Man muss Spielthemen auch leben! Deshalb habe ich mich verpflichtet gefühlt, ausgiebig meinen Tagträumen nachzuhängen. Für eine Einleitung hat es dann nicht mehr gereicht.
Wie geht BOHEMIANS? Paris um 1900. Wir sind Künstler:innen am Anfang unserer Karriere und auf der Suche nach Erfolg. Wir spielen so viele Tage (Runden), bis jemand die vorgegebene Anzahl Erfolgskarten kaufen konnte.
Jede Runde entspricht einem Tag in meinem Künstlerleben. Während dieses Tages sammle ich Inspirationspunkte. Damit kaufe ich bessere Karten für mein Deck oder eben Erfolgskarten, die eine nach der anderen zunehmend teurer werden. Sie werden nicht in mein Deck gemischt.
Pro Runde ziehen wir mindestens fünf Karten und legen vier davon auf unsere Tagesplan-Tableaus. Die Karten besagen, was wir morgens, mittags, abends und nachts tun. Vor allem aber haben sie an ihren linken und rechten Kanten halbe Symbole. Ordne ich meine Karten so an, dass halbe Symbole aneinandergrenzen und auf diese Weise zu kompletten Symbolen werden, sammle ich Inspirationspunkte.
Meine Tagesplanung ist also ein Puzzle. Und wir puzzeln simultan. Statt einer der vier Karten könnte ich auch mein Job-Plättchen spielen. Das hat keine Symbole, wird also meine Inspirationswertung verschlechtern. Allerdings: Übe ich meinen Job nicht aus, bekomme ich eine Leidenskarte in mein Deck, die – sobald ich sie später ziehe – meinen Tag negativ modifiziert. Positiv sich wirken Musenkarten aus, die ich unter bestimmten Voraussetzungen mit meinen Symbolkarten kombinieren darf.
Was passiert? Am Ende des Tages sollen wir nicht nur schnöde unsere Inspirationspunkte addieren und Karten kaufen, sondern wir sollen den anderen auch von unserem Tag erzählen. Das könnte dann so klingen: „Morgens bin ich ziellos durch die Straßen geschlendert. Mittags habe ich mich darauf eingestimmt, zu komponieren. Abends habe ich dann aber doch lieber an einem Manifest gearbeitet. Unterstützt und inspiriert hat mich dabei mein treuer Freund Pascal. Nachts musste ich mich wie so oft als Straßenmusiker verdingen.“
Diese Erzählungen fangen das Spielthema gelungen ein und lösen schönen Trashtalk aus. Vielleicht sind es nur Klischees, die hier wiedergegeben werden, dennoch kann man sich gut vorstellen, wie hier jemand innerhalb einer progressiven Szene und gleichzeitig am Rande des Abrutschens über die Runden zu kommen und Kunst auszuüben versucht.
Dass ich letztendlich nur Karten aneinanderpuzzle, finde ich nicht schlimm. Zwar ist das so gar nicht künstlerisch, aber man kann schon nachvollziehen, dass ein bestimmter Tagesverlauf mehr oder weniger kreative Energie freisetzt. Das wäre in der Realität genauso.
Allerdings ist es fürs Spiel völlig unerheblich, was die anderen so von ihrem Tag zu erzählen haben, und es ist auch ermüdend. Denn wir starten mit denselben Decks, und so sehr verändern sie sich auch nicht im Laufe der Partie. Deshalb wiederholen sich die Geschichten bald und nutzen sich ab.
Sogar die Puzzelei selbst ist repetitiv und wird im Laufe der Partie nicht spannender. Und auch die Erfolgskarten bringen keinen Twist. Man kann froh sein, die nötigen Inspirationspunkte zusammengekratzt zu haben, also kauft man meistens einen Erfolg, wenn man es irgend kann.
Was taugt es? Zu den bereits genannten Negativpunkten kommt hinzu: Bei der Übersetzung ist vieles schiefgegangen. Die Anleitung ist lückenhaft. Symbole sind vertauscht. Spielphasen heißen mal so und mal anders. Ein ganz wichtiges Symbol auf Musenkarten ist nicht erklärt, so dass man denken könnte, es sei nur Zierde.
Es hätte gute Gründe gegeben, um BOHEMIANS das Label „misslungen“ zu verpassen. Denn elementare Dinge sind ganz unbestreitbar misslungen. In der Gesamtschau auf das Spiel mag ich das dennoch nicht tun. Denn grafisch, atmosphärisch und thematisch finde ich BOHEMIANS so ansprechend, dass ich allein deswegen freiwillig noch mal eine Partie spielen würde.
Man kann viele authentisch wirkende Details entdecken. Die Erfolge heißen nicht einfach nur „Erfolg“, sondern „Das erste Freunden vorgestellte Kunstwerk“, „Worte des Trostes vom Mentor“ oder „Eine zufriedenstellende Rezension“; Karten heißen „Geh tanzen“, „Übe, übe, übe“ oder „Sage das Ende der Kunst voraus“. Das kommt mir alles sehr treffend vor. Angesichts von Leidenskarten wie „Obdachlosigkeit“ oder „Syphilis“ könnte man BOHEMIANS vielleicht mangelnde Sensibilität vorwerfen oder gar, dass es sich lustig macht. Ich habe das beim Spielen nicht so empfunden.
*** mäßig
BOHEMIANS von Jasper de Lange für eine:n bis vier Spieler:innen, Portal Games / Pegasus Spiele.












































