Dienstag, 21. Juni 2022

Die Schlacht von Runedar

Stell dir vor, du hast dir in jahrelanger Arbeit eine Million Leser:innen zusammengeschrieben, und plötzlich tauchen fremde YouTuber:innen auf und nehmen dir alle weg! – Vordergründig mag DIE SCHLACHT VON RUNEDAR in einer Fantasy-Welt spielen. Tatsächlich geht es aber um die Urängste von uns allen.

Wie geht DIE SCHLACHT VON RUNEDAR? Wir Zwerge verteidigen kooperativ unsere Burg bzw. den Goldschatz darin. Von mehreren Seiten stürmen Orks auf die Burg zu, magisch angezogen von deren Zentrum, der Schatzkammer. Jeder Ork, der die Schatzkammer erreicht, klaut ein Gold. Sobald alle 20 Klumpen geraubt sind, haben wir verloren.
Es gibt sogar noch diverse weitere Bedingungen, die eine sofortige Niederlage auslösen. Aber nur einen Weg, um zu gewinnen: Wir müssen die fünf Abschnitte eines Tunnels graben, bevor alles Gold geraubt ist.

Kernmechanismus des Spiels ist Deckbuilding. Motor sind Karten, die wir entweder zur Bewegung unserer Zwerge oder für eine Aktion verwenden dürfen, wobei alle Aktionen nur an bestimmten Orten durchführbar sind, zum Beispiel Fernkampf nur von einem Turm aus oder das Nehmen von Rohstoffen nur im entsprechenden Vorratsraum.
Neue Karten müssen, bevor sie jemand nehmen darf, erst „geschmiedet“ werden. Das heißt, wir müssen eine bestimmte Rohstoffkombination auf der Karte ablegen. Ist das Geforderte beisammen, darf irgendwer in seinem Zug die Karte auf die Hand nehmen im Austausch gegen eine andere, die entsorgt wird. Da unsere Startkarten recht schlapp sind, sind geschmiedete Karten sehr willkommen.


Was passiert? Schnell stellt sich heraus, dass wir alles brauchen: Karten, um schneller an Rohstoffe zu gelangen, Karten, die einen Teleport erlauben, Karten, die uns schneller graben lassen. Und fast genauso schnell zeigt sich, dass nicht alles geht: weil wir in der Bewegung sehr eingeschränkt sind, weil Orks Aktionen blockieren, weil aufploppende Brandherde dringendes Eingreifen erfordern.
Und es zeigt sich: Wir sollten erfolgreich würfeln. Denn der Würfel entscheidet alle Kämpfe, und in meinen Gruppen habe ich recht viel Frust erlebt, wenn es selbst mit massivem Einsatz nicht mal gelang, einen einzigen Ork zu erledigen. Mehrfach ist frühzeitig das Gefühl entstanden, die Partie sei durch Würfelpech schon entschieden.
Und es gibt sogar noch einen zweiten kräftigen Glücksfaktor: die Kartenverteilung. Mein Deck umfasst immer zwölf Karten. Zehn sind Aktionskarten, aber zwei – und genau diese darf ich nie entsorgen – bewirken das Aufdecken der nächsten Karte vom Stapel des Bösen.
Zu Spielbeginn und danach alle zwei Runden mische ich mein komplettes Deck. Zwei Karten lege ich unbesehen beiseite, fünf Karten bekomme ich auf die Hand, die übrigen fünf Karten sind meine Hand für den nächsten Zug. Und wieder von vorn. Mit Glück mische ich häufiger die doofen Karten raus, und der Fortschritt des Bösen verlangsamt sich. Mit Pech mische ich häufiger die aufwendig geschmiedeten Karten raus und kann sie nicht nutzen.


Was taugt es? Laut Schachtelaufdruck dauert DIE SCHLACHT VON RUNEDAR nur 60 bis 90 Minuten. Nach meiner Erfahrung sind es eher 90 bis 120. Das ist recht lang für ein Spiel, das stark schicksalsabhängig verläuft und bei dem obendrein in mechanischer Hinsicht Runde für Runde dasselbe passiert. Dennoch empfinde ich die gesamte Spielzeit als spannend und intensiv: Wir sind immer gefordert, es gibt kein Verschnaufen, Entscheidung reiht sich an Entscheidung. Und es ist eben eine Schlacht. Schlachten dauern.
Nicht alle meine Mitspieler:innen sehen das so. Mehrere sind abgesprungen, weil ihnen das Spiel zu lang und zu bestrafend war. Tatsächlich ist DIE SCHLACHT VON RUNEDAR schwer zu gewinnen. Meinen Runden ist das bislang nur im mittleren Schwierigkeitsgrad gelungen, und wenn überhaupt, dann so knapp, dass ich mich vorerst nicht ermutigt fühle, den schwierigen oder gar den epischen Modus auszuprobieren.
DIE SCHLACHT VON RUNEDAR wird in einer Plastikburg gespielt, die wiederum im Schachtelboden steckt. Spielrelevante Höhenunterschiede der Felder (Turm, Mauer) werden so bestens verdeutlicht. Allerdings müssen beim ersten Aufbau Pappen mit doppelseitigen Klebestreifen fixiert werden, was nicht wirklich gut funktioniert. Obendrein behindert die dreidimensionale Festung die Sicht auf jene Teile des Orkaufmarschs, die noch draußen herumlungern, ein Feld vor der Burg. Und das gefällt mir im Hinblick auf gute Spielbarkeit am wenigsten: Für die Ausgestaltung des Burginneren betreibt der Verlag einen hohen Aufwand, aber nicht minder wichtige Spielfelder und Zonen außerhalb der Burg müssen wir uns denken.
Trotzdem: In DIE SCHLACHT VON RUNEDAR harmonieren Spielgeschichte und Spielgefühl. Kooperatives Deckbuilding ist hier auf neue Weise umgesetzt. Bislang kannte ich es nur so wie in beispielsweise AEON’S END, wo der Deckbau genauso funktioniert wie in kompetitiven Spielen auch und lediglich das Ausspielen der Decks gemeinschaftlichen Zwecken folgt. DIE SCHLACHT VON RUNEDAR macht durch das Schmieden der Karten auch schon das Deckbuilding selbst zum gemeinschaftlichen Prozess. Das ist ein toller, neuer Mechanismus.


***** reizvoll

DIE SCHLACHT VON RUNEDAR von Reiner Knizia für eine:n bis vier Spieler:innen, Ludo Nova.

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