Freitag, 3. Dezember 2021

Top Ten

Es soll Menschen geben, die nicht gerne kooperativ spielen. Und es soll Menschen geben, nicht gerne Partyspiele spielen. Beide Gruppen haben jetzt Glück, denn sie müssen nicht weiterlesen und sparen Lebenszeit.
Alle anderen haben noch mehr Glück, denn TOP TEN verschönert ihre Lebenszeit.

Wie geht TOP TEN? TOP TEN ist ein kooperatives Partyspiel. Wir haben geheim Zahlen von eins bis zehn gezogen und sollen nun so antworten oder so performen, dass es dem reihum wechselnden „Käpten“ möglich wird, unsere Rangfolge von klein nach groß zu erraten.
Zuerst wählt der Käpten eins von zwei möglichen Themen aus. Vielleicht dieses: „Jemand hält dir die Tür auf. Mit welcher Höflichkeitsfloskel bedankst du dich? Von kurz und knapp (1) bis total ausufernd (10).“ Beginnend beim Käpten machen nun alle vor, wie sie sich in der ihnen zugelosten Rolle bedanken: vielleicht nicken sie nur knapp oder lächeln freundlich oder kriegen sich vor gespielter Dankbarkeit nicht mehr ein.
Anschließend deckt der Käpten die Karten der Mitspieler:innen in der hoffentlich richtigen Reihenfolge auf. Falls nein, setzt es Strafpunkte, und bei zu vielen Strafpunkten ist die Partie verloren. Ansonsten folgt die nächste von insgesamt fünf Runden.


Was passiert? Es ist nicht so angenehm, als Käpten gleich mehrere Strafpunkte zu verursachen; erst recht nicht, wenn die Gruppe signalisiert, dass es so ziemlich jede:r am Tisch besser gewusst hätte, und nur der olle Käpten hat’s nicht geschnallt. Aber letztlich ist die Wertung fast unwichtig.
Ich war sowohl bei rasch verlorenen Partien dabei als auch bei solchen, die vollkommen fehlerlos gewonnen wurden. Für den Spielspaß hat beides kaum einen Unterschied gemacht. TOP TEN lebt davon, wie sich die Spieler:innen kreativ einbringen. Und wie das Spiel hierfür Anreize setzt, ist schlichtweg bravourös: Die Aufgaben machen neugierig, sie sind nicht der übliche Standardkram, den man schon anderswo gespielt hat. Viele Aufgaben lassen schon beim bloßen Vorlesen Bilder im Kopf und somit Vorfreude entstehen. Die pantomimischen Aufgaben müssen niemandem peinlich sein. Und wenn eine Gruppe möchte, kann sie alles, was Körpereinsatz erfordert, auch umgehen (bringt sich damit aber um einen Teil des Spielspaßes).
Bei TOP TEN geht es nicht um die beste Performance oder die lustigste Antwort. Sondern um einen Beitrag, der dem Käpten das Gewünschte signalisiert. Deshalb müssen alle in der Runde mitdenken. Bevor ich an die Reihe komme, etwas zu sagen oder etwas zu spielen, muss ich aufpassen, wie meine Vorgänger:innen agiert haben; muss interpretieren, welche Zahlen sie wohl haben könnten, und mich entsprechend anpassen.
Bin ich die Acht, sollte ich mich schon ziemlich exponieren, aber eben auch nicht zu sehr, um einer potenziellen Neun oder Zehn noch Spielraum nach oben zu lassen. Hat schon vor mir jemand ganz gut Gas gegeben, muss ich entscheiden: War das jetzt die Neun (und ich bleibe drunter) oder nur die Sieben (und ich lege eine Schippe drauf)?
Unweigerlich entstehen viele witzige Situationen. Einerseits weil man sich freut, was die anderen so alles aus sich schöpfen. Zweitens weil jede:r dieselbe Aufgabe hat, sie anhand seiner Rolle aber ein bisschen anders interpretieren muss. Die Vergleichbarkeit und die Wiederholung mit Abwandlungen bewirken Komik.
Und drittens weil TOP TEN ständig überrascht: Bei der oben beschriebenen Türaufgabe hatten wir – ohne es zu wissen – die Sieben, Acht, Neun und Zehn gezogen. Und man saß während der Vorführungen da und dachte: Häh? Irgendwann muss sich doch mal jemand knapp bedanken?! Aber nein: Auf begeisterte Dankbarkeit folgte begeisterte Dankbarkeit, folgte begeisterte Dankbarkeit, folgte begeisterte Dankbarkeit. Die Krönung war dann, dass der Käpten die Außmaße der Begeisterung auch noch richtig deutete und fehlerlos die Karten aufdeckte.


Was taugt es? TOP TEN enthält 500 verschiedene Aufgaben. Das ist nicht nur sehr viel; mich beeindruckt zudem, wie unterschiedlich und kreativ diese Aufgaben sind. Es ist wenig dabei, das wie Füllmaterial rüberkommt. Es wirkt so, als hätten es aus einem großen Ideen-Pool nur die besten in die Schachtel geschafft.
TOP TEN hat tolles Material, ohne überproduziert zu sein. Den Spielstand markieren wir mit massiven Chips, die Einhörner (verbleibende Lebenspunkte) oder Kackhaufen (Strafpunkte) zeigen. Die Zahlenkarten von eins bis zehn sind – anders als die Aufgabenkarten – aus Kunststoff. So wird auch nach vielen Partien nicht anhand der Rückseite erkennbar sein, wer welche Nummer gezogen hat.
Es gibt nur wenig, das in TOP TEN nicht sehr gut ist. Erstens ist das der Titel, denn um eine Top Ten geht es hier nicht, sondern um die volle Bandbreite von ganz oben bis ganz unten. Zweitens ein unglücklicher Passus in der Anleitung. Dort steht, die Spieler:innen dürfen in einer Reihenfolge ihrer Wahl agieren. Das hilft Zurückhaltenden, die erst mal gucken wollen, was die anderen machen. Aber es führt auch dazu, dass Spieler:innen mit Extremwerten den Auftakt machen und die anderen sich entsprechend ihrer Zahl selbst einsortieren. Für mein Empfinden schmälert das den Reiz, weshalb ich am liebsten strikt im Uhrzeigersinn spiele.


****** außerordentlich

TOP TEN von Aurélien Picolet für vier bis neun Spieler:innen, Cocktail Games.

9 Kommentare:

Andreas und Björn Kalies hat gesagt…

Danke Dir für den Tipp. Von außen sieht das Spiel aus wie viele andere Partyspiele. Nun werde ich es mir wohl zulegen müssen :-)

Anonym hat gesagt…

"Zweitens ein unglücklicher Passus in der Anleitung. Dort steht, die Spieler:innen dürfen[...]" -> es ist tatsächlich unglücklich, dass dieser Gender-Unfug jetzt auch schon in Spielanleitungen vorkommt. Findet
Eri B.

Udo Bartsch hat gesagt…

Vielen Dank für den Kommentar! Beschwerden über die Genderschreibweise bringen mir erfahrungsgemäß sehr viele Klicks.

Anonym hat gesagt…

Das ist gut! Dann sehen es auch viele. Denn genau wie man gegen die laute, aber kleine Minderheit der Querdenker Stellung beziehen muss, so muss man dies auch bei der ebenfalls kleinen, aber lauten Minderheit der Gender-Schreiber tun. Ansonsten könnte der Eindruck enstehen, die Sprachverstümmelung fände allgemeinen Anklang.

Eri B.

gutzumerken hat gesagt…

dieses Spiel ist phänomenal. ich habe selten erlebt, dass ein Partyspiel in so vielen Runden direkt so gezündet hat. Alle Spieler:innen hatten sehr viel Spaß und viele wollten es sich direkt selbst zulegen. Die Aufgabentexte sind sehr abwechslungsreich und originell und heben das Spiel auf eine höhere Stufe.

Fabian hat gesagt…

Wir sind zu viert in der Familie. Macht es da auch schon Spaß? Klingt aber super

Udo Bartsch hat gesagt…

Ja, zu viert macht es auch schon Spaß. Aber zu fünft oder sechst finde ich es noch besser. Zu viert ist es manchmal zu einfach.

Anonym hat gesagt…

Hallo Udo,
ich habe es noch nicht, aber es liest sich sehr wie "Freeze", nur ohne das namensgebende Freeze, oder?
Gruß, Andreas

Udo Bartsch hat gesagt…

Es hat Ähnlichkeiten. Bei Freeze geht es von 1 bis 4, hier von 1 bis 10. Bei Freeze geht es immer um eine Präsentation, hier nur manchmal. Bei Freeze gibt es Akteure und Zuschauende, hier nur Akteure. Bei Freeze agieren alle gemeinsam, hier abwechselnd. Freeze ist ein Wettbewerb, Top Ten ist kooperativ. Freeze habe ich immer sehr gern gespielt, aber eine geeignete Gruppe in der richtigen Größe zu finden, war schwer. Bei Top Ten ist es leichter.

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