Sonntag, 2. Juni 2024

Botanicus

Botanicus: Cover

Trauriger Fun Fact: In meinem bisherigen Leben habe ich nicht wesentlich häufiger irgendwas in die Erde gepflanzt als mit einer Rakete den Mond zu besuchen oder einen antiken Tempel zu erforschen. Mag Gärtnern den meisten Menschen noch so alltagsnah vorkommen: Für mich umweht das Mysterium aus Pflanzerei, Gießerei und Düngerei ein Hauch von echtem Abenteuer.

Wie geht BOTANICUS? Wir gestalten Gärten, um Besucher:innen anzulocken. Die haben zum Glück eine selektive Wahrnehmung und betrachten nicht den gesamten Garten, sondern nur jeweils eine einzelne Zeile. Sind dort Pflanzen in der gewünschten Menge und Größe vorhanden, bringt mir das Punkte.
Pflanzen gibt es in Größen von eins bis vier. Sie gelangen in meinen Garten, indem ich sie einpflanze. Falls sie für meine Ziele noch nicht groß genug sind, muss ich sie später noch gießen. Dann wachsen sie. Genauer gesagt pflanze und gieße ich gar nicht selbst, sondern ich überlasse dies einer Gärtnerfigur, die in meinem Garten von einem Kreuzungspunkt zwischen vier Beeten zum nächsten rennt. Jeweils die vier Beete um diese Figur herum dürfen beackert werden.

Botanicus: Spielplan

An unsere Aktionen kommen wir durch einen Mechanismus, der an KINGDOMINO erinnert. Wer in der Vorrunde die nominell schwächste Aktion hatte, wählt in der kommenden Runde zuerst.
Aktionen bringen entweder einen fest definierten Ertrag (bestimmte Pflanzen, drei Geld, vier Punkte etc.) oder sie bringen Schritte auf einer von drei Skalen (Geldsack, Schubkarre, Spaten). Auf diesen drei Skalen erreicht meine Lauffigur Felder, die dann ebenfalls einen fest definierten Ertrag bringen (beim Geldsack tendenziell Geld, bei der Schubkarre tendenziell Gieß-Aktionen, beim Spaten tendenziell Pflanzen). Allerdings hängt es von der Position meiner Figur ab, welche Ertragsfelder in Reichweite sind und welche nicht. Weshalb Schritte auf diesen Skalen je nach Spielsituation attraktiver oder weniger attraktiv sein können.
Generell schreitet man gern auf diesen Skalen voran. Denn sobald ich eine Skala komplett durchlaufe, erhalte ich einen erheblichen Punktebonus (je schneller ich bin, desto erheblicher). Und ich beginne danach auf derselben Skala von vorn, könnte mir den Bonus also noch mal holen.

Was passiert? In jedem Zug muss ich die Position meiner Gärtnerfigur mit meinen geplanten Pflanzungen oder Bewässerungen abstimmen. Weil die Bewegungen der Figur Geld kosten, will ich lange Wege oder Zickzack-Kurse vermeiden.

Botanicus: Garten-Tableau

Im ganzen Spiel komme ich nur 17 Mal an die Reihe. Schnell wird deutlich: Das ist knapp bemessen angesichts der vielen Dinge, die ich in der Zeit erledigen möchte. Aber in der Not liegt auch der Reiz: Jeder Zug stellt mich vor wichtige Entscheidungen. Ich muss mich nicht nur darum kümmern, was ich in dieser Runde erreiche; es geht auch um die Zugreihenfolge für die kommende Runde.
Neben den Zwischenwertungen für die Gartenzeilen rücken spätestens ab der Hälfte der Partie auch die Endwertungen in den Fokus. In der Profiversion besitze ich Zielkarten, auf deren optimale Erfüllung ich hinspiele. Und schon im Grundspiel werten wir am Schluss die Spalten, sofern sie komplett gefüllt sind. Ich muss also immer mehr Dinge unter einen Hut bringen.
Und dann gibt es noch die Tiere, die im Profispiel einige Beete versperren und deshalb aus dem Garten in die freie Natur überführt werden sollten. Jedes Tier schaltet einen bestimmten Dauer- oder Soforteffekt frei. Welche dieser Effekte ich anpeile und in welcher Reihenfolge, passt nicht zwangsläufig zur Reihenfolge und Dringlichkeit, in der ich meine Beete freiräumen möchte. Nur selten werde ich alle Tiere umsiedeln können (die Aktionen sind rar und begehrt), deshalb bin ich auch an dieser Stelle hin- und hergerissen. Die Entscheidung für Tier A ist zugleich eine schmerzliche Entscheidung gegen Tier B.


Botanicus: Karten

Was taugt es? BOTANICUS ist toll verdichtet. Jeder Zug ist spannend. Trotz Optimierungsbedarf sind die Züge nicht überkompliziert. Vor allem bleibt die Lege-Aufgabe immer sehr konkret. Ich kann mir unter dem, was ich tue, etwas vorstellen. Ich erschaffe etwas, ich spiele konstruktiv. Und ich erschaffe es jedes Mal ein bisschen anders, denn ich verfolge mehrere Pläne und Ziele gleichzeitig und kann mal mehr Gewicht auf den einen oder den anderen Aspekt legen. Zudem muss ich mich stets mit dem arrangieren, was die Mitspieler:innen mir an Aktionen übriglassen.
Das Grundspiel ist eine gute Wahl, wenn man erst mal mit weniger Regeln einsteigen möchte. Auf längere Sicht ist es aber klar schwächer als das Profispiel. Es wirkt nicht gut balanciert, so als sei es nur als Zwischenstadium gedacht, nicht als das endgültige Spiel. Ich empfehle, rasch ins Profispiel zu wechseln, denn erst dann entfaltet BOTANICUS seinen vollen Reiz.
Die Garten-Tableaus im Profispiel sind unterschiedlich und erfordern daran angepasste Spielweisen. Die Tiere erhöhen den taktischen Anspruch. Und auch das Manövrieren der Gärtnerfiguren erfordert jetzt noch mehr Management.
Der Wermutstropfen: Nur beim ersten Lesen wirkt die Anleitung von BOTANICUS noch sehr klar. Nach und nach ergeben sich dann beim Spielen Zweifelsfälle, oft hervorgerufen durch zweideutige Grafik. Die Anleitung lässt einen mit diesen Zweideutigkeiten allein.


***** reizvoll

BOTANICUS von Vieri Masseini und Samuele Tabellini für zwei bis vier Spieler:innen, Hans im Glück.

Freitag, 31. Mai 2024

Gern gespielt im Mai 2024

CUZCO: Mein Double Layer Board trägt Federschmuck.

SHAKE THAT CITY: Shake hands, not cities.

MFG: Merksprüche für Gegenstände.

DIE GILDE DER FAHRENDEN HÄNDLER: Schon etwas ergraut (^^), aber immer noch frisch.

BOTANICUS: Was geht im Beet?








UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM MAI:

SKY TEAM: Sag’s mit Würfeln!







Samstag, 25. Mai 2024

Punktestadt

Punktestadt: Cover

Wer häufiger spielt, weiß aus Erfahrung: Am Ende geht es immer nur um das eine. Da können Spiele noch so romantisch nach Metropolen benannt sein: Die inneren Werte dieser Städte sind egal, wir wollen an ihre Punkte ran. PUNKTESTADT wäre deshalb für so manche Spiele der ehrlichere Titel.

Wie geht PUNKTESTADT? PUNKTESTADT heißt vermutlich nicht nur aus Ehrlichkeit PUNKTESTADT. Der Titel knüpft auch an PUNKTESALAT desselben Autor:innentrios an. Größte Gemeinsamkeit dieser beiden Spiele ist – außer dass es um Punkte geht – eine Auslage aus doppelseitigen Karten. Auf deren einer Seite befinden sich in PUNKTESTADT Gebäude, auf der anderen Seite Ressourcen.
Die Auslage in PUNKTESTADT ist vier mal vier Karten groß. Bin ich am Zug, wähle ich davon zwei, die nebeneinander liegen müssen. Ist es eine Ressource, lagere ich sie ein. Ist es ein Gebäude, darf ich es nicht einlagern, sondern muss es sofort errichten, indem ich die vorgegebene Ressourcenkombination bezahle.


Punktestadt: Rabatte

Was passiert? Viele Gebäude gewähren mir einen Rabatt auf künftige Gebäude. Nach und nach kommen wertvollere, aber auch teurere Bauten ins Spiel. Meine gesammelten Rabatte sorgen dafür, dass ich nicht rundenlang Ressourcen sammeln muss, um auch solche Gebäude endlich zu bauen.
Unübersehbar ist die mechanische Ähnlichkeit zu SPLENDOR. (Insofern wäre „Splendorstadt“ der noch ehrlichere Titel gewesen.) Nicht nur weil auch in SPLENDOR erworbene Karten Rabatte gewähren. Sondern weil es in PUNKTESTADT wie auch in SPLENDOR darauf ankommt, eine gute Balance aus Karten für Rabatte und Karten für Punkte hinzukriegen.

Punktestadt: Material

Einige Gebäude zählen einen festen Punktwert, andere bringen mir ein „Bürgerplättchen“. Solche Plättchen zählen Punkte für bestimmte Errungenschaften, beispielsweise zwei Punkte für jedes Haus mit Energie-Rabatt. Wer solche Bürgerplättchen früh gewinnt, hat einerseits mehr Auswahl, welches genommen werden soll, und andererseits noch mehr Zeit, um sich dann die Gebäude zu holen, die das Plättchen wertvoll machen.
Immer nachdem zwei Karten aus dem Raster genommen worden sind, legen wir an derselben Stelle zwei Karten nach. Wo eine Ressource genommen wurde, wird ein Gebäude ausgelegt, und umgekehrt. Das geht oft durcheinander. Außer man hält mit Markern nach, was wo gelegen hatte. Das aber ist umständlich und verlangsamt das Spiel. Beide Varianten nerven etwas.

Was taugt es? In SPLENDOR sind Kartenmarkt und Ressourcenmarkt (die Münzen) voneinander getrennt. In meinem Zug nehme ich entweder das eine oder das andere. In PUNKTESTADT sind Gebäude und Ressourcen miteinander verquickt. Ich kann und muss mich um beides zugleich kümmern.
Ansonsten finde ich die Unterschiede beider Spiele und ihres Spielgefühls nicht so groß. PUNKTESTADT bietet variablere Möglichkeiten für den Erwerb von Punkten, die strategische Variabilität erscheint mir aber geringer.

Punktestadt: Auslage

SPLENDOR ist eleganter und purer, deshalb würde ich eine Partie SPLENDOR immer vorziehen. Weil es als Wettlauf konzipiert ist, empfinde ich SPLENDOR als viel spannender. Ich habe zudem das Gefühl, langfristiger planen zu können, während sich PUNKTESTADT situativer spielt und immer wieder erfordert, die rasch wechselnde Auslage nach dem optimalen Kartenpaar abzusuchen.
PUNKTESTADT macht nichts falsch und ist soweit okay. Allerdings stört mich die geringe Originalität doch ziemlich, und gewichtige Pluspunkte für das Spiel fallen mir auch nicht ein. PUNKTESTADT macht manche Dinge zwar anders als SPLENDOR. Aber besser? Nach meinem Empfinden nicht.


*** mäßig

PUNKTESTADT von Molly Johnson, Robert Melvin, Shawn Stankewich für eine:n bis vier Spieler:innen, Skellig Games / AEG / Flatout Games.

Dienstag, 21. Mai 2024

Expedition ins Wortreich

Expedition ins Wortreich: Cover

für die französische Literatur entwickle. Das ist misslungen. Ich finde es nicht schlimm, von aufbrechenden Geschwüren zu lesen, aber nur, wenn ich die Wörter nicht eins nach dem anderen hinten nachschlagen muss. Dann doch lieber Mathematik.
Hausaufgaben eignen sich gut zum Ablenken. Aber als ich

Wie geht EXPEDITION INS WORTREICH? Wir reisen kooperativ durch ein Buch und wollen mindestens 50 Seiten vorankommen.
Reihum übernimmt jemand die Vorlese-Rolle. Der Zufall bestimmt, wie oft vor dem Vorlesen umgeblättert wird. Bin ich der Vorleser, lese ich auf der so erreichten Doppelseite die obersten sechs Zeilen rechts. Zunächst lese ich nur still für mich und entscheide mich geheim für dasjenige von vier ausliegenden mehrdeutigen Wimmelbildern, von dem ich meine, dass es zum Text am besten passt.
Währenddessen dürfen meine Mitspieler:innen Hör-Aufgaben wählen, zum Beispiel: „Es kommt mindestens dreimal das gleiche Wort vor“ oder „Mindestens ein Wort hat vier oder mehr aufeinanderfolgende Konsonanten“. Anschließend lese ich die Textpassage laut vor. Die Gruppe darf erstens eine ihrer Aufgaben als erfüllt deklarieren, zweitens einigt sie sich auf eins der vier Wimmelbilder.
Wählt mein Team dieselbe Bildkarte wie ich, rückt das Lesezeichen im Buch bis zur vorgelesenen Seite vor. Diese Strecke haben wir gewonnen, ab jetzt geht es von der erreichten Doppelseite aus weiter. Wählt mein Team eine andere Bildkarte als ich, rückt das Lesezeichen nicht vor. Wir fallen zurück auf den Stand wie vor meinem Vorlesen und müssen sogar Strafe zahlen. Wir verlieren … ich nenne es mal: Lebenspunkte. Und jetzt erklärt sich der Sinn der Hör-Aufgaben: Erledigte Aufgaben bringen Lebenspunkte.


Expedition ins Wortreich: Aufgaben

Was passiert? EXPEDITION INS WORTREICH beginnt witzig. Wie schwierig es ist, gleichzeitig auf den Textinhalt und auf vorkommende Wörter oder aufeinanderfolgende Konsonanten zu achten, wird oft unterschätzt – und man sitzt kollektiv da und hat gar nicht begriffen, was vorgelesen wurde.
Lustig ist es auch, wenn ich – um Extraschritte im Buch zu gewinnen – als Vorleser freiwillig ein „Gefahr-Lesezeichen“ ziehe. Dann gelten bestimmte Anweisungen, wie ich zu lesen habe, zum Beispiel „Beende jede Zeile mit einem Echo, bevor du zur nächsten übergehst“. Und auch die Schlussherausforderung, die wir final bestehen müssen, um zu gewinnen, bringt noch mal etwas Pep, weil nun auf eine ziemlich sinnentstellende Weise vorgelesen werden muss.
Die Diskussion über die Wahl des Wimmelbildes dagegen ist weniger interessant. Die sechs zufälligen Zeilen geben oft nicht viel Greifbares her. Wäre die Passage aus obiger Einleitung vorgelesen worden, suchte man auf den Bildern wohl nach Büchern (wegen „französische Literatur“) oder Zahlen (wegen „Mathematik“) oder Geschwüren (wegen „aufbrechenden Geschwüren“) oder irgendwas, das an Schule erinnert (wegen „Hausaufgaben“). Ungünstig, wenn sich so etwas nirgends finden lässt. Ungünstig auch, wenn zwei Motive in zwei verschiedenen Bildern miteinander konkurrieren.
Wenn wir Glück haben, ist die Entscheidungen relativ klar. Haben wir Pech, artet es in Raterei aus. Da nach der Runde nur Wimmelbilder ausgetauscht werden, die von Vorleser:in und / oder Gruppe gewählt wurden (maximal also zwei), bleiben solche, von denen sich herausstellt, dass sie generell nicht so recht zur Buchvorlage passen, lange liegen.


Expedition ins Wortreich: Bildkarten

Was taugt es? EXPEDITION INS WORTREICH ist originell. Gut gefällt mir, wie sich mit der Wahl des Buches das Spiel verändert. Sechs Zeilen können je nach Schriftgröße viel oder wenig Text bedeuten. Die Sprache kann schwerer oder leichter sein, die Inhalte variieren stark. Ein Buch kann handlungsintensiv sein, philosophisch, beschreibend oder dialogisch. Die literarische Vielfalt hält das Spiel automatisch abwechslungsreich.
Der Widerspruch aus inhaltlichem und aufgabenorientiertem Zuhören und auch die erschwerenden Leseaufgaben sind unterhaltsam. Und doch: So richtig hat es in meinen Runden (und auch bei mir) nicht gefunkt. Gerade das vermeintliche Herzstück des Spiels, das Verbinden von Text und Bild, überzeugt nicht und bleibt eher oberflächliches Multiple Choice.
Ohnehin sind nur 32 Wimmelbilder im Spiel. Dass sie wie Lesezeichen gestaltet sind, also sehr schmal, macht das Betrachten mühsam. DIXIT und Co. haben uns mit ihren Bildern verwöhnt. EXPEDITION INS WORTREICH kann da nicht mithalten.


*** mäßig

EXPEDITION INS WORTREICH von Germain Winzenschtark für zwei bis sechs Spieler:innen, Olibrius.

Freitag, 17. Mai 2024

Passt nicht!

Passt nicht: Cover

Manchmal ist es vorteilhaft, Spiele spät zu rezensieren.
So rede ich mir das jetzt mal schön. Denn meistens ist es nachteilig: Der Eindruck ist nicht mehr frisch. Angesichts der vielen anderen Spiele zwischendurch muss ich mich erst mal wieder reindenken. Und obendrein interessiert es kaum noch jemanden. Ist ja nicht mehr neu. – Buh!
Der seltene Fall, in dem eine späte Rezension tatsächlich von Vorteil ist: Wenn ein Spiel im Ansehen immer mehr wächst und ich es ein paar Wochen oder Monate zuvor noch ein bisschen niedriger eingestuft hätte.
Und warum schreibe ich das wohl? Weil es eine mitreißende Einleitung ist und weil es zu PASST NICHT passt.

Wie geht PASST NICHT? Wir spielen MAU-MAU und legen reihum eine Karte. Auf den Stapel gehören gleiche Farbe oder gleiche Zahl.
Beende ich die Runde mit meiner letzten Karte, erhalten meine Mitspieler:innen Minuspunkte für ihre Handkarten. Aber: Es gibt auch Pluspunkte, und 50 Pluspunkte sind das Ziel. Pluspunkte sammle ich für alle Karten, die am Ende der Runde vor mir ausliegen. Auslegen darf ich, wenn die entsprechende Karte nicht auf den Stapel passt, also weder die gleiche Zahl noch die gleiche Farbe hat. Allerdings werde ich so keine Karte los. Wenn ich auslege, muss ich nachziehen.
Der Witz und zugleich die Gemeinheit von PASST NICHT: Kann ich nachweislich den Stapel bedienen, muss ich das tun. Liegt eine gelbe Fünf vor mir, und der Stapel zeigt Gelb, muss ich entweder eine passende Handkarte legen – oder meine gelbe Fünf opfern. Letzteres wäre doppelt ärgerlich: Mir gehen fünf Punkte durch die Lappen, und um die Fünf auszuspielen, habe ich einen Zug vergeudet, ohne wenigstens die Handkarten zu reduzieren.


Passt nicht: Spielsituation

Was passiert? Relativ schnell kommen Mitspieler:innen auf die Idee, ganz gezielt Gelb auf den Stapel zu legen, um mir meine Fünf abzuluchsen. Und vielleicht hat die Spieler:in nach mir eine gelbe Vier ausliegen. Na, wenn das kein schöner Ketteneffekt wäre!
PASST NICHT ist also ein Spiel, das sich wunderbar gemein spielen lässt. Stets lauere ich auf Gelegenheiten, so auf den Stapel zu spielen, dass es andere in Schwierigkeiten bringt. Gleichzeitig versuche ich, wenig angreifbar zu sein. Etwa indem ich Karten in meiner Auslage mit anderen derselben Farbe überdecke. Oder bevorzugt solche auslege, von deren Farbe ich noch weitere auf der Hand habe.
PASST NICHT ist durch und durch interaktiv. Auch wegen des Rundenendes muss ich die Mitspieler:innen im Blick behalten: Hat irgendwer nur noch zwei Handkarten? Oder gar eine? Falls ich noch hohe Werte halte, sollte ich mich beeilen, sie loszuwerden.

Was taugt es? PASST NICHT habe ich schon im Oktober 2023 auf der Messe in Essen spielen können und war sofort angefixt. Warum ich das Spiel trotzdem fast unterschätzt hätte? Ich hätte erwartet, dass der Reiz nachlässt. Aber er lässt nicht nach. Seit Monaten nicht.
Man kann PASST NICHT einfach nur fröhlich und schadenfreudig herunterdreschen. PASST NICHT bietet aber auch Raum zum Taktieren. Anhand der ausliegenden Karten lassen sich Dominoeffekte erahnen, die man mal auslösen, mal unbedingt vermeiden möchte. Und hat man einen Joker und darf sich Farbe oder Zahl wünschen, kann sowohl der Zeitpunkt des Einsatzes als auch der Wunsch einen entscheidenden Unterschied machen.
Natürlich ist auch viel Glück im Spiel. Bekomme ich nur niedrige Zahlen, bietet mir das für Pluspunkte wenig Optionen. Habe ich eine hohe Karte nachgezogen, direkt bevor jemand Schluss macht, sind das unweigerlich Minuspunkte. Und vor allem bei meiner letzten Handkarte habe ich überhaupt keine Wahl, wohin ich sie spiele. Passt sie, muss sie auf den Stapel. Passt sie nicht, muss sie in die Auslage.
Aber das ändert nichts an den Emotionen, die PASST NICHT auslöst. Das vorgetäuschte Bedauern, leider nicht den Stapel bedienen zu können, bevor man grinsend eine Fünf auslegt. Der Triumph, anderen etwas zu zerstören. Oder sie darauf hinzuweisen, dass sie leider nicht auslegen dürfen, sondern für alle sichtbar passend den Stapel bedienen können. Das Ätsch, wenn man einen Angriff lässig mit einer Handkarte abwehrt. Und die Sorge, dass der Stapel eine Runde später noch genauso daliegt – und jetzt kann man nicht mehr abwehren.
Leider ist PASST NICHT fehleranfällig („Du musst nachziehen!“, „Du musst schon wieder nachziehen!“), und ich habe beobachtet, dass Menschen, die die Zielgruppe wären, den Witz des Spiels nicht immer erkennen. Wird bevorzugt auf den Stapel gespielt, weil man das von MAU-MAU ja nun mal so kennt, macht die Partie weniger Spaß und zieht sich wegen fehlender Pluspunkte in die Länge.
Ich hoffe sehr, die Qualitäten von PASST NICHT sprechen sich herum. Für mich spielt PASST NICHT in der L.A.M.A.-Liga, und die ist bekanntlich sehr weit oben.


****** außerordentlich

PASST NICHT! von Thomas Weber für zwei bis sechs Spieler:innen, Schmidt.

Montag, 13. Mai 2024

Vor 20 Jahren (137): Sankt Petersburg

Sankt Petersburg: Cover

Geld stinkt nicht, sagt man. Aber ich weiß es besser. Die Geldscheine in meinem SANKT PETERSBURG (von Bernd Brunnhofer bei Hans im Glück) jedenfalls musste ich wegen schwer erträglicher Gerüche längst austauschen.

Denn SANKT PETERSBURG ist eines meiner zehn meistgespielten Spiele. Welches die anderen neun sind, lasse ich aus dramaturgischen Gründen erst mal offen. Das könnte vielleicht noch Stoff für künftige Top-Listen liefern. Auch REZENSIONEN FÜR MILLIONEN muss beim Content mit der Zeit gehen.

Häufiges Spielen allein ruiniert Geldscheine noch nicht zwangsläufig. Das Spiel muss auch spannend sein, man muss die Scheine in der schwitzigen Hand durchkneten oder aufgewühlt danach grapschen, das Vermögen geheim durchzählen, nervös wieder weglegen und noch mal grapschen, noch mal zählen, noch mal weglegen. Erst so entsteht das unverwechselbare Odeur.

In der Fairplay habe ich SANKT PETERSBURG damals nicht besprochen, aber immerhin mitbewertet und die Note 1- vergeben. Das entspräche wohl ungefähr 9 Punkten in der spielbox, ist also ganz schön gut – trotzdem frage ich mich im Nachhinein, was ich wohl mit dem Minus ausdrücken wollte. Wenn ein Spiel mich 200 Partien lang (plus Online-Partien) unterhält, gibt es keinen Grund, von der Höchstnote irgendwas abzuziehen.

Aber das weiß man zum Zeitpunkt der Rezension (bzw. Notenabgabe) noch nicht. Wie hoch der Langzeitspielreiz ist, zeigt sich erst … nach langer Zeit. Von SANKT PETERSBURG mag ich damals gedacht haben: Ja, es macht echt viel Spaß, aber: So originell ist es ja doch nicht, so viele Strategien gibt es nicht, so variantenreich sind die Spielverläufe nicht.

Und das stimmt auch alles und es sind wichtige Kriterien. Aber von einem hochoriginellen megavariablen Spiel, das niemand mit mir spielen mag oder dessen Aufbau lange dauert oder dessen Regeln so kompliziert sind, dass ich sie jedes Mal auffrischen muss, habe ich am Ende weniger als von einem, für das ich wieder und wieder Mitspieler:innen finde und das uns wieder und wieder Spaß macht.

Gewiss kann ein Spiel ein Lieblingsspiel sein, obwohl man es nie spielt. Man wünscht sich, so zu spielen, wie man es in diesem Spiel tut. Aber die Umstände verhindern es. Man könnte das dann vielleicht als ideales Lieblingsspiel bezeichnen. Demgegenüber ist SANKT PETERSBURG für mich ein gelebtes Lieblingsspiel, ein Konsensspiel und Dauerbrenner, so wie vielleicht DOPPELKOPF. Oder CATAN. Es lebt davon, dass ich über Jahre Mitspieler:innen dafür hatte. Und über Jahre hatte ich Mitspieler:innen, weil SANKT PETERSBURG zugänglich, eingängig und trotzdem immer wieder reizvoll ist.

Am reizvollsten finde ich es übrigens mit der Erweiterung DAS BANKETT von Karl-Heinz Schmiel. Sie macht das Spiel strategisch variabler, weil eine Partie nun oft eine Runde länger dauert, was die ansonsten häufig unterlegenen Gebäude gegenüber den Adligen aufwertet.

Und traurig anzumerken wäre noch, dass SANKT PETERSBURG trotz allem (nominiert für die Wahl zum Spiel des Jahres 2004, Deutscher Spielepreis 2004, Note 1- von Udo Bartsch in der Fairplay) offenbar kein riesiger Verkaufserfolg war. Es ist vom Markt verschwunden, ebenso wie die zweite Edition von 2014, die bereits ein Crowdfunding erforderte, um überhaupt erscheinen zu können.


Donnerstag, 9. Mai 2024

Pan Am

Pan Am: Cover

Feiertags darf ich mir natürlich eine Auszeit von den vielen Einleitungen gönnen. Der Mai-Kalender kommt mir da bislang sehr entgegen.

Wie geht PAN AM? Anders als so manches Städtenamen-Spiel vermittelt PAN AM das Gefühl, der Titel sei nicht völlig willkürlich gewählt. Die ehemalige Fluggesellschaft Pan Am kommt im Spiel vor, allerdings nicht als von Spieler:innen geführtes Unternehmen, sondern als eine Art Krake, die nach und nach die Linien unserer Fluggesellschaften übernimmt. Wir gehen in der wachsenden Pan Am auf und finden das gar nicht so schlecht. Wer am Ende die meisten Aktien der Pan Am besitzt, gewinnt.

Pan Am: Spielplan

PAN AM ist ein Figureneinsatzspiel. Figuren setzen wir, um Städtekarten oder Flugzeuge zu kaufen, um Fluglinien zu installieren oder Aktionskarten zu ziehen. Fluglinien darf ich zwischen zwei benachbarten Orten errichten, sofern ich die entsprechenden Städtekarten besitze. Als Ersatz genügt auch jeweils eine der entsprechenden Farbe; diese Karte muss ich dann aber abwerfen. Oder ich werfe zwei beliebige gleichfarbige Karten ab.
Außerdem benötige ich für jede Fluglinie ein Flugzeug. Je länger die Linie (von 1 bis 4), desto größer muss mein Flugzeug sein. Entsprechend um eine bis vier Einheiten steigt auch mein Einkommen. Geld benötige ich einerseits, um Aktionen zu bezahlen. Andererseits und vor allem, um Aktien der Pan Am zu kaufen. Sie werden im Laufe des Spiels immer teurer. So günstig wie bei Spielbeginn bekomme ich sie selten wieder. Allerdings fehlt mir Geld, das ich in Aktien stecke, für den Aufbau meines Unternehmens. Und gerade an am Anfang gibt es da noch viele Entwicklungsmöglichkeiten.

Pan Am: Spielplanausschnitt

Jede Runde vergrößert die Pan Am ihr Netz. Sie startet in Miami und krallt sich zunächst Linien, die direkt an Miami angrenzen. In welche der drei möglichen Richtungen sich die Pan Am ausbreitet und welche Richtung sie insgesamt häufiger wählen wird, wissen wir nicht. Denn das entscheidet der Würfel. Wer übernommen wird, verliert Einkommen, erhält aber eine Geldprämie und obendrein das eingesetzte Flugzeug zurück.

Was passiert? Am Anfang des Spiels ist die Prämie niedriger als das kumulierte Einkommen einer Linie, gegen Ende ist es krass umgekehrt. Je weiter das Spiel fortschreitet, desto dringender möchte ich übernommen werden. Auch die Wiederverwendbarkeit des eingesetzten Flugzeugs ist ein starker Anreiz. Denn ich spare nicht nur das Geld für eine Neuanschaffung, ich spare mir auch die Aktion.

Pan Am: Städtekarten

Also würde ich gern im näheren Einzugsbereich der Pan Am agieren. Was ich allerdings nur teilweise steuern kann. Legt mir meine Starthand nahe, in Asien Linien zu gründen, kostete es sehr viele Aktionen, das zu ignorieren und auf Biegen und Brechen näher an Miami heranrücken zu wollen.
Letztendlich erscheint es mir wichtiger, generell ökonomisch zu agieren: Aktionen sparen und mit möglichst wenigen Städtekarten auskommen, bedarfsorientiert Flugzeuge erwerben, dazu ein gutes Balancing aus Bargeldvorrat und Aktienkauf. Denn der Rest ist ohnehin unkalkulierbar: Wohin die Pan Am sich ausbreitet, weiß man nicht. Manchmal ist es auch egal, denn man darf einfach irgendeine Linie wählen, um sie der Pan Am zu überlassen. Jede Runde tritt obendrein ein zufälliges Ereignis ein. Und zusätzlich kaufen wir uns auch noch ungesehen Aktionskarten, die passend oder unpassend sein können, meistens aber recht starken Einfluss nehmen.

Was taugt es? PAN AM ist wie ein bunter Obstsalat: alles drin, und alles schmeckt. Es gibt Figureneinsatz mit kleinem Kniff: Ich kann fremde Figuren verdrängen, wenn ich bereit bin, mehr für die Aktion zu bezahlen. Es gibt ein Sammelelement: Ich versuche, passende Städtekarten zu ergattern, um mir (möglichst durch Mehrfachverwendung) ein profitables Liniennetz zusammenzubasteln. Und ein Planungselement: Ich will nicht nur die Kosten geringhalten, sondern zugleich Aktionen sparen. Sofern ich nicht dringend etwas Bestimmtes brauche, lohnt es sich oft, auf den Zufall zu spekulieren und das Feld aufzusuchen, das mich eine Aktionskarte ziehen lässt.

Pan Am: Ereignisse

Trotz einiger moderner Mechanismen fühlt sich PAN AM wegen der Aktionskarten und Ereignisse wie ein Spiel aus den 80er-Jahren an. Die Ereignisse können spielentscheidend sein und den Verlauf auf den Kopf stellen. Ich erinnere mich an eine Partie, in der ich das Pech hatte, nur selten geschluckt zu werden, und dann kam kurz vor Schluss und unter erheblichem Gemaule meiner Mitspieler ein Ereignis, das aus heiterem Himmel allen eine Aktie pro Linie schenkte, die man noch hatte. Also vor allem mir ganz viele. Haha, danke schön!
Alles in allem finde ich PAN AM unterhaltsam und abwechslungsreich genug, um gerne wieder mitzuspielen. Grafisch und redaktionell ist das Spiel obendrein gut gemacht. Trotzdem weckt es in mir nicht den Wunsch, das Spielerlebnis immer weiter zu vertiefen. Und ich glaube, so viele Tiefen hat es auch gar nicht.


**** solide

PAN AM von Prospero Hall für zwei bis vier Spieler:innen, Funko Games.

Mittwoch, 1. Mai 2024

Bier Pioniere

Bier Pioniere: Cover

Einleitung auf Bier, das spar ich mir.

Wie geht BIER PIONIERE? Wir brauen Bier. Um Aufträge zu erfüllen. Einer könnte vielleicht besagen, ich soll ein Fass Pils und ein Fass Weizenbier liefern, dafür erhalte ich fünf Punkte. Was eine Menge ist. BIER PIONIERE ist ein Wettrennen und endet bei 20 Punkten.
Mechanisch gesehen ist BIER PIONIERE Figureneinsatz. Jede:r besitzt zwei Figuren mit den Werten eins und zwei, reihum setzen wir auf freie Aktionsfelder und führen die Aktionen aus. Unsere Figuren können wir aufwerten, bis zu einem Wert von vier. Das ist relevant, weil auch jedes Aktionsfeld einen Wert hat, und ergibt die Addition aus Feldwert plus Figurenwert mindestens sechs, erhalte ich eine Bonusaktion. Höherwertige Figuren erweitern also das Spektrum an Feldern, auf denen ich einen Bonus erhalte.

Bier Pioniere: Spielplan

Natürlich zielen einige der angebotenen Aktionen darauf ab, Bier zu brauen. Dieser Vorgang besteht aus zwei Teilen: Ich beginne den Brauvorgang, indem ich einen Anzeigestein für die entsprechende Biersorte einsetze. Zu Spielbeginn kann ich ausschließlich Altbier brauen, wertvollere Sorten muss ich erst freischalten. Die Anzeige wird auf einen Wert zwischen drei und sieben eingestellt. Das ist die Dauer an Runden, bis das Bier fertig ist. Errungenschaften meiner Brauerei können dafür sorgen, dass der voreingestellte Wert möglichst niedrig ist.
Anschließend reift das Bier. Ich kann abwarten, wie es Runde für Runde gärt und irgendwann von allein fertig ist. Üblicherweise aber herrscht Eile und ich treibe den Prozess über Aktionsfelder oder Bonusaktionen voran. Um wie viele Schritte ich meine Brauanzeiger pro Aktion weiterdrehen darf, hängt wieder von meinen Errungenschaften ab.
Parallel zur Bierherstellung strebe ich also an, meine Brauerei auszubauen. Auch dafür gibt es Aktionsfelder. Und Karten. Die ich nur mittels bestimmter Aktionsfelder ziehen und ausspielen darf. Die Karten lassen sich entweder als Sofort- oder Dauereffekt ausspielen, als Brauereiverbesserung oder als Auftrag. Jede Karte bietet zwei Wahlmöglichkeiten.


Bier Pioniere: Tableau

Was passiert? Alles in BIER PIONIERE ist stark miteinander verwoben, das Spiel ist ein feines Geflecht aus Hauptaktionen, Bonusaktionen und Karten. Welchen Fortschritt ich über welchen Weg bekomme, muss ich erst lernen. Grafisch ist das alles sehr gut verdeutlicht, die Gestaltung des Spielmaterials gibt überdies Hinweise auf dessen Funktion.
BIER PIONIERE erfordert Timing. Neben den beiden Figuren mit Punktwerten besitze ich noch drei weitere Einsetzfiguren: einen LKW, der nur bestimmte Felder des Spielplans ansteuert, eine Figur, die nur auf der Reihenfolgeskala eingesetzt werden darf, und eine weitere Figur, die nur auf Felder meines eigenen Tableaus zieht, welche ich dazu allerdings erst freischalten muss.
Gewiss will ich auf meinem Tableau möglichst spät setzen, denn diese Felder schnappt mir sowieso niemand weg. Andererseits benötige ich die Tableau-Aktion manchmal zur Vorbereitung von Aktionen auf dem Spielplan, muss also vielleicht doch früh einsetzen.
In BIER PIONIERE erlebe ich eine ständige Zerrissenheit, in welcher Reihenfolge ich was abwickle und welche meiner Figuren ich dazu wie früh wohin setzen muss. Selbst auf der Reihenfolgeskala legen wir nicht nur schnöde fest, wer in der kommenden Runde zuerst dran ist. Auch hier erhalten wir zusätzlich Aktionen. Und spätere Startplätze sind an stärkere Aktionen gekoppelt.
Der Einfluss der Karten ist recht hoch. Mit Glück passen die gezogenen Karten zusammen, und es lässt sich daraus eine Strategie ableiten, etwa auf welche Biersorten ich optimalerweise abziele. Es kommt aber auch vor, dass man nicht so recht Einsatzmöglichkeiten für seine Karten findet oder länger herumbastelt, um die komplexen Voraussetzungen zu erfüllen. Oder Karten schlichtweg ungenutzt abwirft.
BIER PIONIERE entwickelt mehr Tempo, als es in den ersten Runden den Anschein hat. Während wir anfangs noch mit dem Aufbau unserer Brauereien beschäftigt sind, wächst das Punktekonto eher langsam. Aber nicht der Komplettausbau der Fabrik ist das Ziel, sondern 20 Punkte. Auf dem Weg dahin muss ich abwägen, was ich entwickeln sollte und was sich nicht mehr lohnt.

Bier Pioniere: Ausbauten

Und das kann in jeder Partie anders sein – abhängig von meinen Karten, aber auch von der Gruppendenke. Ich habe neben sehr knappen Partien auch solche mit großen Punkteunterschieden erlebt, selbst wenn alle am Tisch das Spiel schon mehrfach gespielt hatten. Was in Partie A zu einem lockeren Sieg verhilft, kann in Partie B überraschend in die Hose gehen – insbesondere, wenn unter dem Eindruck von Partie A nun mehrere auf diese Spielweise einschwenken, weil sie denken, es müsse immer so klappen. Selten habe ich bei einem Spiel meine Meinung über die Stärke bestimmter Vorgehensweisen und bestimmter Ausbauten so häufig geändert wie bei BIER PIONIERE. Immer wieder haben mich Verläufe überrascht.

Was taugt es? Nicht so überzeugend fand ich lediglich jene Partie, die jemand gewann, ohne je eine Biersorte freizuschalten. Begünstigende Karten und Spielverläufe vorausgesetzt, kann man viele Punkte auch ohne Aufträge gewinnen und Aufträge wiederum erfüllen, indem man die nötigen Biere ohne Brauprozess über Aktionen oder im Austausch gegen Altbier erhält. Spielmechanisch ist daran nichts auszusetzen, aber thematisch wirkt es für mich unstimmig.
Grundsätzlich ist das Thema von BIER PIONIERE aber ein großer Pluspunkt des Spiels. Es wirkt nicht beliebig austauschbar, das Weiterdrehen des Brauanzeigers kann man sich gut als Gärungsprozess vorstellen. Die Illustrationen und die im Spiel mit ihren Konterfeis und Namen vorkommenden Brauer des 19. Jahrhunderts von Josef Diebels bis Clemens Veltins verströmen Zeit- und Lokalkolorit. Die Historizität (auch wenn sie mechanisch keine Rolle spielt) und die Umsetzung des Bierthemas heben das Spiel aus der Masse der austauschbaren Eurogames heraus.

Bier Pioniere: Karten

Obwohl es mal wieder ein Optimierungsspiel ist, bei dem es darum geht, bei etwaigen Ketteneffekten das Maximale herauszuholen, und auch ohne mechanisch hochoriginell zu sein, hat BIER PIONIERE bei mir einen großen Wunsch auf viele Wiederholungspartien ausgelöst. Gerade die kleinen, aber feinen Abwandlungen des bekannten Figureneinsatzes (mehrere Sorten Figuren, Aufwertungen für Bonusaktionen) üben einen großen Zusatzreiz aus. Jeder Zug kribbelt, denn jeder Zug fühlt sich entscheidend an. Überdies bringt jeder Zug einen Fortschritt. Ich wachse, ich entwickle, ich braue. BIER PIONIERE ist ein konstruktives Spiel, es erzählt Erfolgsgeschichten. Als Gesamtpaket finde ich BIER PIONIERE außerordentlich rund.


****** außerordentlich

BIER PIONIERE von Thomas Spitzer für zwei bis vier Spieler:innen, Spielefaible.

Dienstag, 30. April 2024

Gern gespielt im April 2024

BOTANICUS: Keine Panik in der Botanik.

BONSAI: Für alle Kleingärtner:innen.

PATH OF CIVILIZATION: Erleuchtung und Atombombe liegen nah beieinander.

PASST NICHT: Die Freude am Unpassenden war selten so groß.

THE VALE OF ETERNITY: Ich war mal Stammgast in einer Disco namens Eternity. Ist ’ne Ewigkeit her.




UND AM LIEBSTEN GESPIELT IM APRIL:

SKY TEAM: Ich bin nicht sonderlich flugerfahren. Aber selbst mir als Laien kam speziell das Landen schon immer besonders bedeutungsvoll vor.





Dienstag, 23. April 2024

Eila und das glitzernde Etwas

Eila: Cover

Chefkatze: „Du bist ganz am Anfang der Rezension von EILA UND DAS GLITZERNDE ETWAS. Was willst du?“

A Du bittest um weitere Informationen.
Weiter bei: „Wie geht EILA UND DAS GLITZERNDE ETWAS?“

B Du heißt Eila, also hast du es eilig.
Weiter bei: „Was taugt es?“

C Du stapfst mit dem Fuß auf und verlangst eine anständige Einleitung.
ERROR

Wie geht EILA UND DAS GLITZERNDE ETWAS? In der Rolle der Häsin Eila erleben wir Abenteuer, die darin münden, einen gefährlichen Berg zu besteigen, auf dessen Gipfel ein glitzerndes Etwas lockt.
„Wir“ kann in diesem Fall auch „ich“ bedeuten. EILA ist eigentlich ein Solo-Spiel. Spielen mehrere, treffen sie Eilas Entscheidungen gemeinsam.
In jedem der fünf Kapitel von EILA spielen wir bis zu siebenmal ein Kartendeck durch. Das sind die sieben Runden, innerhalb derer wir das Abenteuer bestanden haben müssen. Andernfalls müssen wir es ein weiteres Mal versuchen.

Eila: Spielplan

Wir decken Karte für Karte auf und führen sie aus. Typischerweise gewähren uns die Karten eine Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten. Bei Dr. Eule dürfen wir uns Wissen kaufen oder auch nicht. Besitzen wir ohnehin kein Geld, ist die Entscheidung klar. Beim Arbeitseinsatz können wir es langsam angehen lassen, um eine Münze zu verdienen, oder für gleich drei Münzen ordentlich reinhauen, aber auch Energie verbrauchen.
EILA erfordert Ressourcenmanagement. Von Geld, Nahrung, Energie und Wissen kann man eigentlich gar nicht genug besitzen. Doch die Lagerkapazität ist begrenzt, und nicht in jedem Kapitel kommt es auf dasselbe an. Die negative Ressource Angst versperrt Plätze, weshalb wir Angst regelmäßig reduzieren sollten, sofern wir es können.

Eila: Karten

Im ersten Durchlauf eines Kapitels ist das Deck vorsortiert. In allen weiteren wird es gemischt. Es kommen Karten hinzu, es werden Karten entfernt, teilweise abhängig von unseren Entscheidungen. Begegnen wir einem anderen Charakter freundlich / hilfsbereit / gleichgültig / aggressiv, wird dem verdeckten Ablagestapel jeweils eine bestimmte Karte hinzugefügt. Was die Karte bringt, erfahren wir im nächsten Durchlauf, sobald sie auftaucht.
Wir gewinnen Gegenstände, wir erlernen Fähigkeiten („Hobbys“), und oft ist die Entscheidung für das eine zugleich eine Entscheidung gegen das andere. Wir können nicht alle Hobbys erlernen, und ob sich nun Gärtnern als besser erweisen wird als Musizieren, wissen wir vorab nicht.

Was passiert? In jedem Kapitel müssen wir ein vorgegebenes Ziel erreichen, zum Beispiel bestimmte Abgaben leisten. Unterwegs stellt sich heraus, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, das Kapitel erfolgreich zu beenden. Wie das geht, erfahren wir erst in dem Moment, wo es geschieht.
Von Kapitel zu Kapitel wird es schwieriger. Üblicherweise braucht man bald mehrere Anläufe. Die Fehlversuche sind dazu da, um herauszufinden, was auf uns zukommt und was ein sinnvolles Vorgehen sein könnte. Von Kapitel zu Kapitel wird auch immer mehr gekämpft. Von Kapitel zu Kapitel steigt deshalb unsere Abhängigkeit vom Würfel. Und von Kapitel zu Kapitel verdüstert sich die Stimmung der Erzählung. Die anfängliche Lieblichkeit verwandelt sich in einen Alptraum.
Jedes Kapitel bringt außerdem sein eigenes Spielelement mit, das nur in diesem einen Kapitel zum Einsatz kommt. Kapitel drei etwa verwendet einen Spielplan, Kapitel vier Deckbau. Wenig Aufwand erzeugt viel Abwechslung.

Was taugt es? EILA hat mich schnell in seinen Bann gezogen. Die Karten sind schön gestaltet, die Geschichte trägt, die Mechanik flutscht hervorragend. Wie sich Ereignisse ankünden und zeitverzögert ins Deck gelangen und wie Folgen unserer Handlungen die Zukunft beeinflussen, erinnert an ROBINSON CRUSOE oder auch PALEO. EILA aber setzt es unkomplizierter um.
Gegen Ende wird EILA jedoch zäh und stellt das Durchhaltevermögen auf die Probe. Denn es genügt ja nicht, herausgefunden zu haben, wie man das Ziel erreichen könnte. Man muss den gedachten Weg dann auch noch realisieren. Schlechte Würfelergebnisse oder auch unglückliche Kartenmischung können schnell die Niederlage bedeuten – also noch mal das Ganze. Und je häufiger man von vorn beginnen muss, ohne dabei noch etwas Neues zu erleben, desto weniger spielt man, sondern blättert einfach nur noch wie eine Maschine die Karten runter.
In unserer Kampagne sank die Motivation merklich ab, bevor wir endlich eins der drei alternativen Spielenden erreicht hatten – um dann zu erfahren, dass unser Ende nicht das „richtige“ Ende war. Die Botschaft, wie es „richtig“ gehen könnte, wird mitgeliefert, sodass ich noch mal allein einen Anlauf genommen habe, um mir zu beweisen, dass ich EILA auch wie vorgesehen abschließen kann.
Der „richtige“ Weg kam mir dann aber noch zäher vor; ich habe irgendwann abgebrochen. Im Verhältnis zu meiner Lebenszeit war mir der Beweis letztlich nicht wichtig genug. Allerdings haben wir nachgesehen, wie das „richtige“ Ende ausgefallen wäre. Und: Befriedigend ist es nicht, obendrein sehr interpretationsbedürftig. Mit der Erwartungshaltung wird jedenfalls krass gebrochen.

Eila: Comic

Das Label „solide“ passt von seiner Wortbedeutung her zu EILA gar nicht. Ich wähle es trotzdem als die ungefähre Mitte zwischen zwei Polen: Vieles an EILA ist viel besser als solide, es ist sogar beeindruckend gut. Doch vieles hat auch sehr genervt.
Als Spiel mit unterschiedlichen Enden finde ich CARTAVENTURA befriedigender, weil die Enden akzeptable Alternativen darstellen und nicht wie Enden erster und zweiter Klasse rüberkommen. In EILA fühlte sich keins der Enden belohnend an.
EILA ist ein sehr ambitioniertes Spiel, was sich auch daran zeigt, dass die Kapitel nicht einfach durch Texte eingeleitet und abgeschlossen werden, sondern dass für diesen Zweck etliche kleine Comichefte beiliegen. Für mein Empfinden ist EILA jedoch überambitioniert. Es will spielerisch sein, aber auch philosophisch, es will niedlich sein, aber auch erschreckend, es will kindlich sein, aber auch erwachsen.


**** solide

EILA UND DAS GLITZERNDE ETWAS von Jeffrey CCH für eine:n bis drei Spieler:innen, Mirakulus.

Dienstag, 16. April 2024

After Us

After Us: Cover

In der Postapokalypse wird die Welt von Affen dominiert! Krassomat. Aber ... was genau ist daran ungewöhnlich?

Wie geht AFTER US? Es ist ein Wettrennen und ein Deckbauspiel. Wer zuerst 80 Punkte erreicht, gewinnt. Und das Ganze funktioniert mit Karten. Acht besitze ich von Beginn an, immer vier ziehe ich für einen Zug auf die Hand. Ich kann Karten entsorgen, ich kann neue Karten kaufen.
Der erste Unterschied zu herkömmlichem Deckbau: Es gibt drei verschiedene Währungen für den Kauf: mit Blumen kaufe ich Mandrille, mit Früchten Orang-Utans, mit Körnern Gorillas. Schimpansen akzeptieren jedes der drei Zahlungsmittel.
Die verschiedenen Affensorten bewirken Unterschiedliches: Mandrille erzeugen tendenziell Punkte, Orang-Utans Batterien (eine vierte Währung, mit der ich Sonderaktionen ausführe), Gorillas erzeugen Zorn (eine fünfte Währung, die zum Entsorgen da ist). Schimpansen haben eine unterstützende Funktion für andere gespielte Affen.

After Us: Tableau

Zweiter und größerer Unterschied: Die Ausspielphase durchlaufen wir gleichzeitig. Und puzzeln mit unseren Karten. Jede Karte zeigt Boxen in drei Zeilen. Viele der Boxen sind am linken oder rechten Rand der Karte abgeschnitten. Das, was in der Box abgebildet ist, erhalte ich dann, wenn ich die vier Karten so nebeneinanderlege, dass die Box geschlossen ist. Das wird nicht mit allen Boxen klappen. Manche bleiben offen und bringen dann eben nichts.
Die Boxen der ersten Zeile (die ich zuerst auswerte) bringen Rohstoffe, die Boxen der anderen Zeilen definieren oft ein Tauschverhältnis. Beispielsweise darf ich eine Blume und eine Batterie abgeben, um einen Punkt zu erhalten. Oder zwei Körner für drei Zorn. Jede:r puzzelt, jede:r wertet aus, jede:r darf anschließend einen Affen kaufen, um ihn direkt auf den Nachziehstapel zu legen.


After Us: Spielplan

Was passiert? Dass wir nebeneinanderher puzzeln, macht AFTER US zu sechst überhaupt erst sinnvoll spielbar. Dass wir nebeneinanderher puzzeln, bewirkt allerdings auch, dass man ausschließlich mit sich selbst beschäftigt ist und es fast keine Rolle spielt, ob noch andere Personen am Tisch sitzen.
Das Puzzle selbst empfinde ich als mäßig interessant. Man probiert es ein bisschen so und ein bisschen anders, aber weil manche Boxen (vor allem die auf den zugekauften Karten) stärker und wichtiger sind, wird man mit Priorität auf den Abschluss dieser Boxen bald zu einem akzeptablen Ergebnis gelangen, und alles weitere Herumprobieren erzeugt nur Varianten ähnlicher Qualität. (Und wenn jemand vorhätte, sämtliche Varianten von vorne bis hinten systematisch durchzurechnen, säße ich lieber nicht mit am Tisch.)
Man sammelt seine Ressourcen ein, und zumindest teilweise ergibt sich daraus auch schon, welchen Affen man überhaupt kaufen kann. Ich brauche drei Ressourcen einer Sorte für einen schwächeren Affen, sechs für einen stärkeren. Einen Grund, einen schwächeren zu nehmen, wenn ich einen stärkeren haben kann, gibt es üblicherweise nicht.


After Us: Kärtchen

Was taugt es? Was genau der gekaufte Affe kann und wie seine Boxen angeordnet sind, erfahre ich erst hinterher. Denn wir kaufen die Karten von verdeckten Stapeln. Ich sehe ein, dass das Spiel zu kompliziert werden würde, lägen diese Informationen offen und jemand versuchte allen Ernstes, da irgendwas vorauszuberechnen. Also ist es im Rahmen dieses Spiels schon okay so, die Karten verdeckt zu verkaufen.
Mir stellt sich aber die Frage, ob das Spiel als solches okay so ist. Zunächst einmal: Gut finde ich, wie klar die Strategien voneinander abgegrenzt sind. Ich kann mal versuchen, möglichst nur Gorillas zu kaufen, um alle schwächeren Karten aus dem Deck zu entsorgen. Oder nur Mandrille, um mit vielen Punkten schnell ins Ziel zu laufen. Oder eine sinnvolle Kombination aus zwei oder mehr verschiedenen Affen. Es gibt einiges auszuprobieren.
Allerdings fühlt sich AFTER US in keiner Phase für mich spannend an. Das Puzzle finde ich nicht raffiniert genug, um allzu viel Denkzeit in den Versuch investieren zu wollen, ob sich nicht doch noch eine Winzigkeit mehr herausholen ließe.
Und das Ergebnis der Puzzlephase ist einfach nur ein anderer Kontostand: Ich gehe x Schritte auf der Punkteskala voran und erhalte y Rohstoffe in den diversen Währungen. Es passiert nichts, was mich irgendeinen Bezug zum Spielthema herstellen lässt. Es passiert auch nichts Erzählerisches. AFTER US ist emotionslose Mechanik. Und zur Emotionslosigkeit trägt auch das verdeckte Kaufen bei. So kann eben nie irgendwas im Markt sein, von dem ich denke: Das will ich unbedingt haben! Hoffentlich nimmt es mir niemand weg!
Immerhin: Das Spiel kommt mit einer neuen Idee daher, es funktioniert auch gut zu sechst, mechanisch ist es rund und ohne unnötige Verkomplizierungen. Doch in Erinnerung bleibt AFTER US nicht.


*** mäßig

AFTER US von Florian Sirieix für eine:n bis sechs Spieler:innen, Pegasus Spiele.