Mittwoch, 10. März 2021

Vor 20 Jahren (99): Der große Gallier

Vor einiger Zeit, als ich feststellte, dass Top-Listen absolut hip sind und mein Blog gar leider nicht, kam mir die originelle Idee, ebenfalls Top-Listen zu veröffentlichen. Das Vorhaben kam jedoch nie über den vagen Planungsstatus hinaus. Schon das Erstellen einer Top-Liste, welche Top-Listen der Welt wohl noch fehlen, gestaltete sich so ermüdend, dass mir die Motivation auf eine Umsetzung rasch wieder abhandenkam.

Eine der Top-Listen, die mir damals vorschwebte: „Zehn Spiele, über die sich Betrachter*innen meines Spieleregals am meisten wundern.“ Gemeint waren nicht etwa Granaten wie UNO oder MONOPOLY. Die sind in meinem Haushalt nicht zu finden und können deshalb auch niemanden irritieren. Gemeint waren vielmehr Spiele, die selbst Sachkundige grübeln lassen: Statement oder Versehen?

In einem qualifizierten Regal erwartet man DIE SIEDLER VON CATAN, CARCASONNE und vor allem DOMINION mit sämtlichen Erweiterungen. Wer cool sein will, kann auch noch GLOOMHAVEN und BRASS: BIRMINGHAM dazustellen. Doch wer hat schon DER GARTEN DES SONNENKÖNIGS? Ich. Oder DER GROSSE GALLIER? Auch ich.

Dieses Spiel von Wolfgang Kramer und Udo Nawratil aus dem Jahr 2001 ist ziemlich von der Bildfläche verschwunden, was vielleicht an der Grafik liegt oder auch daran, dass es bei Clementoni erschienen ist, das ebenfalls ziemlich von der Bildfläche verschwand. Oder liegt es am Spiel selbst? In DER GROSSE GALLIER wird permanent gelogen und betrogen. 2001 galt das möglicherweise noch als unanständig.

Ich will gar nicht behaupten, jeder Mechanismus des Spiels sei supertoll. Aber den Bluffmechanismus habe ich damals sehr gemocht, und er hat mich veranlasst, das Spiel all die Jahre zu behalten, bis ein Spiel kommt, das den Mechanismus noch mal aufgreift … jedoch: Es kam keins.


In DER GROSSE GALLIER tragen wir verschiedene Wettbewerbe aus. Man nimmt teil, indem man verdeckt Karten legt und ihren Wert ansagt. Diesen kann man sich übrigens komplett ausdenken, sollte aber trotzdem eine zumindest theoretisch erreichbare Zahl dahinfabulieren. Denn üblicherweise ein*e Teilnehmer*in wird überprüft. Und jede Ansage, die zum Himmel stinkt, wäre eine klare Bewerbung dafür.

Anhand der Kartenrückseiten ist erkennbar, welche Karte für welchen Wettbewerb zählt. Und wenn nun Bullenziehen (blaue Karten) stattfindet und jemand auch Gelb und Rot auslegt, scheinen Zweifel an dessen Ehrlichkeit angebracht. Lustigerweise kann die Ansage trotzdem stimmen. Manche Karten sind unabhängig von ihrer Farbrückseite Joker.

Das aber Lustigste und zugleich Frechste an DER GROSSE GALLIER ist: Wer mit seiner Lüge durchkommt, profitiert nicht nur durch eine unrechtmäßig gute Platzierung im Wettbewerb. Sondern noch mehr: Alle nicht enttarnten Falschansagen werden durch einen Bonus ausdrücklich extra honoriert. Das erhöht den Anreiz zu schwindeln ganz enorm. Mit einer Mogelei durchzukommen, fühlt sich doppelt triumphal an: ein Ätsch-Faktor sondergleichen. Oh, man ahnt ja nicht, welch fürchterliche Charaktereigenschaften in DER GROSSE GALLIER zu Tage treten! Die dreckige Lache einer ganz bestimmten Mitspielerin klingelt mir jedenfalls noch heute im Ohr.


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