Freitag, 15. August 2025

Wundersame Wesen

Wundersame Wesen: Cover

Um die Spielgeschichte feiern zu können, die davon erzählt, dass wir auf einer neu entdeckten Insel außergewöhnliche Tierwesen finden und sie freundlicherweise … ähm, „in unser Reservat aufnehmen“, fehlt es mir offenbar an Fantasie. Was wenig überrascht, denn für Einleitungen fehlt sie ja auch.

Wie geht WUNDERSAME WESEN? Wir wollen Wesenskarten ausspielen. Dafür brauchen wir 1. Wesenskarten und 2. die erforderlichen Rohstoffe, um das Ausspielen zu bezahlen. Ressourcen erhalten wir auf dem Inselspielplan. Mein Zug könnte darin bestehen, eine meiner drei Figuren einzusetzen und Ressourcen zu kassieren.
Was und wie viel, hängt davon ab, wie viele Ertragsfelder sich direkt neben dem Einsatzort meiner Figur befinden. Üblicherweise sind das zwei bis drei, später im Spiel auch vier. Zeigt das Ertragsfeld etwa eine Frucht, darf ich mir entweder den Rohstoff Frucht nehmen oder eine Karte aus dem Markt, die ein Fruchtsymbol zeigt – sofern dort solche Karten ausliegen.
Ein Alternativzug wäre, bis zu zwei Wesenskarten von meiner Hand auszuspielen. Das bringt Sofort- oder Dauer- oder Endwertungs- oder andere Effekte. Und das mache ich, um vorgegebene Ziele zu erreichen. Beispielsweise will ich mit meinen Wesen (und Eiern) viele rote Symbole sammeln oder insgesamt mindestens 14 Karten vor mir liegen haben oder … oder. Sieben unterschiedliche Zielvorgaben sind im Spiel. Habe ich eine erreicht, darf ich als Zugmöglichkeit Nummer drei dies offiziell bekanntgeben und meine Belohnung einkassieren.

Wundersame Wesen: Spielplan

Und Variante vier ist, dass ich meine drei Figuren vom Spielplan zurückhole. Das ist eher unbeliebt, aber irgendwann muss ich es tun. Und falls ich Karten ausgespielt habe, die in genau dieser Situation aktiviert werden, ist es plötzlich doch gar nicht mehr so unattraktiv.
WUNDERSAME WESEN ist ein Wettrennen. Je später ich ein Ziel erfülle, desto weniger Punkte bringt es. Und nach einer bestimmten Menge erfüllter Ziele und Figuren-Rückholungen endet die Partie. Punkte bringen im Wesentlichen die Ziele und die ausgespielten Karten.

Was passiert? Die Wesenskarten und ihre Boni sind der Kern von WUNDERSAME WESEN. Obwohl ich einerseits schnell sein und viele Karten rausballern möchte, will ich zugleich auch solche spielen, die gut harmonieren und im Bestfall denselben Vorgang mehrfach belohnen (den ich dann möglichst immer wieder initiiere) oder eine Belohnungskette auslösen: Wenn ich X mache, darf ich Y machen, wenn ich Y mache, kriege ich Z.

Wundersame Wesen: Karten

Ich habe also Handkarten und sehe, was es kostet, sie auszuspielen. Und suche mir, um diese Rohstoffe zu erhalten, geeignete Felder auf dem Spielplan, um mich dort zu platzieren. Verkompliziert wird dieser überschaubare Ablauf durch etliche Details. Freie Aktionen darf ich zusätzlich ausführen, am häufigsten werde ich „keschern“: Unter Abgabe eines Keschers führe ich den speziellen Kescher-Effekt eines Nachbarfeldes aus oder sammle Eier vom Spielplan ein.
Eier wiederum platziere ich auf meinem Tableau, wo sie sofort weitere kleine Effekte verursachen. Manchmal erhalte ich einfach nur Punkte. Aber selbst das Voranschreiten auf der Punkteskala kann Dinge lostreten, etwa erhalte ich einen Kescher und komme ins Grübeln, ob und wo ich ihn einsetzen möchte. Oder ich darf ein neues Landschaftsfeld platzieren. Aber welches? Und wo?
Am meisten gefordert und teilweise auch überfordert waren meine Mitspieler:innen durch die Kartenvielfalt. Der Kartenmarkt hat eine merkliche Fluktuation, und weil ich bei jedem Ertragsfeld zwischen Rohstoff und Karte wählen darf und überdies sowohl Eier als auch Kescher-Effekte als auch andere Dinge mir erlauben, Karten vom Markt zu nehmen, muss ich mich immer wieder orientieren, was dort frisch reingekommen ist.
Zwar sind die Fähigkeiten der Karten auch grafisch veranschaulicht, allerdings habe ich beobachtet, dass die Symbolsprache den Mitspieler:innen erst nach mehreren Partien hilft. Die Folge: Man liest den schwer zu entziffernden Text. Und weil für manche am Tisch die Karten zwangsläufig verkehrt herum oder zu weit entfernt liegen, muss man dazu aufstehen oder die Karten in die Hand nehmen …
Man ahnt sicher, worauf ich hinauswill: Die Wartezeiten in WUNDERSAME WESEN habe ich teilweise als arg empfunden. Oft kann ich während des Wartens nur wenig planen, weil ich nicht weiß, welche Felder auf dem Spielplan bis zu meinem Zug besetzt sein werden und welche Karten in den Markt kommen. Ich halte dann also später genauso den Laden auf. Und falls ich doch schon weiß, was ich tun werde, fühlt sich das nicht unbedingt besser an. Zack! Ich mache meinen Zug in wenigen Sekunden und muss danach wieder … warten.


Wundersame Wesen: Tableau

Was taugt es? Wartezeiten sind zweifellos auch immer ein Problem, das von den Mitspieler:innen selbst verursacht wird. Auch Stau auf der Autobahn kann es ja nur geben, weil wir ihn selbst bilden. Aber so wie ein Stau üblicherweise einen Auslöser hat, provozieren auch bestimmte Mechanismen Wartezeiten: Nebenaktionen beispielsweise, Kettenzüge und vor allem komplexe Kettenzüge wie in WUNDERSAME WESEN, die nicht nur darin bestehen, wie bei GANZ SCHÖN CLEVER peng, peng, peng hier ein Kreuz und da noch ein Kreuz zu setzen, sondern in irgendwelchen Zwischenschritten neue Entscheidungen verlangen, auf die man nicht vorbereitet war.
So manches in WUNDERSAME WESEN empfinde ich als unnötiges Brimborium, etwa dass die Figuren zwei Felder groß sind und somit acht statt sechs Nachbarfelder haben (es sieht vor allem cooler aus). Oder dass ich einer der Figuren unter bestimmten Voraussetzungen eine Reiter:in aufsetzen darf, die dann kleine Sonderfähigkeiten besitzt (und vor allem cool aussieht). Oder dass die Landschaft während der Partie mit zusätzlichen Plättchen noch ein bisschen aufgepeppt wird (statt cooler auszusehen bringt das noch mehr Symbole ins Spiel, die erklärt werden müssen).
Zum Glück gibt es auch einiges auf der Habenseite: Das Wettrennen ist sehr spannend. Ich muss gut haushalten und optimieren, es kommt auf jeden Spielzug an. Was ich tue, ist relevant. Es ist zwar Zufall, ob passende Karten in den Markt kommen. Es ist aber Können, sie zu erkennen und mit dem richtigen Timing auszuspielen.
Ich kann tolle Karten-Kombinationen sammeln, die sich von Partie zu Partie nicht so schnell wiederholen. Und wenn sie schöne Kaskadeneffekte ergeben, fühlt sich das – zumindest für mich, der davon profitiert – gut an.
WUNDERSAME WESEN sieht toll aus und hat viele meine Mitspieler:innen schon allein deshalb verzaubert. Die Anleitung ist sehr gut gemacht. Der Teil zum Nachschlagen klärt aufkommende Zweifelsfälle höchst zuverlässig. Kurzum: Es ist ein gutes Spiel. Aber ich glaube, mit Streamlining hätte es mein Herz mehr erobert als mit Gedöns.


**** solide

WUNDERSAME WESEN von C. W. Yeom für eine:n bis vier Spieler:innen, Strohmann Games.

Freitag, 8. August 2025

Pergola

Pergola: Cover

Wo könnte Punktesalat thematischer sein als in einem Garten?

Wie geht PERGOLA? PERGOLA ist ein Gartenspiel. Mit Punktesalat. In jedem Zug wähle ich eine von vier ausliegenden Kombinationen aus Werkzeug und Aktion. Das Werkzeug benutze ich nicht als Werkzeug. Sondern: Auf jedem Werkzeug sind zwei Gartenplättchen abgebildet. Die bekomme ich und lege sie in meinen Garten. Und die Aktion bringt mir logischerweise eine Aktion.
Gartenplättchen könnten zum Beispiel Stockmalvenblüten sein. Die gibt es in drei Farben. Und wenn ich Sets verschiedener Farben sammle, zählt das besonders viele Punkte. Sammle ich obendrein Schmetterlinge, lohnen sich sogar viele gleichfarbige Stockmalvenblüten.
Ein anderes Gartenelement sind Lavendelblüten und -blätter. Jedes Blatt bringt Punkte, und nach jeweils zwei Blättern muss ich mich entscheiden, ob ich sie mit einer Libelle kröne (nur ein Punkt, aber der ist sicher) oder eine Blüte dazwischensetze. Blüten zählen acht Punkte – falls ich drei Bienen sammle und draufsetze. Mit weniger Bienen zählen sie nichts.

Pergola: Garten

Die meisten Aktionen bringen mir Insekten: Libellen, Marienkäfer, Bienen oder Schmetterlinge. Auf welche Weise ich die Insekten bekomme und was eventuell zusätzlich passiert, unterscheidet sich: Mein Frosch, der auf einem Teich-Spielplan herumhüpft, kann neben Insekten auch Zusatzpunkte einsacken, wenn ich Ziele wie „mindestens vier Waldreben“ oder „mindestens vier Magnolien“ geschafft habe.
Wassertropfen, die ich auf meinem Wasserfall Feld für Feld nach unten schiebe, spülen ebenfalls Insekten an. Und unten im Becken angekommen, lösen sie eine Wertung aus, etwa: einen Extrapunkt pro Libelle, zwei Punkte pro Honigglas.

Was passiert? Obwohl ich mich in meiner Regelnacherzählung nur auf einen kleinen Teil der Elemente und Wertungsmechanismen beschränkt habe, ist PERGOLA nicht überkompliziert. Zu Anfang gibt es zwar eine Menge zu erklären, aber die Grafiken und die Übersichten (jede Person hat ihre eigene) helfen sehr, so dass man danach kaum noch Fehler macht. Zudem bietet die letzte Seite der Anleitung noch mal eine klare Wertungs-Übersicht. Erleichtert wird das Spiel auch dadurch, dass ich mir über die Platzierung der gesammelten Dinge wenig Gedanken machen muss. Vieles hat seinen vorgeschriebenen Ort.

Pergola: Werkzeuge

Die Werkzeug-Aktions-Kombinationen wechseln. Allerdings wechseln dabei nur die Werkzeuge. Wähle ich ein Werkzeug, rücken die verschmähten – sofern möglich – um eine Position weiter in Richtung der attraktivsten Aktion. Neue Werkzeuge kommen immer in Kombination mit der schwächsten Aktion ins Spiel.
Will ich also eine starke Aktion, muss ich ein Werkzeug wählen, dass schon länger im Markt rumliegt. Theoretisch sollte das ein eher unattraktives Werkzeug sein, muss es aber nicht. Obwohl meinen Mitspieler:innen die darauf abgebildeten Gartenplättchen nicht passen, können sie für mich trotzdem interessant sein. Es ist sogar vorteilhaft, bestimmte Sammelgebiete halbwegs exklusiv zu beackern.
Der Mechanismus mit den kombinierten Angeboten verspricht mehr Reiz, als er tatsächlich ausübt. Trotz Werkzeug-Verschieberei bleibt am Ende übrig: Ich habe die Wahl zwischen vier Angebots-Paketen. Und wenn ich Glück habe, liegt da eins, bei dem alles passt. Habe ich weniger Glück, muss ich Abstriche machen und Kompromisse eingehen. Und vor diese Entscheidung bin ich 15 Mal gestellt, dann ist das Spiel vorbei.
Gerade gegen Ende bin ich nicht mehr sehr flexibel. Ich habe mich auf bestimmte Sammelvorhaben festgelegt und will sie nun noch optimieren. Etwa brauche ich zwingend blaue Waldreben, weil nur Paare aus zwei Farben Punkte zählen, und ich will noch Schritte beim Wasserfall machen, um eine Wertung auszulösen – aber in Kombination mit der Wassertropfen-Aktion kommt partout nichts, was mir irgendwie weiterhilft. Und blaue Reben nimmt sich, kaum ist mal eine da, wer anderes.

Was taugt es? Hilfreich ist Erfahrung, um ein Gefühl zu entwickeln, was in einer Partie alles machbar ist und was nicht. Hilfreich ist, die verzahnten Punkteoptionen zu verinnerlichen, um Sachen zu sammeln, die einander unterstützen. Hilfreich ist, das Spiel der anderen zu lesen, um unnötigen Konflikten um bestimmte Gartenelemente aus dem Weg zu gehen. Und hilfreich ist, wie beschrieben, auch Glück.

Pergola: Krimskrams

Dagegen ist nichts einzuwenden. Oft sind Zufälle ja gerade das Salz in der Suppe. Bei PERGOLA jedoch nicht. Salz fehlt hier nämlich überhaupt. So optisch schön dieser Garten auch daherkommt: Mechanisch steckt ein abstraktes Sammelspiel dahinter, kombiniert mit weiteren Mini-Spielen wie Frosch oder Wasserfall. Das große Garten-Tableau, auf dem ich meine Plättchen ablege, ist hübsch, aber eigentlich überflüssig. Es wirkt so, als solle eine besonders liebliche und opulente Gestaltung die Mittelmäßigkeit von PERGOLA übertünchen.
Und das Thema? Na ja, es hätte auch Mittelalter sein können. Da hat man sicher auch schon Sets gesammelt. Aber Gartenthemen sind heute viel beliebter. Und – Déjà-vu –wo könnte Punktesalat thematischer sein als in einem Garten?
Was macht PERGOLA so mittelmäßig? Es ist die Gleichförmigkeit. Ich nehme mir was und lege es mir hin. 15 Mal. Es gibt keine Zwischenziele, keine Wettrennen, keine wechselnden Wertungen. Es wiederholt sich, außer dass ich auf wechselnde Mitspieler:inneninteressen und wechselnde Angebote reagieren muss.
Und die Wiederholung ist auch nicht spannend. Angebote werden nicht merklich wertvoller, indem ich sie eine Runde lang verschmähe, ich zocke nicht, ich habe keinen Einfluss auf das Angebot. In der Anfangsphase des Spiels macht es auch noch keinen sonderlichen Unterschied, was ich sammle. Alles kann punkten. Später macht es einen Unterschied. Und dann kommt eben das Erhoffte oder es kommt nicht.
PERGOLA sieht ansprechend aus, bietet aber keinen Mechanismus, der tiefer dringt und Emotionen (außer vielleicht „Oh, hübsch!“) auslöst.


*** mäßig

PERGOLA von Michał Gołąb Gołębiowski und Przemek Wojtkowiak für eine:n bis vier Spieler:innen, Rebel Studio.

Montag, 4. August 2025

Vor 20 Jahren (152): Vegas Showdown

Vegas Showdown: Cover

Was meine Spielerunden zu sein glauben: Menschen, die fröhlich ihrem Hobby nachgehen und auf freiwilliger Basis tolle neue Spiele spielen. Was sie tatsächlich sind: Menschenmaterial, das ich gnadenlos in meinem Spieleversuchslabor verheize. Das dürfen sie natürlich nicht wissen, weil sonst eventuell – und so wie bei mir – Fröhlichkeit und Unbeschwertheit abhandenkommen.

Die wesentliche Qualifikation als Versuchskaninchen besteht darin, begeisterte Spielerin oder Spieler zu sein. Und daraus ergibt sich ein Problem: Begeisterte Spielerinnen und Spieler neigen aus übertriebenem Enthusiasmus dazu, sich gelegentlich eigene Spiele zu kaufen, kommen damit zum Spieleabend und bringen meine ausgeklügelte Versuchsanordnung durcheinander. Natürlich spiele ich freundlich mit. Denn – siehe oben – sie sollen ja nichts merken.

Inzwischen kann ich solche unautorisierten Impulskäufe auch lockerer sehen als früher. Wenn irgendwer die ganz heiße Neuheit anschleppt, die so heiß ist, dass es sie noch nicht einmal auf Deutsch gibt, gehe ich – anders als vor 20 Jahren – mit fast hundertprozentiger Sicherheit davon aus, dass sie in absehbarer Zeit auf Deutsch herauskommen und dann sowieso Teil meiner Spielarbeit sein wird. Warum also nicht schon ein bisschen vorarbeiten?

Vor 20 Jahren brachte ein lieber Mitspieler VEGAS SHOWDOWN (von Henry Stern) mit. Das Spiel ist nie auf Deutsch erschienen, für Tageszeitungen war es somit nicht verwertbar, ich habe es also völlig umsonst gespielt – und bin trotzdem sehr froh darüber und habe es sogar noch viele weitere Male gespielt. 50 Mal und mehr. Völlig umsonst! Und das beruhigt mich auch ein wenig: Wenn ich so oft rein zum Vergnügen spiele, ist mein Spielerherz vielleicht ja doch noch nicht aus Beton. Na ja. Hm. Allerdings muss man auch sagen: Das ist jetzt 20 Jahre her …

VEGAS SHOWDOWN ist ein Versteigerungsspiel und ein Legespiel. Wir bauen Casinos und kaufen dafür Räume. Räume sollten Türen haben, damit ich sie angrenzend an andere Räume legen darf. Und wie das so ist in der Baufertigteilbranche: Attraktive Räume haben immer arg wenig Türen, zudem an beknackten Stellen.

Was macht Räume attraktiv? Manche bringen Geldeinkommen, manche bringen Punkte. Manche haben Symbole an ihren Kanten und Ecken, die ich so anordnen möchte, dass sie an die Symbole anderer Räume grenzen und aus zwei Hälften oder vier Vierteln ein Ganzes ergeben.

VEGAS SHOWDOWN vereint eine interessante Bauherausforderung mit einem guten Preis- und Bietmechanismus und einer ordentlichen Portion Schicksal. In welcher Reihenfolge die Teile ins Spiel kommen, weiß man nicht. Womöglich kommen die, die ich haben will, nie. Und vor allem gibt es Ereigniskarten, die ziemlich ins Kontor hauen können, weil sie natürlich Ereignisse bringen, mit denen niemand rechnen konnte.

VEGAS SHOWDOWN habe ich in der Fairplay 77 (2006) besprochen und also doch noch einen Dreh gefunden, um es nicht komplett umsonst gespielt zu haben. Mein Fazit damals: „VEGAS SHOWDOWN bewegt sich haargenau an der angenehmen Schnittstelle zwischen Anspruch und Unterhaltsamkeit und traf damit den Nerv sämtlicher meiner Spielerunden. Genau richtig für Leute ab 35, die inzwischen Kinder und Maloche am Hacken haben.“


Donnerstag, 31. Juli 2025

Gern gespielt im Juli 2025

WILMOT’S WAREHOUSE: Lebt von der Gewitztheit der Spielerunde – und was soll ich sagen: Meine Runden sind natürlich super gewitzt.

FLIP 7: Zweimal ist keinmal.

SKY TEAM TURBULENZEN: Wie schön, dass der Spielejahrgang seine absoluten Höhen …

ENDEAVOR – DIE TIEFSEE: … und Tiefen hat.

SETI: Dass sich außerirdische Lebensformen vor der Menschheit verstecken, beweist schon mal ihre Intelligenz.





UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM JULI:

CIVOLUTION: Als Gott hat man aktuell einfach keine Zeit, sich um die Probleme der Erde zu kümmern. Man muss CIVOLUTION spielen.





Mittwoch, 30. Juli 2025

Auf nach Japan!

Auf nach Japan: Cover

Schon gehört? Jetzt wollen diese Ökos mit ihrer Klimakatastrophe uns auch noch die Fernreisen wegnehmen. Wir dürfen planen, wir dürfen träumen – aber tatsächlich losfliegen dürfen wir nicht. Also AUF NACH JAPAN!

Wie geht AUF NACH JAPAN? Für meine Reiseplanung erhalte ich pro Spielzug zwei oder vier Karten. Die Hälfte davon lege ich vor mir aus, die andere Hälfte gebe ich an die nächste Person weiter: Drafting also. Allerdings Drafting mit Verzögerung. Denn ich nehme weitergegebene Karten nicht sofort auf, sondern erst, wenn sich ein bestimmter Vorrat angesammelt hat. Solange nicht, ziehe ich neue Karten vom Stapel.
Die Karten sind nach Attraktionen benannt wie „Gärten des Kaiserpalasts“ oder „Fließband-Sushi“. Weil wir unseren kompletten Japan-Trip in nur sechs Tagen abreißen, wollen wir besonders viel in diese Tage hineinstopfen. Pro Tag plane ich (üblicherweise) drei Attraktionen. Ich muss dabei keine Chronologie einhalten, kann Karten erst an den Donnerstag und dann an den Montag legen, und ich darf Karten an einem Tag sowohl über andere Karten legen als auch drunterschieben.
Sobald jede:r die (mindestens) 18 Karten gelegt hat, werten wir die Reisen aus, und jetzt ist die Chronologie wichtig: Zuerst werden die drei Karten des Montags gewertet, dann Dienstag und so weiter. Karten bringen erstens Punkte, zweitens schiebe ich entsprechend ihrer Symbole Themen-Marker voran, die etwa für „Tempel“ oder „Shopping“ stehen. Meine oberste Montags-Karte definiert zudem meine Tagesabschlusswertung: Beispielsweise sollen mein Marker „Tempel“ mindestens zweimal und mein Marker „Speisen“ einmal vorwärtsgelaufen sein, dann bekomme ich vier Punkte plus einen weiteren für jeden bisherigen „Speisen“-Schritt.
Auf solche Wertungen spiele ich hin und versuche, meine Auslage entsprechend zu optimieren. Zusätzlich muss ich noch Details bedenken. Karten gehören entweder zu Tokyo oder Kyoto, und ich sollte während meiner Reise nicht zu oft zwischen den beiden Orten hin- und herpendeln. Das kostet Fahrkarten, die ich mir erst mal besorgen muss, oder es kostet Punkte.
Neben den Themen-Markern versetzen meine Karten auch Stimmungs-Marker. Die stärkeren Karten verursachen Stress, die schwächeren Freude. Stress gleicht Freude aus und umgekehrt. Allerdings wird nicht beides einfach miteinander verrechnet, sonders es gibt bestimmte Kipppunkte. Habe ich zu viel Stress hintereinander, zählt das irreversibel Minuspunkte. Umgekehrt sichert mir eine längere Freudephase Pluspunkte. Auch hier lassen sich mit einem ausgeklügelten Arrangement der Symbole einige Punkte herausoptimieren.


Auf nach Japan: Reiseplanung

Was passiert? Ich hoffe auf Karten, deren Wertungen mir machbar und lukrativ erscheinen. Mit weiteren Karten (die ich früheren Wochentagen zuordne) versuche ich, diese Wertungen gut zu erfüllen. Für frühe Wochentage wähle ich tendenziell leichtere Wertungen, denn so viele Symbole habe ich dann noch nicht. An späteren Tagen darf es auch komplexer werden. Im Bestfall gelingt es mir, Wertungen aufeinander aufbauen zu lassen, dass etwa meine Belohnungen vom Dienstag und Mittwoch perfekt meine Freitags-Wertung unterstützen.
Jede:r tüftelt solitär. Das hat den Nachteil, dass man nicht miteinander spricht und auch wenig voneinander mitbekommt, hat aber den Vorteil, dass ich niemandem beim Nachdenken zusehen muss. Denn zu bedenken gibt es schon so einiges: Vielleicht passen mir die Symbole der Karte sehr gut, aber die Wertung nicht. Was aber gar nicht so schlimm sein muss, weil ich die Karte an ihrem Tag ja einfach unter die vorhandene schieben könnte. Allerdings folgt dann tagesübergreifend Kyoto – Tokyo – Kyoto aufeinander statt Kyoto – Kyoto – Tokyo. Ich springe also einmal zusätzlich zwischen den Städten. Hm, Karte also doch nach oben und darauf spekulieren, dass ich sie noch mit der dritten und letzten Karte des Tages überdecke, die dann aber unbedingt eine Tokyo-Karte sein und eine passende Wertung mitbringen muss …? Tatsächlich sind die Überlegungen sogar noch ein bisschen komplexer: weil man auch die Stimmung berücksichtigen muss, weil man (was einen Zufallsentscheid ins Spiel bringt) Karten als „Spaziergang“ auslegen kann, und weil, sobald ein Tag seine dritte Karte bekommt, eine kleine Zwischenwertung ausgelöst wird.
Man gestaltet also ein Puzzle und hat bestimmte Wünsche im Kopf. Die Karten weichen mal weniger, mal mehr von den Wünschen ab, und es geht darum, die richtigen Kompromisse zu finden und das Beste herauszuholen. Und manchmal lohnt auch ein Zock.

Was taugt es? AUF NACH JAPAN versucht, möglichst thematisch rüberzukommen. Jede Karte enthält drei Zeilen Info-Text. So erfährt man etwa, dass nur der Ostteil der Kaiserpalastgärten öffentlich zugänglich ist oder Sushi vom Fließband ein günstiges Geschmackserlebnis bietet. Die Anleitung empfiehlt, bei Spielende nicht einfach nur die Punkte zu addieren, sondern einander zu schildern, was man während der Reise so alles erlebt.

Auf nach Japan: Karten

Nun ja. Hätte jemand tatsächlich vom Kaiserpalast oder Fließband-Sushi zu erzählen, würde mich das interessieren. Aber nicht, wenn es nur um gleichnamige Karten geht, zu denen sich der persönliche Bezug darin erschöpft, dass man sie ausgelegt hat. Das aufgesetzte Thema an sich stört mich gar nicht. Die meisten Spiele haben aufgesetzte Themen. Und solange sie – wie hier! – das Spielverständnis unterstützen und Atmosphäre schaffen, ist das völlig okay. Nur speziell zelebrieren mag ich ein aufgesetztes Thema eben nicht. Dieses Angebot schlage ich also aus.
So völlig okay das aufgesetzte Thema ist: Thematische Pluspunkte sammelt AUF NACH JAPAN bei mir nicht. Zweifellos habe ich im Spiel das Gefühl, etwas zu planen. Exakt das ist ja meine Hauptbeschäftigung. Wie eine Reise oder Reiseplanung kommt mir das aber nicht vor. Meine Gedanken kreisen um eine Abfolge abstrakter Symbole.
Das Spiel an sich finde ich ebenfalls völlig okay. Ich treffe viele Entscheidungen, ich kann verschiedene Dinge probieren, ich werde nach und nach Kombinationsmöglichkeiten entdecken, die nicht sofort auf der Hand liegen. Nur: Ich erlebe keine außergewöhnliche Spannung dabei, und ich vermute, das liegt an der doch sehr ausgedehnten Planungsphase.
Erstens muss ich währenddessen viele Kleinigkeiten beachten und vorausberechnen. Und das alles passiert lange Zeit nur in meinem Kopf. Erst ganz am Ende der Partie wird es endlich konkret und ich setze die Marker tatsächlich vorwärts. Das ist eher anstrengend als spielerisch. Zumal mir manche Regeln auch unnötig vorkommen: Braucht das Spiel zwei Arten Stress und zwei Arten Freude? Immer wieder hat dies Mitspieler:innen in Planungsfallen laufen lassen. Auch die Ausnahme-Regel, einen Spaziergang machen zu dürfen, und als Ausnahme von der Ausnahme einen Bonus-Spaziergang, zieht Fragen nach sich.
Zweitens werden die Rückmeldungen und Belohnungen für mein Tun ganz weit ans Ende der Partie verschoben. Vorher bin ich nicht so recht orientiert, wie ich dastehe. Noch orientierungsloser bin ich, wo die anderen stehen. AUF NACH JAPAN fühlt sich an wie eine Klassenarbeit, zu der man den emotionalen Bezug verloren hat, weil man sie erst nach sechs Wochen zurückbekommt und schon gar nicht mehr weiß, worum es da genau ging.


**** solide

AUF NACH JAPAN! von Josh Wood für eine:n bis vier Spieler:innen, Schwerkraft / AEG.

Mittwoch, 23. Juli 2025

Seti

Seti: Cover

Falls es intelligentes Leben im All gibt, wird es der Menschheit hoffentlich schenken, was diese am dringendsten benötigt: Einleitungen und Frieden.

Wie geht SETI? SETI ist ein kartenbasiertes Spiel um Punkte, in dem wir Sonden ins Weltall schicken, mit Teleskopen Sterne scannen und gesammelte Daten analysieren, um Spuren außerirdischen Lebens zu finden. Am konkretesten umgesetzt ist das Fliegen. Wir bewegen unsere Sonden Zone für Zone durchs All mit dem Ziel, sie entweder in die Umlaufbahn eines Planeten zu bringen oder auf einem Planeten oder Mond zu landen. Das Solarsystem rotiert. Dadurch verändern sich die Entfernungen der Planeten zur Erde und untereinander.
Scannen bedeutet, in einem oder mehreren der acht Sektoren Scheiben einzusetzen. Sektoren haben vier bis sechs Plätze dafür. Sind die besetzt, gibt es eine Mehrheitswertung. Auch hier wirkt sich die Rotation des Spielplans aus. Welche Sektoren ich mit meinem Scan erreichen kann, wechselt.
Jede so platzierte Scheibe bringt mir außerdem einen Datenspielstein. Den nutze ich, um die Felder meines „Computers“ zu belegen. Sind alle sechs Felder voll, habe ich Spuren gefunden und werde dafür belohnt. Den Computer kann ich anschließend wieder neu befüllen. Was noch aus einem zweiten Grund attraktiv ist: Auf zwei der sechs Computerfelder erhalte ich eine Zusatzbelohnung, sobald ich sie belege.

Seti: Computer

Und ich kann den Computer ausbauen, um schließlich auf mehr oder gar auf allen Feldern eine Belohnung zu erhalten. Auf ähnliche Weise verbessere ich meine Scan-Technologie, um zu denselben Kosten statt zwei bis zu vier Sektoren zu scannen. Und ebenso die Sonden-Technologie, um das Fliegen und Landen billiger zu machen.
Alle Aktionen löse ich aus, indem ich die benötigten Geld- und Energie-Ressourcen bezahle. Oder indem ich eine Handkarte spiele, die mir die gewünschte Aktion erlaubt. Handkarten zu spielen, kostet ebenfalls Geld, aber per Handkarte ausgelöste Aktionen sind etwas stärker und umfangreicher als schnöde erkaufte Aktionen. Das ist sehr vergleichbar mit TERRAFORMING MARS, wo ich mir Standardprojekte einfach so kaufen kann, mit den passenden Karten jedoch einen besseren oder preiswerteren Effekt erreiche.

Was passiert? Alle Karten in SETI haben einen Mehrfachnutzen. Wenn mir ihre Hauptaktion nicht passt oder zu teuer ist, gibt es drei weitere Möglichkeiten, um die Karte gewinnbringend einzusetzen. Genau das macht SETI so komplex. Erstens ist jede der 138 Karten anders (weitere kommen hinzu, sobald wir Aliens entdecken). Zweitens muss man, so gut sie auch gemacht ist, die umfangreiche Symbolik verstehen. Und drittens und vor allem: Karten sind ein knappes Gut. Jede Entscheidung für eine der vier Einsatzmöglichkeiten ist die Entscheidung gegen die anderen drei. Welche Karte ich für was verwende, muss ich mir gut einteilen.

Seti: Solarsystem

SETI ist also niemals schnell gespielt. Selbst mit Übung ergibt sich noch Grübelpotenzial. Anfangs sind die meisten Spieler:innen sowieso völlig erschlagen von den diversen Möglichkeiten. Wir spielen fünf Runden, die jeweils so lange dauern, bis alle passen, und weil unsere Einkommen und Möglichkeiten während der Partie ansteigen, dauert es Runde für Runde etwas länger.
Gerade im Finale kann es sich ziehen. Während es mir zwischendurch noch halbwegs egal ist, ob ich Ressourcen übrig behalte (Ich kann sie mit in die nächste Runde nehmen und dann immer noch nutzen), ist es mir bei Spielende deutlich weniger egal. Spätestens jetzt habe ich den Ehrgeiz, meine Züge durchzuoptimieren. Blöd dabei ist, dass einige Spieler:innen zu diesem Zeitpunkt schon gepasst und ihre Partie beendet haben können. Sie dürfen mir nun einige Minuten bei meinen Restabwicklungen zusehen.
SETI ist also ein Optimierspiel, wir müssen mit Ressourcen haushalten. Wegen der starken Verzahnung aller Elemente ist die Reihenfolge, in der ich Dinge erledige, sehr wichtig. Außerdem stellen sich Timing-Fragen. Bin ich bei den Mehrheitswertungen im richtigen Moment zur Stelle, kann ich ohne großen Aufwand ein Schnäppchen machen. Auch günstige Planetenkonstellationen will ich ausnutzen, weil das den Flug drastisch verkürzt und damit vergünstigt.
Zugleich ist SETI auch ein Entwicklungsspiel. Ich will mir ein großes Einkommen aufbauen und meine Technologien ausbauen, um in späteren Runden immer stärker und effektiver zu werden. Und es ist ein Wettrennen: auf Planeten, Aliens und Ziele. Meine Ziele bestimmte ich zum Teil selbst. Sobald ich 25, 50 und 70 Punkte erreicht habe, wähle ich eins von vier Zielen. Hier schneller zu sein als die anderen, bedeutet, mehr Punkte beim Erfüllen zu gewinnen. Etliche der Karten, die ich spiele, definieren zusätzliche Zwischenziele, die dann nur für mich gelten.


Seti: Weltall

Was taugt es? SETI bietet ziemlich viel Potenzial, um sich zu verzetteln und mit Grübeleien und Entscheidungsschwierigkeiten den Betrieb aufzuhalten. So etwas liegt oft an den Spieler:innen selbst. Allerdings enthält SETI auch Elemente, die im Voraus geplante Züge wieder umwerfen. Hatte ich mir eine Flugroute für meine Sonde überlegt, und unmittelbar davor rotiert das Solarsystem und die Sache wird unbezahlbar oder zumindest unangenehm teuer, muss ich neu nachdenken und die anderen warten lassen.
Nicht ganz glücklich bin ich auch mit den Aliens. Eindeutig ist es erstrebenswert, sie zu entdecken und im weiteren Spielverlauf den Kontakt zu ihnen zu halten. Aber außer, dass es mehr Punkte bringt, nimmt ihre Entdeckung relativ wenig Einfluss aufs Spiel. Möglicherweise ist meine Erwartungshaltung da jedoch zu hoch, und Sahnehäubchen wie etwa zusätzliche Mechanismen, Erzählelemente, inhaltliche Wendungen etc. sind eher Stoff für künftige Erweiterungen.
Wegen dieser Kritikpunkte habe ich gegrübelt, ob ich SETI tatsächlich besser als „reizvoll“ finde. Aber: Ja! Obwohl die Partien lange dauern, finde ich sie durchweg spannend und werde nicht müde, SETI zu spielen. Das Spiel bleibt in meiner Sammlung, und ich bin jetzt schon heiß auf Erweiterungen, was eigentlich widersinnig ist, da ich die Möglichkeiten, die allein das Grundspiel bietet, mit Sicherheit noch nicht ausgelotet habe.

Seti: Karten

Bereits AGRICOLA hatte eindrucksvoll demonstriert, was Kartenvielfalt ausmacht, und in SETI ist es genauso. Vermutlich hatte ich so ziemlich jede Karte schon mal auf der Hand. Aber längst nicht in jeder Konstellation und zu jedem Zeitpunkt des Spiels, weshalb es ganz sicher noch viele Einsatz- und Kombinationsmöglichkeiten gibt, die ich in kommenden Partien entdecken möchte.
Der überwiegend konstruktive Spielcharakter trifft meinen Geschmack. SETI bietet mir Möglichkeiten über Möglichkeiten. Ich will unheimlich viel und kann doch nur einen Teil dessen umsetzen. Ich will mich langfristig entwickeln, will aber auch kurzfristige Gelegenheiten nicht verstreichen lassen. Ich bin zwischen den schönsten Vorhaben hin- und hergerissen – und spiele Karten aus, die noch weitere Ziele für mich definieren. Und bilde mir ein, das auch noch zu schaffen. Und schaffe es vielleicht sogar.
Trotz aller Komplexität benötigt SETI gar nicht so viele Regeln. Die Variabilität entsteht durch die Karten, nicht durch Ausnahmen oder Detailregeln. Das Spielsystem ist schlüssig und rund. Sobald man die Symbolik begreift, ergeben sich keine wesentlichen Fragen mehr.
Spielreiz entsteht auch dadurch, dass SETI einfach klasse aussieht. In ihrer Mischung aus Aufgeräumtheit und Funktionalität sowie Schönheit und Anziehungskraft erinnert die Aufmachung von SETI an ARNAK – was wohl kein Wunder ist, weil teilweise dieselben Menschen am Werk waren. Auf diesem Spielplan und mit diesem Material will man spielen! Gerade wenn man etliche gute Spiele dieser Gewichtsklasse zur Auswahl hat, gibt bei der Frage, was schließlich auf den Tisch kommt, durchaus auch die Optik den Ausschlag.


****** außerordentlich

SETI von Tomáš Holek für eine:n bis vier Spieler:innen, Czech Games Edition.

Samstag, 19. Juli 2025

Nova Era

Nova Era: Cover

Beim 2025er Tag der Brettspielkritik von Spiel des Jahres wurde, wie ich hörte, gelehrt, es sei bloß Bequemlichkeit, Rezensionen immer identisch zu gliedern. Den Eindruck, bequem zu sein, möchte ich natürlich zerstreuen. Deshalb variiere ich meine Gliederung wie folgt: Die Einleitung entfällt.

Wie geht NOVA ERA? Wir führen Zivilisationen. Zivilisationen punkten. Die punktbeste Zivilisation gewinnt.
Meine Führungskraft beweise ich, indem ich Karten („Technologien“) kaufe, die „Segeln“, „Mathematik“ oder „Fruchtfolge“ heißen. Ich kaufe Karten von meiner Hand oder aus der offenen Auslage. Dafür benötige ich einen Würfel in der Farbe der Karte mit einer Augenzahl, die mindestens den Kosten der Karte entspricht. Mit einer gelben Vier kann ich locker eine gelbe Zweier-Karte kaufen. Eine gelbe Sechser-Karte auch – sofern ich zwei gelbe Ressourcen dazubezahle.

Nova Era: Würfel

Pro Runde besitze ich drei Würfel. Spieler:innenzahl-plus-eins-viele Kombinationen aus je drei Würfeln werden bei Rundenbeginn erstellt. Deren Farben und Zahlen sind zufällig, weil wir die Würfel aus einem Sack ziehen und dann würfeln. Jede:r wählt jetzt eine Kombination. Das übrig bleibende Würfeltrio bewegt Marker auf „Katastrophenleisten“. Bleiben zu oft dieselben Farben liegen, verursacht das Dinge wie „Finanzkrise“, „Invasion“ oder „Dunkles Zeitalter“, und Spieler:innen, die nicht gewappnet sind, müssen Karten deaktivieren oder verlieren gar einen ihrer Würfel.
Würfel mit hohen Augenzahlen ermöglichen stärkere Aktionen (eine Karte zu kaufen, ist übrigens nur eine von mehreren Aktionsmöglichkeiten). Trotzdem gibt es einen Grund, nicht immer das höchste Dreierpack zu wählen: Jeder Würfelpunkt über dem zehnten setzt meinen Unruhemarker vorwärts. Nimmt die Unruhe in meinem Staatswesen überhand, verlieren fortan alle meine Würfel einen Punkt. Weitet sich die Unruhe aus, können obendrein noch Karten deaktiviert werden.
Karten, sofern ich denn endlich mal welche besitze, bringen Sofort- oder Dauereffekte, produzieren Ressourcen, lassen mich meine Würfel manipulieren, schützen mich vor Katastrophen und so weiter. Und sie zählen alle drei Runden Punkte: einen für jede Kartenfarbe, die ich besitze, und einen für jede Farbmehrheit. Manche Karten bringen obendrein Punkte sofort beim Ausspielen oder in jeder Produktionsphase.

Was passiert? NOVA ERA ist ein gemeines Spiel mit Wechselbeziehungen, die man nicht sofort durchblickt. Etliche Karten beschaffen mir Handkarten. Spiele ich „Mathematik“, erhalte ich später „Physik“ (ich suche die Karte aus einem Vorratsstapel heraus). Spiele ich „Physik“, erhalte ich „Atombombe“.

Nova Era: Tableau

Und etliche Karten schrotten andere Karten. Spielt irgendwer „Schmiedekunst“, müssen „Hüttenwesen“ und „Waffen“ abgeworfen werden. Wer auch immer diese besitzt. Diese Technologien sind nun veraltet.
Solche Zusammenhänge sind thematisch durchaus schlüssig. Allerdings fehlen im Spiel jegliche Übersichten, welche Technologien wie zusammenhängen. Auf der Karte „Waffen“ ist nicht ersichtlich, dass eine andere Karte kommen könnte, die „Waffen“ obsolet macht. Ebenso ist man, ohne es einmal erlebt zu haben, nicht darauf vorbereitet, dass „Mathematik“ langfristig in „Atombombe“ mündet und „Atombombe“ allen anderen Spieler:innen nahezu alle roten Karten wegbretzelt.
NOVA ERA ist also ein Spiel mit Überraschungen und (gewollten?) Härten. Unruhe wird man schwer wieder los. Zwar gibt es bestimmte Karten, die das bewirken; allerdings ist nicht gesagt, dass ich sie nehmen kann oder dass sie überhaupt ins Spiel kommen. Mehrfach habe ich erlebt, wie Zivilisationen in eine Abwärtsspirale rutschten: Unruhe wertet die Würfel ab, abgewertete Würfel schränken die Möglichkeiten ein, Unruhe weitete sich aus. Das Gegenteil habe ich allerdings auch erlebt. Manchmal bieten erhältliche Karten dann doch einen Ausweg. Einplanen kann man das nicht, aber es kann sich ergeben.
Schon die Würfelwahl-Phase kann hart sein. Vor allem für diejenige Person, die zuletzt wählt. Es kommt immer wieder vor, dass nur noch übler Mist daliegt: also entweder drei Würfel, die mich wegen ihrer sehr kleinen Augenzahlen kaum weiterbringen oder drei Würfel, die mich sofort in den Unruhebereich schießen. Und schon gar nicht Würfel in den dringend benötigten Farben.

Was taugt es? NOVA ERA illustriert, dass beim Aufbau einer Zivilisation immer wieder auch mit Rückschlägen zu rechnen ist. Es ist weniger glattgeschliffen als typische Eurogames. Es ist interaktiv und enthält auch negative Interaktion, indem ich Karten anderer Spieler:innen zerstören kann und dafür auch noch mit Punkten belohnt werde.
Interaktiv ist NOVA ERA auch deshalb, weil ich deutlich besser fahre, wenn ich schon bei der Wahl meiner Würfel (und damit dem Liegenlassen anderer Würfel) anhand der angebotenen Karten meine Möglichkeiten und die der Konkurrenz durchkalkuliere.
Noch direkter belauern wir uns in der Aktionsphase. Aus dem Markt darf jeweils nur die unterste Karte einer Spalte des Kartenrasters erworben werden. Indem ich eine Karte nehme, schalte ich eine andere frei. Vielleicht wartet jemand genau darauf.

Nova Era: Karten

Ich will nicht verhehlen, dass mehreren Mitspieler:innen die eigentümliche Mischung aus Planung und Optimierung und gleichzeitig fiesen Zufällen sehr gefallen hat. Und wenn ich in einer Runde bin, sie sichtlich Spielspaß empfindet, gefällt mir ein Spiel automatisch auch gleich besser. Jedenfalls in dieser Situation. Aber in den meisten Runden gefiel mir NOVA ERA dann doch nicht.
Den Schicksalsanteil finde ich verglichen mit der langen Denkzeit als unangemessen hoch. Es treten Situationen auf, bei denen man sich fragt, ob das wirklich so gewollt ist. Vor einzelnen Spieler:innen können sich Berge von Ressourcen auftürmen, mit denen sich nichts anfangen lässt. Karten wirken unausgewogen. „Sitting Bull“ und „Mahatma Gandhi“ sind in derselben Ära zu denselben Kosten erhältlich. „Sitting Bull“ zählt abhängig von meiner Auslage einen oder zwei Punkte, „Mahatma Gandhi“ drei oder sechs.
NOVA ERA wirkt nicht komplett ausgegoren. Als besonders störend empfinde ich die geringe Funktionalität der Grafik. Es geht um Farbmehrheiten. Aber dass manche Karten als zwei oder drei ihrer Farbe gelten, was für die Konkurrenz sicher wissenswert wäre, geht nicht etwa aus großen Symbolen hervor, sondern steht klein im Kartentext. Manche Karteneigenschaften beziehen sich auf andere Spieler:innen. Aber auch sie sind nicht etwa hervorgehoben, sondern so, als sollten die betroffenen Spieler:innen tunlichst nichts davon erfahren.


*** mäßig

NOVA ERA von Andrea Chiarvesio für zwei bis vier Spieler:innen, CMON.

Dienstag, 15. Juli 2025

Skull Queen

Skull Queen: Cover

Apropos Einleitung: Wie gelingt es Autorinnen und Autoren immer wieder, etwas Neues zu erschaffen, selbst in vermeintlich ausgeschöpften Genres? Geht doch gar nicht.

Wie geht SKULL QUEEN? SKULL QUEEN gehört zu den Stichvorhersagespielen, einem ausgeschöpften Genre. Allerdings sage ich meine erwartete Stichzahl nur so ungefähr an. Dazu analysiere ich mein Blatt und platziere meine vier farbigen Piratenfiguren auf meiner fünf Felder langen Planke. Die Figurenfarben entsprechen den Kartenfarben. Spiele ich die höchste grüne Karte in einen grünen Stich, klettert mein grüner Pirat ein Feld nach oben. Spiele ich die niedrigste grüne Karte, geht der Pirat nach unten.
Ob es das ist, was ich wollte, hängt von der Plankenseite ab, die ich gewählt habe. Am Ende zählen die Piraten Punkte entsprechend der Zahl neben ihrem Feld. Auf der einen Plankenseite verlaufen die Zahlen aufsteigend von eins bis acht. Da finde ich es also gut, wenn meine Piraten klettern. Auf der anderen Seite ist es umgekehrt. Auf keiner der beiden Plankenseiten möchte ich über das Plankenende hinauslaufen: Der Pirat fällt dann runter und zählt null Punkte.

Was passiert? Natürlich möchte ich in jeder Farbe acht Punkte gewinnen – andererseits geht in Stichspielen ja auch immer mal was schief. Vielleicht agiere ich deshalb lieber vorsichtig und gebe mich auch mit fünf Punkten als dem zweitbesten Ergebnis zufrieden, was ja immer noch viel besser ist, als von der Planke zu plumpsen.

Skull Queen: Stichvorhersage A

Diese Abwägung stelle ich nicht nur in der Vorhersagephase an, sondern auch in der Stichphase, falls ich zwischen mehreren Karten wählen kann: Gehe ich dann hoch oder tief ran oder bleibe ich in der Mitte und mein Pirat bewegt sich nicht? Bestimmte Karten im Stich verursachen, dass Stichgewinner:in und / oder Stichverlierer:in zwei Schritte statt einem gehen müssen. Da fällt so manche:r herein und über die Planke.
Zumal noch ein weiterer Regeldreh hinzukommt: Auch Piraten von nicht angespielten Farben werden möglicherweise in Bewegung gesetzt, und zwar immer dann, wenn von einer Farbe mindestens zwei Karten (also eine höchste und eine niedrigste) im Stich landen. Trotz Bedienzwang ist das ein weiterer Unsicherheitsfaktor. Und er kommt häufiger zum Tragen, als man denken könnte. Farben, von denen nur eine Karte gefallen ist, bleiben solange für spätere Stiche liegen, bis es irgendwann zwei dieser Farbe sind.

Skull Queen: Stichvorhersage B

Das kann ich auch taktisch nutzen, indem ich quasi mit mir selbst einen Stich spiele: Gelb wird angespielt, ich habe kein Gelb und werfe als Einziger Rot rein. Meine Karte bleibt liegen. Wieder wird Gelb gezogen, ich spiele wieder Rot. Schwupp, ist ein ordnungsgemäßer Stich auch in Rot beisammen, und mein roter Pirat setzt sich in Bewegung.

Was taugt es? SKULL QUEEN ist ein anspruchsvolles Stichspiel. Manchen Runden bereitet es Schwierigkeiten, die Denke des Spiels zu verstehen und die Stiche korrekt auszuwerten. Eins, zwei Beispiele mehr in der Anleitung wären gut gewesen. SKULL QUEEN hat einen deutlich anderen Charakter als das unbeschwertere SKULL KING, auf das es im Titel offenbar anspielt.
Ich wollte erst schreiben: „als das lustigere SKULL KING“. Aber das wäre gar nicht treffend gewesen, denn lustig ist SKULL QUEEN auch. Wenngleich der Witz weniger auf Überraschung und mehr auf Schadenfreude und Gemeinheit beruht. Denn es ist doch immer wieder spaßig, wenn anderen die Piraten von der Planke purzeln. Oder? Und noch spaßiger, wenn man geschubst hat. Harharhar.

Skull Queen: Karten

Wer Stichspiele gut beherrscht, wird besser abschneiden. Die Planungssicherheit geht dank unerwarteter Wendungen dennoch nicht zu weit. Die originellen Ideen von SKULL QUEEN erfordern mein stetiges Mitdenken und hier und da auch ein Umdenken. Triumph und Ärger liegen nah beieinander. Genau genommen ist es nur ein winziger Schritt auf der Planke. Ohnehin ist die Planke eine sehr gute Idee, um die an sich abstrakten Stichvorhersagen in etwas Konkretes und Emotionales umzuwandeln.
Für mein Empfinden hat SKULL QUEEN bislang nicht die verdiente Aufmerksamkeit bekommen. Ich halte es für eines der stärksten Kartenspiele der Saison. Am liebsten spiele ich es zu viert oder zu fünft. Die Tiefe von SKULL QUEEN und die recht große Unabhängigkeit von vermeintlich guten oder schlechten Blättern offenbaren sich allerdings erst, wenn man dem Spiel (und der Spielerunde) Zeit gibt.
Sich für eine zu spielende Karte zu entscheiden, kann schon ein bisschen dauern. Dafür trifft man aber auch echte Entscheidungen, die sich auswirken. Die Spielsituationen sind nicht trivial. Auch jede Stichauswertung erfordert immer ein bisschen Handling. SKULL QUEEN ist kein schnell runtergespieltes Kartengedresche. Die auf der Schachtel angekündigte Spieldauer von 30 Minuten wird bei vier oder gar mehr Personen üblicherweise überboten.


***** reizvoll

SKULL QUEEN von Stefan Dorra für zwei bis sechs Spieler:innen, Schmidt.

Freitag, 11. Juli 2025

Vor 20 Jahren (151): Heckmeck am Bratwurmeck

Heckmeck am Bratwurmeck: Cover

Das Bratwurmeck kennen natürlich alle, die schon seit 20 Jahren moderne Brett-, Karten- und Würfelspiele spielen. 2005 kam man an HECKMECK AM BRATWURMECK von Reiner Knizia kaum vorbei. Obwohl es weder von der Jury Spiel des Jahres empfohlen worden war noch beim Deutschen Spielepreis unter den ersten Zehn landete, glaube ich, so ziemlich jede:r hat sich mal auf eine feine Portion Würmer ein Päuschen am Bratwurmeck gegönnt. HECKMECK AM BRATWURMECK ist Kult!

Aus heutiger Perspektive (wir sind ja Roll-and-Write- und Push-your-Luck- und sonstwie verwöhnt) ist das vielleicht nicht mehr so ganz nachvollziehbar. Und natürlich kann es auch sein, dass ich HECKMECK AM BRATWURMECK in Verklärung des Vergangen seinen vermeintlichen Kultcharakter auch nur andichte. Aber moderner Journalismus kennt keine Zweifel, moderner Journalismus kennt nur Sensationen. Und weil ich wenigstens einmal modern sein will, sage ich: Kult! Und hier kommen die drei krassesten Gründe, warum.

Es ist erstens die Grafik von Doris Matthäus. Doris Matthäus war seinerzeit die Illustratorin der Herzen. Angefangen mit ZICKE ZACKE HÜHNERKACKE etablierte sie für Zoch die sympathische Hühnerspielewelt. Nicht immer hat bei Zoch thematisch alles gepasst, manches war dann doch arg schräg. Aber dieses eigentlich abstrakte Würfelspiel um Gewinnpunkte in die Tierwelt zu versetzen und statt um Punkte um Würmer zu würfeln, ist genau der Dreh, der einer Mechanik Wärme gibt.


Heckmeck am Bratwurmeck: Material

Zweitens: das Material. Die Bratwurmportionen sind robuste Steine aus Kunststoff. Die liegen gut in der Hand, die haben Gewicht, die lassen sich, so wie man das im Spiel wiederholt tun muss, gut stapeln. Unfallfrei. Manchmal wirkt Plastik sogar wertiger als Holz, und ich würde sagen, wie etwa auch AZUL ist dies so ein Fall.

Und schließlich: die Mechanismen. Erst mal scheint es ja nur KNIFFEL zu sein. Ich würfle und lege raus. Aber hinzu kommt dieses verdammte CAN’T STOP: Ich darf immer weiterwürfeln – solange ich einen Wert rauslegen kann, der noch nicht ausliegt. Was von Wurf zu Wurf immer schwieriger wird. Aber wenn man doch so gerne Punkte will …

Dann noch ein Schuss Dramatik: Mindestens einen Wurm muss ich auslegen. Manchmal dauert es, bis ich den endlich würfle. Und falls ich ihn sofort würfle, aber leider nur einen: Genügt mir das oder pokere ich auf mehr in einem späteren Wurf?

Und obendrauf kommt die richtige Dosis Ärgerei: Ich darf Würmerportionen klauen, wenn ich exakt den Wert erreiche, der auf dem Wurmturm einer anderen Person liegt. Was wiederum nicht rein willkürlich geschieht, sondern auch Taktik erfordert. Um etwa genau die 26 zu erreichen und nicht irgendwas darüber, muss ich schon ein bisschen rechnen, was ich überhaupt rauslegen darf und was nicht.

Wenn ich mir vor Augen führe, was alles in HECKMECK AM BRATWURMECK steckt, macht das Spiel auf mich den Eindruck, als hätte man es schon bei 90 Prozent veröffentlichen können, und es wäre akzeptabel gewesen – aber sowohl Autor als auch Verlag haben so lange daran weitergearbeitet, bis es 100 Prozent wurden. Und deshalb ist es (vielleicht) Kult und (definitiv) seit 20 Jahren im Programm.


Montag, 7. Juli 2025

Zenith

Zenith: Cover

Ein Schwachpunkt von REZENSIONEN FÜR MILLIONEN ist die fehlende organisatorische Struktur. Tagtäglich ist damit zu rechnen, dass jemand Strukturierteres kommt und mir den Laden – berechtigterweise – aus der Hand nimmt. Wie ich darauf komme? Weil in ZENITH genau das geschieht! Drei Völkern „fehlt“ laut Anleitung „eine organisatorische Struktur“. Weshalb wir sie ganz selbstverständlich „unter unserer Kontrolle vereinen“. Nobel von uns. Und auch wirklich nicht böse gemeint.

Wie geht ZENITH? Eigentlich geht es ja nur um Farbscheiben (Einfluss), die wir auf fünf Skalen (Planetenbahnen) hin- und herschieben. Es ist eine Art Tauziehen: Habe ich eine Scheibe vier Schritte in meine Richtung gezogen, gehört sie mir. Dann startet in der Mitte der Skala eine neue Scheibe derselben Farbe. Ich gewinne, sobald ich drei gleichfarbige, vier verschiedenfarbige oder irgendwelche fünf Scheiben besitze.

Zenith: Situation

Wir steuern das mit Karten. Grüne Karten spiele ich an die grüne Skala, rote an die rote und so weiter. Und die Karten kosten Geld. Jede gleichfarbige, die ich schon vorher ausgespielt habe, gewährt einen Rabatt. Gespielte Karten lösen Effekte aus. Sie lassen mich Scheiben verschieben. Oder ich nehme Karten meines Gegenübers auf meine Seite. Oder schmeiße sie ab. Oder ich bekomme Geld. Oder Zenithium, die zweite Währung des Spiels. Oder oder oder.
Zenithium benötige ich als Bezahlung, um auf dem Technologie-Tableau aufzusteigen. Auch dafür muss ich eine Karte spielen. Dann aber ist nicht ihre Farbe relevant, sondern ihr Symbol. Die Effekte der Technologien sind anfangs gar nicht so beeindruckend, werden es aber, je höher ich auf dem Tableau klettere.

Was passiert? ZENITH ist nicht nur, wie oben geschrieben, „eine Art“ Tauziehen; Tauziehen ist das wesentliche Spielgefühl. Allerdings an fünf Tauen gleichzeitig.
Wie zu erwarten, sind die stärkeren Karten auch die teureren. Eine Herangehensweise wäre somit, zunächst mit billigeren Karten Rabatte aufzubauen, um mir später gleich mehrere starke Karten leisten zu können. Oder ich spare einen Geldvorrat an, um teure Karten sofort auszuspielen statt später. Was ich wann auf die Hand bekomme und wie langfristig ich eine Farbe aufbauen kann, weiß ich vorher nicht.

Zenith: Karten

Es ist ein ziemliches Hin und Her. Was ich mir erschaffe, kann mein Gegenüber wieder zerstören. Es brennt an dieser Ecke und an jener. Ich drohe, du drohst. Ich klaue, du klaust. Prioritätenabwägung ist gefragt. Ich könnte die blaue Scheibe bis ein Feld vors Ziel schieben. Aber im Gegenzug kassiert meine Gegner:in vielleicht Grün ein? Neben dem großen Duell um den Sieg finden in ZENITH viele kleine Duelle statt: um Scheiben, um Rabatte, um das Abzeichen, das einer der beiden Spieler:innen erlaubt, mehr Karten nachzuziehen als das Gegenüber.
Mit Geübten ergibt sich ein rasanter Schlagabtausch. Das Problem ist: Am Anfang sind wir nicht geübt. Und nicht alle Symbole sind sofort einleuchtend. Zum Glück gibt es Übersichten. Aber sie sind nicht ganz fehlerfrei und zudem doppelseitig. Man blättert hin und her. Und es sind gar nicht alle Varianten aller Symbole darauf. Manchmal setzt sich ein Karteneffekt aus zwei Faktoren zusammen, die man sich an verschiedenen Stellen der Übersichten zusammensuchen muss. Immer wieder musste ich Mitspieler:innen, die Symbole falsch deuteten, in ihren Zug reinquatschen, um zu korrigieren.

Was taugt es? ZENITH ist spannend. Wegen der unterschiedlichen Siegbedingungen kann ich mir nie ganz sicher sein, ob meine Gegner:in, selbst wenn sie in der Defensive zu sein scheint, nicht doch noch gewinnen kann. Gut gefällt mir auch, dass sich Karten auf verschiedene Weisen verwenden lassen. Passt die Farbe nicht oder habe ich nicht genug Münzgeld, kann ich auf den Technologiepfad ausweichen, der, je häufiger ich das tue, zu einem immer wichtigeren Schauplatz wird.
ZENITH hat strategische Elemente. Etwa kann ich mir für die Partie vornehmen, viel Zenithium für Technologien zu sammeln oder eine möglichst große Farbkartenmacht auf meiner Seite aufzubauen. Meistens agiere ich aber doch situativ, weil ich Brandherde löschen, Gelegenheiten ergreifen und sowieso mit dem klarkommen muss, was ich an Karten nachziehe.
Üblicherweise spielt man ZENITH zu zweit. Das Teamspiel zu viert sehe ich eher als Variante an, auch wenn es einen eigenen Akzent setzt, indem jede:r im Team nur drei der fünf Farben spielen darf, weshalb wir hin und wieder Aktionen aufwenden müssen, um Karten zu tauschen.
Zu viert hat ZENITH einen etwas anderen Rhythmus. Beide Spieler:innen eines Teams ziehen nacheinander, wodurch sich stärkere Veränderungen ergeben können, bevor das andere Team wieder an der Reihe ist. Allerdings dauert die Vierer-Partie auch erheblich länger, weil man sich vor den Zügen erst mal intern abstimmt. So verläuft ZENITH weniger rasant. Zu viert fällt auch besonders störend auf, dass es nur zwei doppelseitige Symbolübersichten gibt.

Zenith: Übersichten

Störend ist übrigens auch, dass pro Farbe nur vier Farbscheiben enthalten sind – obwohl durchaus Situationen auftreten, in denen eine fünfte ins Spiel kommen müsste. Man muss sich dann anders behelfen und ist irritiert, weil man befürchtet, irgendeine Regel übersehen zu haben.
Abgesehen davon, dass die Redaktion meiner Meinung nach an falschen Stellen gespart hat, ist ZENITH ein gelungenes Spiel, zu dem man mich nicht überreden muss. Nur den ganz großen Reiz, der mich veranlasste, das wieder und wieder spielen zu wollen, erlebe ich nicht.
Warum ich ZENITH nur solide finde, ist schwer auf den Punkt zu bringen. Es ist eine Mischung aus a) einem Thema, das mich nicht anspricht, b) arg vielen Symbolen und Effekten, von denen man sich vielleicht ein paar hätte sparen können, und c) dem Empfinden, das sich manche Partien (auch zu zweit) doch etwas hinziehen. Falls ZENITH etwas tiefgreifend Neues bietet, entgeht es mir.


**** solide

ZENITH von Grégory Grard und Mathieu Roussel für zwei oder vier Spieler:innen, Play Punk.

Montag, 30. Juni 2025

Gern gespielt im Juni 2025

WILMOT’S WAREHOUSE: So endet es also mit uns: im Kaufhaus die Regale einräumen.

ABGESTAUBT: Punkte? Bin dabei. Schränke und Oberflächen? Och nö.

SLAY THE SPIRE – DAS BRETTSPIEL: Für ein paar neue Karten tun wir alles.

BOMB BUSTERS: Was sind das wohl für Menschen, die extra rot gekleidet erscheinen, um einen weiteren Aufkleber auf der Schachtel anbringen zu dürfen? Na ja, meine Mitspieler halt.

ENDEAVOR – DIE TIEFSEE: Bei den gelben U-Booten steht das U für Udo.







UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM JUNI:

CIVOLUTION: Das große Spiel über Gott und die Welt.