Freitag, 8. Oktober 2021

Marvel Champions: Das Kartenspiel

MARVEL CHAMPIONS steht im Ranking bei boardgamegeek auf Platz 38. Ich begebe mich offenbar auf dünnes Eis, wenn ich bekanntgebe, das Spiel nicht sonderlich zu schätzen. Also sollte ich mir das jetzt echt überlegen.

Wie geht MARVEL CHAMPIONS? Wir (Black Panther, Iron Man, Captain Marvel, She-Hulk oder Spider-Man) kämpfen kooperativ gegen entweder Rhino, Klaw oder Ultron. Mit Karten. Erst sind reihum wir am Zug, dann macht die böse Seite mehrere böse Dinge.
Um Karten spielen zu dürfen, müssen wir sie mit anderen Handkarten bezahlen – ein Prinzip, das man beispielsweise aus SAN JUAN kennt. Karten können also Ressourcen sein oder, wenn wir sie ausspielen, Verbündete (die eine Weile an unserer Seite kämpfen), Ereignisse (Einmal-Effekte) sowie Upgrades oder Vorteile, die dauerhafterer Natur sind.
So rüstet man sich aus und wird stärker, wird im wundervollen Wachstum allerdings durch die Gegenpartei behindert. Rhino oder wer auch immer haut uns regelmäßig eins auf den Deckel. Er schickt obendrein Schergen los, die uns zusätzlich hauen wollen. Und er treibt „Pläne“ voran, indem er „Bedrohungsmarker“ anhäuft. Ist die tödliche Menge beisammen, haben wir verloren. Deshalb müssen wir immer wieder Züge opfern, um Lebensenergie nachzutanken, die Schergen loszuwerden oder Bedrohungsmarker wegzuschaufeln.
Etwas sehr Ähnliches habe ich zuletzt bei AEON’S END gespielt. MARVEL CHAMPIONS allerdings handelt im Marvel-Universum. Das Thema wirkt sich auch spielerisch aus, beispielsweise indem alle Marvel-Charaktere neben ihrer Held:innen- auch eine bürgerliche Existenz besitzen. Zwischen diesen beiden Existenzen, die natürlich völlig unterschiedliche Fähigkeiten besitzen, darf man wiederholt wechseln. Oder sieht sich dazu genötigt, denn in Zivil lebt es sich deutlich gesünder.
Zweiter großer Unterschied: MARVEL CHAMPIONS ist kein Deckbauspiel. Unser Kartenpaket stellen wir nach bestimmten Kriterien vor der Partie zusammen oder folgen einfach der Empfehlung in der Anleitung.


Was passiert? Das Spielgefühl ist (trotzdem) sehr vergleichbar mit den kooperativen Deckbauspielen AEON’S END und HARRY POTTER – KAMPF UM HOGWARTS. Verschiedene Bedrohungen bauen sich parallel auf. Wir müssen sie im Zaum halten, aber gleichzeitig auch auf unser Vorankommen schauen: in den Vergleichsspielen, indem wir gute Karten zukaufen; hier, indem wir unsere Fähigkeiten erweitern und möglichst rasch an die wichtigsten Karten des Decks herankommen – jedoch nicht um jeden Preis, denn jedes Durchheizen und Nachmischen des Decks wird bestraft.
Alles hat auch mit Glück und Schicksal zu tun. Aktionen der Gegenseite können durch günstige Umstände verpuffen. Umgekehrt können Situationen, die eigentlich beruhigend stabil wirken, durch blöde Umstände unerwartet eskalieren.
Sowohl die Held:innen als auch die Gegner:innen spielen sich wegen unterschiedlicher Fähigkeiten sehr verschieden. An die beste Vorgehensweise muss man sich jeweils spielerisch herantasten. Der Schwierigkeitsgrad lässt sich recht beliebig anpassen. In MARVEL CHAMPIONS steckt eine Menge Stoff zur Vertiefung.

Doch bevor sich überhaupt ein Spielgefühl einstellt, ist da die Schachtel mit einem Wust von Karten, die sich darin nicht vernünftig sortieren und aufbewahren lassen, weil es keine Trenner oder geeignete Fächer gibt. Und obwohl das Spiel über 300 Karten enthält, sind es doch zu wenige: Man kann nicht alle fünf Charaktere gleichzeitig spielbereit machen.
Klar, das Spiel geht auch gar nicht zu fünft. Trotzdem finde ich es schwach, wenn ich zwischen den Partien umsortieren muss, obwohl ich nur die jeweiligen Standarddecks verwenden möchte. Oder dass die Karten nicht ausreichen, um She-Hulk und Iron Man mit ihren Startdecks gemeinsam antreten zu lassen. Bei einem Spiel dieser Preisklasse erwarte ich einen gewissen Komfort.
Und dann: Anleitung und Referenzhandbuch! Konzepte mit zwei Heften können funktionieren, wenn die Hefte gut abgestimmt sind. Logisch wäre es zum Beispiel, die kompletten Grundregeln zum Losspielen in der Anleitung zu finden und das Referenzhandbuch als zusätzliches Nachschlagewerk zu haben. In MARVEL CHAMPIONS geht das durcheinander. Regelungen finden sich an Stellen, wo man sie nicht erwartet. Zudem liest sich die verwendete Sprache teils wie ein Programmiercode. Selbst nach etlichen Partien musste ich noch herumblättern und Dinge suchen. Die Hürden, um ins Spiel zu kommen, habe ich als ärgerlich hoch empfunden.

Was taugt es? Und diese Hürden sind schuld, warum ich mich mit MARVEL CHAMPIONS nicht anfreunden kann. Zum Thema verspüre ich keine besondere Affinität. Mir ist egal, ob ich Rissmagier X oder Black Panther bin. Jenseits des Themas sehe ich hier überwiegend Ähnlichkeiten zu anderen Spielen des Genres. MARVEL CHAMPIONS variiert deren Mechanismen, Spielgefühl und Zwänge. Das ist in Ordnung, weil es beileibe keine Kopie ist, sondern auch eigene Zutaten hinzukommen.
Aber: Die Vergleichsspiele verwenden erheblich mehr Sorgfalt, mich in ihre Welt eintreten zu lassen. Auch das macht für mich Spielreiz aus: dass ich möglichst früh an den Punkt komme, an dem ich ein Spiel genießen kann, anstatt mich immer noch daran abzuarbeiten.


*** mäßig

MARVEL CHAMPIONS: DAS KARTENSPIEL von Michael Boggs, Nate French und Caleb Grace für eine:n bis vier Spieler:innen, Fantasy Flight Games.

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