Montag, 30. Oktober 2023

My Island

Wenn ich als Rezensent eines Tages etwas erfahrener bin, unterläuft mir bestimmt nicht mehr der doofe Fehler, ein Legacy-Spiel erst dann zu fotografieren, wenn das meiste Material bereits beschrieben oder mit Aufklebern versehen ist. Versprochen!

Wie geht MY ISLAND? So ähnlich wie MY CITY, das schon so ähnlich wie FITS ging: Eine Karte vom Stapel bestimmt, welches Legeteil wir alle in unser Raster einbauen müssen. Auf Kosten eines Minuspunkts können wir das Einbauen auch verweigern. Das sollte man aber nicht zu häufig tun, weil sonst leere Felder bleiben, die negativ zählen.

Die Teile bestehen in MY ISLAND aus zwei bis vier Sechseckfeldern statt zuvor Viereckfeldern. Und sie sind nicht mehr einfarbig, sondern zwei-, drei- oder vierfarbig. Die Bauregeln sind in der Praxis verflixter, als sie sich beim Regelstudium anhören: Man muss immer benachbart legen zu dem, was man schon hat. Und mindestens eine Farbe des neuen Teils muss an dieselbe Farbe eines schon vorhandenen Teils angrenzen. (Außer natürlich beim allerersten Teil). Das schafft mitunter gemeine Zwänge. Am Anfang der Partie muss man mit der Leere des Spielplans klarkommen. Man ist in seiner Startecke gefangen und möchte sich schnell ausbreiten, um mehr Anlegemöglichkeiten zu schaffen. Gegen Ende muss man immer mehr mit der Enge klarkommen.
Wie MY CITY ist auch MY ISLAND ein Legacy-Spiel, was bedeutet, dass sich durch den Ausgang einer Partie die Voraussetzungen für die nächste ändern. Wer gewinnt, erhält Punkte für die Schlusswertung. Wer nicht gewinnt, bekommt meist irgendeinen Ausgleich, beispielsweise in Form eines hilfreichen Aufklebers auf dem Tableau oder auf einem der Legeteile. Oder wer gewinnt, kriegt nebst Punkten auch irgendein Hindernis für die Zukunft.
Gespielt werden 24 Partien. Regeln und Materialien für jeweils drei Partien befinden sich in einem von acht Umschlägen. Jeder Umschlag stellt ein Kapitel dar, in dem alle drei Partien demselben mechanischen Leitgedanken folgen.


Was passiert? MY ISLAND ähnelt MY CITY. Das Spielgefühl ist dasselbe. Von Umschlag zu Umschlag steigert sich der Schwierigkeitsgrad. Es geht nicht immer nur darum, lückenlos die Fläche vollzupuzzeln und bestimmte Muster zu legen. Nebenbei gibt es Wettrennen, Zwischenziele und übergeordnete Aufgaben, die sich über mehrere Partien ziehen. Dieser Aspekt ist sogar noch ausgeprägter als in MY CITY, und ich finde das sehr gut gemacht. So sind es nicht einfach beliebig aneinandergereihte 24 Partien, die in Summe eine Siegpunktzahl ergeben. Die längeren Spannungsbögen verknüpfen mehrere Partien zu einer Komposition.
Trotz Ähnlichkeit zu MY CITY wiederholt MY ISLAND aber nicht einfach dieselben Bauaufgaben, jetzt eben nur mit Sechseckplättchen. Im Detail ist alles neu. Und: Es ist komplexer. Allein schon das Material ist komplexer. In vielen Partien, vor allem in den ersten Kapiteln, als man sich der Gefahr noch nicht so bewusst war, passierte es, dass jemand ein falsches Teil eingebaut hatte, was erst später bemerkt wurde und schwer rückgängig zu machen war.
Auch die Aufgaben sind komplexer. Teilweise muss man sehr viele Ziele gleichzeitig im Blick haben, mehr als man erreichen kann. Eine wesentliche Herausforderung besteht deshalb darin, zu filtern und sich auf das Machbarste und Wichtigste zu fokussieren. Benötigt man anfangs für eine Partie noch nicht die angegebenen 30 Minuten, geht es später durchaus in Richtung 60 Minuten. Weil man wirklich nachdenken und knobeln muss. Selbst erfahrene Spieler:innen.


Was taugt es? Dass Zurückliegende einen Ausgleich bekommen, führt nicht zu Beliebigkeit. Und auch wenn das Finale den Spielstand noch gehörig durcheinanderwirbeln könnte, zeichnet sich in ungleich spielstarken Gruppen recht bald ab, wer gewinnen wird und wer nicht. Aber das System gewährleistet immerhin, dass auch Zurückliegende Punkte machen werden und einzelne Partien gewinnen oder Platz zwei erreichen.
Im Vergleich zu MY CITY finde ich die Aufgabenstellung in MY ISLAND noch etwas raffinierter und herausfordernder. Andererseits finde ich die Thematik in MY CITY schlüssiger. In ganz groben Zügen erzählt das Spiel reale Stadtbaugeschichte, MY ISLAND bietet dagegen nur eine austauschbare Mystery-Story.
Alles in allem nehmen sich beide Spiele nicht viel. Wer MY CITY mochte, wird voraussichtlich auch MY ISLAND mögen. Und wer nicht, der nicht.
Wer nur zu zweit ist, kann die Kampagne mit einem Exemplar von MY ISLAND gleich doppelt durchspielen. Der Verlag hat extra Aufkleber beigelegt, um bestimmte Komponenten in ihren Ursprungszustand zurücksetzen zu können.


***** reizvoll

MY ISLAND von Reiner Knizia für zwei bis vier Spieler:innen, Kosmos.

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