich dieselbe Aktion ausführe, desto stärker wird sie. Kann ich zunächst mit der Spross-Aktion nur zwei Sprosse pflanzen, können es später bis zu vier sein.
Was passiert? Anfangs ist das alles offenbar recht verwirrend (oder ich erkläre wirr). Jedenfalls kann ich nach der Gesamterklärung, sobald die ersten Karten gewählt werden sollen, die Kartenverwendung gleich noch einmal von vorne erläutern. So richtig intuitiv ist es wohl nicht.
Trotzdem ist EVERGREEN kein schweres Spiel, zumal sich vieles ganz hervorragend durch das Thema erklärt. Auch wenn wir Wohlstandskinder den Bezug zur Natur verloren haben: Eine gewisse Vorstellung davon, wie ein Baum wächst, haben wir schon noch.
Über die optimale Platzierung der Bäume kann man sich lange Gedanken machen. Ich bin aber gar nicht sicher, ob sich das so sehr lohnt. Die Sonne scheint nun mal im Laufe der Zeit aus allen Richtungen. Und ein Baum, den ich für den jetzigen Lichteinfall gut platziert habe, wird, wenn die Sonne weiterwandert, unabänderlich andere Bäume verschatten.
Ich bin stets gut damit gefahren, mehr Mühe in mein größtes Gebiet zu stecken und Bäume dort hochzuziehen, wo die Schlusswertung Punkte verspricht. Das, was in der Wertung vermeintlich an Dilemma stecken könnte, habe ich gar nicht so wahrgenommen. Und leider betrifft es genau den aus PHOTOSYNTHESE stammenden Teil, der thematisch so wunderbar stimmig ist.
Ich will aber gar nicht behaupten, dass der Besitz der größten Baumfläche der unbedingte Schlüssel zum Erfolg ist. Autor und Testspieler:innen werden das sicher gut ausbalanciert haben. Mein Punkt ist ein anderer: Indem sich EVERGREEN nicht auf eine Punktequelle konzentriert, entsteht für mich nicht die große Spannung. Alle Züge sind schon irgendwie ganz gut. Alles fühlt sich ähnlich an, es geschieht wenig Drama, das mich mitfiebern lässt. Klar, es gibt Karten in der Auslage, die ich lieber hätte als andere. Und klar, ich will nicht, dass Totenköpfe Schlusswertungen zerstören, auf die ich hingearbeitet habe. Doch das, was ich hier überwiegend solitär tue und erschaffe, lässt mich trotz Optik und Thema überraschend kalt.
Was taugt es? EVERGREEN sieht sehr hübsch aus, hat sehr gute Double-Layer-Boards und tolles Holzmaterial. Das Thema spricht mich an und ist nicht nur aufgesetzt, sondern findet sich in den Wertungsmechanismen wieder. EVERGREEN ist überwiegend konstruktiv, man nimmt taktisch Einfluss. Die Saat für ein begeisterndes Spiel wäre gelegt.
Doch für mein Empfinden fehlen EVERGREEN Höhepunkte im Spielablauf. Das Spiel erzeugt wenig Reibung, es bleibt lauwarm.
**** solide
EVERGREEN von Hjalmar Hach für eine:n bis vier Spieler:innen, Horrible Guild.
1 Kommentare:
Ich gebe der Kritik Recht, manchmal mag man es aber auch eher ruhig und weniger konfrontativ, da passt so ein Spiel wie Evergreen ganz gut. Letztendlich - durch Dürre und Kartenauslage, kann es aber unbefriedigend laufen, wenn stets dann, wenn man Startspieler ist, die gesuchten Karten nicht in der Auslage zur Verfügung stehen. Dass man grundsätzlich sehr auf die finale Wertung spielen kann, bringt ebenfalls ein wenig eindeutige Strategie mit sich, die eigentlich alle Spieler fahren
müssten.
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