Donnerstag, 9. Juli 2020

Die Befreiung der Rietburg

Als kritischer Held frage ich mich ja so langsam, was dieser König Brandur eigentlich mal alleine auf die Reihe kriegt. Aber so ist das in sozialen Berufen: Wir müssen trotzdem wieder los und helfen. Und um 21 Uhr klatscht Brandur – außer es regnet – von seinem Balkon Applaus.

Wie geht DIE BEFREIUNG DER RIETBURG? Wir hauen gemeinschaftlich Gors, Trolle und Skelettkrieger um. Neue Bösewichter können an sechs Orten auftauchen. Die Kreaturenkarten werden dort übereinandergestapelt, Neuankömmlinge nach oben.
Nur die oberste Karte kann bekämpft und aus dem Spiel befördert werden. Dazu muss sie allerdings offenliegen. Viele Karten kommen verdeckt ins Spiel, müssen also erst mal gewendet werden, um zu erfahren, mit wem man es zu tun hat und wieviel Haue zu investieren wäre.

Wer am Zug ist, spielt eine seiner (zunächst) drei Handkarten und wählt eine der darauf angezeigten Aktionen. Üblicherweise darf man sich an andere Orte bewegen und vielleicht andere Held*innen mitnehmen, darf Karten wenden oder darf mit einer bestimmten Stärke zuschlagen.
Sind an einem Ort sämtliche Monster besiegt, kommt die unter dem Stapel liegende Aufgabenkarte zum Vorschein und wir erfahren, was zu ihrer Erfüllung zu leisten oder welche Situation herzustellen ist. Sobald vier Aufgaben geschafft sind, gewinnt das Team.
Verlieren können wir leider auch. Wer sein Blatt runtergespielt hat, muss im nächsten Zug alles wieder aufnehmen. Dieser an sich vorteilhafte Spielzug beinhaltet einen schwerwiegenden Nachteil: Eine „Erzählerkarte“ wird aktiviert. Sie bestimmt, an welchen Orten neue Monster auftauchen. Und schlimmer noch: Sind alle Erzählerkarten aufgebraucht und eine neue müsste gezogen werden, ist die Partie (nebst Rietburg) verloren. Und vom Balkon ertönt kein Applaus.


Was passiert? Eine erfahrene Gruppe, die im leichtesten Modus beginnt, dürfte sich unterfordert fühlen und sollte ab Partie zwei den Schwierigkeitsgrad erhöhen, wofür es verschiedene Stellschrauben gibt. In der schwersten Version wird es gewiss kein Spaziergang mehr.
Es gehört dann auch Glück dazu. Die Aufgaben haben unterschiedliche Schwierigkeitsgrade, und man hofft, dass auch ein paar leichtere im Spiel sind und unter den nicht so dicken Monsterstapeln liegen. Zwischen die Kreaturen mischen sich auch Gegenstände (mit Glück ordentlich viele), die man an Ort und Stelle einfach aufsammeln darf, was den Kartenstapel auch ohne Kampfaktion um eins reduziert. Außerdem können Gegenstände wie andere Handkarten gespielt werden und bringen dann einen Vorteil. Zwar nur einmal, aber immerhin verlangsamen sie den Blattdurchlauf.
Und besonders toll sind Freund*innen. Wie im wahren Leben. Erfolgreiche Kämpfe können als Belohnung „Freundekarten“ bringen. Auch die ergänzen die Handkarten und verlangsamen den Blattdurchlauf. Und: Man darf sie gemeinsam mit den anderen gespielten Karten wieder aufnehmen.
Neben Hoffen und Bangen bietet DIE BEFREIUNG DER RIETBURG auch Möglichkeiten, um taktisch clever zu agieren. Held*innen- und Kartenfunktionen, die auf den ersten Blick unscheinbar wirken, können plötzlich cool werden. Beispielsweise indem man Kreaturen auf einen Stapel teleportieren darf, der ohnehin nicht mehr relevant ist und fortan als Sammelbecken fungiert. Oder indem man eine fremde Figur weiterbewegt, deren Besitzer*in ansonsten für denselben Zug die letzte Handkarte verbraucht, also nicht sofort hätte loskämpfen können.
Zu kämpfen, solange sich die Gelegenheit bietet, ist übrigens sehr wichtig. Warte ich ab, kann sich durch Erzählerkarten der Stapel an meinem Ort nachteilig verändern. Es werden neue verdeckte Karten draufgelegt, die ich erst mal wieder wenden muss. Oder es kommen Kreaturen angeflogen, die stärker sind als ich, woraufhin ich Hilfe rufen oder den Ort verlassen muss. All das wäre ärgerlicher Zeitverlust.


Was taugt es? Nachdem dies alles bisher vielleicht noch überwiegend gut klang, muss ich spätestens jetzt zur Kritik kommen: Auch wenn DIE BEFREIUNG DER RIETBURG einige Elemente der LEGENDEN VON ANDOR aufgreift und man dem Spiel abnimmt, in derselben Welt zu spielen, entwickelt sich nicht annähernd eine vergleichbare Geschichte. Und auch kein Flow.
Spannung entsteht durch die Frage: Schaffen wir es oder schaffen wir es nicht? Doch der Weg zum Ziel fühlt sich wie mechanisches Abarbeiten an. Die häufigsten Aktionen sind Kämpfe und die wiederum sind ein reiner Zahlenvergleich und somit weder atmosphärisch noch überraschend.
Wir ackern uns durch die Stapel und ab und zu klatscht das gehässige Spielsystem wieder eine Karte obendrauf. Die Handlungen sind dadurch oft vorgegeben. Für langfristige Pläne ändern sich die Spielsituationen zu dynamisch. DIE BEFREIUNG DER RIETBURG gibt Impuls auf Impuls auf Impuls, wir bleiben in der Rolle der Reagierenden. Und damit relativ passiv.


*** mäßig

DIE BEFREIUNG DER RIETBURG von Gerhard Hecht für zwei bis vier Spieler*innen, Kosmos.

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